[fessenheim-fr] AKW-Neubau?

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Mo Jul 5 14:30:43 CEST 2010


Hallo Leute!

Hier - ein bißchen verspätet - noch ein Artikel
vom Samstag.

Ciao
   Klaus Schramm


3.07.2010

AKW-Neubau?
Die große Propaganda-Offensive

Grafik: Repro aus der 'Zeit'

Mittlerweile liegen Absichtserklärungen aus Schweden, Italien, den 
USA, Großbritannien, Ägypten, der Türkei, Libyen, Kenia und 
neuerdings auch Finnland vor, wonach neue Atomkraftwerke gebaut 
werden sollen. US-Präsident Barack Obama stellte gar 54 Milliarden US-
Dollar als Staatsbürgschaft in Aussicht. Dennoch ist keine 
"Renaissance der Kernenergie" zu erwarten, denn all diese Meldungen 
stellen einen Teil einer groß angelegten Propaganda-Offensive dar.

Der Reichstag in Helsinki gab am Donnerstag "grünes Licht" für Pläne 
der Regierung zum Bau zweier neuer Reaktoren durch die heimischen 
Energie-Konzerne TVO und Fennovoima. Erst Mitte Juni hatte das 
Parlament im benachbarten Schweden das Verbot von Reaktorneubauten 
nach 30 Jahren aufgehoben und den Weg für neue Atomreaktoren 
freigemacht. Ob von diesen Plänen auch nur ein einziger realisiert 
wird, ist jedoch mehr als fraglich.

Zwar sind derzeit nach Auskunft der Internationale Energieagentur 
(IEA) weltweit 44 Atomreaktoren im Bau. Doch selbst der IEA-
Chefökonom Fatih Birol sagt im 'spiegel'-Interview am 2. Juli 2010: 
"Das weltweite Interesse an neuen Kernkraftprojekten steigt - in 
China etwa oder im Nahen Osten. Doch ich glaube nicht, daß dies einen 
Bau-Boom bei Kernkraftwerken auslöst. (...) Es gibt zu wenige 
Fachkräfte, zu wenige Produktionskapazitäten für spezielle 
Kraftwerksteile und zu wenig Investitionssicherheit, insbesondere in 
den OECD-Ländern."

Bis vor kurzem klang dies von Seiten der IEA euphorischer. So schrieb 
die 'Financial Times Deutschland' (FTD) noch am 25. Juni 2010: "Kaum 
hat das schwedische Parlament mit knapper Mehrheit dafür gestimmt, 
daß alte Reaktoren durch neue ersetzt werden dürfen, ist wieder von 
einer Renaissance der Kernkraft die Rede. Das kommt einem irgendwie 
bekannt vor. Die Wiederentdeckung der umstrittenen Technik 25 Jahre 
nach der Katastrophe von Tschernobyl geistert seit Jahren durch die 
Medien. Nur hat sie mit der Realität wenig zu tun. Den neuen Atomboom 
sagen vor allem Hersteller der Kraftwerke und einige große 
Energieversorger voraus. Größter Förderer der Atomenergie ist die 
Internationale Energieagentur (IEA) in Paris, die die Meinung 
vertritt, daß für die weltweite Halbierung der CO2-Emissionen bis zum 
Jahr 2050 die Kapazitäten verdreifacht werden müßten. Demnach müßten 
Hunderte neue Blöcke gebaut werden, 20 bis 30 Meiler pro Jahr. So 
wird es nicht kommen, darauf kann man wetten."

In der Redaktion der FTD sind die ökonomischen Fakten bekannt. Denn 
selbst vorausgesetzt, es gäbe weltweit keine Anti-AKW-Bewegung, ist 
die Atomkraftwerks-Technik schlicht zu teuer. Bereits im Februar 2009 
veröffentlichte die Unternehmensberatung A.T. Kearney eine in den 
entsprechenden Kreisen mit Aufmerksamkeit gelesene Studie, wonach 
sich AKW-Neubaupläne nicht mehr rechnen und so die Überalterung des 
europäischen AKW-Parks voranschreiten werde. Die Studie ist keine 
Auftragsarbeit politischer Interessengruppen oder Unternehmen, 
sondern wurde von der international tätigen Managementberatung intern 
zur Marktanalyse erstellt.

Weltweit waren Ende 2009 noch insgesamt 437 Reaktoren in 212 
Atomkraftwerken für die Stromerzeugung in Betrieb - einer weniger als 
im Jahr davor. Zwei Anlagen gingen neu in Betrieb, drei wurden 
abgeschaltet. Und unter den 44 Reaktoren, die nominell im Bau sind, 
befinden sich zehn, die bereits seit den 1980er Jahren oder länger in 
den Statistiken als "im Bau" geführt werden. Ob und wann diese jemals 
fertig gestellt werden, bleibt fraglich. Lediglich 29 dieser 44 
weltweiten Neubauvorhaben wurden in den vergangenen sieben Jahren 
begonnen. Spitzenreiter ist China mit 20 Anlagen im Bau. Die 
Besonderheit bei China besteht darin, daß die Neubau-Projekte 
staatlich subventioniert werden können. Doch die Windenergie hat in 
China längst die Atomenergie überflügelt. Windkraftanlagen kosten pro 
Kilowatt Leistung höchstens ein Fünftel eines Atomkraftwerks.

In Schweden und Großbritannien wurden Subventionen für den Neubau 
bereits ausgeschlossen. Wenn sich die neugewählte britische Regierung 
an ihren Beschluß hält, wird die Begeisterung potentieller Investoren 
schnell auf Null sinken. Seit 2004 wird im finnischen Olkiluoto an 
einem neuen AKW gebaut. Das im Januar 2009 auseinander gebrochene 
deutsch-französische Konsortium Siemens-Areva hatte dem finnischen 
Strom-Konzern TVO das AKW zum Fixpreis von 3,2 Milliarden Euro 
angeboten. Mittlerweile belaufen sich die Baukosten bereits auf über 
6 Milliarden Euro und bis zur Fertigstellung dürften sich nach 
realistischen Schätzungen die Gesamtkosten auf mehr als 7 Milliarden 
Euro belaufen. Die Mehrkosten können TVO nun nicht in Rechnung 
gestellt werden. Dabei ist der Zeitplan des Baus bereits drei Jahre 
im Verzug. Angekündigt war die Inbetriebnahme einmal für Juli 2009.

Auch in einer Studie der Unternehmensberatung Moody's wird Investoren 
vor einem Engagement beim Bau von Atomkraftwerken dringend abgeraten. 
Die Kapitalkosten seien unkalkulierbar hoch, das Geld ist mindestens 
20 Jahre gebunden. Erst wenn die Meiler abgeschrieben sind, werden 
sie zu den Gelddruckmaschinen, um die die deutschen Betreiber derzeit 
kämpfen.

Die Citibank legte im Februar dieses Jahre eine Studie vor, die 
ebenso wie die vorangegangenen zum Ergebnis kam: Atomenergie ist - 
ohne massive staatliche Subventionen - unwirtschaftlich. Und im Juni 
bestätigte eine im Auftrag der Schweizer Kantone Basel-Stadt und Genf 
erstellte Studie, daß der geplante Neubau von Atomkraftwerken in der 
Schweiz unwirtschaftlich sei.

Unter den Bedingungen des freien Marktes hat eine "Renaissance der 
Kernenergie" derzeit keine Chance. Hinzu kommt, daß die Einspeisung 
von Strom aus erneuerbaren Energien zu festen Vergütungen den Anteil 
von Atomstrom im Netz zu verdrängen beginnt. Daher haben die 
deutschen Strom-Konzerne E.on und RWE, die in Großbritannien neue 
Atomkraftwerke bauen wollen, der britischen Regierung bereits zu 
verstehen gegeben, daß sie den Anteil der erneuerbaren Energien im 
Stromnetz deckeln soll. Andernfalls lohne sich der Neubau in 
Großbritannien nicht.

In den USA hatte bereits Obamas Amtsvorgänger George W. Bush 
ebenfalls zu Beginn seiner Amtszeit den Neubau von Atomkraftwerken 
angekündigt. Während seiner insgesamt achtjährigen Amtszeit 
verkündete er unentwegt eine "Renaissance" der Atomenergie. Doch seit 
der Harrisburg-Katastrophe 1979 ist in den USA kein neues AKW mehr 
ans Netz gegangen.

Im August 2009 schrieb 'Zeit'-Herausgeber Josef Joffe in seiner 
Rubrik 'Zeitgeist': "400 neue KKWs stehen weltweit im Programm." 
Woher hatte Joffe diese sensationelle Erkenntnis? Kurz zuvor war 
Siemens-Chef Peter Löscher in 'Newsweek' mit eben dieser Prognose von 
weltweit 400 neuen Atomkraftwerken zitiert worden. Die Sorge ist 
naheliegend, daß diese Herren den Kontakt zur Realität verloren 
haben.


REGENBOGEN NACHRICHTEN


Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Schweizer Studie:
      AKW-Neubau unwirtschaftlich (8.06.10)

      Studie der Citibank:
      Atomenergie ist unwirtschaftlich (12.02.10)

      Obama verspricht
      Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)

      Anti-AKW-Demo in Italien:
      "Es bleibt beim Atom-Ausstieg!" (4.11.09)

      Ende des finnischen AKW-Neubaus Olkiluoto?
      Areva droht mit Baustop (1.09.09)

      Welcher Geist spukt durch die 'Zeit'?
      'Zeit'-Herausgeber produziert geistlose Atomkraft-PR (11.08.09)

      Schwedische Regierung wünscht neue Atomkraftwerke
      Kommt nun doch die "Renaissance der Atomenergie"? (5.02.09)

      Weltwirtschaftskrise trifft Energie-Konzerne
      Keine Investitionen für AKW-Neubauten (4.02.09)

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Die Subventionierung der Atomenergie
      Folge 3 der Info-Serie Atomenergie 



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