[fessenheim-fr] Tepco, die Radioaktivitaet und das Meer

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Do Apr 7 13:32:51 CEST 2011


Hallo Leute!

Hier ein Artikel aus der Internet-Zeitung 'telepolis'.

Ciao
   Klaus Schramm


Tepco behauptet, es laufe kein hochradioaktives Wasser mehr ins Meer

Ralf Streck 
06.04.2011

Dabei wurde nur der kleine Riss gestopft, man darf aber von weiteren 
Kernschmelzen und unkontrollierten Kettenreaktionen ausgehen

Unhinterfragt laufen derzeit frohe Botschaften über das havarierte 
Atomkraftwerk Fukushima durch die News-Ticker und werden in den 
Nachrichten [1] verkündet. So ließ der Kraftwerksbetreiber Tepco 
verbreiten, dass kein hochradioaktives Wasser mehr ins Meer laufe: 
[2] "Highly radioactive water leaking into sea stopps". Dabei muss 
wegen hohen Wasserstoffkonzentrationen in den Reaktoren davon 
ausgegangen werden, dass die Kernschmelze nicht gestoppt ist. Es 
häufen sich zudem Hinweise auf ungewollte Kettenreaktionen in Reaktor 
1.

Da Tepco in den vergangenen vier Wochen der Katastrophe schon viele 
Falschmeldungen herausgegeben hat, wäre angesichts der Aussage 
eigentlich große Vorsicht angesagt, dass nun kein hochradioaktives 
verseuchtes Wasser mehr in Meer laufen soll. Schaut man sich die 
Meldung genauer an, beruht sie nicht auf Messungen. Dass die 
Radioaktivität im Meerwasser deutlich gesunken ist, die am Wochenende 
sogar 7,5 Millionen Mal den zulässigen Grenzwert [3] überstiegen hat, 
wird nicht einmal behauptet. Ohnehin war die gemessene Strahlung 
schon zurückgegangen, als weiter Wasser aus dem "Riss"[4] in Reaktor 
2 blubberte. Sie lag am Sonntag aber noch 5 Millionen Mal über dem 
Grenzwert.

Die gelieferten Bilder zeigen nur, dass aus dem 20 cm langen Riss, 
mit dem die Öffentlichkeit in den letzten Tagen beschäftigt wurde, 
kein Wasser mehr ausläuft. Den Riss habe man mit Flüssigglas 
abgedichtet, nachdem man zuvor mit Beton und anderen Materialien 
gescheitert war. Doch Bescheidenheit ist nicht die Sache von Tepco, 
weshalb nun diese Propagandameldung verbreitet wurde. Dass extrem 
verstrahltes Wasser [5] aus an anderen Ecken ins Meer fließt und ins 
Erdreich sickert und damit Grundwasser verseucht, hatte Tepco 
schließlich am Wochenende nachgewiesen. Man hatte das Wasser im 
Reaktor eingefärbt, doch das erwartete Ergebnis, wonach es aus dem 
Riss austreten sollte, stellte sich nicht ein. Die radioaktive Brühe 
muss also auch an anderen Stellen austreten. Seit Montag sind deshalb 
Meldungen über das gefärbte Wasser verschwunden. Zuvor hatte Tepco 
gegenüber der Nachrichtenagentur Jiji [6] noch zum Besten gegeben, 
dass das gefärbte und verseuchte Wasser wohl aus Gesteinschichten 
unterhalb von Rohren durchsickere.

Entwarnung kann also nicht gegeben werden. Dafür sprechen auch 
Meldungen, dass weitere Lecks gesucht werden, bevor man die Arbeiten 
zur Reparatur an den Kühlsystemen der Reaktoren und Abklingbecken 
wieder aufnimmt. Mit Vorsicht sollten auch die Meldungen über die 
Einleitung von Stickstoff in den Reaktor 1 genossen werden. Denn die 
japanische Atomsicherheitsbehörde (NISA) spricht von einer reinen 
Vorsichtsmaßnahme. Es bestehe keine "unmittelbare Gefahr", sagte der 
NISA-Sprecher Hidehiko Nishiyama.[7]

Da auch die NISA in den letzten vier Wochen durch Beschwichtigung und 
Beschönigung aufgefallen ist, drohen in Reaktor 1 offensichtlich 
weitere Wasserstoffexplosionen, wie dies zum Beispiel auch die 
Financial Times Deutschland [8] vermutet. Dies gilt offenbar in 
geringerem Maße auch für die Reaktoren 2 und 3, die später ebenfalls 
mit Stickstoff gefüllt werden sollen.

Doch die Produktion von Wasserstoff ist das untrügliche Zeichen 
dafür, dass die Kernschmelze in dem oder den Reaktoren nicht gestoppt 
ist, die inzwischen auch eingeräumt worden ist. Der langgediente 
Atomkraftwerks-Ingenieur Arnie Gundersen[9], Chefingenieur der 
Beratungsgesellschaft Fairewinds Associates, geht mit etlichen 
weiteren Spezialisten[10] sogar davon aus, dass es in Reaktor 1 immer 
wieder zu unkontrollierten Kettenreaktion kommt.

In einem Video[11] erklärt der Reaktorspezialist das anschaulich und 
bezieht sich zunächst auf die Tatsache, dass sogar Tepco 
Neutronenstahlen in 1,5 Kilometer Entfernung des Reaktors gemessen 
hatte. [12] 13 Mal wurde demnach die sehr schwer nachweisbare 
Neutronenstrahlung auf dem Kraftwerksgelände gemessen. Die Quelle 
dafür könnte Uran-235 oder Plutonium-239 sein. Also die gewöhnlichen 
Uran-Brennstäbe oder die MOX-Brennstäbe, die das hochgiftige 
Plutonium enthalten und in Reaktor 3 eingesetzt wurden. Die 
festgestellten Neutronen weisen nach Gundersen darauf hin, dass eine 
Kettenreaktion stattfindet oder stattgefunden hat.

Er lokalisiert sie in Reaktor 1, der ja nun dringlich mit Stickstoff 
gefüllt werden soll, um eine erneute Wasserstoffexplosion zu 
verhindern. Dass offensichtlich eine unkontrollierte Kettenreaktion 
stattfindet, davon gehen auch Thomas Dersee[13] von der Gesellschaft 
für Strahlenschutz und das britische Fachblatt Nature[14] aus. So 
verweist Nature auf das radioaktive Isotop Chlor 38 in Fukushima. Das 
kommt in der Natur nicht vor und entsteht beim Auftreffen eines 
Neutrons auf das natürlich vorkommende Chlor 37. Dieses Molekül ist 
im Salz des Meerwassers enthalten, das zum Kühlen der Reaktoren 
eingesetzt wurde. Es wurde nach Angaben der NISA[15] unter anderem im 
Reaktor 1 festgestellt.

Gundersen weist dagegen auch auf hohe Werte des Isotops Te-129 und 
Jod 131 in Reaktor 1 hin. Da Te-129 eine Halbwertszeit von 70 Minuten 
hat und Jod 131 von acht Tagen, weise das, wie die große Hitze im 
Reaktor, auf eine temporäre Kernspaltung in Teilen der Brennstäbe in 
dem Reaktor hin. Das werde "inadvertent criticality" genannt. Diese 
ungewollte Kritikalität schalte sich offenbar selbstständig an und ab 
und setze die Arbeiter einer sehr gefährlichen Neutronenstrahlung 
aus, die kaum messbar ist. Gefährlich sei, darin sind sich Gundersen 
und Nature einig, das Wiederbefüllen mit Wasser des Reaktors 1. Das 
würde zwangsläufig eine neue Kettenreaktion auslösen, wenn die 
Brennstäbe wie erwartet geschmolzen sind. Nach Angaben von Gundersen 
müsse die Kettenreaktion dringend mit Bor gestoppt werden.


[1] http://www.dradio.de/nachrichten/201104060800/1
[2] http://english.kyodonews.jp/news/2011/04/83392.html
[3] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34490/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/blogs/2/149587
[5] http://www.heise.de/tp/blogs/2/149578
[6] http://jen.jiji.com/jc/eng?g=eco
[7] http://english.kyodonews.jp/news/2011/04/83451.html
[8] http://www.ftd.de/politik/international/60035470.html
[9] http://en.wikipedia.org/wiki/Arnold_Gundersen
[10] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34472/1.html
[11] http://vimeo.com/21881702
[12] http://english.kyodonews.jp/news/2011/03/80539.html
[13] http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,753938,00.html
[14] http://www.nature.com/news/2011/110405/full/news.2011.211.html
[15] http://www.nisa.meti.go.jp/english/files/en20110325-6.pdf


Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34500/1.html 



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