[Gen-Streitfall] FR: Bauern suchen Schutz vor manipulierten Pflanzen

Wiebke Herding mail at wiebkeherding.de
Di Jul 29 08:32:55 CEST 2003


Frankfurter Rundschau, 28.07.02, Kommentar siehe unten

Bauern suchen Schutz vor manipulierten Pflanzen

Konflikte bei Gebrauch von gentechnisch verändertem Saatgut drohen /
Betroffene pochen auf Haftung der Industrie

ke FRANKFURT A. M. Einen Haftungsfonds der Saatgutindustrie für
Landwirte verlangt der Bundesvorsitzende des Bioland- Verbandes,
Thomas Dosch. Und zwar für die Agrarier, deren Getreide durch Pollen
von Feldern mit gentechnisch manipulierten Pflanzen verunreinigt
wurde. Der Vertreter der Bio-Bauern sagte der FR, wegen des
wahrscheinlichen Auslaufens des Moratoriums für den Anbau gentechnisch
veränderter Organismen (GVO) sowie der dürftigen Vorschläge der EU in
punkto Schadensminderung müsse die Industrie in die Pflicht genommen
werden. Landwirten, die mit Gentechnik nichts zu tun haben wollen, sei
der Nachweis nicht zuzumuten, welcher Nachbar für den Schaden auf
ihrem Feld verantwortlich sei.

Die EU-Kommission hatte in der vergangenen Woche Leitlinien für die
"Koexistenz" gentechnisch veränderter, konventioneller und
ökologischer Kulturen vorgelegt und darin den Mitgliedstaaten die
Verantwortung für die Abwehr von Schäden an Nachbarkulturen auferlegt.
Dies kritisieren unisono Bauernpräsident Gerd Sonnleitner und
Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast. Die Politikerin der
Grünen warnt davor, dass der Konflikt in die Dörfer getragen werde.

Im Kern geht es um Sicherheitsabstände zwischen Anbauflächen, der
Beweislast bei Kreuzungen von gentechnisch manipulierten mit anderen
Pflanzen, der Übernahme von Kosten, etwa für Proben, und die Haftung
für Schäden. Bis Herbst will der Bund verbindliche Regeln vorlegen.

In der EU stehen rund 20 verschiedene Pflanzen mit gentechnisch
veränderten Eigenschaften zur Zulassung an. Bei den meisten (Raps,
Mais, Rüben) geht es um die Resistenz gegen Herbizide oder bestimmte
Insekten. Bei Kartoffeln haben die Labore den Knollen eine veränderte
Stärke-Zusammensetzung eingegeben.

Um unerwünschte Kreuzungen zu vermeiden, dürften für die jeweiligen
Pflanzen unterschiedliche Feld-Abstände nötig sein. Bei Mais sowie dem
besonders "auskreuzungs-freudigen" Raps müssten solche Pufferzonen
mehrere hundert Meter groß sein. Allerdings gibt es auch andere
Methoden, den Pollenflug zu unterbinden: Fangzäune mit einem klebrigen
Überzug oder das Pflanzen von Hanf, an dessen ebenfalls klebrigen
Blätter Pollen hängen bleiben könnten. "Wir wünschen uns so zähe und
bürokratische Vorschriften, wie sie im Bio- Anbau selbstverständlich
sind", fordert Dosch.

Den EU-Richtlinien zufolge gelten unbeabsichtigte Verunreinigungen von
0,9 Prozent der Frucht als statthaft. Darüber hinausgehende
Belastungen sollen, so sieht es auch der Entwurf des Landes
Schleswig-Holstein für die Novellierung des Gentechnik-Gesetzes vor,
als Sachbeschädigung angesehen werden. Dafür soll der Gentechnik-
Anwender aufkommen.

Sonnleitner befürchtet wegen des Nebeneinanders von GVO- und
herkömmlichen Saaten eine Klagewelle deutscher Landwirte. Hessens
Grüne planen zusammen mit Umwelt- und Landbau-Organisationen für den
Herbst eine Kampagne gegen die Gentechnik. Unter anderem wolle man für
GVO-freie Zonen werben.

Gegen derartige Gebiete, wie sie bereits in Österreich eingerichtet
wurden, wehrt sich Agrarkommissar Franz Fischler: Die Kommission werde
sie nicht dulden, zumindest dann nicht, wenn sie landesweit ausgerufen
werden. Fischler verlangt, dass sich benachbarte Landwirte
zusammensetzen und "freiwillig" Flächen mit "ähnlich" bewirtschafteten
Kulturen, ob gentechnisch verändert, konventionell oder ökologisch,
"zusammenlegen". Sie sollten außerdem Sorten mit unterschiedlichen
Blütezeiten wählen oder auf unterschiedliche Aussaat-Zeiten achten, um
die gefürchtete Kreuzbestäubung während der Blüte zu vermeiden.


KOMMENTAR
Koexistenz


Europas Landwirtschaft droht eine Drei-Klassen-Gesellschaft: Das
Nebeneinander von konventionell und ökologisch anbauenden Landwirten
sowie solchen, die künftig mit den gentechnisch veränderten Organismen
(GVO) arbeiten wollen.

Die Anbauflächen der drei Klassen stoßen aufeinander. Regeln für die
friedliche Koexistenz der Bauern werden gerade in den EU-
Mitgliedsstaaten erarbeitet - die Kommission in Brüssel hat lediglich
einen dürftigen Leitfaden vorgegeben. Wie immer die Details ausfallen:
Es wird Allianzen geben von Agrariern, die sich bisher skeptisch
gegenüberstanden. Denn herkömmlich und biologisch arbeitende Landwirte
haben ein gemeinsames Interesse: Ihre Ernte soll frei bleiben vom
manipulierten Teufelszeug.

Sollte die Gentechnik auf dem Acker Einzug halten, dann steht ein
volkswirtschaftlich bedeutsames Gut auf dem Spiel: Vordergründig,
darüber wird sich der Wirtschaftsminister freuen, mag sich eine
fortschrittsgläubige Saatgutindustrie durchgesetzt haben. Tatsächlich
aber verliert Europa ein Alleinstellungsmerkmal, nach dem sich
anderswo - sogar in den USA - manche Farmer sehnen. Denn die Tatsache,
dass die hier zu Lande erzeugte Ernte garantiert Gentechnik-frei ist,
bildet ein tragendes Verkaufsargument. Und zwar auf dem Weltmarkt, den
die EU-Agrarpolitiker doch so lieben.

So zitierte das Fachblatt Topagrar kürzlich die Sorgen amerikanischer
Experten, denen zufolge GVO-Weizen, wie er 2005 in den USA auf den
Markt kommen soll, international nicht absetzbar sei, weil ihn
weltweit niemand wolle. Auch deutsche Bauern sollten die Hände davon
lassen, denn die Verbraucher tun es auch.

Insider vermuten, dass die Biobranche profitiert, sollten sich Gen-
manipulierte Pflanzen auf deutschen Äckern breit machen. Dies kann
aber nur dann als Lichtblick gelten, wenn die Bundesregierung sich an
ihre Verpflichtung erinnert, Biobauern zu fördern, und folglich alles
tut, dass die (und andere Landwirte) optimal vor der Gentechnik
geschützt bleiben. ke




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