[fessenheim-fr] Brisante Fakten zensiert: Landtagsanhoerung zur Kinder-Leukaemie am AKW Kruemmel, 11./12.4. Hannover
Klaus Schramm
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Fr Mär 30 11:09:55 CEST 2007
Hallo Leute!
Die Schweiz bietet mal wieder interessante Lektüre.
Ciao
Klaus Schramm
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Deutschland
Mikrokügelchen mit brisantem Inhalt
Von Wolf Wetzel, Frankfurt
Seit Jahren rätseln ExpertInnen darüber, weshalb sich in unmittelbarer Nähe des
Atomkraftwerks Krümmel und des Atomforschungszentrums GKSS Leukämieerkrankungen
häufen. Jetzt sollen neue Fakten präsentiert werden.
Übernächste Woche werden im niedersächsischen Landtag ExpertInnen befragt, um
den Ursachen für eine Leukämiehäufung in der Umgebung des Dorfes Geesthacht auf
den Grund zu gehen. Seit 1989 sind sechzehn Kinder an Leukämie erkrankt, fünf
davon sind daran gestorben. Bei Geesthacht liegen das Atomkraftwerk Krümmel
sowie das Atomforschungszentrum GKSS. Über die Ursachen der einmalig hohen
Leukämiehäufung wird seit Jahren gestritten: Während eine ExpertInnenkommission
von "Zufall" spricht, trat eine andere 2004 aus Protest zurück, weil ein
vermuteter Brand im GKSS und eine dadurch mögliche Kontaminierung der Umgebung
nicht untersucht werden durfte.
Geesthacht liegt dreißig Kilometer von Hamburg entfernt direkt an der Elbe. Das
Atomkraftwerk Krümmel nutzt das Elbwasser zur Kühlung, nur wenige hundert Meter
davon entfernt befindet sich die GKSS. Ab Ende der achtziger Jahre häuften sich
in Geesthacht (Schleswig-Holstein) sowie in der angrenzenden Gemeinde Elbmarsch
(Niedersachsen) Fälle von Leukämie bei Kindern. Die neu gegründete
Bürgerinitiative gegen Leukämie (BI) forderte eine unabhängige Untersuchung.
1991 und 1992 riefen die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und
Niedersachsen je eine Untersuchungskommission ins Leben. Parallel dazu nahmen
WissenschaftlerInnen mit Unterstützung der Bürgerinitiative Boden- und
Staubproben. Dabei fanden sie immer wieder bis zu einen Millimeter große
Kügelchen, deren Außenschicht aus Grafit besteht und die im Innern
hochradioaktive Substanzen enthalten.
Verlorenes Vertrauen
Die Existenz dieser radioaktiven Kügelchen wird von der Landesregierung
Schleswig-Holstein bestritten. Sie beruft sich dabei auf wissenschaftliche
Gutachten. Die eigene Untersuchungskommission stellt dagegen im November 2004
den Fund von Plutoniumisotopen und Americium auf Dachböden fest. Dabei könne
ausgeschlossen werden, dass es sich um Fall-out von Atombombentests oder
Folgeerscheinungen des Reaktorunglücks in Tschernobyl handle. Diese Transurane
könnten auch nicht aus dem Atomkraftwerk Krümmel stammen. Die Kommission
vermutete "geheim gehaltene kerntechnische Sonderexperimente auf dem
GKSS-Gelände" und forderte vergeblich die Einschaltung von Polizei und
Staatsanwaltschaft. Insbesondere solle Berichten nachgegangen werden, nach denen
es 1986 bei der GKSS einen Brand gegeben habe. Sechs der acht
Kommissionsmitglieder erklärten schließlich ihren Rücktritt: "Wir haben das
Vertrauen in diese Landesregierung verloren", begründeten sie diesen Schritt.
Ganz anders die Fachkommission aus Niedersachsen: Sie kommt im gleichen Monat
zum Schluss, dass, da alle anderen Erklärungen ausgeschlossen werden können, es
sich bei der Leukämiehäufung um einen Zufall handeln müsse.
Für die radioaktiven Kügelchen mit ihrer ausgeprägten Spezifikation gibt es in
Deutschland nur einen Hersteller: die Plutoniumfabrik Nukem-Hobeg in Hanau. Dort
wurden zwischen 1974 und 1988 Brennelemente für die Versuchsreaktoren von
Hamm-Uentrop und Jülich hergestellt. Diese Brennelemente bestanden aus
tennisballgroßen Grafitkugeln, die im Inneren gefüllt waren mit weniger als
einen halben Millimeter großen, in die Grafitmatrix eingebetteten
Brennstoffteilchen.
Was diesen zivilen atomaren Brennstoff von allen anderen unterscheidet, ist sein
Anreicherungsgrad: Die Brennstoffkerne bestanden aus 93 Prozent angereichertem
Uran sowie auch aus Thorium-232. Anfang der achtziger Jahre wurde das hoch
angereicherte Uran durch Plutonium-239 ersetzt - beides sind atomwaffenfähige
Kernbrennstoffe, die bei Versuchen, Atombomben zu verkleinern, eine wesentliche
Rolle spielen.[1]
Den Zusammenhang zwischen den rund um Geesthacht gefundenen Mikrokügelchen und
den bei Nukem-Hobeg hergestellten Kernbrennstoffen hat Diplom-Ingenieur Heinz
Werner Gabriel nachgewiesen. Als es 1986 einen Unfall auf dem Gelände von
Nukem-Hobeg gab, nahm er Bodenproben und ließ sie von einem unabhängigen
Institut untersuchen. Die besondere Form des Kernbrennstoffes, seine radioaktive
Zusammensetzung und die Hülle, mit der der radioaktive Kern umgeben ist, sind
seiner Ansicht nach identisch mit den Mikrokügelchen, die rund um Geesthacht
gefunden wurden.
Recherchen des ZDF
Die Brisanz der umstrittenen Kügelchen von Geesthacht liegt auf der Hand: Sind
sie mit dem bombenfähigen Material der Nukem identisch, liegt der Verdacht nahe,
dass sie für militärische Optionen abgezweigt wurden und dass damit im
staatlichen Atomforschungszentrum GKSS experimentiert wurde.[2] Das könnte auch
den bis heute rätselhaften Anstieg der Radioaktivität am 12. September 1986
erklären. Damals meldete das AKW Krümmel erhöhte Werte, hielt aber gleichzeitig
fest, dass "definitiv ausgeschlossen" werden könne, dass das eigene Werk Ursache
dafür sei.
Seit Anfang 2000 tobt ein erbitterter und ungleicher Experten- und
Gutachterinnenstreit über das, was man in den Staub- und Bodenproben gefunden
hat. Auf ein Gutachten, das radioaktive Substanzen nachweist, folgt ein
Gutachten, das genau dies ausschließt. Geht es dabei nur um unterschiedliche
Untersuchungs-, Extraktions- und Aufschlussmethoden, um unterschiedliche
wissenschaftliche Standards?
2004 begannen die Journalistinnen Angelica Fell und Barbara Dickmann mit einer
ZDF-Dokumentation über die Hintergründe der Leukämieerkrankungen rund um
Geesthacht. Neben zahlreichen anderen Bemühungen, die Vorwürfe der BI und der
Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges
(IPPNW) zu überprüfen, entschlossen sie sich, eine erneute Probenentnahme nahe
der GKSS zu begleiten und zu dokumentieren. Mit der Untersuchung dieser Proben
beauftragten die BI und die IPPNW das Institut für Mineralogie der
Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Mit dem Ziel, alle Parteien an einen
Tisch zu bringen, setzten sich die Redaktorinnen auch mit dem Leiter der
Reaktorsicherheit in Schleswig-Holstein, Wolfgang Cloosters, in Verbindung. Sie
informierten ihn über das Vorhaben und boten ihm an, an der Probenentnahme
teilzunehmen. Cloosters zeigte sich interessiert. Am 20. Dezember 2004 wurden
von Axel Gerdes, Wissenschaftler am Institut für Mineralogie, in Gegenwart des
ZDF-Teams eine Staubprobe und sechs Bodenproben aus der Elbmarsch genommen. Von
der Reaktorsicherheitsbehörde war niemand dabei. Begründung: Eine Teilnahme wäre
nicht "zielführend" gewesen.
Sechs Wochen später, am 4. Februar 2005, erschien das ZDF-Team im Institut für
Mineralogie. Man wollte das Ergebnis auch im Bild festhalten und Axel Gerdes die
Gelegenheit zur Erläuterung geben. Fazit seiner Untersuchung: "Die gefundenen
Uran- und Plutoniumkonzentrationen sind mit einer Ausnahme als relativ niedrig
im Vergleich zur typischen Konzentration in Böden und Gesteinen Deutschlands zu
bezeichnen." Nach einem Moment des Schweigens und Nachdenkens bat die
ZDF-Redaktorin Angelica Fell darum, Proben unter dem Mikroskop zu betrachten -
und entdeckte prompt eines der verdächtigen Kügelchen. Beim zweiten Hinsehen
räumte auch Gerdes ein: "Da sind erstaunlich viele, so um die hundert Stück."
Angewiesene Blindheit?
Diese Sequenz wurde aus dem am 2. Februar 2006 im ZDF ausgestrahlten Film "Und
keiner weiß warum ... Leukämietod in der Elbmarsch"[3] herausgeschnitten. Die
ZDF-Redaktion begründete diesen Schritt mit rechtlichen Erwägungen. Der Chef von
Gerdes, der Institutsleiter Gerhard Brey, drohte mit einer Klage, sollte diese
Sequenz in die Öffentlichkeit gelangen.
Offensichtlich ist, dass auf das Frankfurter Institut massiv Druck ausgeübt
worden war: Der Leiter der Reaktoraufsichtsbehörde von Schleswig-Holstein hatte
zwar das Angebot ausgeschlagen, bei der Bodenprobeentnahme teilzunehmen, blieb
jedoch alles andere als untätig. Schon vor Untersuchungsbeginn hatte Wolfgang
Cloosters Kontakt mit dem Institutsleiter Gerhard Brey aufgenommen. Dieses
Gespräch gibt Axel Gerdes gegenüber der WOZ so wieder: "Inzwischen kam ein Anruf
vom Ministerium an meinen Chef, ob er wisse, was wir machen. Er [gemeint ist
Cloosters, Red.] hat wohl meinem Chef auch über die wilden Spekulationen
bezüglich der Kügelchen erzählt. Daraufhin hat mein Chef befürchtet, dass unsere
Untersuchungsergebnisse, falls sie nur etwas leicht Ungewöhnliches zeigen,
benutzt werden könnten, um die Kügelchenspekulationen anzuheizen."
Die staatliche Intervention zeigte Wirkung. Nur drei Tage nach der Entnahme der
Bodenproben ließ der Institutsleiter das ZDF-Team wissen, dass man mit der
Untersuchung "dieser Kügelchen" nichts zu tun haben wolle. Man solle sich in der
Sache doch bitte an das Bundeskriminalamt oder die Polizei wenden. "Die Brisanz
der Problematik ist einfach zu hoch."
Um sicher zu gehen, dass es nicht gibt, was es nicht geben darf, hatte der
Institutsleiter der ZDF-Redaktion zuvor die Zusicherung abgerungen, dass die
mögliche Belastung des Bodens [kein] Inhalt der Sendung sein werde. Im Wortlaut:
"Die im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der Elbmarsch immer wieder
auftretenden Vermutungen, wonach es 'Kügelchen' gäbe, die radioaktives Material
enthalten sollen, wird nicht Gegenstand dieser Sendung sein." Doch der
Institutsleiter begnügte sich nicht mit dieser Zusicherung. Er sorgte auch
dafür, dass das, was nicht gezeigt werden darf, auch nicht untersucht wurde.
Nach dem Gespräch mit dem Ministerium "untersagte" Brey seinem Mitarbeiter, "die
Kügelchen explizit zu untersuchen".
Gerdes sagt heute, dass es sich bei diesen Kügelchen um harmloses "organisches
Material" handelte. In einer ersten Untersuchung hätten sie sich aufgelöst, in
der zweiten dagegen hätte sich ein "Ca-Fluorid-Mantel" um sie gebildet.
Minsk macht mit
Die ZDF-Redaktorinnen wollten sich mit diesem Ergebnis nicht abfinden und
fragten bei insgesamt siebzehn Instituten im In- und Ausland an, ob sie die
Bodenproben aus der Elbmarsch untersuchen könnten - ohne eine einzige Zusage.
Sie erweiterten den Radius ihrer Suche beträchtlich, bis sie schließlich die
Internationale Sacharow-Umwelt-Universität in Minsk für diese Untersuchung
gewinnen konnten. Das Ergebnis, das Professor Wladislaw Mironow im Dezember 2005
vorstellte, war eindeutig: Die in den Bodenproben gefundenen Mikrokügelchen
enthalten Uran und die Transurane Plutonium und Thorium - künstlich erzeugte
Radionuklide. Aufgrund des Isotopenverhältnisses schloss Mironow zudem aus, dass
dieses radioaktive Material aus Atomwaffentests oder vom Reaktorunglück in
Tschernobyl stammen könne.
Die ZDF-Dokumentation hat letztlich die Diskussion um die Leukämiehäufung von
Geesthacht neu lanciert. Am 11. und 12. April findet eine vom niedersächsischen
Landtag beschlossene Anhörung statt. Verschiedene ExpertInnen sollen dabei
befragt werden. Auch Wladislaw Mironow und Axel Gerdes werden Rede und Antwort
stehen.
WOZ vom 29.03.2007
http://www.woz.ch/artikel/2007/nr13/international/14755.html
LINKS [Red.]
[1] http://www.netzwerk-regenbogen.de/atombo060517.html
[2] http://www.netzwerk-regenbogen.de/atombo060403.html
[3] http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/21/0,1872,3923509,00.html
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