[FoME] Reporter ohne Grenzen: Feinde des Internets

Christoph Dietz Christoph.Dietz at CAMECO.ORG
Di Mär 12 10:44:30 CET 2013


ROG-Bericht „Feinde des Internets“: Westliche Überwachungstechnik in den
Händen von Diktatoren

12.03.2013 – Nicht nur autoritäre Staaten, sondern auch westliche
Unternehmen spielen eine wesentliche Rolle bei der Unterdrückung
kritischer Stimmen und unerwünschter Informationen im Internet. Der
Bericht über die „Feinde des Internets“, den Reporter ohne Grenzen zum
Welttag gegen Internetzensur am 12. März veröffentlicht, geht deshalb in
diesem Jahr sowohl auf Staaten als auch auf Unternehmen ein.

Autoritäre Regierungen setzen zunehmend komplexe Technik ein, um
unliebsame Webseiten zu blockieren oder um kritische Journalisten und
Blogger auszuforschen und zu verfolgen. Oft sind es westliche Anbieter
von Sicherheitstechnologie, die die nötige Überwachungsinfrastruktur
liefern oder billigend in Kauf nehmen, dass ihre Produkte in die Hände
notorischer Menschenrechtsverletzer geraten. 

„Der Einsatz solcher Technologien ist schon unter strenger
rechtsstaatlicher Aufsicht umstritten“, sagte ROG-Vorstandsmitglied
Matthias Spielkamp in Berlin. „In den Händen autoritärer Regime
verwandeln sie sich in digitale Waffen.“ Die Europäische Union und die
USA haben mittlerweile den Export von Soft- und Hardware zur
Internetüberwachung nach Syrien und in den Iran verboten. Doch das
ist zu wenig. 

„Sanktionen gegen Krisenstaaten wie Syrien sind richtig, greifen aber
zu kurz“, sagte Spielkamp. „Reporter ohne Grenzen fordert die EU-Staaten
auf, den Export von Zensur- und Überwachungstechnik generell zu
kontrollieren.“ Gleiches gelte für die USA. So sollten diese
Technologien in das Wassenaar-Abkommen über Exportkontrollen für
konventionelle Waffen und Dual-Use-Güter und -Technologien aufgenommen
werden. 

FEINDE DES INTERNETS: FÜNF STAATEN

Der diesjährige Bericht hebt fünf Staaten hervor: SYRIEN, CHINA, IRAN,
BAHRAIN und VIETNAM – die wichtigsten, aber keineswegs die einzigen
Feinde des Internets. Die Regierungen dieser Länder überwachen mit Hilfe
von Späh- und Zensurtechnologie gezielt Journalisten und Medien. Damit
sind sie verantwortlich für schwere Verstöße gegen die Presse- und
Informationsfreiheit und andere Menschenrechte.

In CHINA etwa werden Web-Anrufe mit der lokalen Version von Skype
automatisch auf Schlüsselwörter gefiltert und unter Umständen blockiert
oder mitgeschnitten. 69 Blogger und Online-Aktivisten sitzen dort
zurzeit im Gefängnis. Auch Telefone und E-Mail-Verkehr ausländischer
Korrespondenten werden überwacht. Der IRAN treibt seit September den
Plan voran, ein vollständig überwachtes und zensiertes „nationales
Internet“ zu schaffen. Selbst Journalisten, die Präsident Mahmud
Ahmadinedschad unterstützen, geraten zunehmend zwischen die Fronten
eines innenpolitischen Machtkampfs. Der Golfstaat BAHRAIN hat offenbar
die Computer von Oppositionellen und Dissidenten mit Trojanern
infiziert, die E-Mails mitlesen, Internet-Telefonate abhören und sogar
auf die eingebaute Kamera zugreifen können. 

Auch in demokratischen Staaten wächst die Bereitschaft, im Namen der
Bekämpfung von Online-Kriminalität die Informationsfreiheit im Internet
einzuschränken. So wirbt die Regierung der NIEDERLANDE für ein Gesetz,
das der Polizei weitreichende Befugnisse geben würde, Computer online zu
durchsuchen und Daten zu löschen – sogar im Ausland. In den USA wurde im
April 2012 in letzter Minute ein Vorhaben gestoppt, das die Weitergabe
umfangreicher Nutzerdaten erlaubt hätte; eine überarbeitete Fassung
könnte schon im Frühjahr im Kongress beraten werden. 

Mit solchen Vorhaben spielen demokratische Staaten autoritären Regimen
in die Hände, die mit den gleichen Argumenten Kritik an ihren eigenen
Überwachungsregimen zurückweisen.

FEINDE DES INTERNETS: FÜNF UNTERNEHMEN

Zu den Feinden des Internets zählt der Bericht auch die
IT-Sicherheitsfirmen GAMMA INTERNATIONAL (UK/Deutschland), TROVICOR
(Deutschland), HACKING TEAM (Italien), AMESYS (Frankreich) und BLUE COAT
(USA). Mit Produkten dieser Firmen spüren autoritäre Regime kritische
Journalisten auf, nehmen sie fest und blockieren ihre Webseiten. Die
Anbieter verkaufen ihre Software entweder selbst an solche Regierungen
und nehmen Übergriffe damit in Kauf, oder sie haben es versäumt, den
Export ihrer Software so zu kontrollieren, dass Missbrauch
ausgeschlossen ist.

Immer wieder berichten Journalisten und Dissidenten aus autoritär
regierten Staaten, dass sie in Verhören mit Protokollen ihrer
vertraulichen Skype-Telefonate, E-Mails oder SMS-Nachrichten
konfrontiert wurden. Recherchen von Journalisten und Bürgerrechtlern
zufolge ist etwa in Ländern wie Syrien, Bahrain oder Libyen
Überwachungstechnologie eingesetzt worden, die von westlichen
Herstellern stammt.

Die Produkte mancher Hersteller (darunter Blue Coat und Amesys) sind
zur flächendeckenden Überwachung des Internets geeignet. Auf diese Weise
können etwa Nutzerprofile erstellt werden oder es lässt sich der Zugang
zu bestimmten Webseiten oder die Suche nach einzelnen Stichwörtern
blockieren. Die andere Art von Programmen (etwa von Gamma oder Hacking
Team) zielt darauf, mit Hilfe sogenannter Staatstrojaner einzelne
Journalisten, Blogger oder Dissidenten gezielt zu überwachen, indem die
Programme etwa auf Festplatten zugreifen, Passwörter ausspionieren,
E-Mails mitlesen und verschlüsselte Internettelefonate mithören. Auf
diese Weise können autoritäre Regime Journalisten aushorchen, ihre
Informanten aufspüren und so eine freie Berichterstattung behindern.

INTERVIEWANGEBOTE

Houssam Aldeen, syrischer Journalist im Exil (spricht Englisch und
Arabisch):
Houssam Aldeen, ehemaliger Theaterregisseur, hat in seiner Heimat
Syrien als freier Journalist gearbeitet. Als Producer und Stringer war
er Kontaktmann, ortskundiger Assistent und Übersetzer für ausländische
Journalisten. Zusammen mit westlichen Filmteams hat er Dokumentarfilme
über soziale Missstände in Syrien gedreht, vor allem über die Lage
der irakischen Flüchtlinge. Er wurde fünfmal festgenommen und arbeitete
zuletzt nur noch im Untergrund, bevor er schließlich ins Ausland floh.
Seit November 2012 lebt er in Deutschland.

Soheil Asefi, iranischer Journalist im Exil (spricht Englisch und
Persisch):
Soheil Asefi hat im Iran zehn Jahre lang in großen Medienunternehmen
gearbeitet, unter anderem für Tageszeitungen wie Yaas-No, Shargh und die
Internetzeitung Roozonline. 2007 wurde er wegen Manipulation der
öffentlichen Meinung angeklagt und saß einige Monate im Gefängnis,
bevor er gegen Kaution freigelassen wurde. Auf Einladung der Stadt
Nürnberg kam er dank des Projekts „Writers in Exile“ des deutschen
P.E.N.-Zentrums Ende 2008 nach Deutschland. Seitdem hat er immer wieder
für deutsche Zeitungen geschrieben. Mittlerweile lebt er in Berlin im
Exil. 

TWITTER-KAMPAGNE #writinghelps

Am 12. März geht www.writinghelps.com online, eine ROG-Kampagne für
Meinungsfreiheit im Internet. Auf der Website wird eine Onlinezeitung
aus allem entstehen, was Nutzer unter dem Hashtag #writinghelps auf
Twitter schreiben. So schaffen sie gemeinsam eine Zeitung, die
unzensiert alles enthält, was Menschen auf aller Welt und in allen
Sprachen bewegt.

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

- Internationale ROG-Seite mit dem vollständigen Bericht "Feinde des
Internets 2013" (auf Englisch/Französisch):
http://surveillance.rsf.org/en/ 

- Frühere Berichte über die Feinde des Internets: http://bit.ly/ymh2sd
- Hintergrundpapier zur OECD-Beschwerde gegen Trovicor und Gamma:
http://bit.ly/X2eb6p
- ROG-Positionspapier zum Export europäischer Überwachungstechnologien:
http://bit.ly/VLQj8E

Pressekontakt:
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
Tel.: 030 / 60 98 95 33-55
presse at reporter-ohne-grenzen.de
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