[fessenheim-fr] "Sicherheitskultur" - Schweiz, Fukushima und WIPP
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Di Jul 8 17:50:02 CEST 2014
Hallo Leute!
Hier ein sehr interessantes jw-Interview mit Maros Buser
- wie berichteten schon des öfteren über ihn - über
seinen teilweisen Erfolg gegen eine Anklage durch die
Schweizer Atomaufsicht und über parallele Mängel
in der "Sicherheitskultur" der Schweizer AtomikerInnen,
der japanischen (die mit ursächlich für den Fukushima-
Super-GAU ist) und die US-amerikanische...
Ciao
Klaus
8.07.2014 / Ausland / Seite 8
»Gleiche Mängel in der Sicherheitskultur«
Anklage gegen Schweizer Atomkritiker wegen Verletzung von
Amtsgeheimnissen fallengelassen. Risiko bleibt. Gespräch mit Marcos Buser
Interview: Alexander Bahar
Marcos Buser ist Geologe und gilt als profiliertester Atomkritiker der
Schweiz. Er war Mitglied der Eidgenössischen Kommission für nukleare
Sicherheit (KNS)
Frage:
Sie waren wegen Verletzung von Amtsgeheimnissen angeklagt. Es ging um
Whistleblower-Dokumente, deren Inhalt der Grund für Ihren Rücktritt aus
der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit war. Die
Schweizer Atomaufsichtsbehörden hatten ihre Aufgaben nicht in der
gebotenen Unabhängigkeit erfüllt. Im Juni ließ die Schweizer
Bundesanwaltschaft die Anklage gegen Sie fallen. Sind Sie damit zufrieden?
Ja und nein. Ja, weil in einem sorgfältig begründeten Entscheid
festgestellt wurde, daß ich korrekt gehandelt habe. Die
Bundesanwaltschaft hob hervor, daß ich über mehr als neun Monate
verschiedene Amts- und Dienststellen über die Mißstände informiert
hatte, bevor ich an die Öffentlichkeit ging. Nicht zufrieden bin ich,
weil meine Anzeige gegen einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Energie
wegen Verletzung von Amtsgeheimnissen von derselben Bundesanwaltschaft
abgewiesen wurde. Die Institution wurde geschützt, obwohl eindeutige
Amtsgeheimnisverletzungen und Übergriffe stattgefunden haben.
Warum werden Sie in der Schweiz derart attackiert?
Weil ich mich mit einer der mächtigsten Lobbys des Landes angelegt habe.
Ich habe nie Angst gehabt, meine Arbeit in völliger Unabhängigkeit zu
machen. Wenn man natürlich unangenehme Fragen aufwirft und auf Probleme
und irreguläre oder marode Zustände hinweist, sind die Reaktionen
massiv. Aber wir haben im Nuklearbereich – wie in der Bankenwelt – ein
Problem: Die zu große Nähe von Entsorgern und Behörden, die Absprache
von Strategien die Einflußnahme der Entsorgungspflichtigen auf die
Behörden, sind nur eine Seite der Medaille. Die mangelnde Kompetenz von
Behördenmitarbeitern und Abhängigkeiten, die sich daraus bei der
Aufsicht entwickeln, sind die andere Seite.
Es ist klar: Wer solche Zustände sichtbar macht, wird von diesem
Interessenkonglomerat attackiert und diffamiert. Für mich wurde
jedenfalls klar, daß ich unter solchen Rahmenbedingungen nicht als Alibi
in einem Gremium wie der Eidgenössischen Kommission für nukleare
Sicherheit arbeiten konnte. Konsequenterweise trat ich dann zurück. Nach
viereinhalb Jahren war ich gerade frisch für eine zweite Amtsperiode
gewählt worden, stellte aber im Winter 2011/2012 fest, daß die Aufsicht
nicht funktionierte. Ich erhielt mündlich und schriftlich Informationen,
daß die zuständigen Behörden gekapert worden waren. Interessanterweise
sind dies die gleichen Mängel in der Sicherheitskultur, die nach der
Katastrophe in Fukushima von der Expertenkommission des japanischen
Parlaments für die dortige Atomindustrie festgestellt worden waren. Und
es sind genau die gleichen Mängel, die vom US-amerikanischen Department
of Energy im April 2014 in Zusammenhang mit dem Unfall in dem
unterirdischen Atommüllager WIPP (Waste Isolation Pilot Plant) in New
Mexico genannt wurden: Schwache oder fehlende Sicherheitskultur, zu
große Nähe zu den Betreibern, Selbstgefälligkeit und Nachlässigkeit,
Verwässerung von Sicherheitsstandards, Mangel an Unabhängigkeit und
wissenschaftlicher Redlichkeit.
Ist die Situation in diesem Endlager oder in Japan mit Schweizer
Verhältnissen vergleichbar?
In den Kernfragen auf jeden Fall. Das radioaktive Risiko tickt weltweit
nach den gleichen Gesetzen. Sie zu mißachten und zu glauben, man könne
Sicherheit über Kompromisse oder Absprachen erreichen, ist kurzsichtig
und naiv. Sachzwänge in anderen Anlagen, etwa in Zwischenlagern, die
ihre Abfälle möglichst rasch loswerden möchten, können nicht auf das
Endlager abgewälzt werden. Genau solche Zwänge führen zu Problemen, wie
auch der Unfall in der Pilotanlage WIPP in New Mexico zeigt.
Was genau ist dort geschehen?
Plutonium- und transuranhaltige Nitratsalze von militärischen
Atomanlagen wurden irgendwann, vermutlich nach 2004, mit »Katzenstreu«
vermischt, also für die Einlagerung im WIPP konditioniert. Chemisch eine
Fehlentscheidung mit gravierenden Folgen. Diese explosive Fracht wurde
ins Endlager verbracht. Nun lagern mehrere hundert solcher Container in
der Tiefe. Der erste ging am 14. Februar 2014 hoch und verseuchte Teile
der Anlage, teils gelangte Radioaktivität auch in die Umwelt. Die
anderen Container lagern in der Tiefe, weitere noch auf den Geländen der
großen Atomzulieferer. Wie es weitergehen soll, weiß niemand.
Mehr Informationen über die Mailingliste fessenheim-fr