[Gen-Info] Interview mit Erwin Wagenhofer

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Di Jun 20 13:33:01 CEST 2006


punkt.um, oekom-verlag
6 / 2006

Interview mit dem Autor und Filmemacher Erwin Wagenhofer
(aktuell sorgt sein Film >We feed the world< für Diskussionen)

"Das müssen die Menschen wissen."

Brot landet auf dem Müll, andernorts kochen die Mütter Steine. Tomaten glänzen 
geschmacklos, ihre afrikanischen Pflücker spielen nach der Arbeit auf 
Giftkanistern Gitarre. Um riesige Felder mit Soja für die europäischen Rinder 
anzupflanzen, werden Brasiliens letzte Urwälder gerodet. Erwin Wagenhofer, 
Filmemacher aus Österreich, hat in seinem Dokumentarfilm "We feed the World" die 
Spuren der globalen Lebensmittelindustrie verfolgt.

punkt.um: Wollten Sie mit "We feed the World" den globalisierungskritischen 
Zeitgeist treffen?

Ich wollte einen Film über den Zustand unserer Gesellschaft zu Beginn des 21. 
Jahrhunderts machen. Das Thema Nahrung habe ich gewählt, weil es jeden und jede 
betrifft. 

Welche Wirkung haben Sie sich von dem Film erhofft und finden Sie sie bestätigt?

Die Wirkung ist enorm, in Österreich ist "We feed the World" der meistgesehenste 
Dokumentarfilm aller Zeiten. Was mich aber besonders freut, ist, dass sehr viele 
junge Menschen den Film sehen wollen. Sie sind mit dem Zustand unserer 
Gesellschaft nicht mehr zufrieden. Jetzt wollen sie hinter die Kulissen sehen 
und nicht mehr nur die Werbespots, in denen uns die Nahrungsmittelindustrie eine 
heile Welt vorgaukelt. Der Film hat eine Diskussion über die Bedingungen 
angestoßen, unter denen unsere Lebensmittel produziert werden. 

Glauben Sie, dass Ihr Film tatsächlich etwas am Verhalten der Verbraucher(innen) 
ändern kann?

Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, obwohl ich nicht glaube, dass ein Film 
die Welt verändern wird. Das können nur die Leute. Viele kommen aus dem Kino und 
sagen: Ich esse nie mehr ein Hendl! Na, reden wir in 14 Tagen nochmal darüber. 
Aber immerhin, es ist ein Anstoß. Mehr kann man von einem Film nicht erwarten. 
Ein Filmemacher will die Leute ja nicht mit der Peitsche zum Bioregal treiben. 

In Umfragen geben sich die Konsument(inn)en umweltbewusst. Sie lehnen 
Massentierhaltung und Gentechnik ab - aber die Verkaufszahlen sehen anders aus.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihren Lebensstil ändern. Es reicht 
nicht, einmal in der Woche einen Bioapfel zu essen, der aus Chile kommt und 
überhaupt kein Bioapfel mehr ist, weil er 13.000 Flugkilometer hinter sich hat. 
Wenn Sie ökologisch hergestellte Produkte aus der Region kaufen, leben Sie 
preiswerter und gesünder. 

Reicht es überhaupt, die Ernährung umzustellen, um die im Film gezeigte 
Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Umwelt einzudämmen?

Die Ernährung ist ein Teil. Eine andere Sache ist es, die Schieflage zwischen 
den Industrie- und den Entwicklungsländern zu beheben. Jährlich fließen 72 
Milliarden US-Dollar an so genannter Entwicklungshilfe in die südlichen Länder 
und zurück kommen 116 Milliarden US-Dollar Zinsen. Nicht mehr geben, sondern 
weniger wegnehmen, sollte unsere Devise sein. 

Ihre Spurensuche hält an allen Stationen der Lebensmittelkette und lässt Bauern, 
Fahrer, Wissenschaftler und Konzernmanager zu Wort kommen. Warum nicht die 
Verbraucher(innen)?

Die Verbraucher sitzen ja im Kino. 

Und verlassen es vermutlich eher ratlos, denn eine Lösung präsentiert der Film 
nicht.

Weil es keine einfachen Lösungsvorschläge gibt! Dafür ist die Materie zu 
komplex. Wir wollen immer sofort Ergebnisse haben, dabei kann die Bewegung zehn, 
zwanzig, dreißig Jahre dauern. Wir müssen lernen mit dem Überfluss umzugehen. 
Heute bezahlt unser landwirtschaftliches System die Bauern dafür, dass sie 
nichts produzieren - und in den so genannten Entwicklungsländern verhungern die 
Menschen. Und hier
hält uns die Werbemaschininerie der Industrie ununterbrochen dazu an mehr und 
mehr zu konsumieren. Die Wirtschaft muss immerzu wachsen und wachsen. Wie kann 
das funktionieren in einer Welt mit endlichen Ressourcen? 60 Jahre 
Wirtschaftswachstum, die Leute haben alles, sind aber trotzdem nicht glücklich. 

Also macht die Nahrungsmittelindustrie auch hierzulande die Menschen 
unglücklich?

Die Schuldfrage interessiert mich überhaupt nicht, die ist etwas für Kirchen und 
Versicherungsanstalten. Es ist an der Zeit aufzuhören, die
Schuld auf die anderen zu schieben. Wir müssen das Glück bei uns selbst suchen. 

Wie kann man König Kunde in die Pflicht nehmen, um sein Konsumverhalten entgegen 
dem Billigtrend zu ändern? Und darf man das überhaupt? 

Warum soll man das nicht dürfen? 

Wer kann das machen und wie?

Wir alle, jede und jeder Einzelne, können das tun. Deshalb heißt der Film "We 
feed the World". Die positive Botschaft ist, dass unser Nahrungssystem von 
Menschen gemacht und nicht natur- oder gottgegeben ist, das heißt, wir können es 
wieder verändern. Wenn wir nicht wollen, dass zu aberwitzigen Zeiten und Preisen 
Erdbeeren aus Südspanien, die noch nicht einmal schmecken, 3.000 Kilometer durch 
halb Europa in unsere Supermärkte gekarrt werden, dann müssen wir aufhören sie 
zu kaufen. Dann werden die Spanier auch aufhören Erdbeeren zu produzieren und 
dann müssen die afrikanischen Arbeiter dieser Gemüseplantagen nicht mehr unter 
erbärmlichen Bedingungen leben. 

Welcher Drehort hat Sie persönlich am meisten beschäftigt?

Tief betroffen hat mich unser Besuch in Brasilien, und dass in einem so 
agrarreichen Land neben den riesigen Feldern, auf denen Sojapflanzen für die 
europäischen Rinder wachsen, die armen Familien verhungern. Die Verbraucherinnen 
und Verbraucher müssen wissen, dass sie bei jedem Kilo Billig-Fleisch ein Stück 
Regenwald mitessen. 

[Interview: Helena Obermayr] 

www.essen-global.de 

Erwin Wagenhofer, geb. 1961, ist freischaffender Autor und Filmemacher. Er 
arbeitet und lebt in Wien.




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