[Debatte-Grundeinkommen] ...
Bert Grashoff
grashoff at freudenkinder.de
Fr Dez 2 05:53:33 CET 2016
Hallo,
da das Differenzierungsvermögen von internetgestützten Diskussionen ja
in der Tat häufig gegen null tendiert, mag ich explizit aussprechen, was
ich eigentlich ohnehin klar finde: Ich habe durchaus Respekt vor deinem
Engagement fürs bGE, lieber Arfst. Wobei ich davon auch nichts Näheres
weiß, mir jetzt nur mal ein paar Minuten irgendeines Videos von einer
Rede von dir reingezogen habe, in denen du ganz hübsch auf die
Asozialität des CDU-Slogans hinweist, wonach sozial sei, was Arbeit
schaffe. Aber ich nehm dir schon ab, dass du redlich und bemüht bist,
und kann das anerkennen.
Wäre die diesherbstliche Debatte wenigstens mit irgendwelchen
inhaltlichen Hinweisen auf die aktuell z. B. bei den Grünen (oder auch
bei der CDU oder wo auch immer) diskutierten bGE-Modelle gestartet,
hätte ich auch nicht so deutlich gegen die Grünen gepöbelt, sondern mich
da vermutlich eher auf die Sache eingelassen. So kamen bei mir aber
eigentlich nur eine Handvoll Statements von wegen "Gründet bloß keine
neue Partei, sondern engagiert euch in den bestehenden
Mainstreamparteien fürs bGE!" an, was ich für mich nun wirklich keine
Option, sondern falsch finde, was aber anderen Leuten selbstverständlich
unbenommen ist.
Da ja das Gothaer Sozialgericht dankenswerterweise beharrlich vom BVerfG
eine Entscheidung darüber verlangt, ob eher unsere Grundrechte oder eher
Hartz4 einen Verfassungsbruch darstellen (vgl. z. B.
http://www.sggth.thueringen.de/webthfj/webthfj.nsf/6B1D8B8B0AAF1449C125800900272B18/$File/Rehse%2015%20AS%205157%2014.2.Vorlage.pdf?OpenElement
), wären die Grünen m. E. ziemlich gut beraten, sich sozusagen gerade
noch rechtzeitig für ein bGE zu positionieren. Bei Leuten wie mir würde
das zwar nix reißen, bei dummduseligeren Teilen des Publikums könnte
damit aber der Eindruck erweckt werden, dass die Grünen zumindest in der
Hartz4-Frage keine Verfassungsfeinde aus Überzeugung sind, sondern seit
der Schröder-Fischer-Regierung irgendwie irgendwas dazugelernt haben.
Vielleicht ist diese Reflexion ja irgendwie hilfreich in
innerparteilichen Auseinandersetzungen. Geht immerhin um die
innenpolitisch relevanteste Entscheidung seit der Wende, die euch da um
die Ohren fliegen wird.
Thorsten hatte seine Mail an mich und den Verteiler geschickt und ich
hatte fälschlicher Weise geglaubt, die sei nur an mich privat gerichtet
gewesen, und ihm auch bereits vor einem Weilchen privat geantwortet.
Matthias meinte moderierend, dass es versöhnlicher sei, diese private
Antwort nicht noch einmal über den Verteiler zu jagen. Das hat mich dazu
animiert, mein inneres Kind zu befragen, das klar dafür votiert, dass
die Urmütter sagen, ich dürfe gerade nicht mit euch spielen, lieber
Thorsten und lieber Axel. Vielleicht in einem anderen Leben. Ich bin
hier auch echt nicht der Tanz- oder Erklärbär. Zudem hat mir eine mal
wieder für seine Staatsbürgersteuer werbende private, aber auf den
Verteiler bezogene Mail von Bernd ein Stückweit die Augen darüber
geöffnet, wie übermüdet ich gerade bin und dass ich auch völlig andere
Sachen aktuell auf dem Zettel habe als diesen Verteiler. Ich hatte in
den vergangenen Jahren hier wiederholt gesagt, dass ich die
Staatsbürgersteuer in Bernds Ausgestaltungsvariante nicht befriedigend
und dennoch so ziemlich den besten Vorschlag zu einer Refinanzierung
eines bGE in diesem Debattenverteiler finde, in dem ja aber auch kaum
wirklich jemals zur Sache debattiert wird. Mich würde aktuell z. B.
interessieren, wie in der bGE-Szene eigentlich das Verhältnis zu den
Sozialversicherungen gesehen wird, weil die Klüngel bei den
Nachdenkseiten und Makroskop in ihren bGE-Bashings gerne
selbstverständlich davon ausgehen, dass ein bGE die
Sozialversicherungssysteme komplett überflüssig machen solle - was ich
eine sinnfreie Idee finde, von der mir unklar ist, welche bGE-Verfechter
die denn wohl vertreten würden.
So ganz allgemein ließe sich zu Axels Stichwort Fraktionszwang darauf
hinweisen, dass schon der entsprechende Wikipedia-Artikel eine ziemliche
Ambivalenz zwischen GG-Gewissensfreiheit und pragmatischer
Interessensvereinigung darstellt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fraktionsdisziplin . Zur
Parlamentarismuskritik sind ansonsten ganze Bibliotheken gefüllt worden,
nicht unerhebliche Teile davon übrigens von Leuten, die sich zumindest
irgendwann mal den Grünen nahe gefühlt haben. Ohne dass ich das näher
kennen würde, scheint das hier z. B. eine ziemlich ausführliche Quelle
zum Thema Parlamentarismuskritik zu sein:
http://www.linksnet.de/de/tags/parlamentarismuskritik . Relativ banal
ist ja die Überlegung, dass das Repräsentationsprinzip des
Parlamentarismus schon jenseits aller Lobbies, pressure groups,
Netzwerke, Korruption und Filterblasen der Mainstreammedien daran
krankt, dass ärmere und ungebildetere Menschen schon wegen dieses
Mangels an Kapazitäten weit weniger Einfluss auf die Repräsentation
nehmen können als reichere und gebildetere Menschen. Gleichwohl leben
wir in dem Fetischverhältnis, dass die Parlamente im Rahmen des GG
Legalität und kollektiven Willen verbindlich setzen, weil sie angeblich
Volkswillen darstellen würden.
Liebe Grüße,
Bert Grashoff
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