[Debatte-Grundeinkommen] Monothematische Partei vs Vollpartei

Arfst Wagner arfst_wagner at web.de
Di Dez 20 17:54:39 CET 2016


Liebe Karin,

ich kann mich in deinen Pessimismus sogar gut hineinversetzen, da ich im 
Kopf auch meist pessimistisch bin, allerdings immer optimistisch handele.
Ich glaube allerdings nicht, dass alle Konzepte gut sind. Vermutlich 
sind die, die hier auf der Liste diskutiert werden, insgesamt 
diskussionswürdig. Aber es gibt auch Modelle, die eventeull so schlecht 
sind wie Hartz IV oder sogar schlechter. Zum beispiel, wenn das bGE 
benutzt wird, um
den Sozialstaat komplett abzuschaffen und der bGE-Satz so niedrig 
angesetzt wird, dass niemand davon leben kann. Dann gibt es Arbeitszwang 
für alle ohne Stütze. Das wäre eine Horrorvision.

Weiter wird darauf zu achten sein, dass man die Krankenversicherung gut 
integriert. Ob das mit dem derzeitigen gesundheitssystem überhaupt 
möglich ist (Privatisierung!), wage ich extrem zu bezweifeln. Sie muss 
komplett resettet werden. BürgerInnenversicherung, wo alle einzahlen 
wäre ein allererster Schritt. Das ist immerhin einer der Programmpunkte, 
die unsere Grüne Bundestagsfraktion auf dem Schirm hat

Weiter haben wir das Problem, dass Arbeit im internationalen Vergleich 
einfach in deutschland zu teuer ist.
Heute sagen mir SPD-Mitglieder: Oh, was die prekären 
beschäftigungsverhältnisse angeht, da haben wir damals was übersehen. 
Richtig ist. da wurde überhaupt nichts übersehen, sondern das war volle 
Absicht und zentrales Anliegen der damaligen Bundesregierung (leider 
unter beteiligung der Grünen). Statt eine neue Steuergesetzgebung zu 
initiieren, die die Kosten für Arbeit jedenfalls für den Mittelstand 
gravierend senkt und das ganze für jeden einzelnen  durch ein 
Steuermodul bGE aufgefangen wurde, hat man eine Sklavenkaste von derzeit 
geschätzten 8 Millionen Prekären geschaffen, die das jetzt ausbaden.

Im Bundestag wurde ich von den tollen Hybrid-Limousinen gefahren. 
FahrerInnen im schicken Anzug. Ich habe die dann mal gefragt: "Was 
verdienen sie eigentlich". Antwort war: "Das darf ich ihnen nicht sagen, 
Herr Wagner". Ich sage: "Doch, das dürfen sie". "Okay", sagte der 
Fahrer: "8,50 brutto in der Stunde. Und wenn sie gleich aussteigen und 
ich komme eine Kreuzung weiter in einen Stau, dann muss ich mich wegen 
des tollen Autos und wegen meines Anzugs noch als reicher Schnösel 
beschimpfen lassen".

Daraufhin ging ich in die Bundestagskantine und fragte die Bedienung. 
"8.50 brutto" war die Antwort.
Und beim Sicherheitsdienst das Gleiche.
Ich bin darauf deprimiert zu den Polizisten an der Bundestagsabsperrung 
gegangen, mit denen ich gerne eine geraucht habe und habe ihnen das 
erzählt. Sie klärten mich erstmal über die desaströse Sicherheitslage am 
Bundestag auf: "Hier muss wohl erstmal was passieren!" so hieß es. Ich 
fragte: haben sie denn auch solche ähnlichen Probleme. Antwort: "Wir 
bekommen Beamtengehälte. Aber wir haben ein anderes Problem: schauen sie 
uns mal an". Es war Dezember. Minusgrade. Ich sagte: "ich sehe nichts". 
Daraufhin der Beamte: "Wir stehen hier in Sommerklamotten. Der Senat hat 
kein Geld, um für uns Winterklamotten anzuschaffen. Und wenn wir einen 
Pullover drunterziehen, bekommen wir einen Verweis wegen Verstoßes gegen 
die Kleiderordnung". Das ist im übrigen heute noch so, obwohl ich 
mehrfach an Senatsmitglieder geschrieben habe mit der Forderung, 
Winterklamotten anzuschaffen."

Und dann reden viele noch von Wirtschaftswachstum. Hahaha. Wie soll das 
denn laufen, wenn der normale Bürger kein Geld in der Tasche hat.
Wenn man denn überhaupt noch von Wirtschaftswachstum träumen soll.....

Wenn wir von "System" reden: DIESES System ist echt am Ende. Und das 
sage ich ganz einfach aus der Beschreibung von Tatsachen heraus.
Ohne bGE wird schon bald nichts mehr gehen.
Die wahre Verbündete des bGE ist die Problemlage. - Da kommen dann 
Optimismus und Pessimismus an einem Punkt zusammen.

Viele Grüße!
Arfst


Am 20.12.2016 um 17:31 schrieb Karin Teetzen:
>   
> Lieber Arfst,
>
> um erst einmal ein Missverständnis aus der Welt zu räumen: Ich bin weder
> Mitglied einer BGE-Partei noch habe ich vor überhaupt in die Politik zu
> gehen.
>
> Mir ging es nur um das Konzept einer Monothematischen Partei, was ich gut
> fand. Ich wollte ein paar Argumente Pro BGE-Partei bringen und wurde dann
> gleich angegangen.
>
> Ich verurteile aber NIEMANDEN der sich in der Politik betätigt. Ich finde es
> sogar gut, wenn Menschen versuchen noch etwas zu verbessern.
>
> Bloß weil ich selbst pessimistisch bin, weiß ich doch, dass andere noch
> hoffen und vielleicht passiert ja doch noch ein Wunder und alles wird wieder
> gut.
>
> Ich lese hier im Forum schon einige Zeit mit und für mich stellt es sich so
> dar, dass zum Thema BGE kaum noch wirklich inhaltliche Fragen geklärt werden
> müssen. Es gibt verschiedene Konzepte, alle ungefähr gleich gut, und es ist
> jetzt nur noch die Frage wann das BGE kommt und wie der Anfang gestaltet
> wird. Oder sehe ich das falsch?
>
> Liebe Grüße
> Karin
>
>
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