[Gen-Info] [trueten.de] EU-Parlament stimmt ueber Pro-Gentechnik-Papier ab / Auswirkungen auf EU-Biotech-Strategie (Kommentar) (fwd)

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Mo Mär 12 23:58:33 CET 2007


Virrankoski-Papier: EU-Parlament im Dienste der Gentechnik-Lobby?

Eines der umstrittensten Papiere der vergangenen Jahre wird am Mittwoch, dem
14. März 2007, in Straßburg abgestimmt. Obwohl es leicht abgemildert wurde,
ist die Pro-Gentechnik-Linie weiterhin dominant - in manchen Punkten wurde
sie sogar verschärft. Die EU-Parlamentarier stimmen nicht nur über die
Zukunft der Landwirtschaft, sondern auch über ihre eigene Glaubwürdigkeit
ab.

Der von dem finnischen liberalen EU-Abgeordneten Kyösti Virrankoski
eingebrachte Initiativbericht ist nichts anderes als ein von der
Gentechniklobby gestaltetes Werk, das nun die Legitimation des
EU-Parlamentes erhalten soll. Noch dazu ist das Ganze zeitlich perfekt
abgestimmt: In ein paar Wochen wird die EU-Kommission ihre
Biotechnologie-Strategie bekannt geben, und da würde eine
Pro-Gentechnik-Kundgebung des EU-Parlamentes wie gerufen kommen.

Das ursprüngliche Dokument sprach für sich: Die "moderne Biotechnologie" -
sehr oft verschönernd und damit intransparent statt Genmanipulation
verwendet - könne als Arbeitsplatz-Motor dienen und der Armut begegnen; das
Genehmigungsverfahren sei "zu langsam und bürokratisch" und das
Vorsorgeprinzip dürfe "nicht als Vorwand für die Verzögerung des Verfahrens
dienen". Nicht zuletzt Bürgerproteste hatten bewirkt, dass die Abgeordneten
im Agrarausschuss 190 Änderungsanträge einbrachten. Einige Änderungen gingen
durch und der Bericht wurde schließlich im Agrarausschuss am 24.1.2007 mit
einer relativ knappen Mehrheit angenommen.

Schizophren

Das Ergebnis liest sich an einigen Stellen wie das Werk eines Schizophrenen.
Auf der einen Seite könne die Gentechnik nach wie vor dazu beitragen, Armut
zu lösen und "eine nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung zu
schaffen", und dürfe "das Vorsorgeprinzip nicht als Vorwand für die
Verzögerung des Verfahrens dienen". Auf der anderen Seite sollen etwa "die
derzeitige Anwendung des Vorsorgeprinzips bei der Genehmigung neuer
Biotechnologieerzeugnisse" unterstützt und alle gentechnikfrei arbeitenden
Betriebe "in ihrer ökonomischen Stabilität nicht gefährdet werden dürfen".
Kein Wort aber davon, dass Koexistenz nicht möglich oder die
Gentechnik-Zulassungspraxis der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA
inakzeptabel ist und freigesetztes "Impfgemüse" (Pharmapflanzen) eine nicht
abschätzbare Gefahr darstellt. Ähnliches gilt auch für genmanipulierte
Energiepflanzen und ihre Kontaminationsgefahr. Weiterhin wird die
Agro-Gentechnik als Heilsbringerin für arme Länder, für Umwelt-, Energie-
und medizinische Fragen dargestellt - wie erwähnt, vielfach geschickt
versteckt unter dem Schleier der "modernen Biotechnologie".

Verschärfungen

Doch wer glaubt, dass nur Abmilderungsanträge in das Dokument eingebaut
wurden, irrt: Die CDU-Abgeordnete Renate Sommer brachte etwa die
Formulierungen durch,

- "dass GVO gegenüber konventionellen Pflanzen nicht diskriminiert werden
dürfen",

- "dass Landwirte in der EU ein Anrecht darauf haben, von den Fortschritten
der modernen Biotechnologie genauso zu profitieren wie Landwirte in
Drittstaaten" und

- "dass auch im Falle der GVO eine Haftungsregelung nach dem
Verursacherprinzip anzuwenden ist".

Letzteres würde dem Gentechnik-Anbau Tür und Tor öffnen, weil ein
geschädigter gentechnikfrei wirtschaftender Bauer unmöglich beweisen kann,
von welchem der beispielsweise zehn in Frage kommenden Genmaisfelder die
Kontamination ausgegangen ist.

Gesamt gesehen hat sich an der Pro-Gentechnik-Ausrichtung des Textes nur
wenig geändert. Entweder hätte jeder einzelne Punkt umgedreht oder das Werk
als Ganzes abgelehnt werden müssen. Beides ist nicht geschehen. Ganz im
Gegenteil: Durch die abmildernden Korrekturen können Abgeordnete am 14. März
leichter zustimmen, ohne sich von vornherein als Handlanger der
Gentechnik-Industrie bloßzustellen. Auch die Beschwichtigungen, dass es sich
ohnehin nur um eine Willenskundgebung des EU-Parlamentes ohne gesetzbindende
Wirkung handle, gehen ins Leere: Die Parlamentarier sind vom Volk gewählt
und würden im Falle einer Zustimmung der EU-Kommission in ihrer
gentechnikfreundlichen Gesinnung zusätzlichen Rückhalt verschaffen.

Initiativen

Zahlreiche Initiativen kämpfen gegen die Annahme des Papiers.[1] Die wohl
beste hat die Agrargruppe von Attac Wuppertal ins Netz gestellt.[2] Hier
sind die Brief-, Fax- und E-Mail-Adressen aller deutschsprachigen
EU-Abgeordneten gesammelt, Musterbriefe und -postkarten mit direktem
persönlichem Bezug zu Internetzitaten der Abgeordneten inklusive.
EU-Abgeordnete sollten sich hüten, über zahlreiche E-Mails oder Faxe zu
klagen. Sie haben die Pflicht, im Interesse der Bürger zu handeln -
schließlich will die überwiegende Mehrheit keine Laborpflanzen auf den
Feldern oder Tellern. Wenn das EU-Parlament am Mittwoch die Gentechnik mit
offenen Armen willkommen heißt, hat es nicht nur inhaltlich versagt, sondern
darf sich über einen weiteren Vertrauensverlust in der Bevölkerung nicht
beklagen.

Analyse von Klaus Faißner, freier Journalist
mailto:klaus.faissner at chello.at

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LINKS [Red.]

[1] http://www.regenwald.org/protestaktion.php?id=120 
[2] http://www.attac.de/wtal-agrar/aktionen.html


http://www.trueten.de/archives/1557-Virrankoski-Papier-EU-Parlament-im-Dienste-d
er-Gentechnik-Lobby.html




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