[Gen-Streitfall] 6.11.03 Jens Katzek und der GMO-Großversuch in Sachsen Anhalt

Sabine altmann.tent at t-online.de
Di Nov 11 22:10:54 CET 2003


Frankfurter Allgemeine Zeitung
Donnerstag, 06. November 2003, Nr. 258
Seite 3, Politik
Politischer Pollenflug
Gentechnik auf dem Acker / Von Christian Schwägerl

BERLIN, 5. November. In seinem früheren Leben war Jens Katzek als
Kampagnenleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz gegen die Gentechnik
aktiv. Noch 1996 warnte er davor, die Verbraucher "gegen ihren Willen zu
Versuchskaninchen für die genmanipulierte Massenernährung" zu machen.
Dann wechselte er das Lager, weil ihm viele Positionen in der
Umweltbewegung als zunehmend ritualisiert und fundamentalistisch
erschienen. Er begann eine Karriere in der Biotechnologie, was ihm
frühere Weggenossen als Verrat übelnahmen. Schon bald könnte Katzek in
der Ökoszene endgültig zur Persona non grata werden. Als Geschäftsführer
der "Bio Mitteldeutschland", einer Agentur der sachsen-anhaltischen
Landesregierung, will er nun helfen, den ersten großflächigen Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland zu organisieren. Am
Freitag kommen in Magdeburg Vertreter der CDU-geführten Landesregierung
mit Saatgutfirmen und innovations- wie risikofreudigen Landwirten
zusammen, um ein Abkommen zu unterzeichnen. Im Rahmen eines gemeinsamen
Anbauprogramms soll auf mehreren hundert Hektar Ackerland erprobt
werden, wie sich sogenannter Bt-Mais im ganz normalen Anbau bewährt. In
das Erbgut des Maises wurde ein Bakteriengen eingeschleust. Es
produziert ein Eiweiß, das für die Larven eines wichtigen Schädlings,
des Maiszünslers, giftig ist. Kritiker fürchten, daß das biologisch
erzeugte Gift auch anderen Insekten schaden und daß das Bakteriengen auf
andere Maissorten, etwa von Ökobauern, übertragen werden könnte. Trotz
weitverbreiteter Skepsis in der Bevölkerung glaubt man in Sachsen-Anhalt
an die Zukunft der Gentechnik in der Landwirtschaft und will ihre
Möglichkeiten erkunden, sobald ein großflächiger Anbau rechtlich
zulässig ist. Daß in Amerika, Kanada, China und Argentinien bereits
sechzig Millionen Hektar Land mit Gentech-Pflanzen bebaut werden, läßt
Agrarministerin Wernicke und Wirtschaftsminister Rehberger hoffen, hier
liege ein Zukunftsmarkt für neue Sorten und Verfahren, auf dem das
wirtschaftlich schwache Bundesland punkten könne. Hundert Millionen Euro
investiert die Landesregierung in eine "Biotechnologie-Offensive". Der
Anbau von Gentech-Pflanzen gehört als Priorität dazu. Das Land hat
bereits mehrere renommierte Forschungsinstitute auf diesem Gebiet
vorzuweisen, darunter das Institut für Pflanzengenetik und
Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Zudem gibt es spezialisierte
Firmen. Hat man sich in Magdeburg bisher gegrämt, als Agrarland bekannt
zu sein, soll das nun zum Aushängeschild für Technologiefreundlichkeit
werden. Die Magdeburger Initiative markiert einen tiefen Einschnitt im
Umgang der Deutschen mit der Grünen Gentechnik. Bisher wurden die
High-Tech-Pflanzen nur auf wenigen Hektar Forschungsflächen angebaut,
aber nicht als kommerzielle Ware, die in die Lebensmittelproduktion
eingespeist wird. Den Pflanzenbestand auf den Forschungsflächen haben in
vielen Fällen Greenpeace-Aktivisten abgeräumt. Doch schon im nächsten
Jahr könnten die radikalen Gegner der Gentechnik den Überblick
verlieren, wenn sich nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern im ganzen
Bundesgebiet Bauern für die neuen Pflanzensorten entscheiden. Denn ein
bislang geltendes Moratorium der EU für Zulassung und Anbau
genveränderter Pflanzen läuft in diesen Monaten aus. An seine Stelle
treten strenge Brüsseler Regeln, die den sicheren Anbau ermöglichen und
dem Verbraucher die Wahl zwischen konventionellen Lebensmitteln und
solchen mit Gentechnik sichern sollen. Wie genau diese Regeln in
deutsches Recht umgesetzt werden sollen, darüber streiten in Berlin
derzeit die Ressorts für Verbraucherschutz, Wirtschaft und For schung.
Von der Ausgestaltung im deutschen Gentechnik-Gesetz wird es abhängen,
wie viele Bauern sich ab nächstem Jahr für die neue Technik entscheiden
werden. Formal zuständig ist Verbraucherschutzministerin Künast (Grüne),
die kein Geheimnis daraus macht, daß sie der Gentechnik skeptisch
gegenübersteht. Um das zu verdeutlichen, ließ sie aus ihrem Entwurf für
das Gentechnik-Gesetz als erstes die bisher gültige Regel streichen, der
Staat sei auch für die Förderung der neuen Technologie zuständig.
Künftig sollen sich die Beamten allein um den Schutz vor Gefahren
kümmern. Zudem will Künast Bauern, die Gentech-Pflanzen anbauen,
umfangreiche Haftungspflichten auferlegen. Sie sollen für Verluste
bezahlen, wenn ein Nachbar seine Ernte nicht mehr als "gentechnikfrei"
vermarkten kann, weil das neuartige Erbgut per Pollenflug oder Samen von
umliegenden Feldern eingewandert ist. Ist nicht feststellbar, von wem
die fremden Gene kamen, sollen alle Bauern der Region, die als
Verursacher in Frage kommen, gemeinsam zur Kasse gebeten werden. Künast
hat bei ihrem Kurs besonders die Interessen des Ökolandbaus im Blick,
dessen Produkte mit dem Verzicht auf Gentechnologie beworben werden.
Kommen gentechnische Merkmale über den Pollenflug zum Ökoacker, könnte
schnell Schluß sein mit dem Label "Öko" und den höheren Preisen, die es
ermöglicht. Ab einem Schwellenwert von 0,9 Prozent Gewichtsanteil müssen
Waren ab dem Frühjahr 2004 mit dem Hinweis "Mit Gentechnik" versehen
werden. Gentechniker werben zwar für ihre Arbeit mit dem Hinweis, der
Landverbrauch und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln lasse sich mit
ihren Produkten senken, doch die Statuten des Ökolandbaus sehen einen
Verzicht auf Pestizide und Gentechnik vor. Sicherheitsabstände und
Informationsaustausch sollen helfen, den Anteil von gentechnisch
verändertem Material bei Produkten von ökologisch und konventionell
wirtschaftenden Bauern unter- dem Schwellenwert zu halten. Wird der Wert
aber überschritten, müßte der Gentech-Landwirt haften. An diesem
finanziellen Risiko wird es wohl hängen, ob Bauern sich auf die Grüne
Gentechnik einlassen. Deutsche Versicherer zerbrechen sich bereits den
Kopf, wie teuer die Haftungspflichten-für sie werden könnten, sollten
sich viele Bauern für die Gentechnik entscheiden, und manche überlegen
schon, das Risiko auf die Bauern abzuwälzen. So vertritt der
Gesamtverband der Deutschen versicherungswirtschaft die Position, der
Pollenflug von einem Feld zum anderen sei so vorhersagbar, daß man seine
Folgen aus grundsätzlichen Gründen gar nicht versichern könne. Wären die
Bauern nicht von ihrer Haftpflichtpolice geschützt, würde wohl keiner
das Risiko eingehen, Gentech-Pflanzen anzubauen und des Nachbarn
Ernteausfall bezahlen zu müssen. In den Ressorts für Forschung und für
Wirtschaft ist der Gesetzentwurf auch wegen der Haftungsregeln auf
lautstarken Protest gestoßen. Mehrere Treffen von Experten und zuletzt
von Abteilungsleitern der Ministerien haben bisher aber keine Annäherung
gebracht. Am Ende, wird gemutmaßt, muß Bundeskanzler Schröder ein
Machtwort sprechen, welche Regeln dem Bundestag vorgelegt werden.
Schröder zeichnet bei diesem Thema Wankelmut aus. Noch im Sommer 2000
schlug er den deutschen Saatgutzüchtern ein großangelegtes Anbauprogramm
vor, wie es nun Sachsen-Anhalt verfolgt. Als dann wenig später die
ersten Fälle von Rinderwahnsinn bekannt wurden, zog er das Angebot
zurück, aus Rücksicht auf die Verbraucher, wie es hieß. Will der Kanzler
die Gentechnik nun fördern, wie er oft betont, müßte er die aus Umfragen
bekannte Skepsis der Verbraucher übergehen und darauf setzen, daß ihnen
die neuen Produkte vielleicht sogar schmecken werden.

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