[Gen-Streitfall] Fundsachen 16/0904 (Geprüft)

Rudi rudi-radler at freenet.de
Do Sep 16 14:37:51 CEST 2004


1) Fundsache

Satt durch Designer-Pflanzen? (1)
Teil 1

Durch flächendeckenden Anbau von Gentech-Gewächsen wollen Agrarkonzerne den
Hunger in der Welt besiegen. Doch nützt die grüne Genrevolution wirklich den
Armen?

DPA
Dürre-Katastrophe in Lateinamerika, 2001: Hoffen auf die Wunderpflanze
An Mitgefühl für die Armen und Hungrigen dieser Welt lassen es beide Frauen
nicht fehlen. "25 000 Kleinbauern haben in unserem Land Selbstmord begangen,
weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten", sagt die Inderin Vandana
Shiva. Und auch die Kenianerin Florence Wambugu appelliert ans Herz: "Eine
hungrige Person ist kein Mythos, sondern eine Person, die ich kenne", sagt
die Tochter einer afrikanischen Kleinbäuerin.

Dennoch stehen Shiva und Wambugu auf entgegengesetzten Seiten der Barrikade:
Während Bürgerrechtlerin Shiva gegen die Ausbeutung der Bauern durch die
Gentech-Konzerne kämpft, hat Pflanzengenetikerin Wambugu beim Saatgutkonzern
Monsanto geforscht und leitet heute eine Stiftung, die einen
flächendeckenden Anbau von Genpflanzen in Afrika propagiert.

In Köln könnten die Frauen diese Woche aufeinander treffen. Wambugu ist am
Dienstag dieser Woche eine der Hauptrednerinnen der "Agricultural
Biotechnology International Conference" (Abic). Erstmals wird der Kongress -
einer der weltweit größten zur Agrar-Biotechnologie - nicht in Kanada,
sondern in Europa abgehalten, um auch hier Stimmung zu machen für die
Segnungen der Biotechnologie.

Die Inderin Shiva hingegen tritt als Gast auf einer "Alternativkonferenz"
auf, die parallel zur Abic abgehalten wird. Organisationen wie Brot für die
Welt, Misereor, Greenpeace oder der Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland präsentieren dort ihren Gegenentwurf zu den "Fortschrittsmythen"
der "Lobbyisten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik", wie es in der
Einladung heißt.

DER SPIEGEL
Vom Labor aufs Feld: Der weltweite Anbau von Gen-Pflanzen
Der zentrale Streitpunkt: Ist die grüne Gentechnik geeignet, Hunger und
Armut zu lindern? Oder sind dies Heilsversprechen der Industrie, die nur
dazu dienen sollen, einer umstrittenen Technologie zum Durchbruch zu
verhelfen?

Wie tief greifend und schnell ein einziges Gentech-Gewächs eine ganze
Volkswirtschaft umkrempeln kann, lässt sich derzeit in Argentinien
besichtigen. Die vom Monsanto-Konzern entwickelte "Roundup
Ready"-Sojapflanze ist gegen das Pflanzengift Glyphosat (Markenname
"Roundup") resistent. Auf Gensoja-Feldern, so das Versprechen der Industrie,
brauchten die Bauern deshalb nur noch Glyphosat zu spritzen, das angeblich
fast alle Unkräuter in Schach hält. 1996 hat Argentinien als eines der
ersten Länder den Anbau der Gentech-Pflanze zugelassen. Rund 13 Millionen
Hektar - fast die Hälfte der fruchtbaren Landesfläche - sind mittlerweile
damit bepflanzt.

Fünf Milliarden US-Dollar Gewinn soll der Export der Ernte den Soja-Baronen
beschert haben. Doch zu welchem Preis? Längst müssten die Bauern zusätzlich
auch andere Gifte spritzen, weil sich Pflanzen ausbreiten, die gegen
Glyphosat resistent sind, kritisiert Molekularbiologin und Umweltaktivistin
Lilian Joensen. Zudem hätten die Soja-Monokulturen die gewachsenen
bäuerlichen Strukturen zerstört: "Wir haben fast alle unsere traditionellen
Getreidearten und Produktionsmethoden verloren."

REUTERS
Unterernährtes Kind in Äthiopien: "Hunger ist nur ein Verteilungsproblem"
Früher habe die argentinische Landwirtschaft das Vielfache des Landesbedarfs
an Getreide, Gemüse, Milch und Fleisch hervorgebracht. Inzwischen würden
Firmen aus den USA oder Spanien große Landesteile mit Soja bestellen. 160
000 Kleinbauern seien bereits in die Städte geflüchtet, sagt Joensen - wo
sie ausgerechnet Armenspeisung auf Sojabasis erhielten.

"Eine global operierende Industrie versucht mit allen Mitteln, die Welt von
ihren gentechnisch veränderten Pflanzen abhängig zu machen", schimpft
Bürgerrechtlerin Shiva. Bauern, die einmal umgestiegen seien, würden ihr
traditionelles Saatgut aufgeben und müssten die kommerziellen, häufig mit
Lizenzgebühren belegten Sorten fortan immer und immer wieder kaufen.

Manchmal bieten die Firmen ihre Technologie zunächst sogar umsonst an. "Ein
Team von Mitarbeitern erforscht die humanitären Bedürfnisse der armen Bauern
und versucht, ihnen zu helfen, entweder durch Zugang zu unseren Patenten
oder durch Bereitstellung der Technologie", heißt es auf Monsantos
Internet-Seite: "Dieses Teilen ist langfristig in unserem Interesse, weil
diese Bauern künftig zufriedene Kunden werden könnten."

"Hier wird der Hunger von Millionen Menschen instrumentalisiert, um die
Akzeptanz einer Technologie zu erhöhen", glaubt Bernd Nilles vom
katholischen Hilfswerk Misereor. Gerade Hightech-Lösungen seien immer nur
für die größeren Bauern interessant, die für den Export produzierten; die
Kleinbauern könnten das Gentech-Saatgut meist gar nicht bezahlen.

Quelle:
© DER SPIEGEL 38/2004
Direkter Link: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,318059,00.html

2) Fundsache
Satt durch Designer-Pflanzen? (2)
Teil 2

"Hunger ist ohnehin nur ein Verteilungsproblem", sagt Aaron deGrassi vom
britischen Institute of Development Studies, der eine Studie zum
Gentech-Einsatz in Afrika vorgelegt hat. Bürgerkriege, Korruption, Dürren,
Heuschreckenplagen oder Pandemien wie Aids lägen den meisten
Hungerkatastrophen zu Grunde. Die Industrie spiele die "Armutskarte" nur
aus, um sich neue, lukrative Märkte zu erschließen.

Und tatsächlich: Zwar ist es den Konzernen gelungen, immer mehr ihres
Saatguts zu verkaufen. Rund sieben Millionen Bauern, vor allem in den USA,
Kanada, China, Brasilien und Argentinien, setzen inzwischen auf die
Feldfrüchte aus dem Labor (siehe Grafik). Bis heute jedoch kann die
Technologie keinen wirklichen Erfolg im Kampf gegen den Hunger vorweisen.

Wie Genpflanzen, die auf den Versuchsfeldern noch phantastisch
funktionierten, unter Alltagsbedingungen versagen können, zeigt sich am
Beispiel der so genannten Bt-Baumwolle: Seit 2002 vertreibt Monsanto das
Saatgut nach Indien, das mit einem Gen des Bodenbakteriums "Bacillus
thuringiensis" (Bt) versehen wurde. Ohne weiteren Einsatz von Insektiziden,
so Monsantos Versprechen, wehre die Pflanze den Baumwollkapselwurm ab -
einen Schädling, der normalerweise bis zu 60 Prozent der Baumwollpflanzen
anbohrt. Im Testanbau war das Gewächs tatsächlich den konventionellen Sorten
überlegen. Die Ernte erhöhte sich um 80 Prozent. Fast 70 Prozent weniger
Insektizide mussten die indischen Bauern spritzen.

Inzwischen wird Genbaumwolle in Indien auf 485 000 Hektar angebaut. Monsanto
preist weiterhin die Vorteile und spricht von fast 80 Prozent mehr Gewinn
für die Bt-Bauern. Doch Ökoaktivistin Shiva erzählt eine andere Geschichte:
"Die Bt-Baumwolle wächst extrem schlecht und hat vielen Bauern hohe Verluste
beschert." Die Baumwollfäden seien zu kurz, die Resistenz gegen den
Schädling sei unzuverlässig.

In manchen Distrikten im Bundesstaat Madhya Pradesh habe es in der ersten
Pflanzsaison fast hundertprozentige Ernteausfälle gegeben. Zudem sei das
Gen-gewächs fast viermal so teuer wie herkömmliches Saatgut. Auch ein
Gremium des indischen Bundesstaates Gujarat bestätigt: Die Pflanze "ist
ungeeignet für die Kultivierung und sollte verboten werden".

"Schon früher hat sich gezeigt, dass industrialisiertes Saatgut oft sehr
anfällig ist", kommentiert Entwicklungsexperte Nilles. Bei der Gentechnik
sei die Dominanz weniger Industrie-Sorten nun noch augenfälliger. Nur vier
Pflanzen (Baumwolle, Mais, Raps und Soja) und zwei gentechnisch eingefügte
Eigenschaften (Insektenresistenz und Herbizidtoleranz) machen 99 Prozent
aller Gentech-Gewächse aus.


DPA
Kinder bei der Essensausgabe in Simbabwes Hauptstadt Harare: Am Tropf der
internationalen Hilfe
"Weder von privater noch von öffentlicher Seite ist bislang genug in die
gentechnische Verbesserung von Feldfrüchten wie Kuhbohnen, Millet-Hirse,
Sorghum und Tef investiert worden, die entscheidend für die
Nahrungsversorgung der Armen sind", sagt Jacques Diouf, Direktor der
Welternährungsorganisation FAO.

"Wenn Gentechnik den Bauern im Süden helfen soll, muss sie von den teuren
Patenten befreit werden", fordert Tewolde Egziabher, Chef der äthiopischen
Environmental Protection Authority und einer der profiliertesten
Gentech-Kritiker Afrikas. Gefragt sind Pflanzen, die auf die lokalen
Bedürfnisse der Kleinbauern zugeschnitten sind und gleichzeitig eine
öffentlich zugängliche, bezahlbare Ressource bleiben - dann könnte die
Gentechnik wirklich gegen den Hunger helfen.

Erste Ansätze für öffentlich finanzierte Forschung an einheimischen
Nutzpflanzen gibt es: Feldversuche mit gentechnisch veränderten Kuhbohnen
und Auberginen haben in Afrika und Asien begonnen. Forscher von der
Jawaharlal Nehru University in Neu Delhi entwickeln Kartoffeln, die ein
Drittel mehr Proteine enthalten.

Und auch Reis, eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel, wird bereits im
Genlabor verändert. Forscher der Cornell University in Ithaca im
US-Bundesstaat New York haben eine Reissorte entwickelt, die Kälte und Dürre
besser standhalten und auch auf versalzener Krume gedeihen soll.

Gleich 14 öffentliche Forschungsinstitute in Indien, China, Indonesien,
Vietnam, Bangladesch, den Philippinen und Südafrika versuchen inzwischen
gemeinsam, den so genannten Goldenen Reis zur Marktreife zu bringen. Ein
gentechnischer Eingriff stattet seine Samen mit Beta-Karotin aus, der
Vorstufe von Vitamin A, die im Innern von normalen Reiskörnern nicht zu
finden ist. Goldener Reis, so die Hoffnung, könnte künftig
Vitamin-A-Mangelerkrankungen verhindern, die jährlich bis zu einer halben
Million Kinder erblinden lassen.

Doch die Erfolge der Gentech-Enthusiasten erscheinen oftmals noch
bescheiden. Molekularbiologin Wambugu etwa, die Pro-Biotech-Vorkämpferin
Afrikas, hat bis vor kurzem selbst versucht, eine virusresistente
Süßkartoffel für Kenia zu entwickeln. Sechs Millionen US-Dollar pumpten
Monsanto, die Weltbank und die US-Regierung in das Vorzeigeprojekt.

Anfang des Jahres jedoch musste das beteiligte Kenya Agricultural Research
Institute einräumen, dass die neue Süßkartoffel auch nach dreijährigen
Feldversuchen nicht resistenter als herkömmliche Sorten gegen das
Feathery-Mottle-Virus ist.

Besonders peinlich: Konventionelle Züchtung in Uganda hatte in der gleichen
Zeit billiger und schneller eine Sorte mit der gewünschten Eigenschaft
hervorgebracht.

PHILIP BETHGE

Quelle:
© DER SPIEGEL 38/2004
Direkter Link: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,318059-2,00.html

Mit Freundlichen Grüßen
Aktionsbündnis „Faire Nachbarschaft“
Rudolf Schäfer
Birkenweg 1 35099 Burgwald
Tel. : 0 64 51/ 71 77 23
Handy: 0174 21 56 518
Email: rudi-radler at vollbio.de
Web: www.gentechnikfreiezone-hessen.de
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