[Gen-Info] Gen-Baumwolle und Suizide

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Mo Mär 16 21:53:12 CET 2009


WOZ Die Wochenzeitung - 12.03.2009

Gentech-Baumwolle

Und sie ist doch schuld

Von Torsten Engelbrecht

Tausende indischer Kleinbauern und -bäuerinnen begehen Selbstmord.
Gentechnisch veränderte Baumwolle habe ­damit nichts zu tun, sagt 
eine
Studie. Sie überzeugt nicht.

«Freispruch für Gen-Baumwolle» titelte der «Spiegel» im vergangenen
November. Es ging um einen Verdacht, der schwer auf gentechnisch
veränderter Baumwolle lastete: Seit 1997 haben sich 200.000 indische
Bäuerinnen und Bauern selbst getötet - im Schnitt mehr als 45 pro 
Tag.
Diese erschreckenden Zahlen haben weit über Indien hinaus für 
Schlagzeilen
gesorgt, und sie werden immer wieder mit Bt-Baumwolle in Zusammenhang
gebracht - einer Baumwollsorte, die mittels Gentechnik gegen einige
Schadinsekten resistent gemacht wurde.

Nun hat das Internationale Forschungsinstitut für Nahrungspolitik 
Ifpri
den Verdacht untersucht[*] und kommt zum Schluss: «Es gibt keinen 
Beweis
dafür, dass Bt-Baumwolle der Hauptgrund für die Selbstmorde ist.»
Bt-Baumwolle habe «in Indien wahrscheinlich dazu beigetragen, dass 
seit
der Saison 2002/2003 [seit der Einführung gentechnisch veränderter
Baumwolle in Indien, Anm. d. Red.] Rekord­ernten erzielt wurden».

Betrachtet man die Studie genauer, ist der Freispruch voreilig.

«Nicht vom Kontext trennen»

Zunächst widerspricht die Studie den Aussagen von
Anti-Gentech-AktivistInnen gar nicht so sehr, wie es auf den ersten 
Blick
scheint. Die gentechkritischen Organisationen - Greenpeace, GMWatch, 
die
Organisation India GMinfo der Aktivistin Vandana Shiva, das Centre 
for
Sustainable Agriculture oder die Deccan Development Society - haben 
gar
nie behauptet, die gentechnisch veränderte Baumwolle sei der 
Hauptgrund
für die Selbstmorde, wie es ihnen das Ifpri unterstellt. Sie sagen - 
und
stimmen darin mit der Ifpri-Studie überein -, dass das Umfeld, in dem
diese Baumwolle angebaut wird, die Schuld an den Selbstmorden trage.
Dieses Umfeld

ist charakterisiert durch das Fehlen eines Sicherheitsnetzes
(Versicherungen, Subventionen), mangelhafte Kreditmöglichkeiten, hohe
Inves­titionskosten, eine hohe Schuldenlast, unzureichende 
Ausbildung,
aggressives Marketing, unstete Wetterbedingungen, Mangel an
Bewässerungssys­temen und Korruption. Das Geschäft mit der
Gentech-Baumwolle ist nicht die Ursache dieser Missstände - aber es
begüns­tigt sie offenbar.

Die Frage müsste also nicht lauten, ob die Bt-Baumwolle mit den 
Suiziden
in einem Zusammenhang stehe - sondern wie gross ihr Anteil an der
Verantwortung ist. Hier hat es die Ifpri-Studie versäumt, eine klare
Antwort zu geben. Guillaume Gruère, einer der Autor­Innen, sagt 
gegenüber
der WOZ: «Die Selbstmorde sind ein komplexes Phänomen, das nicht 
einfach
durch eine Technologie erklärt werden kann.» Aber diese Technologie 
kann
man - wie Vandana Shiva, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, in 
der
Januar-Ausgabe der Fachzeitschrift «Nature Biotechnology» schreibt -
«nicht vom Kontext trennen, das funktioniert einfach nicht».

Steigende Kosten, sinkende Preise

Gentechnisch veränderte Baumwolle wird inzwischen auf siebzig bis 
achtzig
Prozent der indischen Anbauflächen für Baumwolle angebaut. Der Boom 
der
Gentech-Baumwolle war aber nicht vom Aufbau eines adäquaten 
finanziellen
Sicherheitsnetzes begleitet. Entsprechend hat sich auch an der
Schuldenlast der BäuerInnen nicht viel geändert.

«Die Schulden gehen nicht nur auf die Bt-Baumwolle zurück, sondern 
auf die
steigenden Kosten von Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln vor 
allem
für diejenigen, die auf eine hoch technisierte Landwirtschaft setzen -

während gleichzeitig die Erlöse sinken», sagt Greenpeace-Sprecher Jan 
van
Aken. So ist der Preis für ein Pound Baumwolle (454 Gramm) innert 
zehn
Jahren von 92 US-Cent (1994) auf 54 Cent (2004) gefallen und seither 
tief
geblieben.

Mit den sinkenden Preisen hätten die BäuerInnen so oder so zu 
kämpfen. Bei
der Bt-Baumwolle kommen nun aber hohe Kosten für das Saatgut dazu. 
Viele
BäuerInnen haben sich von massiven Werbekampagnen zum Umstieg auf 
die­se
Baumwolle überreden lassen.

Der Ifpri-Bericht schreibt: «Schuldenlasten bei der ländlichen 
Bevölkerung
in Indien sind kein neues Phänomen. Was neu ist, sind die Natur und 
das
Muster der Schulden - gekennzeichnet dadurch, dass sich die Bauern in
einer hochpreisigen Landwirtschaft engagieren in der Hoffnung,
schuldenfrei zu werden.» Wenn Bt-Baumwolle nicht den erhofften 
Mehrertrag
bringt, sind die LandwirtInnen also mehr verschuldet denn je.

Der US-amerikanische Agrokonzern Monsanto hat seiner ­Baumwollsorte
Bollgard I ein Gen des Bacillus thuringiensis (Bt) eingebaut, mit dem 
die
Pflanze ein Insektizid produziert, das den wichtigsten 
Baumwollschädling,
den Baumwollkapselbohrer, tötet. Doch in der Praxis vermag dieses 
Gift den
Baumwollkapselbohrer nicht wie gewünscht unter Kontrolle zu halten. 
Das
ergab 2005 eine Studie des indischen Centre for Sustainable 
Agriculture,
die den Anbau von Bt-Baumwolle mit der Kultivierung von Biobaumwolle 
ohne
Pestizideinsatz vergleicht. Laut der Studie berichtete ein Drittel 
der
­Bäuer­Innen, die Bt-Baumwolle einsetzen, von einem Befall mit dem
Baumwollkapselbohrer - während nur vier Prozent der BiobäuerInnen 
davon
betroffen waren.

Zwar ging der Pestizideinsatz auf indischen Baumwollfeldern zwischen 
2002
und 2005 signifikant zurück, doch scheint die Vermutung, dass die
Bt-Baumwolle für diesen Rückgang verantwortlich sei, unbegründet, da 
diese
bis zur Saison 2004/05 erst auf einem kleinen Teil der Flächen 
angebaut
wurde. Viel eher lässt sich der Rückgang durch neue Pestizide, von 
denen
weniger gesprüht werden muss, erklären. Nur: Diese neuen Pestizide 
sind
auch teurer - sodass, wie Kiran Sakkhari von der Deccan Development
Society sagt, die Landwirte gleich viel für Pestizide ausgeben wir 
zuvor.

Unbeständiges Gift

Die indische Baumwollwirtschaft kämpft gemäss Schätzungen mit 70 bis 
165
Schädlingsarten - ein Problem, das hausgemacht zu sein scheint: Noch 
in
den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als grosse Monokulturen 
wie
auch der Pestizideinsatz in Indien unbekannt waren, gab es lediglich 
sechs
oder sieben Schädlinge. Die Gifte der Bt-Baumwolle wirken nur gegen 
eine
kleine Zahl von Arten.

Die Zeitung «The Hindu» berichtete 2006, dass Bauern, die
Gentech-Baumwolle anpflanzen, wegen unerwarteten Schädlingsbefalls 
nicht
weniger, sondern mehr Geld für Pestizide aufwenden mussten. Selbst 
das
gentechfreundliche staatliche Central Institute for Cotton Research 
(CICR)
stellt in einer aktuellen Untersuchung fest, dass das eingebaute Bt-
Gift
nicht beständig ist - mit der Folge, dass die Pflanzen nach «neunzig 
bis
hundert Tagen anfällig werden für den Baumwollkapselbohrer. Das 
Problem
des Schädlingsbefalls hat bei den meis­ten Bt-Baumwollsorten 
erheblich
zugenommen.»

Eine andere zentrale Aussage des Ifpri-Berichts - dass nämlich die
Gentech-Baumwolle für die Rekord­ernten verantwortlich sei - stützt 
sich
auf Vermutungen. Auf Anfrage sagen die AutorInnen denn auch nur noch, 
die
Bt-Baumwolle habe zur Erntesteigerung «beigetragen», sie können 
diesen
Beitrag aber in keiner Weise beziffern.

Einiges spricht gegen die Vermutung: Der Ertrag pro Hektar nahm 
bereits
ein Jahr vor der Einführung der Bt-Baumwolle gegenüber dem Vorjahr um 
elf
Prozent zu. Auch die Erntesteigerungen der Folgejahre waren zu gross, 
um
mit dem Anbau von Bt-Baumwolle erklärt werden zu können.

Kavitha Kuruganti von der Kheti Virasat Mission in Punjab sagt: «Die
merklichen Steigerungen erklären sich vor allem durch günstige
Monsunwinde, durch den Ausbau der Bewässerung, eine umfassende 
Hinwendung
zu Hybridsorten und die Verwendung besonders stabiler und fruchtbarer
­Schwarzerde» - eine Sichtweise, die von den Behörden im Bundesstaat
Gujarat, einem Zentrum des Bt-Baumwoll-Anbaus in Indien, geteilt 
wird. Vor
einem Jahr berichtete die «Times of India» über Ernterückgänge in 
Gujarat
nach Wetterkapriolen und Schädlingsbefall, ein Indiz für die 
Anfälligkeit
der Bt-Pflanzen.

Wie steht es um die Risiken der Gentech-Baumwolle? Offenbar wird der
Ertrag von Weizen beeinträchtigt, wenn auf demselben Boden zuvor
Bt-Baumwolle gepflanzt worden ist. Als Grund dafür vermutet eine 
Studie
der australischen Umweltbehörde, dass das Bt-Gift die Artenvielfalt 
der
Bodenlebewesen beeinträchtigt.

Renditen für die KleinbäuerInnen

Die Ifpri-Studie sagt nichts über Risiken. Gruère sagt auf Nachfrage, 
er
schätze die Risiken, die von Bt-Baumwolle ausgingen, nicht höher ein 
als
Risiken anderer Baumwollsorten - eine gewagte Einschätzung. Ebenso 
wenig
interessierte sich die Studie für biologischen Anbau. Das ist
unverständlich, existieren doch andere Untersuchungen, die zeigen, 
dass
BiobäuerInnen weniger von der Verschuldung bedroht sind. Der 
biologische
Baumwollanbau bringt bei weniger Kapitaleinsatz ebensolche Renditen 
wie
der Bt-Anbau; Renditen, die tatsächlich bei den KleinbäuerInnen 
ankommen.

So begann das Dorf Punukula im Bundesstaat Andra Pradesh 1999, auf 
eine
pestizidfreie Baumwollwirtschaft umzusteigen. Das Resultat ist, dass 
die
LandwirtInnen in Punukula mehr ernten als BäuerInnen, die auf Gentech
setzen. Mittlerweile sind mehrere Hundert Dörfer in der Region dem 
Vorbild
Punukulas gefolgt. Zugleich wird aus anderen Teilen der Welt von
erfolgreichem Biobaumwollanbau berichtet - etwa aus Ägypten, wo 
Ibrahim
Abouleish, Träger des Alternativen Nobelpreises, mit seinem 
Unternehmen
Sekem Biobaumwolle in grossem Stil und von höchster Qualität 
produziert.
Schon bei der ers­ten Ernte der Sekem-Biobaumwolle lag der Ertrag 
fünfzehn
bis zwanzig Prozent über dem konventionellen Durchschnitt.

[*] International Food Policy Research Institute: «Bt Cotton and 
Farmer
Suicides in India. Reviewing the Evidence». ­Oktober 2008.
www.ifpri.org/pubs/dp/ifpridp00808.pdf


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Auch der Boden ist bedroht

Sie leben im Verborgenen, doch ohne sie wäre auf der Erde keine
Landwirtschaft möglich: die Bakterien, Pilze, Würmer und anderen 
Lebewesen
im Boden. Sie bauen pflanzliche und tierische Abfälle ab und wandeln 
im
Boden gebundene Nährstoffe so um, dass sie für Pflanzen verfügbar 
­werden.
Manche Bakterien können sogar Stick-stoff aus der Luft aufnehmen und 
so
den Boden natürlich düngen. In frucht- baren Äckern tummeln sich
Kleinstlebewesen mit einem Gewicht von mehreren Dutzend Tonnen pro
Hektare.

Welche Langzeitwirkungen gentechnisch veränderte Nutzpflanzen auf das
Bodenleben haben, ist noch wenig erforscht. Navdanya, die
Forschungs­stiftung der Physikerin und Aktivistin Vandana Shiva in
Neu-Delhi, hat jedoch Beunruhigendes heraus­gefunden: Nach nur drei 
Jahren
Anbau von Bt-Baumwolle (vgl. Haupttext) hat sich das Bodenleben auf 
den
indischen Feldern dramatisch verändert. In den Gentech-Feldern leben
vierzehn Prozent weniger Bakterien insgesamt und siebzehn Prozent 
weniger
der für den Boden entscheidenden Aktinomyze­ten­-­Bakterien. Noch 
stärker,
bis über ein Viertel, hat die Konzentration der von den 
Mikroorganismen
gebildeten Enzyme im Boden abgenommen. Das bedroht die Fruchtbarkeit:
Navdanya befürchtet «massive Wüstenbildung und Verlust von 
ackerfähigem
Land in einer Zeit, in der Ernährungssicherheit immer entscheidender
wird».

http://www.woz.ch/artikel/2009/nr11/wissen/17626.html
Weitere Texte im Dossier: «Gentechnologie»
http://www.woz.ch/dossier/gentechnologie.html



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