[FoME] Literaturhinweis: Medienpolitik in Post-Konfliktstaaten (Afghanistan)

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Mi Jul 26 09:49:58 CEST 2006


Liebe Liste

anbei eine kleine Rezension zum Literaturhinweis:

Mariam Tutakhel, Medienpolitik in Post-Konfliktstaaten. Beiträge zum politischen 
Wiederaufbau am Beispiel von Afghanistan. INEF-Report 83/2006
http://inef.uni-due.de/page/documents/Report83.pdf

In ihrem Bericht weist die ehemalige Referentin des AA (Referat 610) und stellvertr. Leiterin 
der Aussenstelle Herat der Dt. Botschaft Kabul in Afghanistan (Jan.-Juli 2004), Mariam 
Tutakhel, darauf hin, dass ein striktes westliches Verständnis von Medienfreiheit neu 
installierte Regierungen in fragilen Staaten delegitimieren kann.

Hauptmanko der Medienhilfe-Ansätze in Afghanistan ist ihrer Meinung nach die 
unzureichende Unterstützung der Zentralregierung, die sich als moderate Kraft gegenüber 
unterschiedlichen (radikalere) Interessengruppen im Land und gegenüber den Ansprüchen 
der IC etablieren und durchsetzen muss. Diese unzureichende Unterstützung äußert sich im 
Mediensektor wie folgt:

1) Anstatt korrekterweise in Afghanistan ein "zuwenig" an zentraler Regierungsgewalt zu 
sehen, wurden die Konzepte aus post-kommunistischen Staaten übertragen, die ein 
charakteristisches "zuviel" an Staat aufweisen. Entsprechend wurden nicht die 
unzureichenden Kommunikationsmittel der afgh. Regierung gefördert, sondern private 
Medien, die eher in Opposition zur Zentralregierung auftreten.Deutschland fördert zwar die 
staatliche RTA, doch die TV-Beiträge werden noch in Berlin produziert. Tertukhel empfiehlt 
die Verlegung nach Afghanistan.


2) Macht- und Legitimitätsansprüche werden in der Debatte um Medienfreiheit vs. 
islamischen Werten verhandelt. Die Zurückhaltung der IC überlässt weitgehend den 
konservativen Stimmen die Deutungshoheit, bzw. schwächt die fragmentierten moderaten 
Kräfte: So führt die westliche Auslegung von Medienfreiheit in der Regel zu scharfer Kritik an 
der Zentralregierung, etwa wenn diese versucht, mit einer Medienkommission Standards für 
mit dem Islam zu vereinbarende Darstellungen im TV festzulegen. (Vorwurf: Regierung 
beschränkt Medienfreiheit). Alternativ, so Tutakhel, hätte die IC mit Unterstützung 
gemäßigter islam. Staaten die moderate Argumentation stützen und erstmalig die 
konservative Deutung herausfordern können.

3) Der Einsatz von NGOs ist nicht immer hilfreich, weil diese erstens die Medienfreiheit 
betonen und zweitens selten unabhängig bei der Evaluation sind, was bspw. zur 
übermässigen Förderung von Printmedien führte, die in einem Land mit hohem 
Analphabetismus kaum Leser finden.

Der INEF-Bericht gibt noch weitere Empfehlungen, wie etwa die frühzeitige Installation einer 
Medienkommission, die vereinbarte verbindliche Medien-Standards überwacht oder die 
Trennung der Budgets in kurz- und langfristige Segmente. Er zeigt Parallelen zwischen 
Bosnien, Kambodscha und Afghanistan, etwa die Ziele der IC, die sich in kurzfristige Ziele 
(Informationsaustausch zwischen IC und Bevölkerung, primär wg. Wahlen) und langfristige 
Ziele (Demokratisierung, Stabilisierung, Watchdog) sowie in nationale Interessen (z.B. 
Konfliktprävention durch Kulturförderung) aufteilen lassen. Ähnlich wie in Bosnien gab es für 
den Wiederaufbau in Afghanistan kein politisches Konzept, eine unzureichende Aufteilung 
der Zuständigkeiten auf internationaler Seite, aus haushälterischen Gründen keine 
langfristige Planung und (im AA) zersplitterte und wechselnde Zuständigkeiten.

Insgesamt sollte dem Aufruf von Tutakhel gefolgt werden, das Konzept von Medienfreiheit 
fallbezogen anzuwenden und nicht einfach westliche Standards, die auf stabilen politischen 
und rechtsstaatlichen Strukturen beruhen, zu übertragen. 

Ich persönlich ziehe aus der Schrift den Schluss, dass die IC in fragilen Staaten oder 
Transitionsstaaten den zentralen, über die Medien geführten Debatten mehr Aufmerksamkeit 
widmen muss. Diese Debatten, seien es Diskussionen um Ethnie, Staat oder islamische 
Werte, verhandeln Machtpositionen und verdeutlichen die unterschiedlichen politischen und 
gesellschaftlichen Machtzentren. Die IC sollte dabei bemüht sein, die Deutungshoheit der 
moderaten Kräfte zu stärken.Das bedeutet auch, dass Medien, bzw. Medienhilfe erhebliche 
Steuerungspotentiale vorhalten, die entspr. Budgets bisher nur unzureichend wiedergeben.

Friederike Gräper


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