[FoME] Ausländische Fernsehsender in arabischen Ländern

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Di Apr 6 10:57:38 CEST 2010


3. April 2010, Neue Zürcher Zeitung
Flagge zeigen in Arabiens Wohnzimmern:Immer mehr ausländische
Fernsehsender ringen um die öffentliche arabische MeinungVon Mona
SarkisNahida Nakad klingt geradezu euphorisch. Von gegenwärtig 10 werde
man den Sendebetrieb auf 15 Stunden ausweiten, erzählt die Leiterin der
arabischsprachigen Abteilung von France 24. Ziel seien letztlich aber 24
Stunden. Hierfür werde die französische Regierung das derzeitige Budget
von 7 auf 10 Millionen Euro aufstocken. Mit seinem Expansionsvorhaben
steht France 24 keineswegs alleine da. Gleiches ist bei den
arabischsprachigen Stationen der BBC und der Deutschen Welle zu
beobachten. Die Europäer schliessen sich damit einer Entwicklung an, die
mit der amerikanischen Invasion des Iraks einsetzte. 2004 lancierte die
Administration Bush einen amerikanischen Fernsehsender in arabischer
Sprache: al-Hurra, «Die Freie». Kurz zuvor war der von Iran finanzierte
arabischsprachige Sender al-Alam, «Die Welt», an den Start gegangen. Im
Jahr 2007 kamen die Russen, 2009 folgten die Chinesen.
Miserable Einschaltquoten

Der unbefangene Steuerzahler könnte nun vermuten, dass eine enorme
Nachfrage bei den rund 320 Millionen arabischen Fernsehzuschauern
bestehe. Wie sonst wäre zu erklären, dass allein al-Hurra die US-Bürger
bisher über 600 Millionen Dollar gekostet hat?
Doch die Statistiken zeichnen ein anderes Bild. So ergab eine Umfrage
des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup von 2007, dass 30
Prozent aller Saudi al-Jazira einschalten, aber nur 2 Prozent al-Hurra.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen 2009 Zogby International und die
Universität von Maryland: 55 Prozent aller von ihnen befragten Ägypter
entschieden sich für al-Jazira. Al-Hurra rutschte unter die
0,5-Prozent-Marge ab.«Klare ideologische Aufträge»
Für das arabischsprachige France 24 liegen Nahida Nakad keine Zahlen
vor. Allerdings ist ihr die «französische Vision» des Senders auch
wichtiger. Diese ruhe auf drei Eckpfeilern: «Erstens der französische
Journalismus. Wir betrachten das Tagesgeschehen zunächst aus dem
Blickwinkel der Gesellschaft und wenden uns dann erst an die
Entscheidungsträger.» Zweitens herrsche in Frankreich die Auffassung,
dass die Kultur eine ebenso grosse Bedeutung habe wie Wirtschaft oder
Politik. Drittens verfolge die französische Vision kein politisches
Projekt. «Obwohl wir ein öffentlichrechtlicher Sender sind, agieren wir
unabhängig von der Regierung», betont Nakad.
As'ad Abu Khalil entlocken derartige Behauptungen ein reichlich
ungläubiges Lächeln. Tatsächlich sieht der Medienexperte und
Politologe an der Stanislaus University in Kalifornien bei allen Sendern
einen klaren ideologischen Auftrag: «Die USA suchen eine Bestätigung für
ihre kriegerischen Aktionen und ihre Politik. Auch die anderen tun dies.
Zugleich wollen sie, ob sie nun mit den USA konform gehen oder nicht,
das Terrain nicht völlig den Amerikanern überlassen.» Dergestalt sei ein
regelrechter Wettbewerb um die Eroberung der öffentlichen arabischen
Meinung entbrannt. Europäische Länder wie Frankreich und Deutschland
akzentuierten zudem noch die Verbreitung ihrer Kultur – vor allem
angesichts der von den USA geprägten Globalisierung.
Die hauptsächliche Schlacht aber spielt sich auf dem politischen
Parkett ab. Wie, das zeigt das Beispiel Iran. Mitte Februar, zum
Jahrestag der islamischen Revolution, unterbrach das Land die
Ausstrahlung von Voice Of America, BBC und der Deutschen Welle.
Umgekehrt hatten die mit dem Westen verbündeten Staaten Ägypten und
Saudiarabien das iranische Al-Alam-TV bereits vor Monaten von ihren
Satelliten genommen. Faysal Abdel Sater, Pressesprecher von al-Alam,
sieht darin politische Entscheidungen von höchster Stelle. «Saudiarabien
erlaubt uns zwar wieder die Ausstrahlung, aber das nur, weil das
Konfliktpotenzial zwischen ihm und Iran grösser ist als jenes zwischen
Ägypten und Iran.» Eine dauerhafte Unterbindung wäre einem Eklat
gleichgekommen.
Abu Khalil prognostiziert indes eine Zuspitzung im Kampf um die
Meinungsbildung, zumal nun auch der Privatsektor in die Arena steigt. So
wird sich Rupert Murdoch an Rotana beteiligen, dem gigantischen
Medienunternehmen des saudischen Milliardärs Walid bin Talal. 20 Prozent
der Rotana-Aktien kaufte der amerikanische Medienmogul im vergangenen
Dezember auf. «Infolgedessen werden einige arabische Stationen wie
Varianten von Murdochs fundamentalistischem Nachrichtensender Fox News
auftreten», glaubt Abu Khalil. Dies werde die arabische Öffentlichkeit
«derart reizen, dass die Kluft zwischen ihr und der politischen
Ausrichtung der saudischen Medien immer grösser wird».Komplexe Lage
Sind die ausländischen Bemühungen – finanziell wie ideologisch –
demnach reine Eigentore? Fast könnte man dies meinen, zumal kürzlich
noch eine Initiative des US-Kongresses scheiterte. Dieser wollte Sender,
die er als «terroristisch» einstuft, auch von arabischer Seite her mit
Sanktionen belegt sehen. Auf der Liste stand jedoch kein
«Al-Kaida»-Sender, der ohnedies nirgends Sendeerlaubnis erhält,
sondern unter anderem al-Manar, der amerikakritische Sender des
libanesischen Hizbullah. Die Intention war somit recht durchsichtig und
die arabische Antwort entsprechend eindeutig: Des einen Terroristen, des
anderen Widerstandskämpfer. Keiner dieser Sender würde mit Sanktionen
belegt.
Abu Khalil sieht aber auch hier die Lage komplexer. Denn der Vorstoss
des amerikanischen Kongresses habe auf eine Entpolitisierung der
arabischen Zuschauer abgezielt. Die aber werde längst inoffiziell
betrieben, und zwar – von arabischer Seite her: «Die einheimischen
Sender bombardieren die Zuschauer regelrecht mit Seifenopern, Musik- und
Sportsendungen, mit allem, ausser Politik – um sie genau davon zu
entfremden.»
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