[Debatte-Grundeinkommen] Jochen Tittel an Bernd Starkloff (und Interessenten).Nachschlag und Entschuldigung

Debattenliste des Netzwerks Grundeinkommen debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Mi Mär 11 07:08:11 CET 2015


Lieber Bernd (liebe Mitlesende).
In meinem Beitrag vom 9.3. hab ich peinlicherweise vergessen, den 
Zusammenhng herzustellen. Ich hatte ja auf eine Mail von Bernd 
geantwortet, die er mit direkt geschickt hatte. Er hatte mir zugesagt, 
daß ich unseren Austausch auf der Debattenliste hier veröffentlichen 
kann. Dummerweise habe ich nun vergessen, den Text, auf den ich antworte 
in die mail zu kopieren; deshalb hier meine Entschuldigung und im 
folgenden nochmal die Texte im Zusammenhang.

4.3. Bernd

Hi Jochen,

In http://www.staatsbuergersteuer.de/TauschGeldZins.htm habe ich 
ausdrücklich zugestanden, dass die von mir skizzierte Entwicklunglinie 
nur eines der vielen möglichen Szenarien ist. Ob und inwieweit es mit 
anderen Entwürfen übereinstimmt, weiß ich nicht; Du sagst, daß Carl 
Menger ähliche entwickelt hat. Freut mich, dann stehe ich nicht ganz 
alleine da. Geld und Herrschaft läßt sich sicher nicht trennen Auch 
darin geb ich Dir recht, wenn wir Geld und Herrschaft weiter fassen als 
heute üblich.

Im Konfliktstufenmodell sind 4 von 5 Stufen durchaus friedliche und 
fördern freundliche Begegnungen: Flucht ist die erste und häufigste 
Stufe und ebenfalls durchaus friedlich. Dahinter steckt die Anerkennung 
der Herrschaft des anderen, das /Sich Feiwillig Unteordnen/, Kinder 
ordnen sich den Eltern unter - meistens wenigstens. Wenn Menschen (nicht 
nur die, sondern auch Rudel-Tiere wie Hunde oder Wölfe) in die /soziale 
Distanzzone /eines anderen eindringen (ca. 2-6 m Distanz) machen sie 
Unterwefungsgesten z.B: Augen neiderschlagen oder weggucken, 
beschwichtigende Gesten, rituelle Formeln sagen (/Friede sei mit Dir/) 
oder wenigstens freundlich Brumme usw. Mir scheint dass Du diese Stufe 
meinst, wenn du von matriarchalischer Phase sprichst. Jeder darf machen, 
was er will, solange dem andern nicht in die Quere kommt und in seine 
Distanzzone eindringt.

Die 2. Stufe, Kampf kennt durchaus sehr lange äußerlich friedliche 
Episoden: der Konflikt ist kalt, wie beim Kalten Krieg. Begrenzte 
Zusammenarbeit ist möglich. Beide Seiten sich aber ihrer 
Interessengegensätze bewußt und haben kein Interesse den Konflikt zu 
lösen. Die meisten sagen es gibt keinen Konflikt, bloß ein paar 
Probleme, weil /die Anderen /bei diesem oder jenem blockieren. 
Kommunikation ist auf das Minimum beschränkt, wird über Formulare und 
ähnliche Rituale abgewickelt . Dies ist daher die am schwersten 
aufzulösende Phase, weil jeder weiß: wenn der Konflikt wieder heiß wird 
ist der Aufwand riesig und alles andere muss zurückgestellt werden. Auch 
wenn es bereits Kampf und Sieg gegeben hat. Die Verlierer sind dann die 
Sklaven der Sieger. Jede Hierarchie besteht aus kalten Konflikten. Die 
Unterdrückten Unterschichten sind die Sklaven. Die Demokratie 
funktioniert auch nach diesem Prinzip: Im Wahlkampf gibt es dann den 
Sieger,. Die Minderheit bzw. die Opposition wird in ihren 
Wirkungsmöglichkeiten einschränkt. In der Demokratie gibt es das Ritual, 
das nach Ablauf der Wahlperiode die kalte Phase beendet und wieder in 
die heiße Phase des Wahlkampfs gewechselt wird usw. usw.

Auch die 3. Stufe, die Delegation des Konflikts an eine von beiden 
Parteien als überlegen akzeptierte Person oder Instanz ist friedlich, 
wenn oder weil beide einsehen, das Kampf nichts bringt. Sie 
/unterwerfen/ sich dann beide dem Urteil des Richters, der je nachdem 
der Chef, ein Schlichter oder eine beliebige Person sein kann, den beide 
Seiten akzeptieren können. Die 4. Stufe Kompromiss und 5. Konsens sind 
ebenfalls friedlich und der Konsens soll sogar Misstrauen ganz abbauen 
und zu echter Partnerschaft führen. (dies ist das Messkriterium, ob ein 
Konsens Kompromiss oder Kompromiss vorliegt.


Auch ich glaube nicht, dass in der Jungsteinzeit jeder *ständig *um sein 
Überleben kämpfte. Auch da wird es einige gegeben haben, die 
künstlerisch tätig sein durften und/oder das Volk mit magischen Ritualen 
beglückten. Sogar zu Megalitbauten werden diese ihre Gläubigen 
veranlasst haben.

Dass Eigentum nicht ohne Herrschaft gedacht werden kann, bestreite ich, 
wenn ich vom heutigen Begriff der Herrschaft ausgehe. Der Jäger wird 
seine Beute gegen Fremde verteidigt haben, es sei denn sie war so groß, 
dass er sie nicht selbst verwerten konnte. Ebenso wird er seine 
Jagdwaffen selbst gebaut, gepflegt und mit ihr bis zur Perfektion geübt 
haben. Ich glaube nicht, dass er sie einfach jedem Fremden, der sie 
haben wollte ohne Kompensation überlassen hat. Wenn Du *das *Herrschaft 
nennst, dann gab es schon immer Herrschaft und damit auch schon immer 
Geld. Auch dass sich der Eigentumsbegriff, die Herrschaft und damit auch 
das Geld weiterentwickelt hat ist logisch. Ab wann ist dieser 
Eigentumsbegriff mit dem, was /man /heute darunter versteht identisch? 
Unser BGB - Begriff von Eigentum oder der Eigentumsbegriff der Sinti und 
Roma oder der der Kibbuz-Genossen oder ...

Wie auch immer. ich kann auch Dein Szenario der Historie akzeptieren, 
auch wenn ich die/Harmonie und Einklang mit der Natur /nicht so 
romantisch sehe, wie Du.

Eigentlich will ich nicht das Geld aus seiner historischen Entwicklung 
erklären. Ich will damit nur hinführen zu dem Satz, den auch Du als 
Fazit nennst: *Geld ist kein Ding, das wir benutzen, sondern ein 
soziales Werkzeug*, ich drücke das zwar ein bisschen anders aus, aber 
wenn Du *soziales Werkzeug *durch *Glauben an den Nimbus des Geldes und 
Vertrauen in die Institutionen, die dessen Werterhalt garantieren 
(sollen)* ersetzt, bin ich mit Dir Dir einig. Uns trennt zwar 
unterschiedliche Wortwahl und manche Sichtweise, aber wir haben doch 
eine tragfähige gemeinsame Grundlage.

Mich interessiert die Zukunft mehr als die Vergangenheit. Laßt uns daran 
gemeinsam arbeiten.

Bernd

6.3. Jochen

Lieber Bernd,

ich interessiere mich für die Vergangenheit auch nur, weil es helfen 
kann, die Gegenwart zu verstehen. Und die Zukunft interessiert mich nur, 
insofern sie die Folge unserer gegenwärtigen Entscheidungen und 
Handlungen ist. Die Gegenwart ist also das eigentliche Feld unserer 
gemeinsamen Tätigkeit. Diesen kleinen Unterschied möchte ich betonen, 
weil es unter anderem ein Mittel der Herrschaft ist, den Leuten zu 
versprechen, daß sie in einer mehr oder weniger fernen Zukunft ein 
paradiesisches Leben haben werden, wenn sie nur heute Entbehrungen auf 
sich nehmen und den Befehlen der großen Besserwisser folgen.

Der Besitz von persönlichen Gegenständen ist sicher nicht per se 
Herrschaft; aber die Bedeutung des Begriffs "Besitz" verändert sich je 
nach den sozialen Verhältnissen und kann natürlich auch zu einem Element 
der Herrschaft werden.

Formal juristisch ist der heute gültige Eigentumsbegriff erstmalig wohl 
im Napoleonischen Zivilgesetzbuch festgelegt worden. Wie weit er sich 
davor und danach entwickelt hat, kann ich jetzt nicht aus dem Ärmel 
schütteln, müßte ich erst nachforschen; ist aber wohl jetzt nicht 
erforderlich. Eine genauere Darstellung der Entwicklung des 
Eigentumsbegriffs wäre wohl eine gesonderte Abhandlung wert; wenn ich 
dazu komme, werde ich das hier in der Debattenliste einstellen.

Soweit erstmal ganz kurz.Herzlichen Gruß

Jochen

6.3. Bernd

Hi Jochen,


Bei meiner letzten Erwiderung hab ich Gödel vergessen "Genau umgekehrt 
verhält es sich mit Gödel; Du sagst, das ist nur eine

/mathematische Spitzfindigkeit, aber dem ist nicht so. Sein Theorem ist 
eine grundlegende Aussage über die Grenzen der Rationalität. An diesem 
Punkt berührt sich Mathematik mit Philosophie./" Ich habe noch einmal 
Gödels 1. und 2 Satz und seine Beweisführung angeschaut. Auch wenn ich 
nicht jedes Lemma oder die Konstruktion der Gödelschen Nummer auf die 
schnelle verstanden habe: Wie Du auch in 
http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6delscher_Unvollst%C3%A4ndigkeitssatz 
nachlesen kannst, ist dieser Satz zwar von grundlegender Bedeutung für 
die Mathematik und für bestimmte Annahmen der Logik, hat aber mit der 
Philosophie oder gar der erfahrbaren Realität nichts, aber auch gar 
nichts zu tun. Aber bleiben sie bei der Philosophie: Welches 
philosophische System meinst Du, auf das der Satz von Gödel anwendbar 
wäre? Hat dieses sauber definierte Axiome und ein sauber definiertes 
Begriffssystem, mit dem sich Behauptungen formulieren lassen, die dann 
logisch aus den Axiomen folgern ließe? Behauptet es dann, es könne*alle 
denkbaren *Aussagen aus seinen Axiomen anleiten? Ich kenne keins.


Ich kenn nur ein paar Versuche der Theologie Gott logisch zu beweisen. 
Abgesehen davon, dass Gott als Begriff völlig unklar ist, sind alle 
/Gottesbeweise /als unlogisch bzw. Wunschdenken entlarvt worden. Das 
bedeutet nicht, dass Gott (Was immer darunter zu verstehen ist) nicht 
exisitiert, sondern nur, dass die Theologie ihn nicht beweisen kann. Als 
Axiom taugt Gott auch nicht, denn dazu wäre ein klares Begriffssystem 
nötig. Selbst diese unterstellt: Nach Gödel wäre dann die Aussage "die 
Theologie ist richtig" innerhalb der Theologie nicht beweisbar und es 
gäbe Aussagen, zu denen die Theologie keine Meinung haben kann. Aber 
genug der Spitzfindigkeiten.


Für die empirische Wissenschaft ist Gödels Satz völlig uninteressant, 
denn selbst Einstein wusste um die Grenzen seiner Modell-Gleichungen, 
auch wenn er vielleicht an die Möglichkeit einer Weltformel glaubte. 
Aber auch die müsste grundsätzlich durch empirische Fakten 
falsifizierbar sein, um ein physikalisch belastbares Modell der Realität 
zu sein. Die Idee, man könne die Richtigkeit der Weltformel durch 
logisch Schlüsse beweisen, ist so absurd, dass kein ernsthafter Physiker 
dies behaupten würde.

Bernd

PS. Wenn Du Deine Beiträge in die Debatte BGE einbringst, Dann doch auch 
bitte diese Ergüsse.

Bernd

9.3. Jochen

Lieber Bernd,

wenn ich mich bezüglich der Begrenztheit der rationalistischen 
Weltanschauung auf Gödel beziehe und sage, daß sich Mathematik mit 
Philosophie berührt, dann will ich damit ausdrücken, daß die Gödelschen 
Ergebnisse meiner Meinung nach durchaus eine philosophische Relevanz 
haben. Ich habe auch nicht alle Einzelheiten von Gödels Beweisführung 
nachvollzogen (oder verstanden), habe nicht einmal die Originalarbeiten 
gelesen. Ich denke aber, daß ich die Kerngedanken verstanden habe. Vor 
allem über das Buch "Gödel, Escher, Bach ein Endloses Geflochtenes Band" 
von Douglas R. Hofstadter bin ich mit diesen Gedanken vertraut geworden 
(das wird auch auf der Wikipedia-Seite erwähnt), habe aber auch noch 
andere Arbeiten darüber gelesen. Hofstadter entwickelt den Gedanken am 
Beispiel der Entwicklung einer Programmiersprache recht anschaulich. Daß 
Physiker und Mathematiker in den meisten Fällen wissen, daß die Realität 
(oder die Wirklichkeit) nicht mit ihren Modellen identisch ist, das will 
ich nicht bestreiten; aber der Glaube, daß es vielleicht doch eine 
Weltformel geben könnte oder sogar müßte, ist doch auch noch bei machen 
Wissenschaftlern und in der Öffentlichkeit vorhanden (spielt sogar im 
Mainstream eine bestimmende Rolle). Die rationalistische Einseitigkeit 
zeigt sich aber noch an einer anderen Stelle; nämlich in der 
Überzeugung, daß nur meßbare, quantifizierbare Sachverhalte Wirklichkeit 
ausmachen, und daß nur rationale, beweisbare Aussagen - also 
formalisierbare - Wahrheit darstellen könnten. Und an dieser Stelle sagt 
uns Gödel, daß das nur die halbe Wahrheit sein kann. Das ist nach meinem 
Verständnis eine philosophische Aussage.

An eine Anwendung des Gödelschen Satzes auf ein philosophisches System 
hatte ich bei meiner Bemerkung überhaupt nicht gedacht, wenn wir es aber 
auf diese Weise betrachten wollten, so würde ich meinen, daß Hegels 
Philosophie zumindest von der Tendenz her dafür in Frage käme. Ich finde 
aber schon Deine Forderung eines Philosophischen Systems mit sauber 
definierten Axiomen und ebensolchem Begriffssystem als einseitig 
rationalistisch. Zwar schließt Philosophie solche Formen nicht aus, aber 
sie erschöpft sich auch nicht darin. Trotz verschiedener 
Gemeinsamkeiten, die ich auch immer wieder betonen möchte, habe ich den 
Eindruck, daß hier ein Punkt berührt wird, an dem wir irgendwie 
aneinander vorbeireden.

Insbesondere in der Ökonomie hat das rationalistische Paradigma 
verheerende Folgen, weil Modelle, die mit der wirklichen 
wirtschaftlichen Tätigkeit kaum noch Berührung haben, dann doch zu 
Leitlinien für ökonomische Entscheidungen führen, deren Risiken und 
Nebenwirkungen Menschenleben kosten. (Ich denke da etwa an die Millionen 
Hungertoten jährlich, obwohl Nahrungsmittel in ausreichendem Maße 
vorhanden sind; es nur nicht profitabel ist, sie so zu verteilen, daß 
niemand verhungern muß.)

Zu deinem PS.: Habe ich etwas wesentliches übersehn? (Es gab 
Kommunikationsstockungen mit Matthias Bloecher, die sind aber jetzt 
überwunden.)

Herzlichen Gruß (auch an eventuell Mitlesende)

Jochen

11.3. Ich hoffe, ich habe nun alles beisammen, so daß eventuelle 
Mitleser auch verstehen können, worum es geht.
herzlichen Gruß
Jochen

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20150311/07876f56/attachment.html>


Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen