[Gen-Info] Gen-Moratorium in der Schweiz
Klaus Schramm
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Di Nov 1 20:08:26 CET 2005
Hallo Leute!
Hier noch ein interessanter Artikel aus der Schweizer 'WOZ'.
Insbesondere zum Stand der Scheizer Volksabstimmung
über das dortige Gen-Moratorium ist hier in Deutschland
kaum je etwas zu erfahren. Am 27. November werden die
SchweizerInnen über dessen Fortbestand entscheiden.
Ciao
Klaus Schramm
klaus.schramm at bund.net
27.10.2005
Agro-Gentechnik
Nützlich? Gefährlich? Nachhaltig?
Von Marcel Hänggi (Mitarbeit: Benno Vogel)
Am 27. November kommt die Initiative für ein
Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft zur
Abstimmung. Aus diesem Anlass: die zwölf wichtigsten
Fragen zur Gentechnik in der Landwirtschaft.
1. Was bietet die Gentechnik der Landwirtschaft heute?
Die kommerziellen Anwendungen der Gentechnik in der
Landwirtschaft betreffen heute vier Pflanzenarten - Mais,
Raps, Baumwolle, Soja - und zwei Eigenschaften -
Herbizidresistenz und Schädlingsresistenz.
Herbizidresistente Pflanzen werden zusammen mit
einem Breitbandherbizid des gleichen Herstellers
angeboten, das alle Pflanzen auf dem Feld ausser den
erwünschten vernichtet. Seit Jahren angekündigt
werden Pflanzen, die den KonsumentInnen und nicht nur
den LandwirtInnen Vorteile bringen sollen: etwa besser
schmeckende, vitaminreichere Früchte oder gar solche,
die pharmakologische Wirkstoffe enthalten.
2. Konsumieren wir heute bereits GVO-Produkte?
Produkte aus gentechnisch veränderten Organismen
(GVO) müssen gemäss Gentechnikgesetz deklariert
werden, der Import von GVO ist bewilligungspflichtig.
Zugelassen sind hierzulande eine GV-Soja- und drei
GV-Maissorten. Allerdings verzichten fast alle Händler
freiwillig auf GVO; der Umfang des Imports ist minimal.
Nicht deklarationspflichtig sind Fleisch, Eier und
Milchprodukte von Tieren, die mit GVO gefüttert wurden.
Vergangenes Jahr bestand ein halbes Prozent der
Futtermittelimporte aus GVO. (Ein Moratorium würde die
Einfuhr von Futter- und Lebensmitteln nicht verbieten.)
Keine Deklarationspflicht besteht für Textilien aus
GV-Baumwolle.
3. Ist der Konsum transgener Produkte gefährlich?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt, es
gebe «keine Daten darüber, dass geprüfte
Gentech-Lebensmittel nicht sicher sind». Millionen
Menschen weltweit, argumentieren BefürworterInnen,
essen aus GVO hergestellte Produkte, und es sind keine
Gesundheitsschäden bekannt, die nachweislich darauf
zurückgehen. Allerdings hat bislang auch niemand
versucht, diesen Nachweis wissenschaftlich zu
erbringen. Zumindest in Fütterungsversuchen mit Tieren
sind Schäden festgestellt worden, die sich nicht
eindeutig erklären lassen. 1998 fütterte der Biochemiker
Arpad Pusztai Ratten mit Kartoffeln, die mit einem Gen
des Schneeglöckleins ein Protein (Lektin) gegen
Frassinsekten herstellen. Die Ratten erkrankten, obwohl
das Lektin selber, wenn es dem Futter beigemischt
wurde, die Ratten nicht schädigte. Offenbar löst die
Einbringung des Lektin-Gens in das Kartoffelgenom
mehr aus als die blosse Bildung von Lektin (vgl. Frage
10). Gentech-BefürworterInnen zweifeln Pusztais
Resultate an. Zu ähnlichen Resultaten wie Pusztai kam
2004 eine Studie, die im Auftrag des Agrokonzerns
Monsanto erstellt wurde und eigentlich hätte zeigen
sollen, dass der Genuss des transgenen Maises Mon 863
unbedenklich sei (vgl. Frage 9).
4. Gefährden GVO die Umwelt?
Gentechnisch veränderte Pflanzen können sich mit
verwandten Arten kreuzen. Falls transgene Pflanzen
Eigenschaften aufweisen, die ihnen einen
Überlebensvorteil bieten, können sich diese, einmal
freigesetzt, in der Umwelt schnell verbreiten. Das kann
die biologische Vielfalt gefährden, zudem besteht die
Gefahr, dass so genannte «Super-Unkräuter» entstehen,
da einige Nutzpflanzen sich mit Unkräutern kreuzen
können (etwa Sorghum mit dem Unkraut Aleppohirse
oder Raps mit Rüpsen). Strittig ist, in welchem Umfang
solche Auskreuzungen stattfinden.
Ein weiteres Risiko ist der so genannte horizontale
Gentransfer, bei dem Pflanzengene in Mikroorganismen
gelangen. Das ist vor allem dann gefährlich, wenn
Antibiotikaresistenz-Gene transferiert werden. Solche
wurden in den ersten Jahren der Gentechnik aus
technischen Gründen verwendet.
Gentech-BefürworterInnen meinen, dass horizontaler
Gentransfer äusserst unwahrscheinlich sei; KritikerInnen
weisen darauf hin, dass auch aus einer sehr geringen
Wahrscheinlichkeit bei einer sehr grossen Anzahl
Pflanzen und Mikroorganismen eine reale Möglichkeit
resultiere.
Sicher ist: Das Risiko ist wenig erforscht. Nur rund
hundert von tausend Freisetzungsversuchen mit
GV-Pflanzen in Europa wurden von Risikoanalysen
begleitet. Die weltgrösste
Umweltschutz-Dachorganisation, die World
Conservation Union IUCN, die unter anderem 82 Staaten
zu ihren Mitgliedern zählt, forderte 2004 wegen der
bestehenden Unsicherheiten ein Gentech-Moratorium.
Ein Nationalfondsprojekt über «Nutzen und Risiken der
Freisetzung von GVO» ist geplant; über dessen
Bewilligung entscheidet der Bundesrat diesen Herbst.
5. Ist Koexistenz möglich?
Grundsätzlich ist Koexistenz, das Nebeneinander von
Landwirtschaft mit und ohne GVO, eine asymmetrische
Sache: Kreuzen gentechnisch veränderte Pflanzen in
das Feld des gentechfreien Betriebs ein, so kann dieser
seine Produkte nicht mehr als gentechfrei verkaufen,
sobald ein Grenzwert (0,9 Prozent) überschritten ist.
Umgekehrt entsteht kein Schaden.
Koexistenz ist möglich, sagt eine im April 2005
veröffentlichte Studie der Eidgenössischen
Forschungsanstalt Reckenholz (FAL): Für Mais und
Raps müsste zwischen den Feldern, je nach Sorte,
lediglich ein Abstand von 25 bis 50 Metern eingehalten
werden, zudem sei eine Reihe technischer und
organisatorischer Massnahmen nötig. Demgegenüber
kommt das Forschungsinstitut für Biologischen
Landbau (FiBL) zum Schluss, Koexistenz sei in der
kleinräumigen Landwirtschaft der Schweiz
unwirtschaftlich: Beim Raps etwa wären Feldabstände
von vier Kilometern nötig. Weil Rapssamen sehr lange
fruchtbar bleiben, kann eine Auskreuzung auch noch
nach Jahren stattfinden. Die Differenzen zwischen FAL
und FiBL rühren von verschiedenen Annahmen her: Die
FAL hielt eine Einkreuzung von 0,5 Prozent für
tolerierbar. Das FiBL rechnete mit 0,1 Prozent, damit der
Grenzwert auch dann eingehalten werden kann, wenn
Verunreinigungen aus verschiedenen Quellen sich
kumulieren.
Das Gesetz will den Konsum GVO-freier Produkte
ermöglichen. Weil absolute Reinheit nicht garantiert
werden kann, sieht die Verordnung Grenzwerte vor. Das
Ziel ist jedoch, Verunreinigungen möglichst zu
vermeiden und nicht die Grenzwerte auszureizen.
Deshalb ist es sinnvoll, mit tieferen Toleranzwerten zu
rechnen.
6. Ist GVO-Landwirtschaft nachhaltig?
Wächst die Weltbevölkerung weiter wie bisher, wird es
mehr Nahrungsmittel brauchen. Zusätzlicher
Landverbrauch und noch mehr Einsatz von
Agrochemikalien könnten die Ökosysteme zum Kollaps
bringen. Gentechnik helfe, dies zu verhindern, sagen ihre
BefürworterInnen: Dank Ertragssteigerung könne der
Flächenbedarf reduziert werden; ausserdem sinke der
Bedarf an Agrochemikalien, weil ja schädlingsresistente
Pflanzen nicht mehr gegen Schädlinge gespritzt werden
müssten. Das ist teilweise korrekt, sagt etwa das FiBL -
aber nur, wenn mit konventioneller Landwirtschaft
verglichen werde. Wird der Verbrauch an
Agrochemikalien, der Energie- und Wasserverbrauch, die
Bodenfruchtbarkeit, die biologische Vielfalt gemessen,
schliesst der Bio- gegenüber dem GVO-Landbau überall -
und teilweise markant - besser ab. Selbst der
Minderbedarf an Chemikalien dank GVO im Vergleich mit
der konventionellen Landwirtschaft ist umstritten: Weil
Schädlinge und Unkräuter sich an die transgenen
Pflanzen anpassen und ihrerseits Resistenzen
entwickeln, würden nur in den ersten Jahren weniger
Chemikalien gespritzt. Schliesslich lagert die
Gentech-Landwirtschaft einen beträchtlichen Teil ihrer
Kosten aus, das heisst, der Anbau mag für den einzelnen
Betrieb ökonomisch interessant sein, aber die
(ökologischen) Folgekosten trägt die Allgemeinheit.
7. Hilft Gentechnik gegen Hunger und Unterernährung?
Transgene trockenheits- oder salzresistente
Nutzpflanzen könnten in Gegenden gedeihen, die heute
unterversorgt sind; gegen Mangelkrankheiten sollen
transgene Pflanzen helfen, die besonders vitaminreich
sind. Der an der ETH entwickelte transgene Golden Rice
enthält Betacarotin, aus dem der Körper Vitamin A bildet.
Er soll Millionen Kindern helfen, die unter
Vitamin-A-Mangel leiden und von Erblindung bedroht
sind.
Aus entwicklungspolitischer Sicht fragt sich, ob die
Vorteile gentechnischer Lösungsansätze die Nachteile
aufwiegen und ob sich die Ziele auf anderem Weg nicht
effizienter erreichen lassen. Die
Weltlandwirtschaftsorganisation (FAO) setzt auf Gentech,
und auch einige unabhängige Entwicklungsfachleute
wie Welternährungspreisträger Per Pinstrup-Andersen
wollen diese Option offen halten. Für die Mehrheit der
Entwicklungsorganisationen aber ist Gentechnik der
falsche Weg. Golden Rice ist aus ihrer Sicht eine
Hightechlösung für ein Problem, das durch eine
Monokultur-Hightechlandwirtschaft verursacht ist, die für
den Weltmarkt statt für lokale Bedürfnisse produziert:
Das Problem ist nicht, dass die traditionelle Nahrung zu
wenig Betacarotin enthielte, sondern dass die Menschen
keinen Zugang dazu haben. Und was die
Trockenheitsresistenz angeht: Das Internationale
Forschungszentrum für Landbau in Trockenzonen in
Aleppo (Icarda, siehe WOZ Nr. 41/04), das keinerlei
Berührungsängste zur Gentechnologie kennt, setzt auf
Lowtechmethoden zur optimierten Wassernutzung, auf
konventionelle Züchtung sowie auf «vergessene»
Landrassen statt auf GVO, weil es sich davon effizientere
Lösungen verspricht.
8. Schaffen GVO neue Abhängigkeiten?
Für viele Gentech-KritikerInnen, aber auch für
unabhängige Gentech-BefürworterInnen sind neue
Abhängigkeiten die gewichtigste negative Folge des
GVO-Anbaus. Diese liegt weniger in der Technologie als
in der Patentgesetzgebung und -praxis begründet, seit
1980 das US-Bundesgericht erstmals ein Patent auf
einen gentechnisch veränderten Mikroorganismus für
gültig erklärt hat. GVO sind heute mit Urheberrechten
belegt. Wer Saatgut kauft, kauft gleichzeitig eine -
beschränkte - Nutzungslizenz für diese Urheberrechte,
die im Besitz der Firma bleiben. Das verändert die
Machtverhältnisse in der Landwirtschaft radikal, betrifft
insbesondere KleinbäuerInnen in Entwicklungsländern
und beeinflusst die Versorgungslage dieser Länder
nachteilig. Der GVO-Markt wird heute fast vollständig von
vier Konzernen (Monsanto, Syngenta, DuPont, Bayer)
beherrscht. Industriekritische Gentech-BefürworterInnen
haben deshalb eine Initiative gestartet, die sich an der
Open-Source-Bewegung für freie Software orientiert und
die Produkte der Gentechnologie frei verfügbar machen
will.
9. Kann man GVO-Herstellern trauen?
Nein. Bis im März 2005 exportierte Syngenta in Europa
nicht zugelassenen Bt-10-Mais als Bt-11-Mais deklariert
aus den USA in die EU. Als das bekannt wurde, sprach
Syngenta von einem Fehler und beteuerte, die beiden
Maissorten seien fast identisch. Das war gelogen: Bt-10
enthält, anders als Bt-11, ein (in Europa verbotenes)
Antibiotikaresistenz-Gen. Monsanto hat die Zulassung
von Mon-863-Mais in der EU beantragt (das Verfahren ist
noch hängig). Dazu hat die Firma eine in ihrem Auftrag
erstellte, tausendseitige Studie eingereicht. Laut
Zusammenfassung wiesen Fütterungsversuche an
Ratten diesen Mais als unbedenklich aus. Doch die
Zusammenfassung widersprach den Resultaten: An den
Nieren der gefütterten Ratten waren Schädigungen
festgestellt worden (vgl. Frage 3).
Agrofirmen und gentech-freundliche Regierungen üben
ausserdem Druck auf die öffentliche Forschung und
wissenschaftliche Journale aus. 2001 publizierte
«Nature» ein Paper über Auskreuzungen transgenen
Maises in Mexiko. Die Studie ist umstritten - dieses Jahr
publizierte «PNAS online» eine Studie, die keine Spuren
von GVO im mexikanischen Mais feststellte -, doch wer
immer Recht hat: Sicher ist, dass massiv Druck auf die
«Nature»-Redaktion ausgeübt wurde, der diese dazu
brachte, sich von der Studie zu distanzieren - ein bisher
einmaliger Vorgang. Arpad Pusztai (vgl. Frage 3) verlor,
nachdem er öffentlich über seine
Lektin-Kartoffel-Versuche gesprochen hatte, auf Druck
der britischen Regierung seine Stelle.
10. Weiss man, wie künstlich verpflanzte Gene wirken?
Die Agrogentechnik beruht auf der Grundannahme, dass
ein Gen, das im Organismus X eine bestimmte
Eigenschaft hat, im Organismus Y genau gleich wirkt.
Diese Annahme ist nicht vollkommen falsch. So bringt
das Gen, das im Bacillus thuringiensis ein Insektengift
produziert, Nutzpflanzen dazu, ebendieses Gift zu
produzieren. Die Grundannahme greift aber zu kurz.
Schon die Definition von «Gen» ist unklar; Gene können
im selben Organismus auf verschiedene Arten wirken.
Die Mechanismen, die bestimmen, wann ein Gen wie
wirkt, und das Zusammenspiel der Gene sind bei weitem
nicht abschliessend geklärt.
11. Gefährdet ein Moratorium den Forschungsplatz
Schweiz?
Die Forschung wird vom Moratorium ausgenommen. Die
GegnerInnen des Moratoriums meinen aber, dieses setze
«falsche Signale» und schade der Forschung indirekt.
Doch: Die Forschung gibt es nicht - es gibt verschiedene
Forschungsrichtungen, die miteinander um begrenzte
Fördermittel konkurrieren. Wer «forschungsfeindlich!»
ruft, vergisst meist zu fragen, welche Forschung gemeint
ist. Derzeit wird in Gentech-Forschung, da kommerziell
lukrativ, weit mehr investiert als beispielsweise in
Biolandbauforschung. Wenn also das Moratorium die
Gentech-Forschung tatsächlich bremsen sollte, wäre
dies schlicht ein Korrektiv zu einer problematischen
Schwerpunktsetzung.
12. Wäre ein Gentech-Moratorium mit internationalem
Recht vereinbar?
Die Welthandelsorganisation (WTO) verbietet
Handelshemmnisse, die nicht auf wissenschaftlich
begründeten Bedenken beruhen. Doch was
«wissenschaftlich» sei, lässt sich nicht so klar
bestimmen. Zwischen der EU und den USA ist seit
Jahren ein Verfahren zu genau dieser Frage hängig; in
der EU selber hat der Europäische Gerichtshof Anfang
Oktober ein Moratorium in Oberösterreich für ungültig
erklärt. JuristInnen rechnen damit, dass das
WTO-Schiedsgericht ein GVO-Importverbot für ungültig
erklären wird. Allerdings bräuchte es dazu ein Verfahren
- solange niemand die Schweiz vor der WTO einklagen
würde, könnte das Moratorium gelten.
Die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier
Landwirtschaft» verlangt, dass in der Schweizer
Landwirtschaft keine Pflanzen angebaut und keine Tiere
gehalten werden dürfen, die gentechnisch verändert
sind. Das Verbot soll fünf Jahre lang gelten. Die
Schweizer Lebensmittelproduktion bekäme die
Gelegenheit, sich mit einem gentechnikfreien Angebot
am Markt zu profilieren. Umfragen zeigen, dass eine klare
Mehrheit der KonsumentInnen eine gentechnikfreie
Landwirtschaft will.
WOZ vom 27.10.2005
www.woz.ch/artikel/inhalt/2005/nr43/Wissen/12399.html
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