[fessenheim-fr] "Super-GAU fuer das Klima" - Artikel der 'zeit'
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Di Jan 4 06:14:45 CET 2022
Hallo Leute!
"EU-Taxonomie: Ein Supergau für das Klima" ist ein
Artikel von Annika Joeres in der 'zeit' vom 2.01.22
betitelt. s.u.
Der zentrale Punkt fehlt allerdings:
Es geht bei der EU-Taxonomie darum, 45 - 50 Mrd.
Euro für den Weiterbetrieb der maroden französischen
AKW zu beschaffen.
Und:
a)
Dieses Geld wird beim Ausbau der erneuerbaren Energien
fehlen.
b)
Der Weiterbetrieb der AKW blockiert auch physikalisch
den Ausbau der erneuerbaren Energien in Frankreich.
Dazu enthält der Artikel von Annika Joeres einige
kleinere Fehler. Aber er ist das beste, was in den
vergangenen Tagen in den Mainstream-Medien zu diesem
Thema erschien. Und er wirft ein Licht auf die miese
Rolle der alten *und* der neuen dt. Bundesregierung.
Ciao
Klaus Schramm
EU-Taxonomie: Ein Supergau für das Klima
Atomstrom und Erdgas sollen laut EU-Taxonomie als grüne Energien gelten.
Dafür hat auch Deutschland gesorgt. Das wird Auswirkungen auf den
europäischen Green Deal haben.
Eine Analyse von Annika Joeres
2. Januar 2022, 20:08 Uhr
Vor 30 Jahren wäre es ein wegweisendes Gesetz gewesen. Doch aus heutiger
Perspektive sind die am Silvesterabend vorgestellten Regeln für
nachhaltige Investitionen in Europa ein Rückschritt: Demnach werden
sowohl Erdgas als auch Atomkraft als grüne Energien für den Übergang
gekennzeichnet – sie werden also als nahezu ebenso zukunftsträchtig
eingeschätzt wie Sonnen- und Windkraft. Wie konnten es das
klimaschädliche Erdgas und die unsichere Atomkraft in das grüne Label
der sogenannten Taxonomie schaffen?
Der EU-Abgeordnete Pascal Canfin von Macrons Partei En Marche bringt es
ZEIT ONLINE gegenüber auf den Punkt: "Deutschland hat von Anfang an für
Gas in der Taxonomie gekämpft, Frankreich für Atomstrom – und Polen für
beides." Canfin begrüßt den aktuellen Vorschlag. Die Kommission sei
verpflichtet, einen Kompromiss zu finden, sonst seien künftige
Verhandlungen etwa um den Brüsseler Green Deal, ein Gesetzespaket zur
Klimapolitik, in Gefahr.
Dabei sollte die Taxonomie eigentlich ein Startschuss sein für ein
klimaneutrales Europa bis 2050. Ihre Regeln sollten Vorbild für
weltweite grüne Finanzen sein, sie sollten Banken und Investoren
animieren, ihre Milliarden künftig nachhaltig anzulegen – also so, dass
sie künftigen Generationen nicht schaden. Dies ist misslungen. Sowohl
Erdgas als auch Atomkraft vererben zwei schwerwiegende Probleme an
künftige Generationen: Erdgas emittiert ein Vielfaches an CO2 verglichen
mit erneuerbaren Energien und Atomkraft hinterlässt neben anderen
Problemen giftigen Atommüll. Deutschland sucht für diesen noch immer
vergeblich ein Endlager und Frankreichs Endlager im
nordwestfranzösischen Bure kann nur wenige Prozent der atomaren Abfälle
einlagern. Insgesamt muss Frankreich Platz für 1,7 Millionen Kubikmeter
Atommüll finden, das entspricht rund 450 olympischen Schwimmbecken.
Zudem haben die altersmüden Meiler im Nachbarland akute
Sicherheitsprobleme: Zurzeit musste ein Drittel der französischen
Atomkraftwerke abgeschaltet werden, weil die Brennstäbe neuerlich
verstandene Sicherheitsrisiken bergen. Nun müssen andere Meiler
hochgefahren werden, deren Revision jedoch noch nicht abgeschlossen ist,
wie die Pariser Umweltministerin Barbara Pompili kürzlich einräumte.
In Deutschland wollen alle Regierungsparteien die Atomkraft beenden –
allerdings haben sie zugleich den Ausbau von Erdgaskraftwerken
beschlossen. Am Sonntag sagte ein Sprecher der Regierung, Erdgas sei
"eine wichtige Brückentechnologie" auf dem Weg zur
Treibhausgasneutralität. Die Bundesregierung muss nun einen schwierigen
Spagat vollziehen: Öffentlich spricht sie sich gegen die Kategorisierung
von Atomkraft als grüne Energie aus, bei den EU-Verhandlungen des
vergangenen Jahres stimmte Deutschland dem Deal – Erdgas gegen Atomkraft
– aber zu. Denn allen Beteuerungen zum Trotz war die alte
Bundesregierung federführend in den Verhandlungen dank ihrer
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dank ihres traditionell
großen Einflusses in Brüssel. Auch der damalige Finanzminister und
heutige Bundeskanzler Olaf Scholz war an dem Deal beteiligt, gegen den
sich sein neuer grüner Koalitionspartner auflehnt.
Für die Grünen ist die Taxonomie der atomare Ernstfall. Geboren als
Antiatompartei, gewählt als Klimapartei, können sie öffentlich weder
klimaschädliches Gas noch nukleare Energie gutheißen. Dem Vorschlag
könne er so "nicht zustimmen", sagte deshalb auch Klimaminister Robert
Habeck. Das klingt allerdings eher nach einer Enthaltung, nicht nach
einer Ablehnung im Rat der Mitgliedstaaten, der voraussichtlich Ende
Januar dazu tagt.
So zielen die Berliner Abgeordneten der Grünen mit ihrer Kritik alleine
gegen Atomkraft und schweigen zum Erdgas. Sie überlassen die Klage über
die fossile Energie Erdgas ihren Brüsseler Kollegen. "Investitionen in
fossiles Erdgas sollen bis 2030 als nachhaltig gelten. Damit verschenken
wir acht Jahre, in denen das Geld viel dringender für die erneuerbaren
Energien gebraucht würde", sagt die grüne Abgeordnete Jutta Paulus. Ihr
Kollege Michael Bloss hat eine Petition gegen die Aufnahme von Atomkraft
und Erdgas in der Taxonomie gestartet.
Österreich will gegen das Gesetz klagen
Noch weiter gehen die österreichischen Grünen. Ihre Umweltministerin
Leonore Gewessler kündigte an, gegen die Bezeichnung von Atomkraft als
"grüne Energie" klagen zu wollen. Der Klage liegt ein Rechtsgutachten
der deutschen Kanzlei Redeker Sellner Dahs zugrunde. Das ZEIT ONLINE
vorliegende Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Kernkraft nicht den
Nachhaltigkeitskriterien der EU entspricht. Ein Grund sei der für die
Atomenergie notwendige Abbau von Uran, der außerhalb der EU stattfinde
und nicht den EU-Normen entspreche. Auch das "empirisch nachgewiesene
Risiko schwerer Unfälle in Kernkraftwerken" und ihre schwerwiegenden
Folgen für die menschliche Gesundheit widerspreche den Umweltzielen.
"Jeder Rechtsakt, der die Kernenergie in die Taxonomie-Verordnung
miteinbezieht, ist demnach vor den EU-Gerichten anfechtbar", lautet das
Fazit des Gutachtens.
Dass überhaupt die beiden bevölkerungsreichsten Länder der EU,
Deutschland und Frankreich, noch auf Erdgas und Atomkraft angewiesen
sind, ist eine Folge von jahrzehntelangem politischem Versagen.
Deutschland hat zu lange auf Kohlekraft gesetzt und zu wenig dafür
getan, den Verbrauch zu drosseln, sodass nun tatsächlich noch für wenige
Jahre mehr Gas genutzt werden muss. Und Frankreich hat die Energiewende
erst gar nicht eingeleitet – noch immer produziert das Land rund 75
Prozent seines Stroms mit Atomkraft, ein weltweiter Rekord.
Mit den nun vorgelegten EU-Kriterien kann der Übergang von Gas- und
Atomstrom hin zu einer Versorgung aus erneuerbaren Energien allerdings
Jahrzehnte dauern. Um neue Atomkraftwerke fördern zu lassen und alte zu
reparieren, muss ein Land zwar einen konkreten Plan für den Betrieb
eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle vorlegen – allerdings
"spätestens bis 2050". Bis dahin muss also das Endlager nicht einmal
befüllt sein, nein, allein der Plan eines Endlagers reicht schon aus.
Ebenso schwammig sind die Vorgaben für Erdgas: Im Entwurf steht, die
jetzige Gasinfrastruktur müsse bis 2035 auf "Niedrigemissionsgase"
umstellen. Das kann bestenfalls Wasserstoff aus erneuerbaren Energien
sein, aber genauso gut fallen darunter laut EU-Definition auch
umstrittene Biogase, die etwa durch Mais-Monokulturen gewonnen werden.
"Erdgas und Atomenergie haben in der EU-Taxonomie nichts zu suchen",
sagt Constantin Zerger, Energieexperte bei der Deutschen Umwelthilfe.
Stattdessen müssten die Mitgliedsländer gesetzlich regeln, dass
Gasprojekte als Notnagel nur eine begrenzte Zeit laufen dürfen und
Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen, wie es zurzeit in Deutschland
passiert. "Klimaschädlichen Energien ein grünes Image zu verschaffen,
schadet der gesamten Klimapolitik auf Jahrzehnte", sagt Zerger. Die
Kriterien für neue Gaskraftwerke seien so schwammig, dass sie noch
länger als bis 2035 mit klimaschädlichen Gasen laufen könnten. "Das
bringt unsere europäischen Klimaziele bis 2050 schon jetzt in Gefahr",
meint Zerger.
Tatsächlich entscheidet der Streit um das Finanzmarkt-Label auch
darüber, wie die Energiewende in den nächsten Jahrzehnten aussieht.
Werden Atomkraft und Erdgas akzeptierter Bestandteil der ökologischen
Transformation, dann schlägt sich das auch auf den gesamten europäischen
Green Deal nieder. Dieser wird in den kommenden zwei Jahren verhandelt,
um bis 2050 alle 27 Volkswirtschaften klimaneutral umzubauen – bis dahin
müssen alle Emissionen vermieden oder aus der Atmosphäre zurückgeholt
werden. So aber schließt die EU faktisch nur Öl und Kohle davon aus,
grün finanziert zu werden. Energien also, in die viele Banken und
Institutionen ohnehin nicht mehr investieren wollen.
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