[Debatte-Grundeinkommen] an Bert Grashoff

Jochen Tittel jochentittel at web.de
Mi Sep 24 18:46:35 CEST 2014


Lieber Bert,
ich kann mit allem, was Du schreibst ganz mitgehen. Meine Aussagen über 
Marx waren auch eher tendenziell gemeint. Außerdem beruhen diese 
Aussagen über das neue Marxverständnis nicht auf meiner eigenen 
Marxlektüre, die schon einige Jahre zurückliegt, sondern hauptsächlich 
auf Sekundärliteratur (neben Brodbeck etwa Robert Kurz, Moishe Postone, 
Nadja Rakowitz und noch einigen anderen). Die kommen teilweise zu 
gegensätzlichen Schlussfolgerungen, können aber alle ihre jeweiligen 
Ansichten mit Zitaten belegen, weshalb ich zu der Überzeugung gekommen 
bin, daß es eine endgültige "richtige" Interpretation von Marx nie geben 
wird. Er stellt halt ein geschichtliches Ereignis dar, das wir nie ganz 
ausschöpfen können. Ich habe schon bei meiner ersten Marx-Lektüre 
festgestellt, daß ich manches nicht verstehen konnte und mir 
vorgenommen, die entsprechenden Texte irgendwann nochmal zu lesen, aber 
da es eben auch zahlreiche andere Texte und Autoren gibt, von denen ich 
noch gar nichts kenne, die mir aber interessant erscheinen, ist vieles 
noch immer ein Vorhaben für die nächste Zeit. Schließlich lese ich 
Bücher nicht, weil die Autoren aus irgendwelchen Gründen berühmt 
geworden sind, sondern wenn ich den Eindruck habe, daß sie zur Klärung 
der Fragen, die mich heute und hier bewegen, etwas beitragen können. Ich 
würde mich also um "Marxologie" nicht kümmern, wenn ich nicht glauben 
würde, daß seine Schriften uns (mir) auch heute noch bei unseren 
Auseinandersetzungen helfen könnten. Aber, damit Du mich nicht falsch 
verstehst, ich unterstelle Dir eine solche abgehobene und 
selbstgefällige Marxologie nicht. Ich wollte Dir mit einigen Zitaten 
belegen, daß man Marx je nach Auswahl der Zitate so oder so verstehen 
kann; leider habe ich aber die Übersicht über meine Notizen verloren und 
finde jetzt nicht das Passende. Ich denke, Du verstehst auch so, wie es 
gemeint ist.
Zum Thema Gesell und seine Geldreform möchte ich, falls es Dich 
interessiert auf das verweisen, was ich Jens geschrieben habe. Hier will 
ich dazu nur noch sagen, daß ich die Versuche, die Geldreformbewegung 
insgesamt und Gesell in die rechte Ecke zu stellen für einseitig und 
falsch halte, ohne zu bestreiten, daß es so was in diesem Zusammenhang 
auch gegeben hat. (dazu auch das Folgende:)
Was Du am Ende Deiner Mail über die Grabenkämpfe zwischen den 
ideologischen Lagern schreibst, brachte mich auf folgenden Gedanken: 
Vielleicht kann man diese ideologischen Grabenkämpfe als einen späten 
Reflex der physischen Grabenkämpfe der letzten hundert Jahre verstehen; 
andererseits sind diese aber auch die Folge der vorherigen geistigen 
Grabenkämpfe, die unsere Herrschafts-Unkultur seit Jahrhunderten 
charakterisieren ... Es gibt nicht die eine Vorzugsrichtung der 
Kausalität vom materiellen zum geistigen Bereich.
Ich mache jetzt kein weiteres Thema auf, weil ich wie gesagt den 
Überblick über mein gesammeltes Wissen bisschen verloren habe, ich hoffe 
aber, daß wir uns hier auch weiterhin begegnen werden.
Herzlichen Gruß
Jochen



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