[Grundeinkommen-Info] Wirtschaftswoche: Interview mit Goetz Werner
Wolfgang Strengmann-Kuhn
strengmann at t-online.de
Mi Okt 4 08:51:37 CEST 2006
Interview mit Goetz Werner in der Wirtschaftswoche:
http://www.wiwo.de/pswiwo/fn/ww2/sfn/slink/did/216666/index.html
"Halte ich meine Mitarbeiter für Tiere oder wirklich für Menschen?"
Götz Werner, Chef der Drogeriemarktkette dm, über seine Führungsprinzipien und die schädliche Wirkung von Prämien, warum
er lieber Fragen stellt, als Anweisungen zu geben, und weshalb er alle Steuern bis auf die Mehrwertsteuer abschaffen würde.
WirtschaftsWoche: Herr Werner, Sie fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger und haben in einem
Interview erklärt, dass "das manische Schauen auf Arbeit uns alle krank macht". Wie erklären Sie solche Aussagen Ihren
Verkäuferinnen? Fürchten Sie nicht um deren Motivation?
Werner: Nein, überhaupt nicht. Mir kommt es vor allem auf das Verständnis von Arbeit an. Ich sehe sie nicht primär als
Einkommensquelle, sondern als Quelle von Sinn.
Aber auch Ihre Angestellten müssen so viel verdienen, dass sie davon leben können.
Natürlich muss das Gehalt stimmen, sonst müssten sie sich schleunigst einen neuen Job suchen. Aber was bekommen sie mit
ihrem Einkommen? Den Auftrag zu ihrer Arbeit, die sie einen weiteren Monat machen können. Das Einkommen ist eigentlich
die Ermöglichung der Arbeit und nicht die Bezahlung. Es ist nicht rückwärts gewandt, sondern vorwärts. Sie leben schließlich im
folgenden Monat davon.
Aber welchen Sinn können Sie Ihren Angestellten so vermitteln?
Sie sollen den Sinn vor allem in ihrer Arbeit am Kunden entdecken und nicht im Erreichen persönlicher Ziele wie der nächsten
Beförderung. Sie sollen sich fragen, ob der Kunde mit dem, was sie tun, etwas anfangen kann, ob sie seine Bedürfnisse so
besser befriedigen als andere. Wir wollen, dass möglichst viele bei uns einen Arbeitsplatz haben und nicht bloß einen
Einkommensplatz. Dass sie zu uns kommen, weil sie die Arbeit interessiert und nicht,weil sie auf den Job angewiesen sind.
Dazu gehört auch die Anerkennung durch die Vorgesetzten. Ohne die gibt es keine Motivation.
Mitarbeiter müssen gar nicht so sehr motiviert werden. Das ist eine Frage des Menschenbildes. Halte ich meine Leute für
determinierte Reiz-Reaktionswesen oder für Menschen, die sich entwickeln wollen und entwickeln können? Halte ich sie eher
für Tiere oder wirklich für Menschen? Daraus leitet sich ab, ob ich sie nur unterhalb der Gürtellinie anspreche, in ihren Reflexen
und Süchten, oder in dem, was sie sein könnten, was sie vielleicht werden wollen.
Gegen einen ordentlichen Gehaltsbonus werden sie aber auch nichts einwenden.
Viele Unternehmen sind sehr stolz auf ihr ausgeklügeltes Belohnungssystem. Aber dadurch werfen sie den Einzelnen immer
wieder zurück in die Selbstversorgung, in den Egoismus. Bei uns gibt es deshalb keinen dm-Orden oder sonstige Scherze. Wir
zahlen auch keine Prämien, wir hatten bei dm überhaupt noch nie ein Anreizsystem. Das passt nicht zu unserer Kultur.
Damit können Sie die Lohnkosten natürlich niedrig halten...
Darum geht es nicht. Eine Unternehmenskultur ist ein fragiles Kartenhaus. Wenn Sie eine Karte rausziehen, bricht alles
zusammen. Unsere Kultur ist sehr stark auf Zusammenarbeit ausgerichtet. Und mit wenig kann man eine solche Kultur mehr
ruinieren als mit einem Anreizsystem, das nur den Einzelnen belohnt.
Das ist die Grundlage des Wettbewerbs: Jeder strengt sich an, um der Beste zu sein. Das müssten Sie doch fördern.
Nein. Dass die Leute meinen, sie arbeiteten nur für sich, ist heute ein Grundproblem vieler Unternehmen. Wenn ein
Unternehmen mit einer solchen Einstellung erfolgreich ist, dann nicht weil es sie fördert, sondern obwohl es sie fördert. Ich
muss mir doch klar machen, dass es heute auf jeden Einzelnen ankommt, weil niemand mehr alleine etwas erreichen kann.
Viele können das gar nicht denken, dass jeder im Unternehmen vor allem für andere arbeitet. Dabei erbringen alle ihre
Leistungen in einer Gemeinschaft. Wirtschaft, das heißt für mich als Erstes, miteinander füreinander leisten.
Die meisten Menschen sehen aber erst einmal ihre Interessen. Wie lässt sich eine solche Unternehmenskultur schaffen?
Die lässt sich nicht von oben verordnen, Sie können nur einen Rahmen vorgeben. Entscheidend ist, wie man im Unternehmen
miteinander umgeht. Wie behandele ich meine Mitarbeiter? Wie verhalten sich die Vorgesetzten im Konfliktfall? Wie reagieren
sie, wenn es nicht gut läuft? Sind sie dann auch noch ruhig und objektiv? Über diese Punkte schaffen wir eine Arbeitskultur.
Und so wie wir miteinander umgehen, behandeln wir letztlich auch die Kunden. Aber nur, weil alle nett zueinander sind, ist man
noch längst nicht erfolgreich.
Richtig. Sie müssen die Leute noch dazu bringen, dass sie von sich aus Initiative ergreifen und Verantwortung übernehmen.
Wie entsteht solche Initiative?
Die Mitarbeiter dürfen sich nicht an Hierarchien orientieren. Sie müssen als Vorgesetzter jeden Tag dafür kämpfen, dass Ihre
Leute möglichst wenig an Sie denken und möglichst viel an die Kunden. Sie sollen nicht vor allem das machen, was den Chef
zufriedenstellt. Je mehr Mitarbeiter lernen, die Bedürfnisse ihrer Kunden selbstständig zu erkennen, desto unternehmerischer
wird ein Unternehmen.
Wie können Manager das fördern?
Letztlich ist das eine Frage des Menschenbildes. Viele haben eine rein materialistische Anschauung. Und denken deshalb,
dass Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei. Ich halte es mit dem Freiherrn von Stein, der gesagt hat, dass Zutrauen den
Menschen veredelt. Wenn das Ihre Grundhaltung ist, bekommt Ihr Unternehmen nach und nach eine ganz andere Färbung.
Dann reden Sie mit Ihren Leuten auf Augenhöhe und erleben, wie sich deren Einstellung vom Sollen zum Wollen ändert.
Motto: "Hier bin ich Mensch, hier...
...mach ich mit!" Sie bekommen bei uns keine Arbeit angeboten, Sie müssen sie ergreifen. Dahinter steht die Frage, ob ich
meine Arbeit als Verpflichtung oder als Anspruch erlebe. Schaue ich als Manager zu den Analysten oder zu den Kunden?
Setze ich mir meine Ziele aus mir heraus oder lasse ich sie mir verordnen? Die Fragen sind gerade für uns wichtig, weil wir kein
einzigartiges Produkt haben, über das sich die Leute mit dm identifizieren. Wir verkaufen nichts, was andere nicht auch im
Programm haben. Die Motivation läuft bei uns nur über die Kultur, über das, was ein Unternehmen letztlich ausmacht.
Gerade im Handel ist der Wettbewerb groß. Viele Ihrer Konkurrenten setzen auf straffe Führung und klare Hierarchien.
Jede unserer 822 Filialen hat eine andere Wettbewerbssituation mit anderen Kunden. Wir machen ja keine großen Deals, als
Geschäftsführer mache ich keine Abschlüsse über 20 Millionen Euro, nicht einmal über 1000 Euro. Wir machen eine Unzahl
kleiner Geschäfte, und die machen unsere Mitarbeiter vor Ort. Außer den Verkäufern macht keiner im Unternehmen
irgendwelchen Umsatz. Deshalb sind diese Menschen so wichtig für uns.
Geben Sie Ihren Filialen mehr Autonomie als andere Handelsketten?
Ja, sie können teilweise selbst über ihr Angebot entscheiden. Wir können in der Zentrale gar nicht steuern, was in den
einzelnen Läden passiert. Wir können nur Strukturen schaffen, damit die Mitarbeiter selbst überlegen, wie sie die Kasse, die am
Morgen leer ist, am Abend voll bekommen.
Was bedeutet das für Ihren Führungsstil?
Ich bemühe mich, wenige Anweisungen zu geben und viele Fragen zu stellen. In den meisten Unternehmen ist das
Meisterprinzip noch tief verankert. Das heißt: Der Chef ist Chef, weil er alles am besten weiß. Ich bin als Geschäftsführer aber
nicht für alles verantwortlich, sondern für das Ganze. Das ist ein Unterschied. Sie können heute ja gar nicht mehr erwarten,
dass jemand auf alles eine Antwort hat. Dennoch wollen die Mitarbeiter von ihrem Vorgesetzten vor allem Antworten hören
Verständlich. Sie wollen sich absichern.
Natürlich. Dann wissen sie genau, was ich von ihnen will, und können scheinbar keinen Fehler mehr machen. Aber ich habe mir
irgendwann zum Ziel gesetzt, dass jeder, der mit einer Frage zu mir kommt, mit drei bis fünf Fragen wieder geht.
Schafft das nicht Verunsicherung?
Ein Unternehmen zu führen heißt heute nicht mehr, Menschen zu führen, sondern Bewusstsein zu schaffen. Das erreichen Sie
nie mit einer Antwort, denn die beendet das Bewusstsein sofort. Wenn der Chef hingegen eine Frage stellt, gehen die
Mitarbeiter auf die Suche. Was sollen sie dabei finden?
Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass einen jede Frage auf einen neuen Weg bringt. Und je mehr Leute ich habe, die suchen
und erneuern wollen, desto wettbewerbsfähiger werde ich.
Manager fürchten aber um ihre Autorität, wenn sie keine klare Richtung vorgeben.
Ich weiß, es ist nicht einfach, sich mit Antworten zurückzuhalten. Es ist verführerisch, sich allwissend zu fühlen. Aber glauben
Sie mir: Wenn ein Mitarbeiter ein Problem hat, hat er auch schon eine Antwort.
Können Ihre Mitarbeiter mit dieser Freiheit überhaupt umgehen?
In der Schule haben sie das nicht gelernt und oft auch nicht zu Hause. Wir müssen deshalb bewusst Freiheitsräume schaffen,
das Unternehmen immer wieder neu generieren. Deshalb machen wir so eine ausgeprägte Ausbildung
Zu der auch gehört, dass die Auszubildenden mehrere Wochen Theater spielen.
Ja, mit unserem Kulturprogramm sollen sie ihre Ausdrucksfähigkeit und ihr Selbstbewusstsein stärken. Wir machen kein
Verkaufstraining, unsere Fortbildungen sind darauf ausgelegt, die Persönlichkeit des Einzelnen zu fördern. Wenn uns das
gelingt, wird er von selbst überlegen, was der Unterschied zwischen zwei Zahncremes ist. Wir setzen an der Wurzel an und
wollen dazu beitragen, dass sich jeder seines Menschseins bewusst werden kann.
Ist das tatsächlich die Aufgabe eines Unternehmens?
Na klar, für mich ist das sogar die originäre. Was sollte es denn sonst sein?
Ordentlichen Gewinn zu machen und Arbeitsplätze zu schaffen?
Gewinn ist nie das Ziel eines Unternehmens, sondern seine Bedingung. Den brauchen Sie wie den Sauerstoff zum Atmen.
Wenn man zu wenig Gewinn macht, reduziert man sein Potenzial zur Erneuerung. Und kein Unternehmer strebt wirklich
danach, Arbeitsplätze zu schaffen, wir sind keine Sozialarbeiter. Nein, unsere Verantwortung ist es, die Menschen mit den
Gütern zu versorgen, die sie brauchen, und das mit einem möglichst sparsamen Einsatz von Ressourcen.
Bei dm gibt es keine Sonderangebote, keinen Alkohol, keine Zigaretten, dafür aber massenweise Bioprodukte. Wollen Sie Ihre
Kunden zu besseren Menschen machen?
Nein, wir sind keine moralische Anstalt. Aber wir haben schon vor 25 Jahren in unsere erste Marketingstrategie geschrieben,
dass wir eine bewusst einkaufende Stammkundschaft ansprechen wollen. Und dazu gehört ein klares Profil. Wir verkaufen
Produkte, mit denen die Leute uns identifizieren. Wenn wir Bioprodukte ins Regal nehmen, treten andere in den Hintergrund. Es
gibt heute immer mehr Menschen, die auch wissen wollen, wen sie mit ihrem Geld unterstützen. Denen müssen wir erklären,
wie ein Produkt die Umwelt belastet. Früher hat das keinen interessiert.
Gehört zu dieser Imagebildung auch, dass Sie sich in gesellschaftliche Diskussionen einmischen, etwa wenn Sie ein
Grundeinkommen für alle fordern?
Ich habe mich schon immer gefragt, was die Initiative von Menschen fördert und was sie hemmt. Als Unternehmer kommen Sie
da schnell auf das Steuersystem. So kam ich auf die Idee, die Mehrwertsteuer drastisch zu erhöhen und dafür alle anderen
Steuern abzuschaffen. Das Grundeinkommen wäre in diesem System eine Art Freibetrag für jeden Konsumenten. Und für den
Arbeitsmarkt würde das bedeuten, dass die Leute nicht den nächstbesten Job annehmen würden, sondern den, den sie sinnvoll
finden. Arbeit würde primär Sinnmaximierung und nicht Einkommensquelle. Keiner würde mehr machen, was er soll, sondern
nur noch, was er will.
Ihre Kritiker sagen: Bei vielen wäre das nicht besonders viel.
Jeder, den ich nach seiner Einstellung frage, antwortet, dass er selbst natürlich weiterarbeiten würde. Die Leute haben ein
anderes Bild von sich als von den anderen. Wenn Sie meinen, Sie müssten Ihre Mitarbeiter motivieren, weil die sonst nichts
machen, Sie müssten ihnen Anwesenheitsprämien zahlen, damit sie überhaupt kommen, dann entsteht nie ein echter Dialog.
Und ohne den gibt es keine Initiative.
Ihr hehres Menschenbild in Ehren, aber werden Sie nicht ständig enttäuscht?
Doch, permanent. Aber das heißt nicht, dass diese Ideale falsch sind. Sie sind der Polarstern, an dem ich mich orientiere. Da
gibt es natürlich Rückschläge. Aber der Erfolg hat mir bisher immer Recht gegeben.
[03.10.2006] cornelius.welp at wiwo.de
Aus der WirtschaftsWoche 40/2006.
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