[fessenheim-fr] Gorleben: Regierung Kohl setzte 1983 Gutachter unter Druck

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Mi Sep 9 20:07:32 CEST 2009


9.09.2009

Gorleben:
Regierung Kohl setzte 1983
Gutachter unter Druck

Die 'Süddeutsche Zeitung' deckte in ihrer gestern (Dienstag) 
erschienen Ausgabe auf, daß in einem Schreiben des-
Forschungsministers vom 13. Mai 1983 massiv Druck auf Wissenschaftler 
ausgeübt wurde, um ein Gutachten zur Eignung des Gorlebener 
Salzstocks als Endlager für radioaktiven Müll in ihrem Sinne zu 
beeinflussen. Damit liegt erstmals ein schriftlicher Beweis für 
politische Manipulation bei der Endlagersuche in Deutschland vor.

Die Anti-AKW-Bewegung im Wendland hatte schon seit langem Indizien 
gesammelt, die belegen, daß die Auswahl Gorlebens als Endlager-
Standort nicht von wissenschaftlichen, sondern politischen Erwägungen 
geprägt war. Im April dieses Jahres hatte Helmut Röthemeyer, der 
Anfang der 1980er Jahre an führender Position an der Formulierung der 
Gorleben-Gutachten beteiligt war, erstmals in einem Zeitungs-
Interview zugegeben, daß er von der damaligen Bundesregierung unter 
dem "schwarzen" Kanzler Helmut Kohl massiv unter Druck gesetzt wurde. 
Am 5. Mai 1983 seien in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt 
(PTB), deren Abteilungsleiter Helmut Röthemeyer war, überraschend 
Vertreter des Kanzleramts und des Forschungsministeriums 
eingetroffen. Sie hätten darauf gedrungen, wichtige Passagen des 
Gutachtens zu ändern: "Ich habe ansonsten nie wieder ein solches 
Gespräch geführt in meinem ganzen Leben."

Mit dem nun von der 'Süddeutschen Zeitung' präsentierten Schreiben 
des Forschungsministeriums unter Heinz Riesenhuber werden der PTB 
Änderungen an dem Gorleben-Gutachten an entscheidenden Stellen 
aufgezwungen. Dieses entscheidende Gorleben-Gutachten war Anfang Mai 
1983 in der Endphase. Es sollte die bisherigen Ergebnisse zu Gorleben 
zusammentragen und letztlich klären, ob der Salzstock auch unter Tage 
erkundet werden solle. Für den zusammenfassenden Teil des Gutachtens 
habe das Ministerium laut 'Süddeutscher Zeitung' einen Textbaustein 
vorformuliert, wonach "berechtigte Hoffnung" bestehe, daß im 
Salzstock Gorleben "ein Endlager für alle Arten von radioaktiven 
Abfällen" eingerichtet werden könne. Zudem forderte das Ministerium, 
den "vermutlich hypothetischen Störfall des Wasser- und 
Laugenzutritts", der an mehreren Stellen die bei einem Treffen am 11. 
Mai 1983 diskutierte Zusammenfassung und Bewertung bestimme, etwas 
weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken. Dem entsprechend habe 
die Gefahr, daß radioaktive Substanzen ins Grundwasser gelangen 
könnten, im Gutachten keine besondere Rolle mehr gespielt.

Der Bericht solle mit einem Kapitel "wesentliche Ergebnisse der 
Standorterkundung" beginnen, heißt es im Schreiben des Bundes-
Forschungsministeriums laut 'Süddeutscher Zeitung' weiter. Und dieser 
Abschnitt des Gutachtens solle sinngemäß mit der Feststellung 
schließen, daß die Eignung "des Salzstocks Gorleben für die 
Errichtung eines Endlagers substantiell untermauert" werde.

Nach Angaben Helmut Röthemeyers, dem Hauptverantwortlichen für die 
Formulierung des Gutachtens, wurde die Forderung nach Erkundung 
weiterer Standorte am 11. Mai 1983 nach der Besprechung mit 
Regierungsvertretern aus dem Gutachten gestrichen. Daß der Druck der 
Bundesregierung Wirkung zeigte, belegen auch zwei frühere Versionen 
des Gorleben-Gutachtens, über die die 'Frankfurter Rundschau' im 
August berichtet hatte.

Nach dem früheren Gespräch am 5. Mai 1983 in der PTB, bei dem 
Röthemeyer und Ministeriumsvertreter anwesend waren, seien Passagen 
der Expertise "schnell umgeschrieben" worden, berichtete die Zeitung. 
In der einen Tag später verschickten Neufassung sei das Projekt 
plötzlich positiv bewertet worden. "Es gab nichts Schriftliches, 
keine schriftliche Weisung, aber wir mussten das Gespräch als klare 
Weisung auffassen", sagte PTB-Abteilungsleiter Röthemeyer der 
'Frankfurter Rundschau'.

Die Änderungswünsche im Auftrag der deutschen Atom-Mafia liegen nun 
erstmals auch schriftlich vor. Offenbar waren Kohl und Riesenhuber 
mit den bereits am 6. Mai vorgenommenen Änderungen am Gutachten immer 
noch nicht zufrieden, denn das nun von der 'Süddeutschen Zeitung' 
veröffentlichte Schreiben aus Riesenhubers Ministerium wurde am 13. 
Mai verschickt. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: 1983 
startete die Erkundung des Salzstocks Gorleben, alternative 
Endlagerstandorte wurden nicht untersucht.

Bemerkenswert ist, daß weder der gegenwärtige Bundes-Atom-Minister 
Sigmar Gabriel noch seine VorgängerInnen im Amt wie etwa Jürgen 
Trittin oder Angela Merkel in ihrer jahrelangen Tätigkeit 
irgendwelche Hinweise auf Manipulationen entdeckt haben wollen. Erst 
nun - nach der Veröffentlichung durch die 'Süddeutschen Zeitung' - 
versucht sich Gabriel an die Spitze des Protests zu stellen und 
spricht von einem Skandal.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Sargnagel für Endlager Gorleben
      Verträge laufen 2015 aus (22.08.09)

      Illegaler Ausbau unter Gorleben
      1,5 Milliarden Euro bereits für Ausbau als "Endlager" 
investiert
      (28.05.09)

Siehe auch:

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Die Subventionierung der Atomenergie
      Folge 3 der Info-Serie Atomenergie

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Folge 12 der Info-Serie Atomenergie 



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