[Gen-Info] Leukaemie durch Gen-Therapie

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Di Mai 9 00:25:44 CEST 2006


Mittwoch, 03. Mai 2006, Nr. 102

Das Gen im Schafspelz

Tückische Therapie: Fatale Korrektur im Erbgut von Scid-Kindern

Die Protagonisten der Gentherapie hatten einen herben Rückschlag 
erlitten, als sich vor einiger Zeit heraus-stellte, daß mehrere der zur 
Korrektur einer erblichen Immunschwäche behandelten Kinder als Folge der 
Thera-pie einen Blutkrebs, eine T-Zell-Leukämie, entwickelten. Bei der 
Suche nach der Ursache dieser unerwarteten Nebenwirkung waren die 
Wissenschaftler zu dem Ergebnis gelangt, daß im Erbgut der Kinder ein 
Onkogen (LM02) unplanmäßig aktiviert wurde, nachdem sich das mit dem 
Korrektur-Gen beladene Genvehikel in dessen Nähe niedergelassen hatte. 
Das Onkogen regte ihrer Meinung nach die T-Zellen zur unkontrollierten 
Teilung an und verursachte somit den Krebs. Experimente mit Mäusen 
führten zu demselben Schluß. Jetzt aber hat eine Forschergruppe um Inder 
Verma vom Salk Institute in La Jolla/Kalifornien, zu der auch 
Wissenschaftler aus Heidelberg und Freiburg gehörten, nachgewiesen, daß 
die krebserzeugende Nebenwirkung der Gentherapie offenbar eine ganz 
andere Ursache hat.

Die schwere angeborene Immunschwäche, das sogenannte X-Scid-Syndrom, an 
dem die Kinder litten, beruht auf einem Defekt im swm IL2RG bezeichneten 
Gen. Dessen Produkt ist ein Rezeptorprotein, das Informationen 
verschiedener als Interleukine bezeichneter Botenstoffe an das 
Zellinnere weiterleitet. Bei der Gentherapie zur Korrektur des 
Erbleidens schleusten die Forscher in Blutstammzellen der Patienten ein 
intaktes IL2RG-Gen ein, wobei sie als Gentransporter ein verstümmeltes 
Virus - ein Lentivirus - verwendeten, das sich mitsamt seiner Fracht an 
beliebiger Stelle im Erbgut des Empfängers niederläßt. Letztendlich sah 
man in der Interaktion zwi-schen dem eingebautenGenvehikel und dem 
LM02-Gen die Ursache für die Leukämie. Auch Mäuse, die an einem 
X-Scid-Syndrom leiden, kann man mit einer Gentherapie, die sich auf das 
IL2RG-Gen stützt, von ihrer Immunschwäche heilen.

Die Wissenschaftler vom Salk-Institut beobachteten indessen, daß 
anderthalb Jahre nach der Therapie unerwarteterweise jedes dritte Tier 
an einer T-Zell-Leukämie erkrankte. Kontrollversuche, in denen die Tiere 
nur mit dem Gentransporter behandelt wurden, verursachten keine 
Leukämien, was gegen eine krebsfördernde Wirkung des Genvehikels 
spricht. Die weitere Auswertung ließ darauf schließen, daß das 
verpflanzte IL2RG-Gen selbst eine krebsauslösende Wirkung besitzt und 
offenbar die Ursache der T-Zell-Leukämien ist. Daß man diesen 
Zusammenhang erst jetzt erkannte, obgleich sich weltweit zahlreiche 
Wissenschaftler mit der Ursache der T-Zell-Leukämien bei den 
gentherapierten Kindern beschäftigt hatten, führen die Salk-Forscher 
darauf zurück, daß man in früheren Tierversuchen die Mäuse nicht lange 
genug beobachtet hat.

Die Experimente waren spätestens nach einem halben Jahr abgebrochen 
worden. In ihren eigenen Unter-suchungen traten die T-Zell-Leukämien bei 
den Mäusen jedoch erst viel später zutage, wie sie in der Zeitschrift 
"Nature" (Bd. 440, S. 1123) schreiben. Auch bei den gentherapierten 
Kindern waren die Leukämien erst zwei bis drei Jahre nach der Behandlung 
aufgetreten. Die Wissenschaftler ziehen aus ihren Erkenntnissen den 
Schluß, daß bei der Erprobung von Gentherapieverfahren schon im 
Tierversuch Langzeitbeobachtungen notwendig sind, bevor man dazu 
übergehen kann, die neuen Behandlungsformen an Patienten zu erproben. bh

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Seite N1




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