[fessenheim-fr] 28. März 1979 - Der Atom-Unfall von Harrisburg
klausjschramm at t-online.de
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Sa Mär 28 13:35:52 CET 2009
Hallo Leute!
Hier ein Artikel zum 30. Jahrestag...
Ciao
Klaus Schramm
28. März 1979
Der Atom-Unfall von Harrisburg
In einem Atomkraftwerk bei Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania
ereignete sich der bislang schwerste Atomunfall der USA. Eine
teilweise Kernschmelze erzwang die Evakuierung der Umgebung, nachdem
radioaktiv verseuchtes Gas in die Atmosphäre entwichen war.
Erst durch einen Kommissionsbericht an den US-Präsidenten Carter
wurde am 31. Oktober 1979 bekannt, daß zwei Wasserstoff-Explosionen
im Reaktorkern stattgefunden hatten. Nachdem der Reaktor des AKW
Three Mile Island - so die offizielle Bezeichnung - Jahre später
geöffnet werden konnte, wurde rekonstruiert: Auf dem Höhepunkt des
"Störfalls" lag die Temperatur mit rund 1.400 Grad Celsius nur etwa
100 Grad unter dem Schmelzpunkt der Stahlwände des
Reaktordruckbehälters.
Der Druckwasser-Reaktor 2 des AKW Three Mile Island war erst im Jahr
zuvor in Betrieb genommen worden. Der Kernschmelz-Unfall von
Harrisburg war der bis dahin schwerste in einem kommerziellen
Atomkraftwerk und wurde von der IAEO auf der INES-Skala auf Stufe 5
von insgesamt 7 Stufen eingeordnet.1
Das, was Atomkraft-GegnerInnen auf der ganzen Welt befürchtet hatten
und was nach offiziellen Risiko-Studien nur einmal in 10 Millionen
Jahren vorkommen dürfte, trat ein. In Folge der Verkettung von
Abläufen, bei denen die Bedien-Mannschaft folgenschwere Fehler
begangen hatte, war ein Teil des Reaktorkerns geschmolzen.
Ein offenes Ventil, das in der Nacht zum 28. März erst nach zwei
Stunden entdeckt wurde, führte zu einem Druckabfall im Reaktorkern.
Daraufhin sprangen Einspeise-Pumpen an. Weil die Bedien-Mannschaft
annahm, daß genügend Kühlmittel vorhanden sei, wurden sie abgestellt.
Ein Dampf-Wasser-Gemisch löste bei den Kühl-Pumpen heftige
Vibrationen aus, die im gesamten Gebäude bemerkbar waren. Darauf
wurden auch diese abgeschaltet. Im Reaktorkern sank der Wasserstand,
jede Minute wurde ging rund eine Tonne Kühlmittel verloren. Die
Brennstäbe wurden freigelegt, überhitzten und schmolzen teilweise. Es
bildete sich gasförmiger Wasserstoff, weil durch die Überhitzung das
Hüllmaterial der Brennelemente mit dem Kühlwasser chemisch
reagierten. Mehrer Tage galt eine Knallgas-Reaktion (explosive
Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff), die den
Reaktordruckbehälter hätte sprengen können, als möglich, ja sogar als
wahrscheinlich. In aller Welt verfolgten die Menschen besorgt die
Nachrichten. Der Gouverneur des US-Bundesstaates Pennsylvania kam
nicht mehr umhin, die Evakuierung der Bevölkerung in der Umgebung des
AKW zu veranlassen. 200.000 Menschen aus der Umgebung des AKW flohen
vor der Bedrohung durch die unsichtbare radioaktive Strahlung.
Laut der offiziellen Rekonstruktion des Unfall-Hergangs begannen die
Fachleute erst dreieinhalb Stunden nach Beginn die Tragweite zu
erkennen. Es wurde neues Wasser in den Primär-Kreislauf gepumpt.
Später wurde ein Sicherheits-Ventil geöffnet, um den Druck zu
reduzieren. Nach neun Stunden entzündete sich das Knallgas-Gemisch im
Containment und dessen Innendruck erreichte kurzfristig nahezu die
Nähe des Auslegungs-Drucks. Es waren 16 Stunden vergangen als die
Pumpen im Primär-Kreislauf wieder eingeschaltet wurden und ein großer
Teil des Reaktor-Kerns war bereits geschmolzen. Während der nächsten
Wochen wurde sowohl Wasserstoff als auch Wasserdampf aus dem Reaktor
entfernt. Das geschah zum einen durch Kondensatoren, aber auch - was
sehr umstritten war - durch einfaches Ablassen in die Umgebung. Es
wurde geschätzt, daß während des Harrisburg-Unfalls radioaktives Gas
(überwiegend Krypton-85) mit einer Aktivität von rund 1.665 Tera-
Becquerel entwich.
Tatsächlich soll kritischen BeobachterInnen zufolge insgesamt
mindestens 40mal mehr Radioaktivität in die Umgenbung entwichen sein,
als die Sonderkommission des US-Präsidenten errechnet hatte. Die
Beseitigung der Schäden dauerste mindestens 12 Jahre und kostete nach
offiziellen Angaben rund eine Milliarde Euro. Block 1 des AKW Three
Mile Island ist nach wie vor in Betrieb und soll nicht vor 2014
stillgelegt werden.
In einer ersten Studie wurden laut einer medizinischen Untersuchung
bei rund 30.000 AnwohnerInnen keine gesundheitlichen Folgeschäden
festgestellt. Rund 2000 Schadensersatz-Klagen von Betroffenen wurden
daraufhin im Jahr 1996 von einem Bundesgericht abgewiesen.
Bürgerinitiativen wie 'Three Mile Island Alert' und die 'Union of
Concerned Scientists' zweifelten die Aussagen von Atom-Industrie und
der Atomkontrollbehörde NRC an. Laut 'Three Mile Island Alert' gab es
zahlreiche AnwohnerInnen im Umkreis einer Meile, die nach dem Unfall
krank wurden oder sogar starben. Eine weitere - unabhängige - Studie2
zeigte schließlich, daß die Häufigkeit von Leukämie in der
Hauptwindrichtung des AKW acht- bis zehnmal höher ist als auf der
anderen Seite. Die Lungenkrebserkrankungen stiegen in der betroffenen
Region um 30 Prozent.
Zumindest in den USA wurde nach 1979 wurde kein einziges AKW mehr
gebaut. Daran konnte auch US-Präsident George W. Bush nichts ändern,
der in den acht Jahren seiner Amtszeit fortlaufend eine "Renaissance
der Atomenergie" ankündigte.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe hierzu:
Die Geschichte der Atom-Unfälle
Folge 7 der Info-Serie Atomenergie
2 Studie von Steve Wing et al.,
veröffentlicht am 24.02.1997
im US-Wissenschaftsmagazin 'Environment Health'
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