[fessenheim-fr] Info-Serie Atomenergie - Folge 8

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Mi Aug 12 17:15:20 CEST 2009


Info-Serie Atomenergie
Folge 8

Die stille Katastrophe

Bereits der "Normalbetrieb" von Atomkraftwerken ist eine stille 
Katastrophe. Noch vor einem Vierteljahrhundert wurde von Atom-
Industrie und Politik behauptet, aus einem Atomkraftwerk könne keine 
Radioaktivität entweichen. Doch bereits damals war Fachleuten 
bekannt, daß radioaktives Tritium, das in Atomreaktoren entsteht, von 
keinem der in den Kraftwerken eingesetzten Materialien zurückgehalten 
werden kann.

Das gasförmige Tritium ist ein Isotop des Wasserstoffs. Seine 
Halbwertzeit beträgt 12 Jahre. Die Ausbreitung dieses Gases ist 
nahezu unkontrollierbar. Es entweicht durch die Wände sowohl von 
Stahl-, als auch von Beton- und Kunststoff-Tanks. Und Tritium ist nur 
einer aus einer Vielzahl radioaktiver Stoffe, die bei der 
"friedlichen" Nutzung der Atomenergie in die Biosphäre gelangen.

Am 7. Dezember 2007 wurde eine Studie veröffentlicht, die vom 
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Auftrag gegeben worden war. 
Bereits im Juli 2007 lag eine entsprechende US-amerikanische Studie 
vor, die nach einer Untersuchung an 136 Atomkraftwerke zum Ergebnis 
kam, daß das Krebsrisiko im näheren Umkreis von Atomkraftwerken um 
durchschnittlich 24 Prozent erhöht ist. Eine deutsche Studie aus dem 
Jahr 2001 ermittelte bei einer Untersuchung dreier bayerischen AKW, 
daß die kindliche Krebsrate in deren Umkreis hochsignifikant um 30,6 
Prozent erhöht ist. Doch erst die im Dezember 2007 veröffentlichte 
Studie schlug in den deutschen Mainstream-Medien Wellen.

Auch die BfS-Studie zeigte auf, daß Kleinkinder, die in der Nähe von 
Atomkraftwerken leben, signifikant häufiger an Krebs erkranken. Laut 
der Studie steigt die Zahl krebskranker Kinder, je näher ihr Wohnort 
an einem der 17 deutschen Reaktorstandorte liegt. Dennoch wurde das 
Ergebnis von Atom-Industrie und Politik heruntergespielt und ein 
ursächlicher Zusammenhang zwischen Atomkraftwerk und Krebserkrankung 
in Abrede gestellt.

Neben der Freisetzung von Radioaktivität beim "Normalbetrieb" der 
Atomkraftwerke, bei den alterungsbedingt immer häufigeren Pannen und 
bei den keineswegs seltenen schweren Unfällen, tragen Uran-Abbau, 
Uran-Anreicherung, der Betrieb von Brennelementefabriken und die 
Plutoniumfabriken ("Wiederaufarbeitungsanlagen") zur radioaktiven 
Verseuchung der Umwelt bei.

Die französische Plutoniumfabrik La Hague am Ärmelkanal "entsorgt" 
ihre Radioaktivität über Kamine und Pipelines. Nach Angaben des 
'World Information Service on Energy' (WISE) in Paris gibt La Hague 
40mal mehr Radioaktivität in die Umwelt ab als alle rund 440 weltweit 
betriebenen Reaktoren zusammen. Das Risiko, im Umkreis der Anlage an 
Leukämie zu erkranken ist "statistisch signifikant erhöht", schrieb 
bereits 1990 das 'British Medical Journal'.

Nach einem Report von CRIIRAD, einem unabhängigen Forschungslabor, 
wurden in Luft, Wasser und Boden rund um La Hague hohe Werte an Jod-
129 gemessen. Die radioaktiven Abwässer aus La Hague gelangen über 
den Golfstrom durch den Ärmelkanal in die Nordsee und die Deutsche 
Bucht. Den Südwesten Norwegens erreichen sie in gut einem Jahr.

Zwischen 1967 und 1969 ließ die französische Atomenergiekommission 
CEA 46.000 radioaktive Behälter aus Marcoule im Atlantik versenken. 
Selbst im Mittelmeer, nur 80 Kilometer von der Küste entfernt, wurde 
trotz der Proteste des bekannten Meeresfoschers Jacques Cousteau, 
Atommüll versenkt.

1997 entdeckte Greenpeace, daß die Cogema, Betreiberfirma von La 
Hague, ihren radioaktiven Müll einfach ins Meer leitet. Durch eine 
Rekordebbe lag eines der Abfallrohre frei. Die damalige französische 
Umweltministerin, Dominique Voynet, ließ die Angaben von Greenpeace, 
die von der Cogema heftig abgestritten wurden, überprüfen. Die 
Messungen ergaben, daß die Werte wesentlich höher waren, als es 
selbst Greenpeace für möglich gehalten hatte. Der erlaubte EU-Wert 
von 100.000 Becquerel pro Kilogramm wurde mit gemessenen 155 
Millionen Becquerel weit übertroffen. Ein unabhängiges Forschungsteam 
maß sogar 3.000fache Überschreitungen. Außerdem wiesen die 
WissenschaftlerInnen nach, daß Strände, Meerwasser und Fische in der 
Nähe der Anlage hoch verseucht waren. Das führte letztendlich dazu, 
daß die französische Umweltministerin die Strände sperrte und ein 
Fischfangverbot erließ.

Die Auswirkungen der britischen Plutoniumfabrik Sellafield 
übertreffen selbst die der Anlage in La Hague. Allein zwischen 1979 
und 1986 hatten sich 672 Unfälle ereignet. Wie La Hague setzt auch 
Sellafield auf "Verdünnungsentsorgung" und verseucht bedenkenlos Luft 
und Wasser. Die norwegische Strahlenschutzbehörde schätzt die 
freigewordene Radioaktivität auf 40.000 Becquerel, die sich über 
Tausende von Kilometern in den Ozeanen verbreitet haben. Bis nach 
Kanada und in den arktischen Gewässern läßt sich die aus Sellafield 
freigesetzte Radioaktivität nachweisen.

Nach einem Bericht der EU von 1988 wurden bis dahin 250 Kilogramm 
Plutonium in die Irische See geleitet. Ende 1998 lag ein wichtiger 
Teil der Anlagen von Sellafield still, weil Abflußkanäle verstopft 
waren, in denen sich der radioaktive Müll staute.

Nach einer Studie des Österreichischen Umweltbundesamtes kam es im 
Umkreis von Sellafield zu Krebs- und Leukämieerkrankungen, die um das 
10fache über dem nationalen Durchschnitt liegen. 
Knochenmarkserkrankungen, ungeklärte Todesfälle, Mißbildungen bei 
Tieren und überdurchschnittlich viele Geburten mongoloider Kinder 
sind ein Beweis dafür, wie sich die Radioaktivität auf die 
unmittelbare Umwelt auswirkt.

In Großbritannien wird radioaktiver Müll an über 50 verschiedenen 
Stellen ins Meer geleitet. Allein zwischen 1946 und 1982 gelangte 
Atommüll von insgesamt 46 Petabecquerel (46.000.000.000.000 
Becquerel) ins Meer. Der weitaus größte Teil landete vor den 
europäischen Westküsten und in der Irischen See.

Auch in Deutschland kam es immer wieder zur Freisetzung von 
radioaktiven Materialien in die Umwelt. So berichtete die 'Hamburger 
Morgenpost' am 9. Februar 1988, daß Atommüll aus den AKWs Brokdorf, 
Krümmel und Brunsbüttel einfach auf Hausmülldeponien gekippt worden 
war. All dies geschieht unter den Augen der Behörden. Denn diese 
hatten dafür gesorgt, daß alle Kennzeichnungen am Müll zu entfernen 
waren, um keinen Hinweis auf die Herkunft des Mülls zu ermöglichen.

Selbst die Universitätsklinik Düsseldorf sowie Dutzende anderer 
Kliniken entsorgten ihren radioaktiven Müll auf lukrative Weise. Wie 
der 'stern' am 25. März 1982 aufdeckte, wurde der Strahlenmüll zu 
normalem Müll umdeklariert und entgegen den Vorschriften, aber 
erheblich preisgünstiger, über die städtische Müllabfuhr "entsorgt" 
und letztlich verbrannt.

Auch medizinische Behandlungsgeräte gelangen immer wieder als Schrott 
in den Handel. 1987 wurden in Brasilien Hunderte Menschen auf diese 
Weise radioaktiv kontaminiert. Sechs der am schwersten Verstrahlten 
starben. Aber auch in Deutschland ist es üblich, radioaktiv 
kontaminierten Metallschrott einfach wieder einzuschmelzen. Dabei ist 
die Gefahr, die von der Strahlung ausgeht, nicht kalkulierbar. 1994 
registrierte das Bundeskriminalamt sechs Fälle mit radioaktivem 
Schrott und 1995 fünf Fälle.

Im Juni 1998 überzog eine radioaktive Cäsium-Wolke weite Teile 
Südeuropas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz. Das Schweizer 
Bundesamt für Gesundheit registrierte Werte bis zu 150 Microbecquerel 
pro Kubikmeter. Das war der höchste Wert seit der Reaktorkatastrophe 
von Tschernobyl. Die Ursache: Im südspanischen Stahlwerk Acerinox in 
Algeciras war radioaktiver Stahl "unbekannter Herkunft" 
eingeschmolzen worden.

Die größte und älteste Atommacht der Welt, die USA, steht ebenfalls 
vor unlösbaren Problemen bei der "Entsorgung" ihres Atommülls, die 
sich innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem einzigen Fiasko 
entwickelte. Im US-Staat Washington an der Pazifikküste befinden sich 
auf der Hanford Site neun alte Plutonium-Reaktoren und große Mengen 
Atommülls. Auf einer Fläche von 1.450 Quadratkilometern - rund zwei 
Drittel der Fläche des Saarlands - wurden 60 Prozent des Plutoniums 
für die amerikanischen Atomwaffen hergestellt.

Die 'Zeit' schrieb hierüber am 26. Mai 1995:
"In diesem Gebiet wurden 1,6 Milliarden Hektoliter radioaktiv oder 
chemisch verseuchte Flüssigkeiten in den Boden gekippt. Von hier aus 
wurde mit radioaktiven Abwässern das Grundwasser und der Columbia 
River verseucht, wurden mit dem Westwind Krebs und 
Schilddrüsenerkrankungen in die nahen Dörfer getragen. Hier sind 
765.000 Kubikmeter leicht verstrahlten Abfalls flach im Boden 
verscharrt und wurden 1.400 verseuchte Geländestellen kartographiert -
 bislang.(...) Die K-Basins zum Beispiel, zwei Betonklötze, keine 
vierhundert Meter vom Fluß entfernt: Was tun damit? Hinter den 
fensterlosen Mauern liegen 2.300 Tonnen ausgebrannten 
Reaktorbrennstoffs in großen Becken. Die Gebäude verfallen. Ihr 
Ventilationssystem ist so veraltet wie die elektrischen Leitungen und 
Wasserleitungen. Die mehr als 100.000 Brennstäbe, teils in Aluminium, 
teils in Stahlbehältern sechs Meter unter der Wasseroberfläche, 
sollten hier ursprünglich nur für Monate zwischengelagert werden. 
(...) Dann ging der Kalte Krieg zu Ende und das nahe gelegene Werk 
zur Wiederaufarbeitung wurde geschlossen. Nun zeigen viele Brennstäbe 
und Behälter Zersetzungserscheinungen, entlassen Plutonium und 
Strontium-90 ins Wasser. Ab und zu aufsteigende Blasen beweisen den 
Zerfallsprozeß. Auf dem Boden des Bassins hat sich tödlicher Schleim 
gebildet. (...) Oder die "tank farm". Sie ist das andere der beiden 
schwersten Probleme im Hanford-Gebiet. Nur Betonplatten und Meßgeräte 
sind jenseits des Zauns zu sehen. Darunter liegen in zwei bis drei 
Meter Tiefe 177 Tanks. Von diesen 177 haben nur 28 doppelte Wände, 
aber jeder einzelne ist bis zu zehn Meter Höhe mit hochgradig 
radioaktiven Abfallflüssigkeiten gefüllt."

In Rußland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist die Lage 
noch schlimmer. Auf der Halbinsel Kola, direkt neben Norwegen und 
2000 Kilometer von Hamburg entfernt, lagern mehr als 200 
verschrottete Atomreaktoren, die überwiegend aus Atom-U-Booten 
stammen. Hinzu kommen Zwischenlager mit hochradioaktiven 
Brennelementen. Die Behälter haben Risse, und das Gelände wird nicht 
überwacht, ja es ist noch nicht einmal eingezäunt. Radioaktivität 
wird frei. Im 'stern' vom 12. Juni 1997 wurde über die Stadt Murmansk 
auf der Halbinsel Kola berichtet: Nur noch zwei Prozent der Kinder 
kommen dort gesund zur Welt.

Nach Berichten des 'stern' vom 20. März 1997 und der 'Hamburger 
Morgenpost' vom 23. September 1995 kam es in Daurija nahe der 
chinesischen Grenze beinahe zu einem radioaktiven Inferno. Der 
Kommandeur der 122. Artilleriegardedivision ließ das örtliche 
Elektrizitätswerk von 15 mit Maschinenpistolen bewaffneten Soldaten 
stürmen, weil der Strom für die Atommüll-Deponie abgeschaltet worden 
war. Da die russische Armee ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlte, 
stellten die örtlichen Elektrizitätswerke am Polarmeer kurzerhand den 
Strom ab. Bei einem von vier stillgelegten Atom-U-Booten fiel 
daraufhin das Kühlsystem aus. Erst Marinesoldaten mit vorgehaltenen 
Waffen konnten erzwingen, daß der Strom wieder angeschaltet wurde, 
und so ein Durchgehen des Reaktors verhindern.

Das Meer dient auch den Russen seit Jahrzehnten als Müllschlucker für 
nuklearen Abfall. Unbrauchbare Atomreaktoren samt anderer nuklearer 
Hinterlassenschaften werden einfach ins Meer gekippt. Auch in den 
Gewässern um die Inselkette Nowaja Semlja hatte die Sowjetunion unter 
Mißachtung aller völkerrechtlichen Verträge jahrzehntelang 
hochradioaktiven Müll jeglicher Art in der Karasee versenkt. Hinzu 
kommen die hochradioaktiven Abfälle aus der Plutoniumproduktion in 
Tomsk, die durch den Fluß Ob in die Karasee entsorgt werden. Nach 
Angaben von Nikolai Aibulatow, Direktor am Ozeanographischen Institut 
der Russischen Akademie der Wissenschaften, wurden sowohl in der 
Karasee als auch in der Nähe der Hafenstadt Amderma bedrohliche 
Strahlenwerte gemessen. Die Fische seien verseucht. Doch ungerührt 
wird weiterhin Atommüll ins Meer "entsorgt".

Die Zustände in anderen Ländern wie China, Pakistan, Indien, Israel, 
Brasilien, Argentinien oder Südafrika, die das Spiel mit dem 
nuklearen Feuer ebenfalls angefangen haben, sind noch katastrophaler.

1987 sorgten bestochene Atomenergie-Manager und geschmierte 
Kontrolleure für den größten Skandal in der Geschichte der deutschen 
Atomindustrie. Der 'spiegel' schrieb am 28. Dezember 1987: "(...) 
illegale Schiebereien mit falsch deklariertem Atommüll zeigen: Selbst 
der hochgiftige Bombenstoff Plutonium, angeblich Milligramm für 
Milligramm scharf überwacht, kann der internationalen Kontrolle 
entzogen werden." Die gesamte deutsche Atomindustrie hatte zwischen 
Deutschland und dem belgischen "Atomforschungszentrum" Mol Atommüll 
hin- und hergeschoben. Angeblich sollte in Mol deutscher Atommüll 
behandelt werden. Aber in Mol wurden nur weitere Mengen hochgiftigen 
Mülls wie Plutonium und radioaktives Kobalt-60 in den deutschen Müll 
gemischt. Dann wurde Zementpulver auf die Oberfläche gestreut. 
Dadurch kam Feuchtigkeit in die Behälter. Es entwickelten sich Gase , 
die Fässer blähten sich auf und drohten zu explodieren. Danach ließen 
die Gangster den Atommüll auf belgischen Müllkippen verschwinden oder 
transportierten ihn zurück nach Deutschland. Mol war der europäische 
Rangierbahnhof für Atommüll, in dem in schwachradioaktiven Müll 
hochradioaktives Reaktormaterial geschmuggelt und dann in die 
Schweiz, nach Frankreich und Deutschland transportiert wurde.

Die Hanauer Atomfirma Transnuklear, die 80 Prozent aller Transporte 
strahlender Fracht in Deutschland abwickelte, täuschte die 
Öffentlichkeit. Erst wurde dementiert, dann schließlich 
scheibchenweise zugegeben, was nicht mehr zu leugnen war. Aus den 
"Unkorrektheiten" mit wenigen Fässern wurde der größte 
Korruptionsskandal der deutschen Atomgeschichte, der bewies, daß 
Mafiastrukturen in der Atomindustrie alltäglich sind. Aus den 
"wenigen" Fässern wurden über 2000 Stück, Begleitpapiere waren 
gefälscht, und über 20 Millionen Mark an Schmiergeldern waren 
geflossen. Unter anderem wurden rund 100 Mitarbeiter aller deutscher 
Atomkraftwerke geschmiert.

Ein wahrer Sumpf tat sich auf: Nummernkonten in der Schweiz, 
Schwarzgeld in den Kassen und Listen mit Namen aus dem gesamten 
Bereich der Atomindustrie. Honorige Mitarbeiter aus Atomkraftwerken 
und Elektrizitätsgesellschaften, Strahlenschutzbeauftragte und 
Sicherheitsexperten verkauften sich an die Atom-Mafia und wurden 
erpreßbar. Beliefen sich die Bestechungsgelder im April 1987 auf 
"nur" fünf Millionen Mark, so erhöhte sich nach näherer Durchforstung 
der Unterlagen diese Summe auf 21 Millionen. Besuche in teuren Luxus-
Bordellen, kostbare Geschenke und sehr viel bares Geld kamen zum 
Einsatz. Auch Mitarbeiter der Atomforschungszentren in Jülich und 
Karlsruhe, aber auch in Mol und anderen ausländischen Anlagen, die 
sich an den Manipulationen beteiligten, wurden nicht vergessen.

Die 'Zeit' schrieb am 22. Januar 1988: "Der Transnuklear-Skandal in 
Verbindung mit dem Atombetrieb in Mol macht augenfällig, wie mühelos 
Hunderte von Atommüllfässern mit ungenauen oder gar falschen 
Deklarationen über Grenzen verschoben, gelagert und zurückgenommen 
werden können."

Auch die Gefahr durch sogenannte Niedrigstradioaktivität wurde über 
Jahrzehnte hin heruntergespielt. Die "Erkenntnisse" basierten lange 
Zeit weitestgehend auf den Daten über die Atombombenabwürfe von 
Hiroshima und Nagasaki. Da die US-Regierung aber sämtliches Material 
über die Strahlungsmenge beschlagnahmen, vernichten oder verfälschen 
ließ, sind die darauf beruhenden Risikoberechnungen äußerst 
fragwürdig.

Erste Anzeichen, daß "Niedrigstradioaktivität" für die davon 
Betroffenen gefährlich ist, zeigten sich in einer Firma im Mittleren 
Westen der USA. Die Radium Dial Company stellte Leuchtzifferblätter 
für Uhren her. Reihenweise starben junge Mitarbeiterinnen an 
Radiumvergiftung oder Krebs. Strahlenschutzexperten stritten einen 
Zusammenhang ab. Bestochene Anwälte weigerten sich, die Opfer zu 
vertreten. Erst 1978 wurde die Firma wegen "Gesundheits- und 
Sicherheitsrisiken" geschlossen.

Dann folgten die Studien von Thomas Mancuso, Alice Stewart und George 
Kneal. Alice Stewart wies für Leukämie im Kindesalter eine 
verursachende Stahlenbelastung von 0,2 Rem nach. In einer weiteren 
Studie an 30.000 Arbeitern in der US-amerikanischen Hanford-Anlage 
wurde nachgewiesen, daß Strahenkrebs zehn- bis dreißigmal häufiger 
auftrat, als nach den Berechnungsgrundlagen der 
Strahlenschutzbestimmungen angenommen worden war.

Jahrelang wurde in den USA mit Gutachten und Gegengutachten darum 
gestritten, ob es einen sicheren "Schwellenwert" gäbe. 1980 kam das 
BEIR-Komitee (Biological Effects of Ionizing Radiation) in seinem 
BEIR-3-Report zum Schluß, daß kein solcher Schwellenwert existiert. 
Auch das US-amerikanische NRC (Nuclear Regulatory Commission) gab 
daraufhin über die Medien bekannt, daß es keinen Strahlenwert gebe, 
der harmlos sei. So wurde angeregt, den "Toleranzwert" für Arbeiter 
von 5 Rem auf 0,5 Rem herabzusetzen. Dennoch veröffentlichte die US-
Regierung 1985 einen Bericht, den verschiedene Gesundheitsbehörden 
herausgaben, in dem die Strahlung verharmlost und alle neuen 
Erkenntnisse völlig ignoriert wurden.

1988 veröffentlichte eine amerikanisch-japanische Forschergruppe in 
der Wissenschaftszeitschrift 'Science', daß bereits niedrige Mengen 
radioaktiver Strahlung etwa fünfmal gefährlicher für die menschliche 
Gesundheit sind als bisher angenommen. Die auf den Opferzahlen von 
Hiroshima und Nagasaki beruhenden Berechnungen seien von einer 
theoretischen Annahme ausgegangen, die nachweisbar falsch war. Die 
Atombomben-Opfer hatten erheblich weniger Strahlung abbekommen als 
berechnet, denn damals sei die Wirkung der Neutronenstrahlen viel zu 
hoch angesetzt worden.

Die US-amerikanische Akademie der Wissenschaften brachte Ende 1989 
einen Bericht heraus, wonach das Risiko, durch schwache Strahlung an 
Krebs zu erkranken viermal höher sei als bisher angenommen. Die 
ionisierende Strahlung, ob von Atomanlagen, Röntgengeräten oder 
natürlichem Hintergrund, sei unterschätzt worden. Selbst das BEIR-
Komitee mußte 1990 erneut die durch "Niedrigstradioaktivität" 
verursachten Schäden um das Vierfache anheben.

1991 folgte eine weitere Studie, bei der die Todesursache von 8.318 
Männern in der Atomfabrik Oak Ridge untersucht wurde. Noch 1977 war 
die Anzahl der Krebsfälle im unauffälligen Bereich. Doch inzwischen 
hatte sich die Lage dramatisch verändert. Die Krebs- und Leukämierate 
war hochgeschossen. Der 'spiegel' berichtete in seiner Ausgabe vom 
25. März 1991: "Fazit der Studie: In allen vorhandenen Untersuchungen 
in Atomanlagen wurde die Krebsgefahr bei weitem unterschätzt, weil 
die Beobachtungen zu früh abgebrochen wurden. Offenbar zeigen sich 
viele Tumore erst nach mehr als 20 Jahren, nachdem die radioaktiven 
Strahlen auf das Gewebe eingewirkt haben."

Nach wie vor wird auch heute häufig ein wichtiger Unterschied 
zwischen der Belastung durch die natürliche Hintergrundstrahlung und 
künstliche Strahlungsquellen unterschlagen: Von außen auftreffende 
Strahlung dringt zum Teil erst gar nicht durch die Haut ein und 
strahlt, wenn sie vom Körper absorbiert ist, dort nicht mehr weiter. 
Die Strahlenquelle liegt im All, in der Sonne oder im Gestein der 
Erde gebunden. Im Gegensatz zu einer 100-mrem-Belastung durch Fallout 
sendet eine 100-mrem-Belastung durch eine Röntgenaufnahme keine 
strahlenden Teilchen aus, die vom Menschen aufgenommen werden können.

Beim "Normalbetrieb" der Atomkraftwerke und erst recht bei Unfällen, 
werden hunderte verschiedener Isotope als einzelne strahlende 
Teilchen frei. Sie gelangen beim Atmen, durch Lunge und Haut und 
durch Nahrungsaufnahme in den Körper und werden dort in 
unterschiedlichen Konzentrationen in verschiedenen Organen eingebaut. 
Dort strahlen sie über Jahre hinweg und zerstören natürliche 
Zellfunktionen, so daß sie Krebs und andere Krankheiten auslösen 
können.

Dabei ist es unsinnig zu fragen, wieviel Becquerel für einen Menschen 
schädlich sind. Denn bei der Strahlung ist es, wie wenn jemand mit 
einem Maschinengewehr blind in die Menge schießt. Da wäre es unsinnig 
zu fragen, wieviele Kugeln tödlich sind. Aber die Chance, getroffen 
zu werden, ist um so größer, je mehr Kugeln pro Sekunde in die Menge 
geschossen werden.


NETZWERK REGENBOGEN


Die übrigen Folgen der Info-Serie:

  1 Grundlagenwissen

  2 Der deutsche "Atom-Ausstieg"

  3 Die Subventionierung der Atomenergie

  4 Der siamesische Zwilling: Atombombe

  5 Umweltverbrechen Uran-Abbau

  6 Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie

  7 Die Geschichte der Atom-Unfälle

 

  9 Der italienische Atom-Ausstieg

10 Schwedens "Atom-Ausstieg"

11 Atomenergie in Frankreich

12 Das ungelöste Problem der Endlagerung




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