[fessenheim-fr] pfugbeil zu brunsbüttel

Lucia Kronauer-Dietsche lucia.kronauer-dietsche at t-online.de
So Aug 27 18:17:53 CEST 2006


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  25.8.2006

Wie gefährlich ist Brunsbüttel?

Forsmark und die deutschen Atomkraftwerke. Gastkommentar

  Der Störfall im schwedischen AKW Forsmark (Betreiber Vattenfall) am 
25. Juli hat bereits gemachte Erfahrungen reaktiviert: Störfälle treten 
auf, wenn niemand sie erwartet; sie treten in einer Art und Weise auf, 
die niemand vorhergesehen hat; während des Störfalls werden die 
Betriebsvorschriften ignoriert (manchmal war das die Rettung wie im 
Fall Forsmark, manchmal war das Bestandteil des Störfalls wie im Fall 
Tschernobyl); die Betreiber und die Aufsichtsbehörden verstehen den 
Störfall als Beweis für ein funktionierendes Sicherheitssystem; der 
Bevölkerung wird erzählt, sie wäre zu keinem Zeitpunkt in Gefahr 
gewesen; zusammen mit der ersten internationalen Meldung zum Störfall 
wird in den Nachbarländern erklärt, daß ein solcher Störfall bei ihnen 
niemals auftreten könne. Wie platt insbesondere diese letzte Platitude 
ist, erschließt sich nach kurzem Nachdenken, dennoch wurde sie bei 
vergleichbaren Anlässen regelmäßig zur Volksverdummung eingesetzt.

Was genau in Forsmark passiert ist, wird noch untersucht, solche 
Untersuchungen können Jahre, viele Jahre dauern. Die Fachleute streiten 
sich 20 Jahre nach Tschernobyl noch über den Ablauf der 
Tschernobylkatastrophe. Was wir schon jetzt wissen ist, daß mehr als 20 
Minuten das Notstromsystem im AKW Forsmark nicht funktionierte, daß in 
dieser Zeit lebenswichtige Meßgeräte und ihre Anzeigen in der 
Steuerzentrale nicht arbeiteten so daß das Personal nicht die leiseste 
Ahnung hatte, was in ihrer Anlage vorsich ging. Jeder normale Mensch 
hätte die Beine in die Hand genommen und wäre schreiend davongelaufen. 
Der Jahrhundertsommer hätte ein jähes böses Ende genommen, wenn dieser 
Blindflug nur 10 Minuten länger gedauert oder wenn das Personal sich an 
die Betriebsvorschriften gehalten hätte. Wir sind ahnungslos hart an 
einer Katastrophe vorbeigeschrammt.

In den Störfall verwickelt waren nebensächlich erscheinende 
Wechselrichter der (deutschen) Firma AEG, die etwa 1.000mal verkauft 
wurden. Schon vor Jahren gab es Unbehagen mit diesem Gerät bei AEG, die 
Firma verlor aber die Übersicht, wer alles diese Geräte bestellt hatte 
und vergaß das Unbehagen. Die verantwortliche Abteilung bei AEG gibt es 
nicht mehr.

Von den Betreibern deutscher AKW kam überraschend schnell die bereits 
erwähnte Platitude - bei den deutschen AKW kann so etwas nicht 
passieren, an der entscheidenden Stelle würde eine andere Schaltung 
verwendet werden. Immerhin löst der Bundesumweltminister über seine 
Länderkollegen Prüfungen der deutschen AKW-Dokumentationen und der 
Anlagen selbst aus. Es überrascht nicht, daß die nach wenigen Tagen 
beim Bundesumweltminister eingehenden Stellungnahmen durchweg 
Entwarnung gaben. Die Bundesregierung hat beschlossen, keine deutschen 
AKW abzuschalten, weil die Störfallbedingungen in Forsmark nicht "eins 
zu eins übertragbar" wären - so wahr wie platt.

Jürgen Resch und Gerd Rosenkranz (Deutsche Umwelthilfe (DUH) e.V.) 
haben mit einigem Aufwand erfolgreich hinter die Kulissen geschaut. 
Ihnen fiel zunächst auf, daß unter den frischen Berichten über den 
Sicherheitszustand der deutschen AKW einer fehlte: der Bericht zum AKW 
Brunsbüttel. Brunsbüttel gehört Vattenfall Europe und E.on. Das AKW 
wurde 1976 inbetriebgenommen, es ist ein Siedewasserreaktor. 
Brunsbüttel gehört für Reaktorfachleute zu den gefährlichsten deutschen 
AKW. Seit den 80er Jahren befassen sich die Experten in den zuständigen 
Gremien mit der mangelhaften Sicherheitstechnik dieses Reaktors. 
Schlagworte der Kritik sind zu hohe Komplexität, störanfällige 
Umschaltvorgänge in Krisensituationen, keine durchgängie Trennung der 
Sicherheitsstränge, nur drei statt vier Notstromdisel. Es ist leider 
symptomatisch für das Verhältnis zwischen Aufsichtsbehörden und 
AKW-Betreibern, daß es niemals zu bindenden Auflagen zur Anpassung der 
Sicherheitstechnik an den "Stand von Wissenschaft und Fortschritt" 
gekommen ist. Es ist schwer zu sagen, ob die Atomaufsicht inkompetent, 
zu sehr verfilzt mit den Betreibern war oder ob sie Angst vor den 
drohenden Kosten eines eventuell verlorenen Gerichtsverfahrens hatte. 
(Die Personalbewegungen zwischen Atomaufsicht, Bundes- und 
Landeseinrichtungen, die mit den AKW zu tun haben und Betreibern sollen 
hier nicht näher diskutiert werden, sie sind abenteuerlich.) Die 
kritischen Diskussionen um die Sicherheitskultur des AKW Brunsbüttel 
erreichten einen überraschenden Höhepunkt im Jahr 2002. Bei Arbeiten an 
einem in Kanada gebauten Simulator, der zur gezielten Schulung von 
Reaktorpersonal gebaut worden war, zeigten sich nach einem Papier der 
Gesellschaft für Reaktorsicherheit gravierende "Planungsfehler in der 
Notstromversorgung und der Steuerung mehrerer in den Not- und 
Nachkühleinrichtungen". Es waren genau die technischen Bereiche 
mangelhaft, die in Forsmark in den jüngsten Störfall verwickelt waren. 
Weder die Hersteller des Reaktors, die Firma Siemens/KWU, noch die 
Betreiber (Vattenfall Europe und E.on Kraftwerke) und auch nicht die 
Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden (z.B. das Kieler Ministerium für 
Finanzen und Energie, später das Ministerium) haben während der bis 
dahin 26jährigen Betriebszeit diese schweren Fehler bemerkt. 
Schließlich mußten die Betreiber sich zu den Fehlern gegenüber der 
Kieler Aufsichtsbehörde äußern, sie meldeten 6 Planungsfehler in der 
Steuerung bei Notstromversorgung, drei Abweichungen für 
Schutzfunktionen beim Notstromfall und zwei Abweichungen in der 
Steuerung der Not- und Nachkühlsysteme. Die Betreiber meinten - und die 
darin steckende Denkweise ist wieder symptomatisch - "dass in den 
meisten Fällen ausreichende Redundanzen zur Verfügung standen". Eine 
solche Darstellung wäre Grund genug, einem Würstchenbudenbesitzer die 
Lizzenz zu entziehen. Die Reaktorsicherheitskommission tagte mehrfach 
zum Fall Brunsbüttel, die Einschätzungen waren niederschmetternd - 
trotzdem ging Brunsbüttel im Februar 2003 nach einjähriger Reparatur 
und Inspektion mit Zustimmung der Kieler Aufsicht wieder in Betrieb.

Der frühere Sicherheitschefingenieur von Forsmark schätzt das 
Sicherheitsniveau von Brunsbüttel als schlechter als das in Forsmark 
ein. Die heute für das AKW Brunsbüttel zuständige Kieler 
Sozialministerin Trauernicht ist ebenso zuständig für die Thematik der 
Leukämiefälle bei Kindern in der Umgebung des AKW Krümmel und des 
Forschungszentrums GKSS. Es wird berichtet, daß in der Schublade dieser 
Ministerin eine Liste mit 260 Nachrüstungsforderungen an die Betreiber 
des AKW Brunsbüttel liegt. Diese Liste gehört auf den Tisch und nicht 
in die Schublade. Es gibt keinen anderen vernünftigen Weg, als die 
erforderlichen Sicherheitsnachrüstungen sofort vorzunehmen oder den 
Reaktor umgehend stillzulegen. Ministerin Trauernicht ist uns nun schon 
zwei Erklärungen schuldig.

Sebastian Pflugbeil
Der Physiker Sebastian Pflugbeil ist Präsident der Deutschen 
Gesellschaft für Strahlenschutz und Experte zum Thema. Als Minister 
sorgte der DDR-Bürgerrechtler 1990 dafür, dass sämtliche AKWs im Osten 
abgeschaltet wurden. 


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