[fessenheim-fr] Blockade der Energie-Wende durch Ampel-Regierung
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Mi Mär 1 11:06:50 CET 2023
Hallo Leute!
Hier ein interessanter Artikel aus 'telepolis'
(der allerdings in Nebenaspekten einige Fehler
enthält ..."Sektorkopplung"), aber anhand
schlichter Arithmetik aufzeigt, daß die jetzt
von Scholz und Habeck verkündeten Ziele zur
"Förderung" der Windenergie de facto auf
eine weitere Blockade der Energie-Wende durch
die Ampel-Regierung hinauslaufen.
Der inszenierte Show-Streit zwischen Scholz/Habeck
auf der einen Seite und der FDP und einer Medien-
Kampagne gegen Windenergie auf der anderen Seite
soll lediglich davon ablenken, daß Scholz/Habeck
eben gerade *nicht* das tun, was sie versprechen.
Sie exekutieren de facto (so wie Kretschmann in
Ba-Wü seit 2011) exakt das, was die GegnerInnen
der Energie-Wende fordern!
Ciao
Klaus Schramm
+++
Von wegen Windrad-Wahn
01. März 2023
David Goeßmann
Mehrere Windräder pro Tag will Kanzler Scholz bis 2030 bauen lassen. Die
FDP spricht von Luxus-"Geisterstrom". Doch was als generalstabsmäßige
Energiewende gepriesen wird, ist tatsächlich eine fatale Windbeutelei.
Ein Kommentar.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor einiger Zeit verkündet, dass die
Bundesregierung bis 2030 plant, pro Tag vier bis fünf neue Windräder an
Land aufzustellen.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien scheint damit endlich zur Chefsache
vom "Klimakanzler" gemacht worden zu sein. Nach einem Jahr, in dem sich
die Ampelregierung fast ausschließlich auf neue LNG-Terminals und
Frackinggas aus den USA, Diversifikation der Erdgasimporteure (aus
Afrika und autoritären Golfstaaten), den Weiterbetrieb von
Kohlekraftwerken und das Abbaggern des Weilers Lützerath im
Rheinländischen Kohlerevier durch RWE konzentrierte, könnte nun die
Stunde der Energiewende gekommen sein.
Auch Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) geht in
die Offensive. Er kündet staatliche Hilfen für die Solar- und
Windindustrie an, um die Wende industriepolitisch zu unterstützen – auch
in Hinsicht auf das Subventionsprogramm in den USA, den sogenannten
Inflation Reduction Act, mit dem u.a. grüne Technologien gefördert
werden sollen.
Deutlich über 1.000 Windräder sollen also pro Jahr errichtet werden, das
klingt viel. Im letzten Jahr wurden zum Beispiel nur 551 Anlagen mit 2,4
Gigawatt Leistung gebaut.
Die Bildzeitung spricht von der "Hammer-Zahl vom Kanzler". "10.000 neue
Windkraftanlagen" werde die Regierung damit bis 2030 "ins Land
pflanzen". Habeck würde dabei "per Notverordnung Artenschutz und
Bürgerbeteiligung" schleifen. Gegenwind komme aus der FDP: "einseitig,
unausgegoren und teuer" heißt es von Bundes-Vize Wolfgang Kubicki.
Lassen wir an dieser Stelle einmal die "Argumente" (sündteurer
"Geisterstrom") beiseite, die gegen den Windrad-Ausbau wie in der
Vergangenheit, ohne Einordnung und Diskussion, angeführt werden. Wir
haben an anderer Stelle deren Substanz oder besser Substanzlosigkeit
genauer unter die Lupe genommen.
Doch auch diejenigen, die angesichts der Scholz-Ankündigung nicht
reflexartig in Stimmungsmache gegen Windräder verfallen, übersehen, dass
der Plan der Ampelregierung einen großen Haken hat: Er reicht hinten und
vorn nicht.
Das lässt sich mittels einfacher Rechenoperationen herausfinden. Wenn
fünf Windräder an Land mit einer durchschnittlichen Leistung von fünf
Megawatt jeden Tag gebaut werden, dann summiert sich das auf neun
Gigawatt (GW), die jährlich hinzukommen. Für den Zeitraum einschließlich
2030 kommt man am Ende auf 72 Gigawatt an Zubau.
Heute produzieren 28.000 Windräder onshore bereits eine Gesamtleistung
von rund 58 Gigawatt. Man käme also insgesamt auf 130 Gigawatt Ende
2030. Die Bundesregierung peilt offiziell 115 Gigawatt an.
Reicht das aber?
Nehmen wir das Klimaziel der Bundesregierung selbst. Bis 2030 will man
80 Prozent des Bruttostroms aus erneuerbaren Quellen abdecken. Von den
dafür offiziell angesetzten 715 Terrawattstunden (TWh) müssten also 572
TWh vor allem durch Wind und Solar erzeugt werden.
Dafür veranschlagt die Regierung eine installierte Leistung für
Photovoltaik von 200 GW (oder GW-Peak, was die genormte Leistung im
Bereich Erneuerbarer bezeichnet) und für die Windkraft (onshore/offshore
zusammen genommen) von 140 GW.
Allein ein Blick auf den gesamten Energiebedarf macht klar, dass damit
nicht die notwendige Energiewende vollzogen werden kann. Innerhalb von
zwei Jahrzehnten hat Deutschland 13 Prozent seines Energiebedarfs auf
Wind und Sonne umgestellt. Der Windkraft-Ausbauplan der Regierung
zusammen mit den anvisierten Zuwächsen in der Photovoltaik bedeutet,
dass wir in neun Jahren bei 30 Prozent liegen. 70 Prozent werden selbst
dann weiter fossil generiert.
Wie passt das mit den 80 Prozent aus Erneuerbaren zusammen? Antwort: Der
angenommene Bruttostrombedarf von 715 TWh ist viel zu niedrig angesetzt.
Denn er schließt die notwendige Elektrifizierung der bisher fossil
versorgten Sektoren nicht ein. Elektroautos, Wärmepumpen,
elektrifizierte Industrieprozesse oder grüner Wasserstoff, der auch als
Stromspeicher dienen wird, werden in Zukunft benötigt und zugleich den
Strombedarf stark in die Höhe treiben.
Es wird voraussichtlich rund die dreifache Menge elektrische Energie
benötigt werden, um unseren Endenergiebedarf über alle Sektoren hinweg
nicht-fossil zu decken. Der Solarenergieförderverein errechnet, dass man
diese Menge durch 510 GW Windkraft (onshore und offshore) zusammen mit
650 GW Photovoltaik erzielen kann.
Es handelt sich also um ein Vielfaches der von der Bundesregierung
angesetzten Strommenge. Wir brauchen also eher rund 15 bis 20 Windräder
pro Tag, nicht vier bis fünf. Dazu eine Solarrevolution.
Rechnen geht vor Schwadronieren
Hinzu kommt, dass 80 Prozent des Bruttostroms bis 2030 für ein
1,5-Grad-Celsius-Ziel nicht reichen wird. Daher fordern Zusammenschlüsse
wie der Runde Tisch Erneuerbare Energien, in dem zahlreiche
Organisationen und Initiativen mit insgesamt rund einer halben Million
Mitglieder:innen vertreten sind, 100 Prozent Erneuerbare bis 2030.
Angesichts des unzureichenden Ausbautempos in Deutschland mahnt der
Runde Tisch in einem aktuellen Aufruf – mit Bezug auf eine
EU-Notstandsverordnung vom letzten Jahr, die den Rahmen für eine
beschleunigte Energiewende setzt – eine Entfesselung der Windenergie an.
Gefordert werden:
Ausnahmeregelungen für die unbürokratische Genehmigung,
Streichung der Deckelung von Windenergieleistungen durch
Ausschreibungsverfahren,
Fristverkürzungen,
Abschaffung von bremsenden Regelungen wie pauschale Abstandsvorgaben,
typenoffene Baugenehmigungen,
stärkere Beteiligung der Kommunen an den Einnahmen von
Windenergieprojekten und
Vereinfachung der Direktbelieferung von Anwohner:innen.
97 Organisation und 33 Unternehmen haben sich den Forderungen des Runden
Tischs angeschlossen.
Doch anstatt, dass Politiker und Medien in Deutschland von der
Bundesregierung angesichts ihres unzulänglichen Plans verlangen,
schnellstens obendrauf zu satteln – und zwar massiv, gemäß dem Pariser
Klimavertrag und den Alarmmeldungen aus aller Welt, die Erdtemperatur
nicht über 1,5 bis zwei Grad zu erhöhen, was schon in diesem Jahrzehnt
geschehen könnte –, wird die Ankündigung von Scholz als Großtat
präsentiert, während einige, darunter der Koalitionspartner FDP, den
Plan als teures "Geisterstrom"-Projekt diffamieren.
All das findet statt vor dem Hintergrund einer anhaltenden Debatte über
einen vermeintlichen "Windrad-Wahn". Nicht nur versprengte
Bürgerinitiativen vor Ort, die zum Teil mit parteipolitischer
Unterstützung agieren und nicht selten ein großes Forum in der
Öffentlichkeit erhalten, machen mobil. Auch einige Umweltgruppen, Medien
und Meinungsmacher befeuern weiter mit Windkraft-Mythen Stimmungsmache
gegen Erneuerbare.
So warnte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Ende 2019: "Bis hierher und
nicht weiter!" und bangte darum, dass Windräder die "Bewohner in den
Wahn" treiben werden. Der Deutschland-Kurier titelt Mitte letzten
Jahres: "'Nicht mehr unser Land': Habecks Windrad-Wahn zerstört
Deutschland!". Die Welt hatte schon vor Jahren den Ton gesetzt:
"Deutsche kämpfen gegen den Windrad-Wahn".
Aber eigentlich war es der Spiegel, der die Kampagne gegen Windräder
massenmedial ins Rollen brachte. Das war 2004 mit dem Aufmacher "Der
Windmühlenwahn: Vom Traum umweltfreundlicher Energie zur hoch
subventionierten Landschaftszerstörung".
Der damalige Chefredakteur Stefan Aust hatte dafür eine Reihe von
Autoren in die Spur geschickt, um die Energiewende zu diskreditieren. In
der Titelgeschichte "Die große Luftnummer" heißt es damals:
Quer durch die Republik wächst der Widerstand gegen die
Verspargelung der Landschaft durch immer mehr Windräder. Ökonomisch
macht ein weiterer Ausbau wenig Sinn: Er würde Milliarden an
Fördergeldern verschlingen, der Nutzen für die Umwelt wäre gering.
Es werden im Text ausschließlich Windkraftgegner zitiert. Einer von
ihnen bezeichnet den Bau von Windrädern als die "schlimmsten
Verheerungen seit dem Dreißigjährigen Krieg". Zugleich werden die
Potenziale der Windenergie als gering heruntergespielt und die
außerordentlichen, wenn auch oft versteckten Kosten von fossilen
Energien, ganz zu schweigen von den Klima-, Gesundheits- und
Umweltfolgen, ausgeblendet.
Aus heutiger Sicht sind solche Titel in renommierten Zeitschriften zum
journalistischen Fremdschämen. Leider geht es heute, wenn auch nicht
mehr so tolldreist wie damals, weiter.
"Wie die Windbranche ihr Schrottproblem lösen will" (Manager
Magazin, 7.12.2021)
"Naturschutz gegen Klimaschutz: Die Schattenseiten der Windenergie"
(GEOlino, 2018)
"Windkraft im Kreuzfeuer der Kritik" (Süddeutsche Zeitung, 2.2.2022)
"Windkraft in der Kritik: Klimaheilmittel und Krankmacher"
(Deutschlandfunk Kultur, 19.4.2018)
"Sind Windräder und Artenschutz vereinbar?" (ARD Alpha, 27.10.2022)
Natürlich haben Windräder einen industriellen Fußabdruck. Aber warum
schießt man sich mit Halbwahrheiten, Verdrehungen und Auslassungen
derart auf sie ein?
Windräder sind auch nicht der Untergang der jungfräulichen
abendländischen Landschaft und Ruhe. Sie werden Kohlekraftwerke,
Pipelines, Verbrennungsmotoren, Kohletagebauen usw. zum Verschwinden
bringen. Wer Windräder nicht haben will, sollte sagen, wo er den Strom
in Zukunft herbekommen möchte.
Im Kern ist es doch so: Windräder sind Teil der Weltrettung, fossile
Infrastrukturen führen ins Verderben. Ansonsten gilt: Dort, wo
berechtigte Sorgen vorgebracht werden, sollten sie ernst genommen und in
die Planungen von Windrädern einbezogen werden.
Vor allem sollten wir endlich beginnen zu rechnen: Das, was Scholz und
Habeck anbieten, ist meilenweit von dem entfernt, was wir tatsächlich in
den nächsten Jahren brauchen.
Es steht uns natürlich frei, das weiter zu ignorieren. Es wäre ein
historisches, wenn nicht planetares Versagen.
https://www.telepolis.de/features/Von-wegen-Windrad-Wahn-7530899.html?seite=all
+++
Mehr Informationen über die Mailingliste fessenheim-fr