[fessenheim-fr] "Die Chance wurde vertan" - Interview mit Ulrike Laubenthal

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
So Feb 7 05:51:34 CET 2021


Hallo Leute!

Ulrike Laubenthal hat auch schon in Freiburg
(vor 20 Jahren, von uns organisiert) Trainings
in gewaltfreier Aktion durchgeführt. Hier ein
Interview, in dem sie über ihre Erfahrungen bei
der "neuen Endlagersuche" berichtet.

Ciao
    Klaus Schramm


Atommüllexpertin zu Bürgerbeteiligung: „Die Chance wurde vertan“

Ulrike Laubenthal war in der Vorbereitungsgruppe für den ersten Termin 
der Fachkonferenz Teilgebiete. Mit scharfer Kritik hat sie das Gremium 
verlassen.

taz: Frau Laubenthal, warum finden Sie ein Beteiligungsverfahren 
grundsätzlich wichtig?

Ulrike Laubenthal: Damit wir wirklich den bestmöglichen Standort finden. 
Dazu brauchen wir ein Verfahren, in dem viele Menschen mitdenken, Wissen 
und Erfahrung einbringen, Fehler suchen. Ein transparentes Verfahren, 
bei dem wir ausschließen können, dass nach politischer Macht statt nach 
geologischen Kriterien entschieden wird. Und ein gerechtes Verfahren, 
damit die, die es am Ende trifft, die Entscheidung auch akzeptieren 
können. Wir haben in Gorleben erlebt, wie es sich anfühlt, wenn der 
Staat einen Standort gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen will. 
So darf es nicht noch einmal laufen.

Die Auftaktveranstaltung zur Beteiligungskonferenz im Oktober hat viel 
Unmut hervorgerufen.

Ich würde es schärfer formulieren: Die Chance, eine gute Grundlage für 
die Fachkonferenz zu schaffen, wurde vertan. Am schwersten wiegt meiner 
Meinung nach, dass laut Ankündigung nur informiert und diskutiert, aber 
nichts entschieden werden sollte. Viele hatten sich deshalb gar nicht 
angemeldet, sondern die Veranstaltung auf Youtube verfolgt. Plötzlich 
sollte eine Arbeitsgruppe für die Vorbereitung des ersten 
Beratungstermins gewählt werden. Organisationen und Kommunen hatten 
keine Zeit, sich zu überlegen, wer kandidieren soll. Wegen technischer 
Schwierigkeiten konnten manche nicht kandidieren, andere nicht 
abstimmen. Wer über Youtube teilnahm, konnte beides nicht.

Sie haben trotzdem kandidiert.

Ich war im Zwiespalt und habe mich dafür entschieden, die Chance zu 
nutzen und konsensorientierte, basisdemokratische Verfahren 
einzubringen. Atommüll ist Gegenstand eines tiefen, alten 
gesellschaftlichen Konflikts. Ein Verfahren, das zu einem breiten 
gesellschaftlichen Konsens führen soll, wie von allen Seiten immer 
wieder betont wird, muss meiner Erfahrung nach von Anfang an 
konsensorientiert sein. Ich habe das bei meiner Kandidatur eingebracht 
und nehme an, dass ich deshalb gewählt wurde.

Warum sind Sie damit gescheitert?

Es war nur eine Minderheit in der Gruppe, die so arbeiten wollte. Es 
herrschte ein enormer Zeitdruck. Letztlich hat sich die Mehrheit für die 
Moderation durch den vom BASE beauftragten Dienstleister IKU entschieden 
und damit für einen Arbeitsstil, bei dem Konflikte, 
Meinungsverschiedenheiten, Ungeklärtes per Abstimmung abgehandelt wird. 
Es wäre ein außerordentlicher Glücksfall gewesen, wenn sich unter diesen 
Bedingungen Leute zusammengefunden hätten, die die Sache noch in 
Richtung echter Partizipation bewegen.

Was meinen Sie mit echter Partizipation?

Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Interessierten auf 
Augenhöhe, ein Format, in dem konstruktive Auseinandersetzungen Raum 
haben. In einem partizipativen Prozess darf man die Ziele nicht von oben 
festlegen. Viele Beteiligte wünschen sich zum Beispiel, dass die 
Fachkonferenz die Selbst­organisation der Betroffenen stärkt.

Laut Gesetz ist das Ziel der Fachkonferenz die Erörterung des 
Zwischenberichts Teilgebiete.

Dies ist meines Erachtens eine Verwechslung zwischen Ziel und Inhalt. 
Die Erörterung des Zwischenberichts ist nach dem Gesetz der Inhalt der 
Konferenz, nicht das Ziel

Dies ist meines Erachtens eine Verwechslung zwischen Ziel und Inhalt. 
Die Erörterung des Zwischenberichts ist nach dem Gesetz der Inhalt der 
Konferenz, nicht das Ziel. Meiner Lesart nach lassen sich die Ziele so 
zusammenfassen: die Förderung einer standortübergreifenden Sichtweise, 
der Aufbau eines Erfahrungs- und Wissensstandes bei den Betroffenen, die 
Schaffung von guten Grundlagen für den weiteren Prozess. Was gute 
Grundlagen sind, kann nicht das BASE festlegen, das können nur die 
Betroffenen selbst. Wenn sie etwa die Förderung der Selbstorganisation, 
den Aufbau von nachhaltigen Vernetzungsstrukturen, die kritische 
Reflexion des bisherigen Verfahrens für eine gute Grundlage brauchen, 
darf das nicht wegmoderiert werden, wie auf der Auftaktveranstaltung 
geschehen, sondern muss ein Ziel der Fachkonferenz werden.

Sie sehen einen grundlegenden Konflikt zwischen zivilgesellschaftlichen 
Gruppen, die sich am Prozess beteiligen, und der Behörde, die ihn 
organisiert.

Ja. Man hat verstanden, dass es wichtig ist, für ein Atommülllager 
Akzeptanz zu schaffen und dass es dafür ein Beteiligungsverfahren geben 
muss. So wie das Verfahren angelegt ist, ist das Ziel aber bloße 
Akzeptanzmaximierung und nicht, gemeinsam den bestmöglichen Standort zu 
finden. Ich sehe nicht, dass das Bundesamt oder die BGE der Meinung 
sind, dass die Zivilgesellschaft etwas Relevantes zur Endlagersuche 
beitragen könnte. Das Verfahren wird durchgezogen, es gibt ein großes 
Budget für Öffentlichkeitsarbeit, aber nicht die Haltung, echte 
Partizipation zu suchen.

Ist konsensorientierte Arbeit mit so vielen Menschen überhaupt möglich, 
muss man dabei nicht immer auf Mehrheitsentscheidungen zurückgreifen?

Die Anti-Atom-Bewegung hat Erfahrungen damit, wie man mit vielen tausend 
Menschen gemeinsam Entscheidungen per Konsens treffen kann, wie man 
miteinander handlungsfähig wird. Bei den großen Blockaden der 
Castortransporte ins Wendland von X-tausendmal-quer haben viele Menschen 
an dieser Erfahrung teilhaben können. Aber ein überwiegender Teil der 
Bevölkerung und auch der Menschen in den Behörden kann sich nicht 
vorstellen, wie das funktionieren soll.

Aus Erfahrung mit bisherigen Beteiligungsverfahren ist das 
Standortsuchverfahren als „lernendes Verfahren“ angelegt. Es wird sich 
dieses Wochenende zeigen, was aus bisherigen Fehlern gelernt wurde. 
Geben Sie dem Verfahren keine Chance mehr?

Für mich kann ich sagen: Ich möchte das Verfahren nicht mehr durch meine 
Teilnahme legitimieren. Informieren kann ich mich anders, Kritik 
einbringen auch.

+++

Ulrike Laubenthal beschäftigt sich seit 1986 mit gewaltfreier ziviler 
Konfliktbearbeitung, ist Trainerin für gewaltfreies Handeln und 
engagiert sich im Verein Friedensscheune, der die Geschichte der 
„Bürger_innenbewegung für eine Freie Heide“ dokumentiert. Sie lebt nahe 
einem Salzstock bei Flecken Zechlin.
+++

https://taz.de/Atommuellexpertin-zu-Buergerbeteiligung/!5748841/





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