[Debatte-Grundeinkommen] Zur Sache

Bert Grashoff unversoehnt at gmx.de
Fr Dez 30 16:38:11 CET 2016


Hi Bernd,

ich denke, dass wir beide deine Staatsbürgersteuer ausreichend 
miteinander diskutiert haben und ungefähr wissen, wo wir miteinander 
stehen. Ich finde sie einen möglichen Kompromisskandidaten, möchte aber 
als Contra nochmal darauf hinweisen, dass dein beispielhaftes Bürgergeld 
in http://staatsbuergersteuer.de/Differenzierung.htm#3.2.2 nicht den 
Kriterien dieses Netzwerks entspricht. 750 Euro sind schon extrem 
mickrig angesetzt, wenn das Lebensmittel und Wohnung decken soll. Aber 
du staffelst dann auch noch Kindertarife, Tarife für erwerbslose 
Erwerbstätige und Seniorentarife, führst also gleich einen Haufen 
Bedingungen ein, die einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht 
entsprechen. Bei den geringeren Kinderbeträgen ist mir nach wie vor die 
Begründung unklar: M. E. brauchen Kinder existentiell eher mehr als 
weniger Geld im Vergleich zu Erwachsenen, z. B. wegen höheren 
Verschleißes von Klamotten oder systemisch höheren Bildungsausgaben. 
Warum sollen die weniger erhalten? Mir fällt da höchstens ein, dass 
Bedarfsgemeinschaften im ALG2-Jargon halt Synergieeffekte in ihrer 
Kostenstruktur haben, also z. B. nur einen Kühlschrank brauchen, während 
jeder Single-Haushalt seinen eigenen braucht. Will man das aber für 
geringere Kindertarife stark machen, müsste man ja wieder mit 
Bedarfsprüfungen anfangen: Warum sollen 20 Erwachsene, die zusammen in 
einer WG wohnen und gemeinsam wirtschaften, das gleiche Bürgergeld 
bekommen wie 20 Singles mit 20 Haushalten?

Hm, würdest du mir den Gefallen tun, deine Staatsbürgersteuer mal für 
den Fall durchzurechnen, dass wir tatsächlich einfach für alle 
Individuen ein gleichhohes bedingungsloses Grundeinkommen einführen, 
sagen wir in Höhe von 1250 Euro? Oder vielleicht gleich in ein paar 
Varianten: 750, 1000, 1250, 1500 Euro? Ich würde denken, dass du damit 
zumindest die Chance hättest, über diesen Verteiler ein paar mehr Leute 
ein bisschen intensiver für Differentialrechnung zu interessieren.

Hinsichtlich deiner Sorge um meine Zähne beim Biss in die EZB möchte ich 
entgegnen, dass das für mich nach selffullfilling prophecy klingt: Wenn 
wir vor dem bloßen Gedanken zurückschrecken, Geld für einen egalitären 
politischen Zweck wie ein bGE einfach auszuschütten, wird das 
selbstverständlich nie passieren. Es ist aber eine Option. Weil das nur 
über den Parteiverteiler ging, weise ich hier nochmal darauf hin: 
https://www.bundestag.de/blob/485786/617093ae998b8ff2868436ce1929cf81/wd-3-262-16-pdf-data.pdf 
. Es ist relativ wahrscheinlich, dass ein bGE nur mit GG-Änderung kommen 
wird, also mit einem Zweidrittelkonsens der Parlamente. Das erscheint ja 
auch angemessen, wenn auch sehr schwierig zu erreichen. Alternativ ginge 
vielleicht noch eine Klage vorm BVerfG, mit der klargezogen wird, dass 
schon die heutige GG-Struktur aus ihrer inneren Logik heraus ein bGE 
vonnöten macht. Das sollten wir m. E. definitiv schon mal versuchen, 
wenn's möglich ist. Zu einer positiven Konzeption wird's aber einen 
breiten Konsens geben müssen. Und wenn's den gibt, dann könnte der halt 
auch der EZB die Ansage machen, dass wir ein bGE über 
Geldmengenausschüttung durchziehen wollen. Ich find's nach wie vor die 
einfachste Option, zudem aus verschiedenen anderen politischen Gründen 
wünschenswert.

Deine Anmerkungen in http://staatsbuergersteuer.de/Diffusion.htm#5.1.3 
habe ich ausschließlich der ausführlichen Auseinandersetzung mit Verenas 
Ideen mehr oder weniger gelesen (teilweise überflogen). Ich bin da bei 
dir, finde deine Argumente auch gut. Die ganzen 
Mehrwertsteuerkonzeptionen überzeugen mich nicht.

Wenn wir hier wirklich strukturierte Debatte führen wollen, müsste 
irgendwer für Strukturierung sorgen. Blaschkes Tabelle ist als Überblick 
ja gar nicht schlecht, wenn auch nicht mehr taufrisch. Mir fehlt darin 
allerdings der Raum für die politische und/oder sachliche Bewertung, die 
wir hier gemeinsam vornehmen könnten. Ich habe eigentlich aus meinem 
Privatleben resultierend ganz andere Prioritäten gerade auf dem Schirm 
und finde den Verteiler ohnehin schon übermäßig zehrend (was ich aber 
auch gut finde: wenigstens findet hier mal überhaupt wieder ein bisschen 
produktive Debatte statt), erkläre mich daher nicht bereit, für so eine 
Strukturierung verantwortlich zu zeichnen, würde mir aber wünschen, dass 
das jemand oder mehrere Leute versuchen.

Ansonsten ist mir klar, dass auch mit Industrie 4.0 von nix nix kommt, 
ein bGE keineswegs Schlaraffenland für alle bedeutet, sondern einen 
anderen Modus des Tätigseins der Gesamgesellschaft für die 
Gesamtgesellschaft. "Ich habe aber das Gefühl, das interessiert keinen 
der Debattierer.", finde ich daher mindestens in Bezug auf mich falsch.

Liebe Grüße,

Bert


Am 29.12.2016 um 18:38 schrieb Bernd Starkloff:
> Hi Bert,
> Ich freue mich, dass Du meinem Strukturierungsvorschlag zustimmst und 
> hoffe, dass er auch von den anderen Debarrierern angommen wird.
> Für mich sind die ersten drei Fragen erledigt und zu Vorschlägen von 
> Herrn Blaschke, Frau Nedden, Götz Werner und anderen habe ich u.a. in 
> http://staatsbuergersteuer.de/Diffusion.htm Stellung genommen. Sollten 
> andere Modelle hinzukommen, und ernsthaft diskutiert werden, melde ich 
> mich wieder.
> Deinen Vorschlag, zur Finazierung des Grundeinkommens erst mal Geld zu 
> drucken, geht nur mit der Europäischen Zentralbank. Da beißt Du Dir 
> die Zähne aus. In http://oekonomiemodelle.de/TauschGeldZins.htm#TGZ2.3 
> habe ich gezeigt, dass der Fetisch Geld auf dem Vertrauen der 
> Gläubiger beruht, ihr Geld zurück zu bekommen. Das gilt auch für 
> Geldscheine. Die sind auch nur Schuldscheine (der Zentralbank). Und 
> ich galube nicht, dass die Dir und anderen Empfängern des 
> Grundeinkommens vertraut, dass ihr das erhaltene Geld später 
> zurückzahlt. Das Beispiel Griechenland sollte genügen, die 
> Zusammenhänge aufzuzeigen.
> Ich stimme Dir zu, dass volkswirtschaftliche Prognosen schwierig sind. 
> Daher habe ich nur Vergangenheitssituationen simuliert. Ich habe z.B. 
> nur gefragt, was wäre, wenn man die Staatsbürgersteuer 2010 eingeführt 
> hätte. Da werden nur Zahlen aus der offiziellen Statistiken verwendet. 
> Alle anderen Aussagen zur Zukunft habe ich nur qulitativ und ohne 
> Rückgriff auf volkswirtschaftliche Modelle gemacht.
> In http://staatsbuergersteuer.de/KostenNutzen.htm habe ich geschätzt, 
> dass die von mir vorgeschlagene Variante der Staatsbügersteuer 245 
> Mrd. €/Jahr Einsparung bedeutet hätte bzw. ca 250 €/Monat/Kopf. Davon 
> *profitieren alle ehrlichen Staatsbürger* nicht nur die BGE Empfänger. 
> Ich denke, dass ist mehr als nur ein Finanzierungskonzept für ein BGE, 
> bei dem nur verlangt wird, dass die einen mehr kriegen sollen und die 
> andern dies bezahlen (=Null Summenspiel).
> Ich habe aber das Gefühl, das interessiert keinen der Debattierer. Die 
> sehen nur das goldene Zeitalter, in dem sie ohne eigene  Mühe alles 
> kriegen was sie sich wünschen.
> Ein frohes neus Jahr
> Bernd

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