[Gen-Streitfall] Rot-Grün macht Gentech-Poker ein Ende (taz)

Sabine altmann.tent at t-online.de
So Jun 20 20:15:04 CEST 2004


http://www.taz.de/pt/2004/06/17/a0134.nf/text
taz vom 17.6.2004, Seite 9

Rot-Grün macht Gentech-Poker ein Ende
Die Regierung designt das Gentechnikgesetz so, dass die Union nicht mehr
mitreden kann. Deshalb werden Bauern, die High-Tech-Pflanzen anbauen,
künftig auch für die Schäden haften. Zudem wird jeder Genstandort in
einem Bundesregister gelistet AUS BERLIN WOLFGANG LÖHR

Die rot-grüne Koalitionsfraktion hat gestern im Verbraucherausschuss die
umstrittenen Regelungen für den Anbau von Gentechpflanzen auf den Weg
gebracht. Um die Blockadehaltung der CDU/CSU-geführten Bundesländer im
Bundesrat zu umgehen, verabschiedete die rot-grüne Mehrheit einen
überarbeiteten Gesetzesentwurf, der nur noch die Abschnitte enthält, die
keine Zustimmung des Bundesrats benötigen. Sowohl die Haftung bei
Gentechverunreinigungen von Nachbarfeldern als auch das öffentliche
Anbauregister können damit wie geplant am Freitag im Bundestag in
Gesetzesform gegossen werden.

"Bei der Haftung haben wir jetzt klar gestellt, dass ein Gentechbauer
immer dann zu Schadenersatz verpflichtet ist, wenn ein Nachbar aufgrund
von Gentechverunreinigungen Umsatzeinbußen hat", sagte Ulrike Höfken von
Bündnis 90/Die Grünen. Die Haftung greife auch dann, so Höfken, wenn die
Verunreinigung "unter der Kennzeichnungsschwelle von 0,9 Prozent" liege.
Diese weitergehende Haftung sei notwendig, da es heute schon eine ganze
Reihe von Lebensmittelunternehmen gebe, die von ihren Zulieferern
verlangten, weit unterhalb dieses Schwellenwerts zu bleiben, erklärte
dazu die Ausschussvorsitzende Hertha Däubler-Gmelin (SPD). Dazu gehöre
zum Beispiel der Lebensmittelkonzern Unilever.

Ein großer Streitpunkt beim neuen Gentechgesetz war auch das von der EU
vorgeschriebene Anbauregister. Die Mehrheit im Bundesrat lehnte dieses
Register unter anderem aus Kostengründen ab. "Wir haben jetzt ein
Bundesregister festgeschrieben", sagte Ulrike Höfken, "den Bundesländern
bleibt es jedoch freigestellt, selbst eine entsprechende Liste zu
führen." Der Vorteil: Da die Bundesländer nicht am Bundesregister
beteiligt sind, ist auch keine Zustimmung des Bundesrats notwendig.

Für das Standortregister sind zwei Informationsebenen vorgesehen. "Die
erste Stufe enthält alle Flurgrundstücke, auf denen gentechnisch
veränderte Pflanzen ausgebracht werden, und den Namen der Gensorte",
erläuterte Däubler-Gmelin. Diese Angaben sind jedem zugänglich. Name und
Anschrift des Gentechbauern werden nur in der zweiten Stufe angegeben
und nur dann weitergegeben, wenn der Anfragende ein berechtigtes
Interesse nachweisen kann. Das können Nachbarn sein oder auch Imker, die
ihre Bienenvölker in der Umgebung aufstellen wollen. Von der
Biotechindustrie ist vor allem das öffentlich zugängliche Register
abgelehnt worden. Sie befürchten Protestaktionen vor Ort.

Für die grüne Argarpolitikerin Höfken ist der jetzt vorliegende Entwurf
ein "großer Erfolg". Ganz anders waren die Reaktionen bei der
Opposition. Empört und unter Protest hatten die CDU/CSU- und
FDP-Vertreter die Ausschusssitzung gestern verlassen. Sie verlangten
mehr Beratungszeit für die neuen Gentechregelungen. In gemeinsamen
Erklärungen warf die Opposition Rot-Grün vor, dass sie die Rechte des
Bundesrats missachte und in einer "unglaublichen Nacht-und-Nebel-Aktion"
das Gesetz durch "das Parlament peitschen" wolle.


http://www.taz.de/pt/2004/06/17/a0068.nf/text

gengesetz
Blockade unterlaufen
KOMMENTAR VON WOLFGANG LÖHR

Endlich bekommt Deutschland ein zeitgemäßes Gentechnikgesetz - wenn auch
nur in Teilen. Die von Rot-Grün gegen den erbitterten Widerstand der
Opposition durchgesetzte Novelle sieht vor, dass Bauern benachbarte
Landwirte verklagen können, wenn durch deren genmanipulierte Aussaat
ihre eigene Ernte verseucht wurde. Die Biotechlobby wird aufschreien.
Mit der Kennzeichnung von Gentechfood haben sich die Unternehmen, die
auf grüne Gentechnik setzen, inzwischen arrangiert. Auch strengere
Genehmigungsverfahren und Anbauvorschriften haben sie geschluckt - wenn
auch unter Murren. Doch für die durch ihre Pflanzen verursachten Schäden
wollen die Saatgutproduzenten und Gentechbauern nicht aufkommen. Die
Entscheidung aber ist richtig: Profite einfahren, die Schäden aber
anderen aufbürden, das darf nicht sein. Von daher hat Rot-Grün gestern
eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit beschlossen.

Auch das Recht, erfahren zu dürfen, wer in der Nachbarschaft
Gentechanbau betreibt, ist unerlässlich. Denn wie sonst könnten
Gentechbauern und konventionell wirtschaftende Landwirte Absprachen
treffen, um die Gentechkontaminationen so gering wie möglich zu halten?
Oder woher sonst soll ein geschädigter Landwirt erfahren, wen er für die
Verunreinigungen haftbar machen kann?

Der einzige Wermutstropfen: Die Regelungen kommen viel zu spät. Die von
Sachsen-Anhalts Landesregierung initiierten geheimen
Gentechanbauversuche in sieben Bundesländern hätten verhindert werden
können und müssen. Die Versuche verstoßen zwar eindeutig gegen EU-Recht.
Weil aber das deutsche Gesetz nicht wie vorgesehen bis Oktober 2002
angepasst wurde, bleibt eine Grauzone. Die hat die CDU-FDP-Regierung in
Magdeburg rigoros ausgenutzt.

Vor diesem Hintergrund müssen auch die Proteste der CDU, CSU und der FDP
gegen die Splittung des Gengesetzes gesehen werden, mit der eine weitere
Blockade im Bundesrat umgangen wurde. Die Opposition setzte auf Zeit und
wollte, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden - gegen den
Verbraucherwillen und auf dem Rücken der nicht gentechnisch
produzierenden Landwirtschaft. Um das zu verhindern, müssen die neuen
Regeln schnellstmöglich in Kraft treten. Und dann müssen die
Haftungsfrage und das Informationsrecht europaweit geregelt werden.

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