[FoME] Georgien: Internet als Kampfzone
Christoph Dietz
christoph.dietz at CAMECO.ORG
Fr Aug 15 10:30:36 CEST 2008
Neue Zürcher Zeitung, 15.8.2008
Das Internet als Kampfzone
Gegenseitige Angriffe auf Websites im russisch-georgischen Konflikt
Georgien beschuldigt Russland, im Zuge der Militäroffensive im Konflikt um Südossetien Websites der Regierung attackiert zu haben. Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Bedeutung, die dem Internet in politischen Konflikten zukommt.
set. Seit Tagen ist weder die Website der georgischen Regierung noch jene des Präsidenten Saakaschwili zugänglich. Tbilissi beschuldigt Moskau, hinter dem gezielten Angriff zu stehen, welcher die Regierung daran hindert, die Bevölkerung via Internet zu informieren. Laut der «Washington Post» erschien auf der Website des Aussenministeriums zeitweise nur eine Collage, welche den georgischen Präsidenten Saakaschwili mit Adolf Hitler verglich. Um die Blockade zu umgehen, hat das georgische Aussenministerium für seine Stellungnahmen zu den Ereignissen im Kaukasus kurzerhand ein Blog auf der Blogspot-Plattform der Website Google eingerichtet. Zudem bietet Polens Präsident Kaczynski der georgischen Regierung «Asyl» auf seiner Website.
Koordinierter Angriff
Die georgischen Websites gingen aufgrund einer gesteuerten Attacke in die Knie, die als Distributed Denial of Service (DDoS) bezeichnet wird. Dabei werden Hunderte bis Tausende von Computern ohne Wissen ihrer Besitzer zu einem sogenannten Botnet zusammengeschlossen, welches unablässig Anfragen an einen Server richtet, bis dieser unter der Last zusammenbricht. Neu sind derartige Cyber-Attacken mit politischem Hintergrund nicht. Zuletzt waren Ende Juni in Litauen über 300 Websites angegriffen worden. Der bisher grösste DDoS-Angriff gegen ein Land erfolgte im März und April letzten Jahres und hatte Estland zum Ziel. Websites von Regierungsstellen, Banken, Firmen und Zeitungen waren über mehrere Wochen nicht zu erreichen. Laut Sicherheitsexperten sollen bis zu eine Million Computer bei der Aktion involviert gewesen sein. Anlass war die Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals in der estnischen Hauptstadt Tallinn.
Die Urheber von DDoS-Angriffen sind meist schwer zu eruieren, da die geografische Herkunft der Computer nichts über die Drahtzieher der Aktion aussagt. Im Fall Georgiens weisen allerdings einige Spuren nach Russland. Die Koinzidenz mit dem Ausbruch des militärischen Konflikts ist kaum zufällig. Einige Experten sehen die gegenwärtigen Attacken indes weniger als gezielte Kriegstaktik Russlands, sondern als Aktion patriotischer Hacker, die allenfalls in Internet-Foren von regierungsnahen Kreisen angestiftet worden sind. Andererseits beschwerte sich auch die russische Zeitung «Russia Today», sie sei von Botnets attackiert worden. Westliche Beobachter weisen zudem darauf hin, dass Caucasus Online, der grösste georgische Internet-Provider, den Zugang zu russischen Medien in Georgien mittels Filtern behindert habe.
Die sich häufenden Cyber-Attacken mit politischem Hintergrund deuten darauf hin, dass künftig Konflikte vermehrt auch mit dem Einsatz digitaler Waffen geführt werden. Viele Länder investieren zurzeit in Abwehrmassnahmen und stellen Mittel für eine aktive elektronische Kriegsführung bereit. So hat die Nato im Mai den Aufbau eines Cooperative Cyber Defence Center in Estland für Forschung und Schulung im Kampf gegen die virtuelle Kriegsführung angekündigt. In der Schweiz plant die Armee den Aufbau einer entsprechenden Truppe, die ab 2012 einsatzfähig sein soll.
Neben den DDoS-Attacken mit temporärer Wirkung besteht eine weitere Bedrohung durch Angriffe von sogenannten Hackern. Diese versuchen, in die Datennetze von Regierungen, Streitkräften und Geheimdiensten einzudringen. Über diese Aktivitäten erfährt die Öffentlichkeit naturgemäss wenig. Bekannt wurde beispielsweise der Fall mehrerer Angriffe auf Computer der Schweizerischen Bundesverwaltung, die Ende 2007 von afrikanischen Servern aus erfolgten. Wie die Bundesanwaltschaft diese Woche informierte, ermittelt sie nun wegen Spionage.
Wissensvorsprung eingebüsst
Glaubt man den Sicherheitsspezialisten, haben die Aktivitäten von Hackern das Ausmass einer permanenten Belagerung erreicht. Die NSA, der für weltweite Abhöroperationen zuständige amerikanische Nachrichtendienst, hat jüngst zum achten Mal einen Wettkampf unter amerikanischen Militärakademien durchgeführt und den Medien einen Einblick gewährt mit dem Ziel, die besten Informatikspezialisten zu gewinnen und die Politik für die Gefahrenlage zu sensibilisieren. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten terroristischer Kräfte und islamistischer Extremisten im Internet weist die NSA warnend darauf hin, dass die technologische Entwicklung des letzten Jahrzehnts ein neues Schlachtfeld eröffnet habe. Auf diesem sei der Gegner besser positioniert als der Feind der Vergangenheit im konventionellen Krieg. Auf seiner Website räumt der Geheimdienst auch ein, dass man den bisherigen Wissensvorsprung eingebüsst habe.
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