[fessenheim-fr] Die Ampelkoalition gibt der atomaren Bewaffnung eine Zukunft.

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
Do Dez 16 00:04:22 CET 2021


https://taz.de/Die-Ampel-und-nukleare-Teilhabe/!5819189/

15.12.2021

Die Ampel und nukleare Teilhabe: Kein Wintermärchen

Die Ampelkoalition gibt der atomaren Bewaffnung eine Zukunft. Robert 
Jungk, Petra Kelly und Heinrich Böll wälzen sich in ihren Gräbern.
Ein aus Steinchen gelegtes Peace-Zeichen am Boden zwischen Männern in 
Uniform, ein LKW fährt auf sie zu

Mutlangen 1983: mit Peace-Zeichen gegen den NATO-Doppelbeschluss und 
Atomraketen Foto: Thomas Pflaum/Bildarchiv Visum

Teilhabe klingt gut, demokratisch-ökologisch. Und atomare Teilhabe? 
Share a nuke! Hey, es braucht doch nicht jeder seine eigene Bombe. Wenn 
es denn nur so amüsant wäre.

Erstaunlich geräuschlos hat sich die Ampelkoalition darauf verständigt, 
für die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen neue Kampfflugzeuge 
anzuschaffen. Das heißt im Klartext: Diese Regierung gibt der Atombombe 
eine Zukunft. Denn Teilhabe bedeutet: Beim Luftwaffengeschwader in 
Büchel, Rheinland-Pfalz, liegen zwei Dutzend Bomben mit einer 
Zerstörungskraft, die als x-faches Hiroshima berechnet wird, und sie 
werden von deutschen Piloten im Kriegsfall Richtung Osten zum Einsatz 
gebracht. Bisher standen dafür Tornados bereit, die als veraltet gelten. 
Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die anachronistische Bewaffnung 
abzuschaffen, werden nun 45 extrem teure neue Jets gekauft, vermutlich 
in den USA.
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Ich finde das gravierend, in mehr als einer Hinsicht. Und ich hätte 
erwartet, an der Basis von Grünen und Sozialdemokratie würde sich 
wenigstens ein Fünkchen Empörung zeigen. Immerhin wird im 
Grünen-Grundsatzprogramm von 2020 – nach damals heftiger Debatte – „ein 
zügiges Ende der nuklearen Teilhabe“ verlangt, und einige 
SPD-Spitzenpolitiker hatten noch im Wahlkampf den Abzug aller A-Waffen 
gefordert. Dies ist sozusagen die ästhetische Seite der Angelegenheit, 
der Beschiss an den Wähler:innen. Nun zum Inhalt und zur Zeitgeschichte.

Die ersten US-Nuklearwaffen kamen 1955 in die Bundesrepublik. Damals 
entstand die Anti-Atomtod-Bewegung, die älteste zivilgesellschaftliche 
Strömung für eine bessere Welt, die Mutter von vielem, was folgte. Ohne 
Namen wie Günther Anders (Jg. 1902) und Robert Jungk (Jg. 1913) wäre 
Petra Kelly (Jg. 1947) schwer denkbar gewesen, ohne Kelly nicht die 
heutigen Grünen. Deren parteinahe Stiftung ist nach Heinrich Böll 
benannt; bereits von Krankheit gezeichnet, ließ sich der 
Nobelpreisträger die Teilnahme an der Sitzblockade eines 
Raketenstandorts nicht nehmen.

Ich erwähne diese Überlieferungskette nicht nur, weil sie illustriert, 
wie weit sich heutige Prot­ago­nis­t:in­nen von jenem Geist entfernt 
haben, ohne den sie kaum auf die große Bühne gelangt wären. Sondern es 
scheint mir auch interessant, welche philosophischen Veränderungen damit 
verbunden sind. Aus der einstigen Infragestellung eines 
industriell-materialistischen Fortschrittsbegriffs wurde allmählich der 
Glaube an die technologische Machbarkeit der Quadratur des Kreises.

So wird es der Gesellschaft jedenfalls verkauft: Mit schlauen Konzepten 
ist alles vereinbar, Wohlstand und Klimaretten, Bleifuß und 
Verkehrswende, Pharmaprofite und Weltgesundheit. Kein Bruch, kein 
Konflikt, kein Zusammenstoß mit mächtigen Interessen. Keine 
Entscheidungen, zu denen die Allgemeinheit vielleicht in großen Debatten 
kommen müsste. Und bloß nicht das Wort Verzicht fallen lassen.

Unter der verbalen Abdeckfolie „Klimaschutz“ lassen sich sogar 
nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen

In diesem Konzept der Vereinbarkeit des Unvereinbaren ist die Vokabel 
Klimaschutz zu einer Art Abdeckfolie geworden, unter der sich alles 
Mögliche verstauen lässt, während ständig der Eindruck erzeugt wird, 
hier werde gerade die Menschheit gerettet. Da lassen sich dann sogar 
nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen – als wären Militär und 
Rüstungsproduktion nicht Klimakiller ersten Ranges. Und eine 
Außenpolitik, die sich auf Klimaschutz, Werte, gar Feminismus beruft, 
passt nun irritierend gut in den Nato-Kurs gegen China und Russland.

Ein gewisser Antimilitarismus gehört zu dem wenigen, was sich von zwei 
verlorenen Weltkriegen im deutschen Massenbewusstsein niedergeschlagen 
hat. Umfragen zeigen kontinuierlich, wie viele mit dem antirussischen 
Kurs der Nato nicht einverstanden sind; dennoch hat friedenspolitisches 
Denken kaum eine Öffentlichkeit jenseits von Youtube-Kanälen, wo es in 
die unappetitliche Nähe zum „Querdenker“-Milieu gerückt werden kann. 
Aber es hat nichts mit rechtem Putin-Verstehertum zu tun, von einer 
Fortschrittskoalition zu erwarten, dass sie sich für eine europäische 
Friedensordnung einsetzt, die Russland einbezieht.

Gerade weil der Fortschrittsbegriff dieser Regierung wenig Substanz hat, 
muss das Ganze zu einem Projekt stilisiert werden, das gleichsam über 
sich selbst hinausweist. Eine SPD, die mit einem Viertel der 
Wählerstimmen und mit nur einem Prozentpunkt Vorsprung gegenüber der 
Union den Kanzler stellt, ruft nun ein sozialdemokratisches Jahrzehnt 
aus. Als wäre sie nicht mehr die identitätslose Schwurbelpartei von vor 
vier Monaten.

Eine Äußerung von Olaf Scholz klingt mir besonders im Ohr. „Wenn wir es 
nicht machen, wer soll es dann von uns lernen?“ Welch Selbstüberhöhung. 
Die Ampel ist eine Weltlaterne, hell erscheint sie über dem Globus, und 
alle Gesichter werden sich ihrem Glanze zuwenden: Seht nur, die Deutschen!

Sie werden „Europa zu einem Kontinent des nachhaltigen Fortschritts 
machen“ (O-Ton Koalitionsvertrag), und durch „europäische Standards 
setzen wir Maßstäbe für globale Regelwerke“. Wenn alle Welt in der 
Flüchtlingspolitik das EU-Regelwerk zum Maßstab nehmen würde, dann 
stünde der Planet in Flammen. An der polnisch-belarussischen Grenze 
standen 0,005 Prozent der derzeit global Flüchtenden, und Babys mussten 
erfrieren. Ich hoffe inständig, dass die Toleranz südlicherer Länder ein 
Maßstab werde.

Was haben wir sonst noch im Repertoire für das Scholz'sche Diktum, dass 
andere von uns den Fortschritt lernen? Faschistoide Fackelmärsche, 
vergraulte Pflegekräfte, Wahnreden, in denen Ungeimpfte mit armenischen 
Völkermordopfern verglichen werden, aggressives Gemäkel, während wir im 
Impfstoff schwimmen, den andere nicht bekommen dürfen. Kein 
Wintermärchen gerade, dieses Deutschland. Aber an unserer Ampel wird die 
Welt genesen.


Charlotte Wiedemann








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