[fessenheim-fr] [Publik-Forum] Kinder-Leukaemie durch Atombombenversuche im Kernforschungszentrum Geesthacht? (fwd)
Klaus Schramm
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Di Jun 20 13:33:06 CEST 2006
Publik Forum - Zeitung kritischer Christen - Nr. 11 - 16.6.2006 | TITEL
Verräterisches Schweigen
Neue Zeugen für einen vertuschten Unfall: Hat die hohe Leukämie-Rate unter
Kindern in der Elbmarsch mit Atombombenversuchen im Kernforschungszentrum zu
tun?
Von Klaus Schramm
Es ist ein Unfall, um den sich viele Geheimnisse ranken - und es gibt ein
merkwürdig geringes Interesse an seiner Aufklärung. Und dies, obwohl der Unfall
Folgen hatte. Er ereignete sich am 12. September 1986 auf dem Gelände des
Kernforschungszentrums Geesthacht 30 Kilometer vor den Toren Hamburgs. Nach der
für Leukämie typischen Latenzzeit von vier Jahren wurde ab 1990 in einem engen
Kreis um die Atomanlagen eine eklatante Häufung von Leukämie-Erkrankungen
überwiegend bei kleinen Kindern registriert, die weltweit in dieser
Konzentration einzigartig ist. Durch international anerkannte Wissenschaftler
einer Untersuchungskommission, mit Hilfe der atomkritischen Ärzteorganisation
IPPNW, der 'Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch' und nicht zuletzt
durch einen couragierten Dokumentarfilm im Auftrag des ZDF, gesendet am 2. April
2006 um 23.30 Uhr, kommt nun allmählich Licht ins Dunkel eines "Skandals, der in
Deutschland seinesgleichen sucht", so die Frankfurter Rundschau.
Jetzt meldeten sich erstmals Zeugen öffentlich zu Wort, die den Brand beobachtet
hatten. Radioaktive Kügelchen, die sich an einer Vielzahl von Stellen um das
Kernforschungszentrum fanden, erwiesen sich - nachdem sie mehrfach durch
Institute in staatlichem Auftrag als völlig harmlos qualifiziert worden waren -
als industriell gefertigt und in ihrer Zusammensetzung hochgefährlich. Diese
sogenannten Mikrosphären enthalten Plutonium, Americium, Curium und Thorium in
Konzentrationen, die so in der Natur nicht vorkommen. Eine Untersuchung an der
Minsker Sacharow-Universität durch den international renommierten Experten für
Plutoniumverortung Professor Vladimir Mironov ergab, dass es sich weder um
Fallout früherer oberirdischer Atomwaffenversuche noch um Spaltprodukte aus der
Wolke der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl handeln kann. Denn: Diese
Mikrosphären sind mit einer Titan-Ummantelung versehen. Art und Aufbau der
Mikrosphären verweisen darauf, dass sie aus einer Hybridanlage stammen, bei der
Kernreaktionen zur Energiefreisetzung genutzt werden sollten. Seitdem stellen
kritische Experten die Frage: Wurden in Geesthacht Experimente durchgeführt, die
der Entwicklung von Mini-Atombomben dienten?
Schleichwege zur Atombombe?
Weitere Recherchen ergaben, dass das Kernforschungszentrum bei Geesthacht -
unter dem harmlosen Namen 'Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau
und Schifffahrt GmbH' (GKSS) eingetragen - bereits seit seiner Gründung in die
Entwicklung von Militärtechnologie verwickelt ist. Schon 1989 erschien eine
Dokumentation mit dem Titel "Atomforschung in Geesthacht - Schleichwege zur
Atombombe?". Eine fünfköpfige Redaktionsgruppe deckte auf, dass das
Kernforschungszentrum mit anderen Zentren zusammen eine Infrastruktur aufgebaut
hatte, die eine Plutoniumwirtschaft im Labormaßstab ermöglichte. Der frühere
SPD-Forschungsminister Volker Hauff wird mit der Äußerung zitiert, dass es sich
dabei um eine ausreichende Infrastruktur zum Bau einer Atombombe handele. Die
Geesthachter Forscher beschäftigten sich demnach bereits seit den 1950er Jahren
mit Technologien zum Bau von Atombomben.
Nachgewiesen werden können darüber hinaus Auftragsarbeiten für die Bundeswehr in
den 1960er Jahren. Franz Josef Strauß, von 1955 und 1956 Bundesminister für
Atomfragen, danach bis 1962 Verteidigungsminister und von 1966 bis 1969
Finanzminister in einer schwarz-roten Bundesregierung, bekannte in seiner
Autobiografie, dass der deutsche, der französische und der britische
Außenminister bei einem Geheimtreffen 1958 ein Abkommen zur geheimen Produktion
von Atomwaffen unterzeichnet hatten.
Die wissenschaftlichen Einrichtungen und Erkenntnisse der GKSS wurden
insbesondere von der deutschen Industrie genutzt. Darunter befanden sich
prominente Rüstungskonzerne wie MTU München, Rheinmetall, Rohde & Schwarz, HDW
Kiel und das durch seine U-Boot-Blaupausen bekannte Ingenieurkontor Lübeck.
Mehrfach arbeitete die GKSS auch direkt mit militärischen Einrichtungen
zusammen. In den 1980er Jahren führte die 'Wehrwissenschaftliche Dienststelle
der Bundeswehr für ABC-Schutz' Bestrahlungsversuche in den Forschungsreaktoren
der GKSS durch.
Gegründet wurde die GKSS 1956 von den Kernphysikern Erich Bagge und Kurt
Diebner. Kurt Diebner war Leiter des Leiter des Kernforschungsreferats in
Hitlers Heereswaffenamt sowie des NS-"Uranprojekts" und Gründer einer
Forschungseinrichtung in Gottow auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle
Kummersdorf. Im Herbst 1944 begann er in Gottow mit einem neuen Reaktorversuch,
in dessen Verlauf es zu einem Unfall kam. Die Umstände sind bis heute nicht
eindeutig geklärt, aber es müssen bei diesem Unfall mehrere Mitarbeiter
verstrahlt worden sein.
Nachgewiesen sind Versuche Diebners zwischen 1943 und 1944, mittels Implosion
thermonukleare Reaktionen einzuleiten. Ein "Verfahren zur Verwertung der
Fusionsenergie von Deuterium und Tritium mit Hilfe konvergenter, periodischer
Verdichtungsstöße" hat Diebner nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Nummer
1414759 zum Patent angemeldet. Dieses Verfahren hat Jahrzehnte später bei der
US-amerikanischen Entwicklung von Mini-Atombomben, den sogenannten 'Mini-Nukes',
zum Durchbruch geführt. Forschungsschwerpunkte auf diesem Gebiet existierten in
den 1980er Jahren nicht nur im GKSS, sondern auch im Kernforschungszentrum
Karlsruhe, in der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt und am
Forschungsinstitut IPP Garching.
1947 gründete Diebner in Hamburg die Firma Durag. Ab Mai 1955 meldete er
gemeinsam mit Professor Erich Bagge weitere Reaktorpatente an. Darunter befinden
sich unter anderem Patente zum Schnellen Brüter sowie zur Plutoniumgewinnung und
-separation. Zwei Patentanmeldungen erfolgten 1955 zusammen mit Dr. Friedwardt
Winterberg zu thermonuklearen Bomben. Am 4. März 1957 erschien Diebners Name in
der deutschen Presse mit der Ankündigung, er habe das "Geheimnis der
Kernverschmelzung" enträtselt. Der 'Spiegel' brachte am 20. März 1957 einen
größeren Artikel darüber, doch die wissenschaftlichen Erwartungen wurden nicht
erfüllt.
Uranprojekt der Nationalsozialisten
Erich Bagge arbeitete in der NS-Zeit in der "Gruppe Diebner" von Kurt Diebner.
Die mit großem Enthusiasmus vorangetriebene Aufgabe dieser Gruppe bestand in der
Entwicklung einer deutschen Atombombe. 1939 war das Jahr, in dem der globale
Wettlauf um den Erstbesitz der Atombombe begann. Die Nationalsozialisten
beauftragten bereits Anfang 1939 den Präsidenten der Physikalisch-Technischen
Reichsanstalt, Professor Abraham Esau - auch Mitglied im Reichsforschungsrat -,
mit der Organisation einer Geheimkonferenz. Auf dieser Konferenz zum
"Uranproblem", die in Berlin am 29. April 1939 stattfand, trafen die Teilnehmer
eine Reihe von wichtigen Vereinbarungen. So wurden die in den böhmischen Gruben
von Joachimsthal geförderten Uranerze der alleinigen deutschen Nutzung
unterstellt. Man rief das NS-"Uranprojekt" ins Leben und fasste deutsche
Kernphysiker in Forschungsgruppen zusammen, um effektiv an der Entwicklung der
Atombombe zu arbeiten. Ziel der ab 1939 im "Uranprojekt" koordinierten
Forschergruppen war - wie eine Reihe erhaltener Unterlagen beweist - die
Schaffung der technischen Grundlagen zum Bau der Atombombe.
Bagge bestritt zwar in späteren Jahren, jemals etwas mit der Entwicklung der
NS-Atombombe zu tun gehabt zu haben. Doch seine eigenen Schriften legen Zeugnis
darüber ab, dass er eine zentrale Rolle bei dieser "kriegswichtigen Forschung"
gespielt hatte. Zusammen mit Diebner publizierte er 1957 ein Taschenbuch, in dem
auch sein Tagebuch über diese Zeit veröffentlicht ist: Bagge/Diebner/Jay: Von
der Uranspaltung bis Calder Hall, Reinbek 1957. Zwischen 1941 und 1943
entwickelte Bagge die Isotopenschleuse, ein Gerät zur Anreicherung des Urans bis
zu einem bombenfähigen Grad.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fasste Bagge in der jungen Bundesrepublik schnell
wieder Fuß. Bereits 1948 wurde er zum Außerordentlichen Professor und
Abteilungsleiter des Physikalischen Staatsinstituts in Hamburg berufen. Er
gründet das Institut für Reine und Angewandte Kernphysik der Universität Kiel.
Über Professor Bagge bestand von Anfang an eine enge Verbindung zum
Forschungsreaktor Geesthacht, der später von der Gesellschaft für
Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt als Trägerorganisation
betrieben wurde.
Als Publikationsorgan gab Professor Bagge die Zeitschrift 'Atomkernenergie'
heraus. Mitherausgeber war Professor Kraut von der Bundeswehrhochschule in
Neubiberg. Im erweiterten Herausgeberkreis sind die Namen Friedwardt Winterberg
und Walter Seifritz zu finden. Letzterer ist ein Schweizer Atomwaffenspezialist
vom Atomzentrum Würenlingen. Er veröffentlichte in dieser Fachzeitschrift 1956
einen Beitrag, der technische Details verschiedener thermonuklearer Reaktionen
behandelt und spezifische Kenntnisse von der Funktionsweise der Wasserstoffbombe
verrät. Bei der Wasserstoffbombe handelt es sich um eine Atombombe, deren
Wirkungsweise auf der Energiefreisetzung durch Kernfusion beruht. Bagge
unterhielt immer enge Kontakte zur Politik. Nach dem Zweiten Weltkrieg sicherte
ihm sein Sitz in der Atomkommission Einfluss im Ministerium für Atomfragen. Er
rühmte sich zudem freundschaftlicher Beziehungen zu Franz Josef Strauß.
Interesse an Mini-Atombomben
Es könnte gut sein, dass diese Experimente im Kernforschungszentrum Geesthacht
bis heute nachwirken. Am 2. November 2004 äußerte der Münchner Strahlenmediziner
Edmund Lengfelder, Mitglied der Leukämie-Kommission, die die Erkrankungen in der
Elbmarsch untersucht hat, gegenüber der Süddeutschen Zeitung den Verdacht, dass
es sich bei den gefundenen Mikrosphären um PAC-Kügelchen handele. Die
Bezeichnung PAC leitet sich ab von den drei Isotopen Plutonium, Americium und
Curium. Diese oder ähnlich aufgebaute Mikrosphären könnten - so Lengfelder -
auch benutzt werden, um damit unter Laser-Beschuss nukleare Mini-Explosionen
auszulösen. von etlichen Physikern aus dem Umfeld des GKSS gebe es
Publikationen, die ihr Interesse an eben solchen Experimenten belegten.
Lengfelder äußerte die Vermutung, dass es am 12. September 1986 bei solchen
illegalen Experimenten einen schweren Unfall gegeben habe, der von Atom-Lobby
und Politik vertuscht werde. Hintergrund sei, dass die Bundesrepublik
Deutschland bei einer Veröffentlichung der Umstände des Bruchs des
Atomwaffensperrvertrages überführt worden wäre. Besonders heikel wäre dies nun
in einer Zeit, in der eine ebensolche Ambition zum Bau der Atombombe dem Iran
vorgeworfen wird und als Vorwand für Kriegsdrohungen dient.
Darüber hinaus dürfte klar sein, dass mit einem solchen Skandal 1986 in
Deutschland nur ein halbes Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ein
tatsächlicher Ausstieg aus der Atomenergie - wie in Italien zu jener Zeit
realisiert - besiegelt gewesen wäre. "Das Geständnis eines Unfalls (...) hätte
den Atomenergie-Konzernen das Geschäft vermutlich auf Dauer verdorben", so die
Frankfurter Rundschau.
Ein weiterer Fund bestätigt die Vermutung Lengfelders: Der Berliner Physiker
Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, stieß auf
Stasi-Dokumente über bundesdeutsche Nuklearforschungen (vgl. Publik-Forum
19/2002). In diesen Unterlagen der Abteilung 5 der Hauptabteilung XVIII von 1987
ist von "Mini-Nukes" die Rede, an denen in der BRD gearbeitet werde und die man
mit Hilfe eines Röntgen-Lasers zur Explosion bringen könne. Darin heißt es:
"Interessanterweise sind in der letzten Zeit die erfolgversprechendsten
Fusionskonzepte in einer ganz anderen Richtung angelegt worden", die ergeben
haben, dass bei "Fusions-Fissions-Kügelchen eine andere Anwendung wesentlich
interessanter ist".
Das werde "durch die Zielrichtung der US-amerikanischen Atompolitik
unterstützt", bei der "das Streben der Kernwaffenforschung eindeutig zu
kleineren und leichteren Kernladungen (...) geht". Weiter ist in diesem Dokument
des damaligen Ministeriums für Staatssicherheit die Rede von Kügelchen mit
Abmessungen im Millimeter- bis Zentimeter-Bereich, die gigantische Sprengstärken
entwickeln. Obwohl der Wahrheitsgehalt von Stasi-Dokumenten durchaus kritisch
geprüft werden muss, wird gegen diesen Dokumentenfund des früheren
DDR-Bürgerrechtlers Pflugbeil auffallend schnell das Totschlagargument in
Stellung gebracht, sämtliche Stasi-Unterlagen seien allein zur Desinformation
produziert worden. Doch diese Unterstellung reicht nicht aus, um den Verdacht zu
zerstreuen, dass bei dem Unfall im September 1986 schwer gesundheitsschädliche
Kügelchen freigesetzt wurden, die etwas mit der Häufung von
Leukämie-Erkrankungen unter Kindern in dieser Region zu tun haben könnten.
Die Explosion in Hanau
Hinzu kommt, dass der Brand in der GKSS nicht der einzige größere Unfall in
jener Zeit war. Im Januar 1987 ereignete sich eine Explosion im Nukem-Werk in
Hanau, die nicht völlig vertuscht werden konnte. Nach offiziellen Angaben wurde
bei der "Panne" lediglich eine Person durch Freisetzung von Plutonium aus einer
kleinen Probe kontaminiert. Laut Aussagen eines mit der Untersuchung der
Betroffenen betrauten Wissenschaftlers seien jedoch tatsächlich 36 Arbeiter
einer Strahlendosis weit über den zulässigen Grenzwerten ausgesetzt gewesen.
Viele dieser Arbeiter seien heute an Krebs erkrankt, doch sie gingen nicht an
die Öffentlichkeit, weil sie um ihre Betriebsrente fürchteten. Als das von der
Explosion zerstörte Gebäude in Hanau 2003 abgerissen und nach den entsprechenden
Entsorgungsrichtlinien abgetragen wurde, war die Beteiligung der örtlichen
Behörden unvermeidbar. Nukem-Ingenieur Paul Börner äußerte während dieser
Arbeiten gegenüber einem Beamten: "Jetzt, wo es verjährt ist, kann ich es Ihnen
ja sagen: Das ist das Gebäude, das uns damals hochgegangen ist." Protokolliert
ist diese Aussage in den Akten der Hanauer Staatsanwaltschaft.
Anfang 1987 war Joschka Fischer Umweltminister in Hessen. Laut Zeugen war er vom
Ausmaß des Unfalls in Hanau, sowohl von den Hintergründen als auch von den
Folgen, umfassend informiert.
Auch in der Umgebung der Unfallstelle in Hanau fanden sich ominöse
Brennstoffkügelchen. Im Unterschied zu jenen in der Umgebung von Geesthacht
hatten sie jedoch keine auffällige Häufung von Leukämie-Fällen zur Folge. Da
bleibt die Frage: Wurde in Geesthacht und in Hanau an verschiedenen Konzepten
zur Entwicklung der Mini-Atombombe geforscht? Eine genauere Untersuchung der
verschiedenen Mikrosphären mit Durchmessern von 5, 20 und 50 Mikrometern hätte
längst darüber Aufschluss geben können. Doch an der genauen Aufklärung der
Ereignisse besteht noch immer kein Interesse. Die Pressesprecherin des
Sozialministeriums in Schleswig-Holstein, das für Reaktorsicherheit zuständig
ist, erklärte auf Anfrage, dass keine weiteren Untersuchungen der Mikrosphären
geplant seien.
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