[Debatte-Grundeinkommen] Wie hoch muss ein Grundeinkommen sein? Oder: Das Regelsatzdesaster
rblaschke at aol.com
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So Feb 5 14:35:34 CET 2017
Meine Bemerkungen in rot im Text, hg Ronald
-----Ursprüngliche Mitteilung-----
Von: Bert Grashoff via Debatte-Grundeinkommen <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
An: debatte-grundeinkommen <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Verschickt: So, 5. Feb 2017 0:02
Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Wie hoch muss ein Grundeinkommen sein? Oder: Das Regelsatzdesaster
Lieber Ronald,
regionale Modifizierung von Wohngeld widerspricht m. E. unserem dritten Kriteritum der Bedürftigkeitsprüfungslosigkeit.
Nein, denn das Wohngeld ist nicht Bestandteil des Grundeinkommens (wie andere Sonderbedarfe auch nicht), das bekommen alle in Abhängigkeit von die Mietkosten, die mit ihrem Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liegen.
Auch wenn wohl niemand den Erstwohnsitz so häufig wechselt wie die Unterwäsche und der Erstwohnsitz ja eh gemeldet werden muss, diese Form der Bedürftigkeitsprüfung also sozusagen vollautomatisch im System eh mitläuft, insofern auch antragslos vollautomatisch als Bestandteil eines bGE je nach Erstwohnsitz ausgeschüttet werden könnte, ist sie m. E. aus der Sicht des Individuums dennoch lästig. Vor jedem Umzug müssten zumindest einkommensarme Menschen recherchieren, wie das regionale Wohngeld der Zielregion konzipiert ist. Gut, das muss kein gigantischer Aufwand sein, man könnte per Gesetz ja z. B. den Vermietern aufdrücken, bei Angaben zur Miethöhe zugleich auch die regionale Wohngeldhöhe anzugeben, so dass der Aufwand da gegen null ginge. Ich find's einfach nicht pure, es bliebe eine Bedürftigkeitsprüfung, es wäre nicht egalitär. Mindestens für meinen Vorschlag, bGE einfach über Geldmengenerhöhung zu finanzieren, wäre diese Nicht-Egalität ein Problem. Wieso sollen denn die Vermieter in teuren Mietregionen mehr Knete vom Staat erhalten als die Vermieter in billigen Mietregionen? Bei einem egalitären bGE mit egalitärem Wohngeldanteil ist die Antwort einfach: Weil die Individuen sich dafür entscheiden, in einer teuren Mietregion zu wohnen und entsprechend weniger von ihrem bGE für übrige Zwecke zu haben. Selbst wenn ein regional modifiziertes Wohngeld fair in dem Sinne ausgestaltet wird, dass es in jeder Region vergleichbaren Wohnraum finanziert, hätte es einen entmündigenden Charakter: Den Individuen könnte ihre Wohnlage hinsichtlich der Finanzierung schlicht egal sein, während sie bei einem egalitären bGE gewichten müssten, ob ihnen eine teurere Wohnung z. B. wegen des Standorts wichtiger ist oder eher mehr verfügbares bGE jenseits der Mietkosten.
Wenn ich das richtig sehe, wird Wohngeld und Mietanteil in ALG II heute kommunal finanziert.
Nein, Wohngeld wird vom Bund und Land finanziert; http://www.gesetze-im-internet.de/wogg/__32.html
Was bedeutet, dass Kommunen mit geringer Wirtschaftskraft auf doppelte Weise überproportional belastet werden: weniger Steuereinnahmen und höhere Sozialausgaben. Da ich davon ausgehe, dass wir uns im Zweifelsfall bei der Gegenfinanzierung eines bGE auf Bundes- oder EU-Ebene bewegen (wenn halt nicht auf EZB-Ebene), wäre ein egalitäres bGE mit egalitärer Wohngeldhöhe eine Entlastung von Kommunen mit schwacher ökonomischer Performance. Das wäre ein Nebenaspekt der 'Förderung strukturell abgehängter Regionen'.
Deine Bemerkungen zum Mietwucher überzeugen mich wenig.
Okay, muss dich nicht überzeugen.
Im Prinzip ist das ein Teilaspekt all der Debatten, die wir hier zu den reinen Mehrwertsteuermodellen führen. Man könnte ja genauso gut sagen, dass ein bGE die Profitrate von ALDI, dm und sonstigen Einzelhändlern absichert, perspektivisch den Einzelhändler-Oligopolen eine bequeme Position für höhere Profitraten (=Wucher) einräumen könnte. Die Verfechter reiner Mehrwertsteuermodelle reiten immer darauf herum, dass letztlich alle Steueranteile vom Endverbraucher bezahlt werden. Abgesehen davon, dass sie davon abstrahieren, dass Einkommen ≠ Konsumausgaben, weil Einkommen = Konsumausgaben plus Sparen/Investieren/Kapitalisieren, abstrahiert ihre Betrachtungsweise selbstverständlich auch davon, dass es ganz unterschiedliche Märkte für unterschiedliche Konsumarten gibt und kein einziger Markt in der Realität dem WiWi-Modell ideal freier Märkte entspricht (sogenanntes bilaterales Polypol oder vollkommener Markt, vgl. z. B. https://de.wikipedia.org/wiki/Vollkommener_Markt ). Wenn wir mal optimistisch davon ausgehen, dass ein bGE dazu führen würde, dass der Arbeitsmarkt zumindest tendenziell ein solch vollkommener Markt wird, lässt sich dein Hinweis auf Mietwucher als Indiz dafür auffassen, dass wir bei den bGE-Märkten, also denen der Existenzsicherung, wegen der impliziten Staatssubventionierung hingegen alles andere als vollkommene Märkte bekommen. Der Wohnungsmarkt erscheint mir da das kleinere Problem gegenüber den oligopolen Einzelhandelsstrukturen, weil er ja grundsätzlich relativ stark diversifiziert ist und ein bGE z. B. dazu führen könnte, dass viele zur Sesshaftigkeit neigende Leute sich für günstigere Eigenheim- als für Mietvarianten entscheiden, er also noch diversifizierter werden würde. Zentrales Problem des Mietmarkts ist das Thema, das Karin, Stefan und Egge gerade eigentlich verhandeln, aber seltsamerweise übersehen: Nicht nur Löhne stecken in den Preisen, sondern auch Kapitalrenditen. Eine Form dieser Kapitalrendite ist die Grundrente, also die aus dem Eigentumsfetisch resultierende Bezahlung von Landnutzung an den Eigentümer des Landes (im Miet-/Pachtfall) bzw. der Preis von Land (im Kauffall). Immobilienpreise, ob nun als Kauf- oder Mietpreis, sind in attraktiven Innenstadtlagen deutlich höher als z. B. in unattraktiven Provinzlagen, die Grundrente entsprechend höher bis zum Mietwucher (analog bei z. B. ressourcenhaltigem Land). Man kann sich zwar grundsätzlich viele Möglichkeiten überlegen, wie dem entgegengetreten werden kann, etwa durch sozialen Wohnungsbau, aber wenn wir nicht beliebig hohe Wolkenkratzer in die Innenstadtbereiche knallen wollen, haben wir strukturell immer eine angebotsseitige Beschränktheit, die für die nachfragenden Individuen ätzend ist: Selbst wenn wir politisch die Marktmechanismen komplett abschalten, also das Ganze planwirtschaftlich angehen und die Immobilienpreise komplett egalisieren würden, bliebe bei objektivem Mangel ausreichend vorhandenen Wohnraums dieser Markt unfair, weil nicht alle gleichermaßen in den attraktivsten Gegenden wohnen könnten.
M. E. ist es daher sinnvoll, das Pferd komplett andersrum aufzuzäumen. Du sagst "jede staatliche Finanzierung dieses Wuchers ist faktisch eine Förderung des Einkommens relativ Einkommensstarker." Das gilt nur unter der Bedingung, dass die staatliche Finanzierung auf der Gegenfinanzierungsseite diesen Wucher nicht kompensiert, also Einkommensstarke nicht entsprechend stärker besteuert. Wenn wir verhindern wollen, dass ein existenzsicherndes bGE zu einer Subventionierung der Anbieter von existenzsichernden Gütern und Dienstleistungen wird, also quasi zu einem Selbstbedienungsladen für diese Anbieter, müssten wir steuerpolitisch eine Struktur schaffen, die es unattraktiv macht, hohe Profite aus den bGE-Märkten zu quetschen. Wenn wir diese Märkte nicht in planwirtschaftliche Staatsregie nehmen wollen (oder nicht zumindest bürokratielastige strenge Kontrollgesetze für diese Märkte erlassen wollen), dann bietet sich m. E. nur das Standardmittel einer echten und deutlichen Steuerprogression (bei möglichst intensiver Verhinderung von Steuerflucht) an, die ja ohnehin innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen das einzig wirksame Mittel (neben Erbschafts-/Schenkungssteuer oder einem System-Crash) sein kann, die Schere zwischen reich und arm wieder mehr zu schließen. Wie gesagt: M. E. ist das mit Blick auf die Einzelhandels-Oligopole im Zweifelsfall inhaltlich viel wichtiger als mit Blick auf die Immobilienmärkte. Vgl. dazu dann für nähere Detailüberlegungen meine parallel über den Verteiler verschickte Mail an Bernd.
Liebe Grüße,
Bert
Am 30.01.2017 um 11:33 schrieb rblaschke at aol.com:
Lieber Bert,
ich kann nachvollziehen, was du meinst.
Für große Preisunterschiede bei Mieten gibt es in vielen Grundeinkommenskonzepten das Wohngeld (regional modifiziert - wie es jetzt schon - ungenügend - ist, auf Bruttowarmmiete bezogen und individualisiert).
Natürlich kann auch das Grundeinkommen an einem sehr hohen Maßstab bemessen werden, was einer Förderung strukturell abgehängter Regionen gleich käme.
Der weitere Punkt ist, dass der Mietwucher endlich enden muss - jede staatliche Finanzierung dieses Wuchers ist faktisch eine Förderung des Einkommens relativ Einkommensstarker.
Herzlich, Ronald
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