[fessenheim-fr] Fessenheim: Ein Dorf kämpft um sein Kernkraftwerk

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Do Jun 28 08:14:51 CEST 2012


*Ein lesenswerter Beitrag in der Stuttgarter Zeitung und drüber (in 
schlechter Qualität) unsere aktuellen Kleinanzeigen in der BZ
Sommersonnenhitzegrüße
(insbesondere an den kleinen, bärtigen, im Artikel erwähnten Franzosen...)
Axel

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*  http://www.stuttgarter-zeitung.de*
* *Energiepolitik* Ein Dorf kämpft um sein Kernkraftwerk *
Christine Keck, 27.06.2012 18:28 Uhr
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Ein Dauerärgernis: das französische AKW Fessenheim nutzt das Wasser aus 
dem Rheinkanal zur Kühlung der Anlagen. Foto: dpa

 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.energiepolitik-ein-dorf-kaempft-um-sein-kernkraftwerk.b8de7e0b-044c-40b6-b125-35cf82fb66bf.html

Fessenheim - Es wäre bequemer zu schweigen. Es wäre einfacher, auf den 
Direktor zu verweisen, auf die Hochglanzbroschüren, auf die Pariser 
Pressestelle des mächtigen Energiekonzerns. Aber Nicolas Bernet (Name 
geändert) will sich nicht verbiegen, um seinen Job zu retten und den von 
Hunderten anderen. "Die Anlage ist alt, eng, und es ist gut, wenn sie 
zumacht", sagt der Mann, der im Dreischichtbetrieb einen Reaktor 
steuert. Jetzt greift er am Küchentisch zu Notizblock und Filzstift. 
Zwei Kreise für die Meiler, ein Rechteck für den Maschinenraum, ein 
Strich, wo sein Schaltpult steht -- fertig ist Fessenheim: mit seinen 35 
Jahren das älteste Kernkraftwerk Frankreichs und ein idyllisch gelegenes 
Dauerärgernis direkt an der Grenze zu Baden-Württemberg.

Früher waren die politischen Lager klar abgegrenzt. Eine Handvoll grüner 
Neinsager kämpfte gegen den Rest der Grande Nation, dem eifrigsten 
Produzenten von Atomstrom in Europa. Mit Fukushima bröselten die 
Fronten, mit François Hollande kam die Aussicht auf Veränderung. Er 
wolle die Produktion von Atomstrom bis 2025 drosseln, von 75 Prozent auf 
50 Prozent, hatte der Präsident in sein Wahlprogramm geschrieben, und er 
hat angekündigt, Fessenheim zu schließen.

Für die Umweltaktivisten in Frankreich und gleich nebendran in Baden 
wäre das nach all den Jahrzehnten des Widerstandes endlich ein Sieg, für 
die Bewohner des 2700-Einwohner-Ortes Fessenheim ist es eine Niederlage. 
Fast das ganze Dorf kämpft gegen die Pläne -- nur Nicolas Bernet, der 
Mann im Kontrollraum des Meilers, stellt sich hinter seinen Präsidenten.

*Die unbequeme Wahrheit spricht nur einer aus*

Die Wahrheit müsse jeder aushalten können, sagt Bernet. Er ist 
Pragmatiker, hält Atomstrom für klimafreundlich und rentabel. Doch 
Fessenheim, einst als Prototyp gebaut, sei in die Jahre gekommen. Die 
beiden Druckwasserreaktoren der CP0-Baulinie hätten häufiger Probleme 
als andere Meiler und lägen weit hinter den nachfolgenden Generationen 
zurück. "Es wird immer aufwendiger, an Ersatzteile wie Pumpen oder 
spezielle Motoren zu kommen", sagt Bernet. "Und es ist schwieriger als 
bei neueren Typen, das vorgeschriebene technische Niveau zu halten." 
Zumal in den letzten zehn Jahren bei der Instandhaltung gespart worden 
sei. Das räche sich nun. Eine Stilllegung hält er deshalb für konsequent.

"Wer soll bei mir essen, wenn das AKW weg ist?", fragt sich der 
Pizzabäcker im Al Pescatore und trocknet die Hände an seiner Schürze. 
"Ich müsste dann schließen", kündigt der junge Apotheker an. Und auch 
Super-U, einem gerade erst vergrößerten Einkaufsmarkt mit 
Selbstscankassen, würde der Umsatz wegbrechen. Fessenheim hängt am Tropf 
des Kernkraftwerks, es ist mit ihm gewachsen, ist von ihm abhängig 
geworden. Die vielen Millionen Gewerbe- und Grundsteuer ließen die 
elsässische Gemeinde und ihre Nachbarn aufleben. Allein Fessenheim 
erhält von der Électricité de France (EdF) rund drei Millionen Euro 
jährlich, etwa die Hälfte des kommunalen Haushalts.

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Das Dorf hat sich herausgeputzt, die Atommillionen machten es möglich. 
Der Asphalt auf der Hauptstraße ist frisch aufgetragen, die Schule wurde 
saniert. Im Medienzentrum, ein schicker Flachbau, sind die Regale 
bestens bestückt. Gegenüber dem Rathaus zeigt eine elektronische Tafel 
wahlweise die Öffnungszeiten und die Außentemperatur an. Bürgermeisterin 
Fabienne Stich ließ zwischen Kirchturm und Rathaus ein Transparent 
aufspannen, das für den Erhalt des Doppelmeilers plädiert. "Wer weiß, ob 
wir nicht bald Schulklassen schließen müssen, weil die Leute wegziehen", 
hat sie vor Kurzem gesagt. Rund ein Drittel der 750 
Kraftwerksmitarbeiter wohnen in ihrer Gemeinde, Hunderte weitere sind 
über Zulieferer in der Region beschäftigt, alle zehn Jahre kommen zur 
großen Revision Tausende in den Ort.

"Das AKW ist der wichtigste Motor unserer Stadt", sagte die 
Bürgermeisterin in viele Mikrofone, doch neuerdings hat sie das Reden 
eingestellt -- zumindest mit der Presse. "Weder französische noch 
deutsche Journalisten erhalten Interviews", sagt die ansonsten 
freundliche Empfangsdame im Rathaus. Und im AKW gibt man sich ähnlich 
zugeknöpft. Man lasse niemanden hinein, wiegelt die Pressesprecherin der 
Électricité de France in Paris ab, vielleicht sei das in ein paar 
Monaten anders.

*Die Abwärme wird in den Rheinkanal geleitet*

Von der Fessenheimer Schleuse am Rheinkanal sind es zu Fuß nur wenige 
Minuten bis zum Kernkraftwerk. Auf dem Wasser zieht ein belgischer 
Containerfrachter vorbei. Schmetterlinge flattern zwischen Löwenzahn und 
Gänseblümchen, und wären da nicht ein paar Verbotsschilder, der 
Elektrozaun und die Patrouille -- fiele das AKW kaum auf. Ihm fehlt der 
Kühlturm samt weißer Himmelsfahne. Die Abwärme landet im Fluss.

Umweltaktivist Jean-Paul Lacote sitzt in der lokalen Kontrollkommission 
für Fessenheim. StZ

Die beiden Meiler sind vom Kiesweg am Ufer aus bestens zu sehen. Hierher 
hat der Umweltaktivist Jean-Paul Lacote, ein kleiner, kugelrunder Mann 
mit schier unerschöpflicher Energie, schon so manchen Protestzug 
geführt. Für ihn ist es der perfekte Ausgangspunkt, um sich ein Szenario 
des Schreckens auszumalen. "Mit einer Rakete könnten Sie locker die 
Schwachstellen der Anlage treffen", sagt der quirlige Franzose und zeigt 
auf zwei weiße Gebäude auf der andere Uferseite, gut hundert Meter 
Luftlinie entfernt. Es sind die beiden Abklingbecken, dort lagern die 
verbrauchten Brennelemente.

Es ist stürmisch am Kanal, der Gegenwind nimmt zu. "Die alte Kiste 
gehört vom Netz, das hat Hollande zugesagt", ruft Lacote gegen die Böen 
an. Er kann es nicht fassen, dass der Stromkonzern EdF bei all den 
Protesten nicht längst eingeknickt ist. "Fukushima hat die härtesten 
Atombefürworter umgedreht", sagt der 66-Jährige. Auch im Elsass 
forderten immer mehr Gemeinden die Abschaltung. "Das ist ein 
Schrottreaktor, ständig gibt es Pannen", schimpft Lacote. Wenn er sich 
ärgert, und das tut er beim Thema Kernkraft oft, werden seine Augen 
unter den struppigen Brauen zu Schlitzen. Die Worte schießen wie Pfeile 
aus seinem Bart, der wild und nahtlos übergeht in eine Sturmfrisur. "Und 
wir sind mitten in einer Erdbebenzone. Bricht der Deich des Kanals, 
bekommt das AKW nasse Füße", warnt Lacote, der bis zu seiner Rente beim 
Bund für Umwelt und Naturschutz in Freiburg angestellt war.

*Die Kontrollkommission kann Gutachten erstellen lassen*

Als einer der wenigen darf der Franzose den Betreibern von Fessenheim 
auf die Finger schauen, auch in der Anlage. Er sitzt als Repräsentant 
des Umweltverbandes Alsace Nature in der lokalen Kontrollkommission für 
Fessenheim (CLIS) -- zusammen mit Vertretern deutscher und französischer 
Behörden, des Kraftwerks und Mandatsträgern. "Wir haben keine 
Entscheidungsmacht, aber können lästige Nachfragen stellen", sagt Lacote 
und erzählt von Gutachten zur Erdbebengefährdung oder 
Überschwemmungsgefahr. Risiken, die die EdF lieber ausblenden würde.

Die Stilllegung Fessenheims ist nicht mehr als ein Versprechen. Zwar das 
eines Präsidenten, aber entschieden ist nichts. Der Doppelmeiler könnte 
noch lange Strom liefern, das hat die französische Atomaufsichtsbehörde 
genehmigt. Und damit rechnet auch AKW-Direktor Thierry Rosso, er geht 
von einer Gesamtlaufzeit von bis zu 60 Jahren aus. Die reguläre 
Zehnjahresinspektion sei problemlos verlaufen. Den europäischen 
Stresstest, der nach Fukushima Pflicht wurde, hat das AKW, an dem der 
baden-württembergische Energiekonzern EnBW 17,5 Prozent Anteile hält, 
auch bestanden. Alle 58 Reaktoren in Frankreich seien sicher, urteilte 
die Behörde und verordnete lediglich Nachbesserungen. In Fessenheim 
müssen die Bodenplatten unter den Reaktoren verstärkt werden. Sie sind 
mit einem Meter fünfzig die dünnsten in ganz Frankreich und könnten im 
Fall einer Kernschmelze bersten. Mängel gab es auch bei der Notkühlung. 
Eine zusätzliche Grundwasserpumpstation ist Teil der behördlichen Auflagen.

Für Jean-Paul Lacote sind das Fehlinvestitionen, verlorene Millionen, 
wie er sagt. Für den AKW-Betriebsrat Martin Kupfer ist es die Rettung 
für Fessenheim. "Wir müssen kämpfen", fordert der Gewerkschafter der 
Force Ouvrière, "wenn es sein muss mit Streik." Der Fachingenieur für 
Elektrotechnik ist auf die Umweltaktivisten nicht gut zu sprechen. Nur 
ungern würde er sich mit Lacote an einen Tisch setzen, das gibt er offen 
zu. "Das ist ein Supergrüner", sagt er und nimmt in einem 
Besprechungszimmer gleich im Eingangsgebäude des AKW Platz. Kupfer geht 
es um Arbeitsplätze und Rentenansprüche, nicht um Störfalle oder gar 
Sicherheitsbedenken. Jeden Tag höre er die Sorgen seiner Kollegen, müsse 
sie hinhalten, könne nur zuhören, vertrösten. Ob es Neuigkeiten gebe? Ob 
sie ihr Haus jetzt schon verkaufen sollten -- wegen des Wertverlusts.

Umsonst ist der Gewerkschafter zu Hollande nach Paris gefahren, hat 
versucht zu verhindern, was er als Katastrophe für die Region 
beschreibt. Kupfer hat dem Präsidenten die Zahlen des Niedergangs 
vorgerechnet. Wenn Fessenheim schließt, werde die Arbeitslosigkeit 
zwischen Colmar und Mulhouse schlagartig um zwei Prozent steigen -- auf 
elf Prozent.

Das AKW war der letzte Anker. Die Chemieindustrie sei geschrumpft, auch 
der größte Arbeitgeber weit und breit, Peugeot-Citroën in Mulhouse, habe 
massiv Stellen abgebaut. Zwar werde der Stromkonzern EdF seine Leute 
nicht entlassen, weiß Kupfer, aber Hunderte von Beschäftigten in den 
anderen Kernkraftwerken des Landes unterzubringen, das dauere sicher 
zwei bis drei Jahre.

Die Angst seiner Kollegen kann Reaktorfahrer Nicolas Bernet nicht 
teilen. "Warum nicht umziehen?", fragt er. "Warum nicht etwas Neues 
wagen? Für den Familienvater ist das Ende von Fessenheim schon längst 
beschlossen, das hätte jeder sehen könne. Die Abschaltung sei nur eine 
Frage des Wann. Bernet nimmt eine Postkarte von der Wand, die hat er 
gefunden und über seinen Schreibtisch gepinnt. Sie zeigt Fessenheim als 
Schrottreaktor, ratternd, tropfend, voller Lecks und Schrammen, alles 
notdürftig repariert. Im Rheinkanal schwimmen nur noch Fischskelette. 
Dazu zwei Worte: Fessenheim. Stilllegen!


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