[fessenheim-fr] Interview zum Thema Endlager
klausjschramm at t-online.de
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Mi Jul 8 18:55:34 CEST 2009
Hallo Leute!
Hier ein interessantes Interview aus dem 'Schweizer Beobachter'
zum Thema Atommüll-Endlager. Danke an Axel Mayer, der es
weitergeleitet hat.
Ciao
Klaus Schramm
Der Schweizerische Beobachter
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Atommüll-Tiefenlager
«Welche Technik hält schon eine Million Jahre?»
Text:
Thomas Angeli
und Otto Hostettler
Nichts kann garantieren, dass aus einem Atommüll-Tiefenlager keine
Radioaktivität in die Umwelt gelangt, sagt der Wiener Risikoforscher
Wolfgang Kromp. Er fordert kleinere, dezentrale Lager.
Wo soll ein geologisches Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle zu
liegen kommen, bei Benken im Zürcher Weinland, an der Lägern oder am
Bözberg? Dass von betroffenen Gemeinden Widerstand zu erwarten ist,
weiss
man. Die Angst vor Unfällen und Lecks in der unterirdischen Anlage im
Opalinuston lässt die Emotionen hochgehen.
Das Modell eines einzigen, zentralen Lagers für die hochradioaktiven
Abfälle galt bisher als unbestritten. Nun stellt es der
österreichische
Risikoforscher Wolfgang Kromp in Frage. Der Leiter des Instituts für
Risikoforschung an der Uni Wien fordert ein Lagerungskonzept, bei dem
der
grösste anzunehmende Unfall für die Menschheit noch beherrschbar wäre
--
bei einem zentralen Lager sei das nicht der Fall.
Beobachter: Herr Kromp, die für die Entsorgung zuständige Nagra sagt,
ein geologisches Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle im
Opalinuston
sei «technisch machbar». Wie sehen Sie das? Wolfgang Kromp: Mit den
Theorien über die sicheren Gesteinsarten ist es wie mit der Mode. Die
wechselt auch immer mal wieder. Die Schweiz will ein Endlager im
Opalinuston, die Schweden bleiben beim Granit, die Deutschen setzen
auf
Salz. Wo einer zu bohren beginnt und jemand Geld investiert hat, wird
dies
früher oder später als die technische Lösung betrachtet. Und
irgendwann
kommt man dann darauf, dass es eben doch nicht geht. Vor über 20
Jahren
sah man in Deutschland das Salzgestein als Ort für ein Endlager.
Schliesslich fand man heraus, dass Wasser durch einen Salzstock
durchlaufen kann. In der Asse ist das Lager auch tatsächlich
abgesoffen.
Jetzt haben sie den Scherbenhaufen.
Beobachter: Als Beweis, dass der Opalinuston sicher ist, präsentiert
die
Nagra gern eine 180 Millionen Jahre alte versteinerte Schnecke...
Kromp:
Solchen Versteinerungen sieht man nicht an, wie oft sie im Lauf der
Jahrmillionen nass wurden. Es mag Gebiete auf der Erde geben, die die
kommenden Millionen Jahre relativ unbeschadet überstehen. Aber wir
können
nicht sagen, wo sich diese befinden. Aus der Vergangenheit jedenfalls
lässt sich nicht auf eine ferne Zukunft schliessen. Über kurze
Zeiträume
mag das gehen, aber über geologische Zeiträume hinweg ist das
fahrlässig.
Die Erdkruste ist in Bewegung, in Zehntausenden, ja Hunderttausenden
von
Jahren können sich etwa Wasserwege verschieben. Plutonium oder andere
radioaktive Substanzen, die bis zu diesem Zeitpunkt schön
konzentriert in
Behältern aufbewahrt waren, breiten sich dann plötzlich über viele
Quadratkilometer aus. Das ist nie mehr rückholbar. Kurz: Ich bin der
Meinung, dass die Tiefenlagerung eine Fehlentwicklung ist.
Beobachter: Und was ist Ihrer Ansicht nach die Alternative?
Kromp: Ein Lager muss so beschaffen sein, dass es für alle Zeiten
überwachbar und reparierbar ist und die Abfälle rückholbar sind. Im
Ernstfall kann Wasser eindringen, ein Vulkan ausbrechen oder die
Lagerstätte von einem der in Hunderttausenden Jahren zahlreich
wiederkehrenden Gletscher ausgeschürft werden. Dann wäre der
Opalinuston
mit seinen schönen versteinerten Schnecken im Rhein -- oder sonst
irgendwo. Und wer wird in Zehntausenden von Jahren noch wissen, wo
genau
diese wahnwitzigen Vorfahren ihren Abfall vergraben haben? Mir ist
das
unheimlich. Ich möchte, dass diese Lager in Oberflächennähe bleiben.
Da
kann der Mensch eingreifen.
Beobachter: Das wäre in einem Tiefenlager auch möglich.
Kromp: Wenn das Tiefenlager -- und das ist für jedes Tiefenlager
früher
oder später zwingend vorgesehen -- einmal zubetoniert ist, bleibt es
zu.
Glauben Sie wirklich, dass in einem Ernstfall irgendjemand das
grausliche
Ding ausgräbt, um zu sehen, wo das Problem liegt? Das wäre dann
ohnehin
viel zu spät. Die radioaktiven Stoffe hätten sich längst
ausgebreitet.
Beobachter: Hochradioaktive Abfälle an einem oberirdischen Ort
gelagert -- da dürfen wir gar nicht daran denken, was passieren
könnte.
Kromp: Etwas Fels und Beton sollten schon noch dazwischen sein. Aber
ich
möchte das Lager sicher nicht in 500 oder 1000 Meter Tiefe bauen. Da
wäre
langfristig gesehen jede Art von Inspektion extrem schwierig. Wenn
man ein
solches Lager zugänglich halten will, muss man sicherstellen, dass
kein
Wasser dazukommt. Aber in Benken etwa müssen Sie zwei Wasserhorizonte
durchstossen. Und wo ist der Nachweis, dass es eine Technik gibt, die
einen verfüllten Zuführungsschacht für Jahrmillionen dicht hält?
Beobachter: Sie plädieren für ein dezentrales Lagerungskonzept. Wie
stellen Sie sich das konkret vor? Kromp: Meiner Meinung nach braucht
man
für eine begrenzte Anzahl Menschen jeweils auch ein Lager für
atomaren
Abfall. Es geht darum, die optimale Grösse zu finden.
Beobachter: Soll denn jede Gemeinde ein eigenes Atommülllager
betreiben?
Kromp: Das kann ich nicht beurteilen. Ich sage nur: Wir müssen über
Risikoaufteilung nachdenken, statt einen Ort für ein einziges
riesiges
Tiefenlager zu suchen, den man prinzipiell nicht finden kann.
Insbesondere
wäre langzeitige Überwachung zu etablieren, ähnlich wie wir solche
seit
Anbeginn der Menschheit für unsere Krankheiten, Kriminellen und
anderes
leisten mussten und werden müssen.
Beobachter: Weshalb soll ein dezentrales Oberflächenlager sicherer
sein
als ein zentrales Tiefenlager? Kromp: Ich sage nicht, dass man die
Dezentralität zu weit treiben darf. Ich rechne damit, dass irgendwann
etwas passiert, sowohl bei einem zentralen wie auch bei einem
dezentralen
Konzept. Wenn in den Yucca Mountains, wo die Amerikaner ihren
gesamten
Atommüll an einem Ort lagern wollen, etwas schiefläuft, kann das eine
Katastrophe mit globalen Dimensionen sein. Die Grösse von dezentralen
Lagern muss sich deshalb danach richten, ob der schlimmstmögliche
Unfall
für Mensch und Umwelt einer begrenzten Region noch verkraftbar wäre.
Beobachter: Also jeweils für zwei oder drei Atomkraftwerke ein
temporäres Lager?
Kromp: Ja, oder von mir aus bei jedem Atomkraftwerk ein Lager. Im
Gegensatz zu den derzeit üblichen Zwischenlagerhallen müsste man ein
solches Lager schon in einiger Tiefe oder in einem Berg einbunkern,
damit
es auch vor Anschlägen gut geschützt ist. Wie das genau ginge,
darüber
müssen sich die Techniker Gedanken machen.
Beobachter: Wird Ihnen eigentlich manchmal vorgeworfen, dass solche
Ideen bloss Wunschdenken eines Atomkraftgegners sind? Kromp: Ja
freilich. Das Wunschdenken eines Wahnsinnigen. (Lacht) Aber Sie
müssen
einmal über die Alternative nachdenken. Ich sage ja nicht, dass mein
Vorschlag ideal ist. Es gibt hier gar keine ideale Lösung -- unter
schlechten Lösungen gilt es, die am wenigsten riskante zu wählen. Ein
wichtiger Teil der Lösung ist, möglichst rasch aufzuhören, Stoffe zu
erzeugen, die uns noch Jahrmillionen beschäftigen werden.
Beobachter: Aber solange keine Lösung für die Abfälle gefunden ist,
haben doch die AKW-Gegner ein ideales Pfand in der Hand. Kromp: Ich
finde nicht, dass dies ein gutes Pfand ist, ich denke an meine
Nachkommen
und deren Zeitgenossen. Recht zu haben ist vielleicht ganz schön,
aber ob
ich nun für oder gegen Atomkraft bin oder ob es mir egal ist: Das
Zeugs
ist nun einmal da, und wir sind ratlos. Ein Teil dieser Strahlung
wird
irgendwann freigesetzt werden, sei es durch ein Erdbeben, sei es
durch
eine militärische Aktion -- durch irgendwas. Wenn wir 100 Lager
haben,
wird vielleicht alle 10'000 Jahre etwas passieren. Wenn wir 1000
Lager
haben, häufiger. Aber: Je kleiner die Lager sind, desto verkraftbarer
wird
dieses Ereignis sein -- und auch die Menschheit daran erinnern, dass
hier
weiter respektive besser aufgepasst werden muss.
Beobachter: Ihr Konzept beruht darauf, dass der Mensch grundsätzlich
keine bösen Absichten hegt, also etwa keine Terroristen ein
dezentrales
Lager stürmen. Das scheint uns ziemlich naiv. Kromp: Es wird böse
Absichten geben, da mache ich mir keine Illusionen. Ich glaube
jedoch,
dass man den Müll so konditionieren kann, dass man ihn nicht einfach
in
der Hosentasche wegtragen kann. Ein Brennelement wiegt immerhin gut
200
Kilogramm. Da gibt es an der Erdoberfläche wesentlich einfacher
handhabbare und lohnendere Mittel.
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