[FoME] Journalismus in Ostafrika und ökonomischer Imperativ
Christoph Dietz
christoph.dietz at CAMECO.ORG
Fr Jul 28 15:20:56 CEST 2006
Quelle: epd Medien Nr. 18., 21.6.2006, S.5-8 [Kurzfassung: "Der Charme
der Profitabilität" in: NZZ, 28.7.2006]
Mit Genehmigung des Autors: christian.zabel at institut-medienpolitik.de
Hungrige Raubtiere
Journalismus in Ostafrika und der ökonomische Imperativ / Von Christian
Zabel
Während in Deutschland debattiert wird, ob Gewinnstreben und
Konzernfusionen mit *gutem" Journalismus vereinbar sind, setzen die
Medien in Ostafrika offensiv auf den Markt. Rendite gilt von Kenia bis
Sambia als beste Antwort auf die publizistischen Hauptprobleme der
Region: politische Repression und mangelnde Ressourcen. Unternehmen, die
über Landes- und mediale Grenzen hinweg investieren, werden zu
Protagonisten journalistischer Freiheit. Gleichzeitig nimmt die
Konzentration zu und droht die publizistischen Zugewinne zu gefährden.
Christian Zabel, Mitar*beiter am Institut für Kommunikations- und
Medienpolitik in Berlin (IfM), skizziert das Spannungsfeld der
Medienmärkte in Ostafrika.
epd Jedes Jahr im Juli beginnt in Ostafrika das gleiche
Naturschauspiel. Hunderttausende Zebras, Gazellen und Gnus wandern von
Tansania in das süd*liche Kenia, auf der Suche nach Gras. Für
ausgehun*gerte Raubtiere ist diese *Wildebeest-Migration" ein Fest.
Sie stellen den riesigen Herden nach und ma*chen leichte Beute. Auch die
Medien Ostafrikas hat das Spektakel nachhaltig inspiriert, vor allem die
Rolle von Löwe, Kroko*dil und Co. *Don't let a border get in the way of
your lunch", riet Charles Onyango Obbo, geschäftsführender Redakteur von
*Daily Nation", der auflagenstärksten Zeitung Kenias, kürzlich seinen
Kollegen auf einer Konferenz in Nairobi. Neben tollen Geschichten
schwebten ihm als Mahlzeit hauptsächlich Margen und Marktanteile
jenseits nationaler und medialer Grenzen vor.
Die *Daily Nation" ist der Kern eines Medienimperiums, das schon früh
auf das Prinzip Profit gesetzt hat: Heute besitzt die Nation Media Group
in Kenia acht Zeitungen, zwei Radiosender und den Fernseh-Marktführer
NTV, hinzu kommen Radiostationen und Printtitel in Tansania und Uganda.
Rentabilität löst Probleme
Obbo und sein Konzern verkörpern einen fundamen*talen Wandel, den Peter
Mwesige, ehemaliger Chefredakteur des ugandischen *The Monitor" und
jetzt Professor an der Universität von Makerere, in der gesamten Region
beobachtet. Die Medienmacher klassischer Prägung, groß geworden mit den
hehren und oft missbrauchten Idealen des Entwicklungsjournalismus,
würden ersetzt durch die Spezies der renditeorientierten Investoren
und Manager. Letztere schmiedeten - befeuert durch gelockerte
Marktregeln - erstmals regionale Medienkonzerne, die in mehreren Ländern
investierten und über das klassische Zeitungsgeschäft hinauswüchsen.
Doch während in Europa die Übernahme der Medien durch Investoren als
Bedrohung für den Journalismus empfunden wird, tritt der
*Raubtierkapitalismus" in Afrika mit dem Versprechen an, auf
wirtschaftliche Rentabilität zu setzen, um die zentralen Probleme der
Medienhäuser und des Journalismus zwischen Kenia und Sambia zu lösen:
materieller Mangel und politische Repression. Nur wer wirtschaftlichen
Erfolg hat, hat die Freiheit für *echten" Journalismus, lautet das
Motto.
Die Pressefreiheit in Ostafrika befindet sich in einem fragilen
Zustand. Nach dem *Worldwide Press Free-dom Index 2005" von Reporter
ohne Grenzen können Journalisten der Region nur in Mosambik und
Südafrika so frei arbeiten wie die meisten ihrer europäischen
Kollegen. Trotz einiger Fortschritte erschwert vielerorts ein
umfangreiches Arsenal aus Kolonial-, Beleidigungs- und
Sicherheitsgesetzen die Berichterstattung. Hinzu kommt die Bedrohung
durch willkürliche Verhaftungen und tätliche Übergriffe * erst am 10.
Mai stürmte eine Bande die Radiostation Hope FM in Nairobi, schoss
Wachmann und Journalisten nieder und steckte die Studios in Brand.
Zwar können Geldbündel gedungene Schläger nicht aufhalten, aber
*ökonomische Lebensfähigkeit ist die beste Verteidigung gegen die
Bedrohungen der Branche", ist sich Trevor Ncube sicher, der mit dem
*Zimbabwe Independent" und *The Standard" zwei der letzten
unabhängigen Zeitungen im Land von Robert Mugabe herausgibt. Denn
jenseits aufmerksamkeitsträchtiger Übergriffe können die Regierungen vor
allem finanziell die Daumenschrauben anziehen. Journalisten müssen jedes
Jahr kostspielig akkreditiert werden, die Publikationen brauchen alle
zwei Jahre eine - natürlich teure - Lizenz. Ncube sichert die
Publikationen in seinem Heimatland auch mit den Gewinnen der profitablen
Zeitung *Mail&Guardian" ab, die er in Südafrika verlegt.
Der ökonomische Imperativ erscheint jedoch nicht nur aus Gründen der
journalistischen Qualität, sondern auch angesichts des Marktumfelds als
zwingend. Zahlreiche kostspielige Hindernisse können für finanziell
schwachbrüstige Medien schnell das Aus bedeuten. Ncube muss das
Druckpapier für seine Zeitungen aufwändig nach Zimbabwe importieren, die
antiquierten Druckerpressen sind sehr fehleranfällig. Auch hohe Benzin-
und Autopreise in Kombination mit schlechten Straßen erschweren eine
zuverlässige Zustellung.
Große Teile Ostafrikas sind ohnehin medienökonomische Tabuzonen:
Außerhalb der Metropolen verhageln die Logistik, geringe Kaufkraft
und niedriger Bildungsstand der Landbevölkerung jegliche Kalkulation.
Dieses mediale Brachland wird wenn überhaupt nur von ausländischen
Radiosendern wie BBC und Deutscher Welle sowie den staatlichen
Programmen bestellt. Dementsprechend konkurriert das Gros einheimischer
Angebote um die kleine Schicht gebildeter, relativ gut verdienender
Städter.
Ausländische Unternehmen zurückhaltend
Das ist in der chronisch kapitalschwachen Region schwierig zu
bewerkstelligen. Internationale Konzerne halten sich mit Investitionen
in der politisch sensiblen Medienbranche zurück, Bertelsmann, Newscorp
und Co. gilt der Markt zudem als zu klein. In den Staaten der East
African Community (EAC) - Uganda, Tansania, Kenia - erlösten die Medien
letztes Jahr nur 93 Millionen Euro durch Reklame, eine im
internationalen Vergleich verschwindend geringe Summe (Brutto-Werbemarkt
Deutschland 2005: 19,1 Mrd. Euro). Einen Gutteil davon kassierten auch
nicht die Zei-tungs- und Rundfunkkonzerne, sondern die Besitzer der in
den Städten allgegenwärtigen riesigen Plakatwände.
Direkte Erlöse spielen daher eine vitale Rolle. Die 220.000 verkauften
Exemplare der *Daily Nation" (Verkaufspreis: 35 kenianische Schilling,
ungefähr 50 Cent) steuern fast ein Drittel zum Gesamterlös des
Jahresumsatzes der Nation Media Group von 65 Millionen Dollar (2004)
bei.
Radio und Fernsehen, die auf Werbung angewiesen sind, lassen sich
hingegen nur schwer finanzieren. Hier sind integrierte Konzerne wie die
tansanische IPP-Gruppe im Vorteil. Sie subventionieren die neuen
Angebote mit den Gewinnen aus anderen Aktivitäten, stets in der
Hoffnung, die Investitionen von heute zahlten sich in der Zukunft aus.
Der 1994 von Reginald Mengi gegründete Mischkonzern ist nicht nur im
Bergbau und der Getränkeabfüllung aktiv, sondern verlegt zehn Zeitungen
in Tansania, betreibt ITV, den führenden Fernsehsender des Landes
(landesweiter Marktanteil: 74 Prozent) und die beiden populärsten
Radiostationen. Um auch regional zu wachsen, hat Mengi für 2006
angekündigt, auch in Uganda und Kenia je zwei Zeitungen zu starten,
zusätzlich zu seinen dort schon jetzt empfangbaren Rundfunkprogrammen.
Die Vernetzung über Landesgrenzen hinweg soll große Anzeigenkunden wie
Unilever ködern. Auch beim Einkauf von Nachrichtenmaterial können
regionale Großabnehmer bis zu 60 Prozent der Kosten einsparen.
Neue Segmentierung
Die regionalen Riesen machen ihrer eigenen Meinung nach *richtigen"
Journalismus überhaupt erst bezahlbar. Eigene Recherchen seien wegen
möglicher Mehrfachverwertung leichter finanzierbar, so Charles
Onyango Abbo von der *Daily Nation". Als Beispiel nennt er das African
Media Network Project, bei dem zwölf Journalisten aus verschiedenen
Medienhäusern durch die ostafrikanischen Staaten gereist sind und über
die Länder Uganda, Kenia und Tansania berichteten. Für Medien, die ohne
Auslandskorrespondenten arbeiten, ein bemerkenswertes Projekt.
Auf besondere Weise sorgt die Medienkonzentration in Afrika sogar für
publizistische Vielfalt. Denn wer neben den Großkonzernen erfolgreich im
Markt mit*mischen will, muss auf Nischen setzen und neue Märkte
erschließen. Diese Segmentierung der städtischen Öffentlichkeit ist
relativ neu, operieren die meisten Printtitel doch nach dem
General-Anzeiger-Prinzip, alles für jeden zu bieten.
Als Vorreiter der neuen Entwicklung gelten Tabloid-Titel wie das
ugandische Boulevardblatt *Red Pepper". Zwischen den Fotoseiten über in
der Regel großbrüstige Stars und Sternchen nationaler Provenienz (die im
Ver*gleich zu den Damen der *Bild" noch sehr anständig wirken) verbirgt
sich manche journalistisch-investigative Kolumne, wie etwa das *Security
Briefing". Dem 29-jährigen Arinaitwe Rugyendo ist mit seinem im
ugandischen Markt optisch innovativen Infotainment-Konzept ein Erfolg
aus dem Stand gelungen.
Die mit Fotomontagen und fiktiven Ich-Geschichten angereicherte Zeitung
hat eine Auflage von 25.000 Exemplaren. Nur die staatliche *The New
Vision" und der *Daily Monitor" liegen noch vor der Konkurrenz. Das
Konzept sei erfolgreich, da es auf die Bedürfnisse der überwiegend
jungen Bevölkerung nach Unterhaltung und - in geringerem Maße -
Information zugeschnitten sei. Der Bezug zur lokalen Lebenswelt ist auch
im sich entwickelnden Medium Fernsehen Trumpf. Trotz fragiler Finanzen
setzen die privaten Kanäle zunehmend auf Eigenproduktionen, Marktführer
ITV bestückt schon rund 60 Prozent seiner Primetime mit Sendungen *made
in Tansania". Mit modernstem Equipment stellen die Sender vor allem
Talkshows, Nachrichtenmagazine und die populären Musikclip-Shows selbst
her, ästhetische Vorbilder sind MTV und CNN. Die staatlichen Medien
sehen dagegen oft alt aus. Das ist nicht nur der Kontrolle durch die
Regierung geschuldet, sondern auch der chronischen Finanznot. Die
Konrad-Adenauer-Stiftung skizzierte dies in ihrem
Medienentwicklungspapier plastisch am Beispiel von TV Uganda. Die
Studios wirkten wie in einem Hollywood-B-Movie - *nach dem Angriff der
Außerirdischen".
Mängel in der Berichterstattung
Die Medienkonzentration und das Engagement finanzstarker Unternehmen im
Medienbereich hat in Afrika also mehrere positive Effekte. Die Anzahl
der Angebote steigt, die Präsentation der Angebote wird professioneller
und passt sich zudem stärker den Bedürfnissen des heimischen Publikums
an. Doch der schöne Schein der (privaten) Medien kann nicht über die
weiterhin vorhandenen Defizite in der Berichterstattung hinwegtäuschen.
Zeitungen und Rundfunk sind metropolenfixiert, ländliche Regionen
stellen oftmals eine journalistische Terra Incognita dar. Zudem schauen
die Medien zu gerne auf die *Big Men" in Parlament und Regierung. Die
wirtschaftliche Unabhängigkeit hat noch nicht zu einer weitergehenden
journalistischen Unabhängigkeit geführt. Grund dafür ist vielleicht auch
die oft*mals mangelnde Kompetenz der Journalisten. Eine Befragung des
südafrikanischen Sol-Plaatje-Instituts unter Medienmanagern der South
African Development Community (SADC) ergab Anfang des Jahres, dass neben
handwerklichen Qualifikationen vor allem auch medienethische Kenntnisse
fehlen. Die hohe Fluktuation in den Redaktionsstuben hilft da nicht
gerade weiter. Von den 20 Kollegen, mit denen er vor dreizehn Jahren
beim *Monitor" angefangen habe, seien nur noch zwei im Journalismus
geblieben, erzählt Peter Mwesige von der Makerere-Universität.
Die Zeitung habe heute nur drei Mitarbeiter, die we*nigstens zehn
Berufsjahre vorweisen können. Auch im Radio sieht es nicht besser aus:
Hier hat nach Schätzungen nur ein Fünftel der Journalisten überhaupt
eine Ausbildung mit Medienbezug. Man setzt dort dann auch lieber auf
leichte Musik-Kost. Eine unter*nehmensstrategisch kluge Wahl: Der
Rundfunk wird in allen Ländern über ein Geflecht aus Lizenz-Eigentümer-
und Inhalteregeln kontrolliert, inhaltlich *neutrale" Sender sind
politisch gern gesehen.
Angesichts der Defizite gelten die Programme der Deutschen Welle sowie
von BBC und CNN selbst für die lokalen Konkurrenten als unerlässlich.
Die Deutsche Welle hat angekündigt, das regionale Radioangebot auf ein
integriertes Programm aus Deutsch, Englisch und Kisua-heli umzustellen.
Auch in den medial mittlerweile gut versorgten Metropolen wird die
Deutsche Welle weiterhin über UKW ihre Dienste anbieten, zur Not will
der Sender sich auch Frequenzen mit anderen Stationen teilen. Weniger
beliebt sind die internationalen Nachrichtenagenturen. Für westliche
Nutzer bestimmt, domi*niert dort das Klischee des
Katastrophenkontinents: AIDS, Korruption, Krieg und Katastrophen lauten
die üblichen Aufhänger.
Nachrichtensender geplant
Dagegen auch international mit einem vielfältigen Afrikabild
anzufunken, hat sich ATV vorgenommen. Salim Amin, Sohn der afrikanischen
Reporterlegende Mohamed Amin, sammelt Investitionskapital für dieses CNN
à la africaine - mit digitalem Equipment soll aus 30 Städten in Afrika
gesendet werden, von Rabat bis Johannesburg, finanziert durch
kontinentweite Werbung. Neben Nachrichten sind Dokumentationen und
Talkshows geplant, die die lokal verschiedenen Facetten afrikanischer
Kultur zeigen. Positiver Nebeneffekt des dezentralen Ansatzes sei, dass
man unabhängig berichten könne. *Wenn wir abgeschaltet werden, sind
wir innerhalb von zwei Stunden von einem unserer anderen Standorte auf
Sendung", so Amin. Ob die benötigten 25 Millionen Dollar Startkapital
zusammen kommen, ist zurzeit aber noch offen.
Große Hoffnungen liegen zwischenzeitlich auf dem *citizen journalism"
des Internets. Relativ günstig und schwierig zu kontrollieren sind die
rund 1.000 Blogs der Region, die deshalb zu einer wichtigen alternativen
Nachrichtenquelle avanciert sind. Das Gros schreibt über Alltagskultur,
einige sind hochpolitisch, manche die letzten kritischen Stimmen ihres
Landes, wie etwa im Falle der Äthiopierin Addis Ferengi.
(http://www.nazret.com/blog/index.ph p?blog=9).
Allerdings erreichen die zumeist von Exilanten betriebenen Websites nur
die kleine Elite der Internetnutzer, die in größeren Städten lebt. Und
auch dieses Medium ist nicht vor Zensur gefeit: Seit vergangenem Montag
sind nach Angaben der Blog-Plattform *Globals Voices" 23 der 34
äthiopischen Angebote für die Kunden des staatlichen
Telekom-Monopolisten gesperrt und nur noch aus dem Ausland zugänglich.
Auf dem Weg zu einer nach internationalen Maßstä*ben voll entwickelten
Medienbranche ist es also noch ein weiter Weg. Die
Modernisierungsmaschine Markt scheint zu funktionieren, wenn es um
Ausweitung des Angebots, professionelle Präsentation und das Aufgreifen
von Zuschauerbedürfnissen geht. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die
Großkonzerne ihren langfristig lukrativen Zugriff auf die sich
entwickelnden Werbemärkte und die limitierten Sendefrequenzen festigen.
Das könnte perspektivisch neuen Anbietern den Markteintritt erschweren
und den gerade entstehenden publizistischen Wettbewerb behindern. Man
darf in jedem Fall gespannt bleiben, ob die wirtschaftlichen Freiräume
über die viel versprechenden Ansätze hinaus die Wächterrolle der
Medien stärken.
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