[fessenheim-fr] CH: jahrzehntelanger lascher Umgang mit Risiko in AKW Goesgen
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Sa Nov 29 11:57:32 CET 2025
Hallo Leute!
Hier ein aktueller Artikel - s.u. - im
Schweizer Tagesanzeiger
Laut dem Reaktorsicherheitsexperte Prof. Manfred
Mertins von der TH Brandenburg wird seit über 40
Jahren, seit der Inbetriebnahme im Jahr 1979,
im Schweizer AKW Gösgen ein lascher Umgang mit
dem Risiko gepflegt. Im Gegensatz zu anderen
Schweizer Atomkraftwerken wurden im AKW Gösgen
nie gedämpfte Rückschlagklappen eingebaut.
Ciao
Klaus
+++
https://www.tagesanzeiger.ch/akw-goesgen-seit-1979-mit-ungesicherten-kuehlwasserrohren-709718845985
Ungenügend gesicherte Kühlwasserrohre
Beim Kernkraftwerk Gösgen besteht schon seit 1979 eine Sicherheitslücke
Gösgen steht still, weil sogenannte «gedämpfte Rückschlagklappen»
eingebaut werden. Ein Experte für Reaktorsicherheit kritisiert: Der
Mangel hätte längst behoben werden müssen.
Cyrill Pinto
29.11.25 - 6:10 Uhr
In Kürze:
Seit Juli produziert das Atomkraftwerk Gösgen wegen
Sicherheitsmängeln im Speisewassersystem keinen Strom mehr.
Ein neues Gutachten kritisiert, dass die Schwachstelle seit der
Inbetriebnahme 1979 existiert.
Im Gegensatz zu anderen Schweizer AKWs hat Gösgen nie gedämpfte
Rückschlagklappen eingebaut.
Seit einem halben Jahr produziert das Atomkraftwerk Gösgen keinen Strom,
über dem Kühlturm ist keine Dampfwolke sichtbar. Die Medienstelle des
Kraftwerks veröffentlicht jeden Monat einen Bericht zum Betrieb: «Im
Berichtsmonat fand keine Stromproduktion statt», heisst es auf der
Website. Seit Juli rapportiert die Medienstelle des stillstehenden Werks
die Nicht-Produktion. Erst ab Ende Februar soll das Kraftwerk wieder
Strom ins Netz speisen. Bis dahin schreibt Gösgen Verlust: Über eine
Million Franken – pro Tag.
Auslöser des ungeplanten Stillstands ist ein Befund, den das Kraftwerk
im Juli nach seiner Jahresrevision meldete: Man habe mögliche
Überlastungen im Speisewassersystem identifiziert, die bei einem
Rohrbruch im nicht nuklearen Bereich des Kraftwerks auftreten könnten.
Dies habe man dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi)
gemeldet. Die Behörde, welche die Schweizer Kernkraftwerke
beaufsichtigt, befasste sich anschliessend ausführlich mit der
identifizierten Schwachstelle. Im September teilte sie dann mit: Die
Speisewasserleitungen müssten nachgerüstet werden. Bis dahin steht
Gösgen still.
Ein neues Gutachten stellt die Angelegenheit nun in ein deutlich
kritischeres Licht: Reaktorsicherheitsexperte Manfred Mertins von der
Technischen Hochschule Brandenburg hat im Auftrag der Schweizerischen
Energiestiftung die technischen Grundlagen analysiert. In seinem Bericht
kommt Mertins zu folgendem Schluss: Die jetzt festgestellte Problematik
sei nicht neu, sondern bestehe seit der Inbetriebnahme des Reaktors im
Jahr 1979 – und sei in vergleichbaren Kraftwerken längst behoben.
Rückschlagklappen wurden anderswo vor 30 Jahren ausgetauscht
Gösgen habe im Unterschied zu anderen Anlagen derselben Bauart nie
«gedämpfte Rückschlagklappen» eingebaut. Diese Klappen verhindern
gefährliche Druckstösse, die bei einem Bruch der Speisewasserleitung
entstehen können. Besonders im Fall von Erdbeben, bei welchen es zu
Schäden an den Wasserleitungen kommen kann und die Rückschlagklappen in
der Folge abrupt schliessen, kann es zu einem so grossen Wasserdruck
kommen, dass auch intakte Leitungen bersten können. In der Folge wäre
die Kühlung des Reaktors nicht mehr möglich.
Im Gutachten warnt der deutsche Experte deshalb vor potenziell
schwerwiegenden Folgen: «Schäden am Reaktorkern bis hin zur Kernschmelze
sind zu erwarten.» Besonders kritisch wäre eine Kombination aus
Leitungsbruch und Erdbeben – ein Szenario, das laut Mertins
«wahrscheinlich zu Kernschäden» führen würde.
Das Problem der Rückschlagklappen ist in Fachkreisen bekannt. Bei
baugleichen deutschen Anlagen wurden deshalb bereits in den 1970er- und
1980er-Jahren standardmässig gedämpfte Klappen eingebaut. In der Schweiz
wurden die beiden Reaktoren Beznau 1 und 2 1992 und 1993 damit
nachgerüstet. Im KKW Leibstadt wurden sie 1996 eingesetzt. In Gösgen
jedoch nicht.
Das Ensi begründete im September die späte Nachrüstung damit, dass erst
neue Berechnungsmethoden das Problem sichtbar gemacht hätten. Doch in
diesem Punkt widerspricht Mertins der Aufsichtsbehörde: Dass die
Schwachstelle erst jetzt entdeckt worden sei, sei «kritisch zu
hinterfragen», da entsprechende Analyseverfahren «schon lange» verfügbar
seien.
Vorgehen in Gösgen laut Atomkritikern ein «Skandal»
Bei der Energiestiftung, die das Gutachten bei Professor Mertins in
Auftrag gegeben hat, hält man die Erkenntnisse für einen «Skandal».
Offenbar sei das AKW seit seiner Inbetriebnahme mit einer potenziell
katastrophalen Schwachstelle betrieben worden. Für die atomkritische
Stiftung zeige dies, dass die Technologie «ein Spiel mit dem Feuer» sei.
Das Kernkraftwerk Gösgen weist die Darstellung zurück, wonach die nun
diskutierte Schwachstelle seit Jahrzehnten unerkannt geblieben sei.
Bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren sei der betroffene
Leitungsabschnitt zusammen mit dem Hersteller und der damaligen
Aufsichtsbehörde detailliert bewertet worden. Damals sei man zum Schluss
gekommen, dass «punktuelle Verstärkungen» beim Rohrleitungssystem
genügen würden, um die Sicherheit zu verbessern.
Auch das Ensi weist die Kritik zurück. Das Problem der ungedämpften
Rückschlagklappen sei 1998 von der Vorgängerbehörde des Ensi
thematisiert worden – Nachbesserungen seien angeordnet worden. Doch
statt auf gedämpfte Klappen habe man damals auf verstärkte Halterungen
der Rohrleitungen gesetzt. 2003 sei diese Massnahme als ausreichend
beurteilt und die Pendenz abgeschlossen worden. Neue Erkenntnisse
erlangte das KKW Gösgen im Rahmen eines Änderungsvorhabens im
Speisewassersystem. Laut Ensi wurden neue Verfahren eingesetzt, welche
gleichzeitig die sogenannten fluid- und strukturmechanischen Phänomene
berechnen können – dies dank grösserer Computer-Rechenkapazität.
Auch mit der Frage nach möglichen Folgen von Erdbeben hat sich das Ensi
befasst: Dass ein zufälliger Rohrbruch mit einem Erdbeben zusammenfalle,
sei «extrem unwahrscheinlich».
FDP-Energiepolitiker Christian Wasserfallen, der sich für einen
AKW-Neubau einsetzt, sagt mit Blick auf das Gutachten: Sicherheit habe
bei Kernkraftwerken «oberste Priorität». Das Ensi habe die Aufgabe,
diese zu überwachen und einzufordern. Bei Sicherheitsbedenken würden
sofort Investitionen getätigt, wie das jetzt auch in Gösgen getan werde.
«Erst danach kann der Betrieb wieder aufgenommen werden – daran gibt es
nichts zu rütteln», sagt Wasserfallen.
Bis Gösgen wieder dampft, wird es noch dauern
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer dagegen ist besorgt. Für sie zeige der
Fall, dass Sicherheitsprobleme bei Atomkraftwerken häufig kleingeredet
würden. Die nun öffentlich gewordene Schwachstelle sei ein Hinweis
darauf, dass Risiken «real und dauerhaft» seien – auch wenn sie in der
politischen Diskussion um die Aufhebung des Bauverbots für AKWs derzeit
wieder relativiert würden. Meyers Position: «Atomkraft bringt erhebliche
Sicherheitsprobleme für die Bevölkerung – wir müssen stattdessen endlich
die Erneuerbaren ausbauen.»
Bis über dem Werk in Gösgen wieder Dampf aufsteigt, wird es noch etwas
dauern. Aktuell werden die starren Klappen durch gedämpfte Ventile
ersetzt. Aus Sicht des Kernkraftwerks wäre der Bruch einer
Speisewasserleitung «jederzeit beherrschbar» gewesen, wie ein Sprecher
mitteilte.
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