[fessenheim-fr] Artikel zur Demo in Berlin
klausjschramm at t-online.de
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Mo Sep 7 23:25:16 CEST 2009
Hallo Leute!
Hier ein Artikel zur Demo am Samstag in Berlin. Die Fotos
zum Atikel findet Ihr auf der web site
www.netzwerk-regenbogen.de/akwdem090906.html
Ciao
Klaus Schramm
Drei Generationen
Anti-AKW-Bewegung
55.000 in Berlin:
"Mal richtig abschalten!"
Sarah Seide, 19 Jahre, ist aus dem Wendland zur Demo nach Berlin
gekommen. Sie sei schon "seit mehreren Jahren im Widerstand aktiv"
und erklärt: "Mein Vater war schon vor 30 Jahren in Hannover dabei.
Wir Bauern sind ruiniert, wenn Gorleben ein Endlager wird." Und auch
Marianne Fritzen, 85 Jahre, Mitbegründerin der Bürgerinitiative
Umweltschutz Lüchow Dannenberg, ist wieder dabei und verkauft Bücher
an einem Stand an die DemonstrantInnen.
Kurz nach zwei Uhr stehen bereits über 400 Trecker und Themenwagen am
Brandenburger Tor dreireihig auf der der Straße des 17. Juni bis zur
Siegessäule. 55.000 TeilnehmerInnen starten derweil unter dem Motto
"Mal richtig abschalten!" am Berliner Hauptbahnhof und ziehen auf der
Demo-Route zum Brandenburger Tor.
foto 1
Die Mehrzahl ist weder mit einem "rot-grünen" Atom-Ausstieg am Sankt-
Nimmerleins-Tag noch mit "schwarz-gelben" Laufzeitverlängerungen, wie
sie bereits seit über fünf Jahren praktiziert werden, einverstanden.
"Der Trog bleibt der gleiche, nur die Schweine wechseln" ist auf
einem der Motiv-Wagen zu lesen, den die LandwirtInnen aus dem
Wendland mit ihren Treckern nach Berlin mitgebracht haben.
foto 2
Daher war auch klar, daß auf der Kundgebung keine VertreterInnen von
Parteien reden dürfen. Gerade vor der Bundestagswahl will sich die
Anti-AKW-Bewegung nicht instrumentalisieren lassen. Kerstin Rudeck
von der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg begrüßt am Brandenburger
Tor über 55.000 TeilnehmerInnen. Fritz Pothmer, 25 Jahre, von der
Bäuerlichen Notgemeinschaft sagt in seinem Redebeitrag, daß er
zusammen mit seinem Vater Heinrich gekommen ist, der beim ersten
Treck vom Wendland nach Hannover im Jahr 1979 eine Rede gehalten hat.
"In meiner Familie bin ich in der dritten Generation im Widerstand.
Seit 500 Jahren lebt meine Familie auf dem Hof im Wendland.
Eigentlich sind die Trecker, mit denen wir heute hier sind, nicht zum
Demonstrieren gebaut und werden auf den Höfen und Äckern dringend
gebraucht - gerade jetzt in der Kartoffelernte. Aber wir können nicht
anders. Der politische Irrsinn zwingt uns dazu!" Die 55.000
TeilnahmerInnen am Brandenburger Tor stehen aus der Sicht Pothmers
für zwei Drittel der Deutschen, die den Ausstieg wollen. "Merkel ist
eine Erfüllungsgehilfin der Atomlobby und die CDU eine sogenannte
Volkspartei, die an einer Dinosaurier-Technologie festhält."
Pothmer weist in seiner Rede darauf hin, daß der größte Teil der
Kosten, die die Nutzung der Atomenergie verursacht, erst noch auf uns
zukommen: "Diese Kosten, die mehr als 90 Prozent ausmachen, sollen
Gorleben und zukünftigen Generationen aufgebürdet werden. Im Keller
des Bundeskanzleramtes ist der atomare Müll sicherer aufgehoben als
in Asse oder Goleben."
Als Zweiter spricht Ingo Hummel von der IG Metall aus Salzgitter, wo
sich in unmittelbarer Nähe des "Versuchs-Endlagers" Asse II auch
Schacht Konrad und das ehemalige DDR-Endlager Morsleben befinden.
Hummel bringt er einen Motor mit, der nun auf die Reise ins Wendland
geht. Dieser Motor sei ein ein Zeichen der Verbundenheit im Kampf
gegen die Atompolitik. Auch die IG Metall sei ein Motor beim Kampf
gegen Schacht Konrad. Wenige Tage zuvor hatte ein Konvoi von Wendland-
Treckern auf dem Weg nach Berlin einen Abstecher nach Salzgitter
gemacht und einen Findling aus Gorleben mitgebracht.
2006 hatten rund 5000 IG-MetallerInnen vor den Werkstoren gegen
Schacht Konrad protestiert. Die Zeiten der Spannungen zwischen Anti-
AKW-Bewegung und Gewerkschaften scheinen zumindest an der Basis der
Vergangenheit anzugehören. Nicht wenige GewerkschafterInnen waren
noch vor ein oder zwei Jahrzehnten auf Sprüche hereingefallen, daß
ein Atom-Ausstieg Arbeitsplätze gefährde. In Berlin erklärt Ingo
Hummel nun, daß sich auch GewerkschafterInnen davor fürchten, daß ein
Transport-Unfall mit Atommüll in der Region Salzgitter nicht nur den
Verlust von 15.000 Arbeitsplätzen zur Folge haben kann. So wird es
auch als Zeichen der Verbundenheit gewertet, daß IG-Metall-Chef
Berthold Huber von einer Demo in Frankfurt am Main per Übertragung
ein Grußwort nach Berlin sendet.
Radikaler ist da allerdings der Redebeitrag eines älteren Herrn aus
der Umwelt-Bewegung. Hubert Weiger, Bundesvorsitzender des Bund für
Umwelt und Naturschutz (BUND) stellt einen Zusammenhang zwischen der
gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise und dem Irrsinn der
Atomtechnologie her: "Die Maximierung kurzfristiger Gewinne geht zu
Lasten zukünftiger Generationen." Ebenso deutlich weist er darauf
hin, daß die Nutzung der Atomenergie zur Stromgewinnung ebenso wenig
friedlich ist wie die Atombombe. In beiden Fällen sei dies eine
Kriegserklärung an die Schöpfung: "Zukünfige Generationen werden so
zu Opfern des Luxus." Einen Grund zur Freude sieht Weiger aber auch.
Mit Blick auf die Menschenmenge stellt er fest, daß die Anti-AKW-
Bewegung wieder jung geworden ist. Im Gegensatz zu den Azubis der
RWE, die vor wenigen Tagen für die Atomlobby in Biblis
demonstrierten, seien die jungen Menschen hier freiwillig gekommen.
Zwischendurch spielen die Bands 'Ohrboten' und 'Jupiter Jones', die
mit von Punk und Hip-Hop beeinflußtem Rock besonders die jüngeren
ZuhörerInnen erfreuen.
Lauri Myllyvirta, ein Vertreter der Anti-AKW-Bewegung in Finnland,
berichtet von der Pleite, die Areva und Siemens derzeit mit dem Bau
eines Atomkraftwerks vom Typ EPR in Olkiluoto erleben. Ein Projekt
nationalen Stolzes habe sich zu einer nationalen Schande gewandelt.
Der Bau des AKW, das laut Planung längst fertiggestellt und im Juli
2009 Strom ins Netz einspeisen sollte, ist drei Jahre im Verzug und
überschreitet die veranschlagten Baukosten bereits um mehrere
Milliarden Euro. Laut Umfragen ist mittlerweile auch in Finnland eine
Mehrheit gegen Atomenergie. Und Myllyvirta erklärt der immer wieder
verkündeten "Renaissance der Atomenergie", die mit dem Bau in
Finnland manifest werden sollte, eine Absage: "Statt dessen geht
weltweit alle 33 Minuten eine neu Windkraftanlage in Betrieb."
Für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg erklärt Pröbstin
Friederike von Kirchbach, daß die Atomenergie "mit dem biblischen
Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, nicht zu vereinbaren"
sei. Als eiziger Redner tritt Hermann Albers, Vizepräsident des
Bundesverbands Erneuerbare Energie, mit Anzug und Krawatte auf:
"Längere Laufzeiten blockieren den Ausbau der Erneuerbaren Energien."
Albers erklärt, daß "Atomenergie die Stromnetze verstopft und den
Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Netzeinspeisung gefährdt."
Die Atomenergie stelle auf diese Weise künftige
Milliardeninvestitionen des deutschen Mittelstands infrage. "Ein
harmonisches Miteinander der Technologien ist ein Märchen der großen
Energiekonzerne."
Als die Trecker und Motivwagen am Ende der Demo in einem Defilee am
Brandenburger Tor verbeifahren, ernten sie einen für mehr als eine
Stunde ununterbrochenen Beifall. Ob groß ob klein, alle werden
begeistert gefeiert und antworten mit Winken und anhaltendem Hupen.
fotos
In einer Medien-Mitteilung zum Abschluß der Demo erklärt die BI
Umweltschutz Lüchow Danneberg: "Vielen Menschen wird klar, die
Atomkraft behindert den forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Und die Katastrophenmeldungen aus der Asse und Morsleben graben sich
ins Gedächtnis ein, es gibt weltweit kein sicheres Endlager. Die
Wahrheit zu Gorleben setzt sich nach 30 Jahren beharrlicher Arbeit
der Umweltbewegung endlich durch, dieser Standort ist geologisch
unmöglich und politisch verbrannt."
Es sei zwar klasse, daß sich SPD, Grüne und Linke zum Atom-Ausstieg
und Gorleben positionieren. "Doch nach der Wahl ist vor der Wahl. Wir
messen die Politiker nicht an ihren Wahlversprechen, sondern an ihren
Taten. Egal, welche Partei am 27. September die Wahl gewinnt, mit uns
als außerparlamentarischer Kraft muß man rechnen. Wir werden keine
faulen Atomkompromisse hinnehmen, wir fordern den sofortigen Rückbau
des Bergwerks in Gorleben."
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel
Über 100 Trecker bereits auf dem Weg
nach Berlin zur Demo am 5. September (31.08.09)
Anti-Atom-Demo
in Berlin am 5. September: "Mal richtig abschalten" (30.03.09)
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