[Gen-Info] Kennzeichnung suggeriert Sicherheit

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Mo Apr 19 17:17:16 CEST 2004


[veröffentlicht auch in der Tageszeitung 'Junge Welt' -
     siehe auch: http://www.jungewelt.de/2004/04-15/010.php]

13.04.2004 

Kennzeichnung suggeriert Sicherheit 

Am 18. April treten EU-Vorschriften zu Gen-Food in Kraft -
bundesweite Großdemo gegen Gentechnik in Stuttgart 

Am 18. April treten die Vorschriften der 
Europäischen Union über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel 
(EU-Verordnung Nr. 1829/ 2003) und über die Rückverfolgbarkeit und 
Kennzeichnung von GVO (EU-Verordnung Nr. 1830/ 2003) in Kraft. Selbst 
aus den Reihen der SPD wird "mit Sorge gesehen", daß es hierzu in 
Deutschland noch keine Durchführungsvorschriften und kein zentrales 
Register gibt. Dabei war das Gentechnik-Gesetz von Ministerin 
Renate Künast bereits für September 2003 angekündigt. 

Was haben die EU-Verordnungen mit dem Gentechnik-Gesetz zu tun?
Mit deren Inkrafttreten sollen nach sechs Jahren Unfreiheit die
VerbraucherInnen endlich die Wahl haben zwischen gentechnik-freien
Nahrungsmitteln und Gen-Food - das sie mehrheitlich gar nicht wollen.
Gen-Food muß gekennzeichnet werden und diese Kennzeichnung soll
durch die Rückverfolgbarkeit "vom Supermarkt-Regal bis zurück zum
Acker" nachvollziehbar sein. Zweck dieses Manövers ist allerdings
nicht die Beglückung der VerbraucherInnen, sondern der Fall des noch
zu Zeiten der Kohl-Regierung auf EU-Ebene beschlossenen
Gen-Moratoriums. 

Es wird damit argumentiert, mündige BürgerInnen könnten nunmehr
per "Abstimmung mit dem Einkaufskorb" selbst entscheiden, was
nachgefragt - ergo: was auf dem Acker angebaut wird. Damit könne nun
also der Anbau-Stop für Gen-Pflanzen, das seit sechs Jahren
bestehende Gen-Moratorium, fallen und den Gentech-Konzernen Bayer,
Monsanto oder Syngenta die Zulassungen für den kommerziellen
Anbau ihrer Gen-Pflanzen erteilt werden. Mit dem Gentechnik-Gesetz
soll dabei gewährleistet werden, daß ein Nebeneinander von
Gen-Pflanzen auf dem einen Feld und konventionell oder biologisch
angebauten Pflanzen auf dem anderen Feld, die sogenannte
Koexistenz, auch in der Praxis funktioniert. 

Nun hat sich jedoch seit Mitte letzten Jahres immer mehr
herumgesprochen, daß diese "Koexistenz" wegen Pollenflug 
und unvermeidlicher Vermischung in Erntemaschinen und bei der Lagerung
nicht funktionieren kann. Wie die Beispiele USA und Kanada zeigen,
sind die gentechnischen Veränderungen der Gen-Pflanzen in kurzer
Zeit überall zu finden. Damit ist es dann auch nach wenigen Jahren mit
der Wahlfreiheit im Supermarkt zu Ende, denn nach und nach müßten
alle Nahrungsmittel mit dem Label "Enthält genveränderte Bestandteile"
verziert werden. 

Da Ministerin Künast letzten Herbst fürchtete, es könne allzu deutlich
werden, daß sie mit dem Gentechnik-Gesetz den ersten Schritt zur
Aufhebung des Gen-Moratoriums vollziehen würde, spielte sie auf Zeit.
Und sogar die 'taz', die Renate Künast sonst als Streiterin wider die
Gentechnik feiert, kommentierte am 2. Oktober letzten Jahres: "Diese
unpopuläre Ankündigung überläßt man wohl lieber der
EU-Kommission". So wurde der Entwurf erst im Januar ins
Bundeskabinett eingebracht und das Gesetz, das nicht leisten kann,
was es zu leisten verspricht, wird zur Zeit im Bundesrat von der
Opposition zu allem Überfluß verwässert. Beispiel: Eine
Haftungsregelung in Künasts Gentechnik-Gesetz hätte es einem
Bio-Bauern erlaubt, einen Nachbarn zu verklagen, der durch seinen
Anbau von Gen-Raps den eigenen Bio-Raps unverkäuflich machte. Er
hätte nun jahrelang gegen die Heerscharen von Hausjuristen des am
Anbau des Gen-Raps interessierten Gen-Konzerns prozessieren
dürfen, bis ihm das Geld ausgegangen wäre. Dies traurige Chance soll
ihm nun durch entsprechende Änderungen des Gentechnik-Gesetzes
im Bundesrat genommen werden, weil die Opposition meint, "Rot-Grün"
bei der Anbiederung an die Gen-Konzerne so übertreffen zu können. 

Tatsächlich jedoch fällt das Gen-Moratorium auch am 18. April noch
nicht. Da es sich dabei de facto um einen Anbau-Stop handelt, ist der
entscheidende Zeitpunkt die Zulassung einer Gen-Pflanze für den
kommerziellen Anbau - genau genommen: Erst der Anbau selbst und
die irreversible Ausbreitung der manipulierten Gene in die Umwelt
wären dessen Ende. Es kann also nicht um die mehr oder weniger
strenge Ausgestaltung des Gentechnik-Gesetzes gehen, die derzeit im
Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion steht, sondern entscheidend ist
der Erhalt des Gen-Moratoriums. 

Ebenso irrig wie die Annahme mit einem wie auch immer gearteten
Gentechnik-Gesetz könne eine "Koexistenz" auf den Äckern
gewährleistet werden, ist ein Hoffen auf positive Wirkungen der
Kennzeichnung. "Das Kleingedruckte könnte den Albtraum der
Gentech-Industrie wahr machen und dafür sorgen, daß der Anbau von
Gentech-Pflanzen deutlich zurückgeht," meint Doris Tropper,
stellvertretende Vorsitzende des BUND (Bund für Umwelt- und
Naturschutz Deutschland). Tatsächlich werden künstlich niedrig
gehaltene Preise die knapp 30 Prozent der VerbraucherInnen, denen
genmanipulierte Bestandteile in ihrer Nahrung gleichgültig sind, zum
Kauf von Gen-Food verlocken. Ein heute in Europa nicht vorhandener
Anbau von Gen-Pflanzen wird also nicht "deutlich zurückgehen",
sondern im Gegenteil: Er wird beginnen und so seinen Absatzmarkt
finden. 

Zudem gibt es bereits heute einen Absatzmarkt beispielsweise für
Gen-Soja aus Brasilien, das in Europa als Tierfutter eingesetzt werden
darf. Zu Recht weist der BUND darauf hin, daß bestimmte
Gentech-Lebensmittel nicht gekennzeichnet werden müssen: Fleisch,
Milch, Käse, Joghurt, Eier und andere Produkte von Tieren, die mit
genmanipulierten Futtermitteln gemästet wurden. Fällt das
Gen-Moratorium, können diese Futtermittel in Europa angebaut werden,
gleichgültig welche Schokoriegel in die Einkaufskörbe wandern. 80 bis
90 Prozent aller weltweit angebauten Gen-Pflanzen werden als Tierfutter
eingesetzt. Entsprechend gering ist der Einfluß einer "Abstimmung mit
dem Einkaufskorb". 

Glücklicher Weise wächst der Widerstand. Und wenngleich sich die
großen Umweltverbände wie BUND, Greenpeace, NABU oder WWF
noch immer auf das Gentechnik-Gesetz konzentrieren, statt sich für den
Erhalt des Gen-Moratoriums einzusetzen, haben sich eine ganze Reihe
kleinerer Verbände zusammengeschlossen, um am Sonntag, 18. April,
in Stuttgart eine bundesweite Großdemonstration auf die Beine zu
stellen. Motto: "Wir bleiben sauber - Keine Gentechnik in der
Landwirtschaft und in den Lebensmitteln". Und im Aufruf ist
unmißverständlich formuliert: "Bienen, Insekten und Pollen machen an
den Feldgrenzen nicht halt. Ist die Gentechnik erst einmal auf unseren
Feldern, ist dieser Weg nicht mehr umkehrbar. Ein Nebeneinander in
Koexistenz ist nicht möglich!" 

Die Demonstration beginnt um 11 Uhr am Marienplatz und eine
Kundgebung ist für 13.30 Uhr am Schloßplatz vorgesehen. Weiter Infos
unter: www.gentechnik-freie-landwirtschaft.de 

Klaus Schramm 




Mehr Informationen über die Mailingliste Gen-Info