[Debatte-Grundeinkommen] Antwort an Jens Kasten

Jochen Tittel jochentittel at web.de
Mi Sep 24 11:10:56 CEST 2014


Lieber Jens,
wenn Du schreibst: "Die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums in 
die Hände weniger, ... Das ist ein strukturelles Problem, ein 
Systemfehler", wirst Du hier sicher kaum Widerspruch ernten. Bei der 
Bestimmung allerdings, was denn das System ist, gehen die Meinungen 
auseinander. Unabhängig davon, wie wir diese Frage beantworten, bin ich 
aber auch der Ansicht, daß dadurch die Frage nach dem Charakter oder der 
Moral der Protagonisten nicht gegenstandslos wird.
Wie Du, bin ich der Meinung, daß das BGE nicht als Nachhaltige Lösung 
funktionieren kann, wenn nicht auch das Geldsystem (im Sinne Gesells) 
reformiert wird. Aber diese Reform ist nicht das Ende der 
gesellschaftlichen Transformation, denn die Widersprüche, die im 
gegenwärtigen Geldsystem in Erscheinung treten, stecken schon im 
bürgerlichen Eigentumsbegriff.
Ich glaube, ich verstehe Dich richtig und gehe mit Dir mit, wenn wir 
über dem Streit über das "richtige Verständnis" der Grundlagen des 
Geldsystems nicht vergessen, bzw. uns daran hindern sollten, am 
gegenwärtigen katastrophalen Zustand (bzw. Verlauf) dieses Systems 
wenigstens erst mal eine Notkorrektur durchzuführen, damit es uns nicht 
umbringt. Über weitere unterschiedliche Vorstellungen können wir dann 
immer noch streiten.
Was Du über Marx und Brodbeck schreibst, halte ich für falsch; und zwar 
unabhängig davon, ob im einzelnen etwa so eine Verliebtheit in ihre 
Theorien vorliegt, oder nicht. Mit dieser Herangehensweise kannst Du 
alle kulturellen Leistungen der Menschen in Frage stellen. Aber welche 
Alternative haben wir? Einfach immer das Richtige tun? Was ist das 
Richtige? Da es keine unumstößliche Autorität gibt, auf die wir 
zweifellos zurückgreifen können (da sind wir uns wohl auch einig), 
bleibt nur der Weg durch den Dschungel der Hypothesen, Irrtümer und 
Meinungen in Richtung zur Wahrheit (hoffentlich). Weil ich in den 
alltäglichen Äußerungen zu den Problemen unseres Daseins keine 
befriedigenden Antworten finden kann, lese ich gern Bücher von  
Menschen, die sich offensichtlich intensiv um solche Antworten bemühen. 
Das dabei (beim Lesen wie beim Schreiben) die Gefahr besteht, den 
Kontakt mit dem Alltag zu verlieren, ist nicht auszuschließen; aber ich 
denke das entscheidet sich an der Motivation, mit der man das tut. Der 
Hauptgrund für diese Trennung der theoretischen und der 
praktisch-alltäglichen Sphäre liegt aber nicht bei den Individuen, 
sondern auch wieder im System, in der Organisation des 
gesellschaftlichen Alltags nach Herrschaftsinteressen.
Zum Eigentumsbegriff
In meinen Augen oder nach meinem Verständnis ist der bürgerliche 
Eigentumsbegriff das Produkt des Herrschaftswahns; also des Irrglaubens, 
wir könnten irgendetwas beherrschen - d.h. total kontrollieren. Die 
(natürliche) Alternative dazu ist die Einsicht, daß wir als Individuen, 
wie als Menschheit eingebunden sind in einen größeren Zusammenhang, der 
unsere Kontrollmöglichkeiten immer übersteigt, dessen für uns 
wesentliche Beziehungen wir aber erkennen und nutzen können. Daraus 
ergibt sich ein verantwortlicher Umgang mit den natürlichen und den 
gesellschaftlichen Bedingungen unserer Existenz. Diese Einsicht ist 
nicht erst auf unserem heutigen Wissensstand möglich, sondern war die 
Voraussetzung menschlicher Entwicklung, seit menschliche Gesellschaften 
in die Lage versetzt waren, "Naturgesetze" für ihre Interessen 
anzuwenden. Das Herrschaftsparadigma besteht in dem Vergessen dieser 
Abhängigkeit und der Selbstüberschätzung der eigenen Rolle in der Welt.
Privateigentum und gesellschaftliches ("sozialistisches" o.a.) Eigentum 
sind in dieser Hinsicht das Gleiche.
Es ist also auch nicht " jegliche Nachfrage nach einer Sache, nach einem 
Produkt als
negativ zu besetzendes Eigentümergebahren "anzusehen. Etwas zu benutzen, 
zu gebrauchen, ist nicht an den Eigentumsbegriff gebunden, und auch eine 
vernünftige Regelung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage von 
Ressourcen und Produkten kann auf der Basis von Nutzungsrechten ohne den 
Eigentumsbegriff  wahrscheinlich besser geregelt werden. Das Verständnis 
von Geld als öffentliches Verkehrsmittel ist ein Beispiel dafür.
Wenn für irgendeine Sache oder ein "Gut" die Nachfrage größer als das 
Angebot ist, kann es durchaus auch sein, daß die Nachfrage dann eben 
aufgegeben werden muß. Das entscheidet sich darüber, ob Menschen bei 
vernünftiger Abwägung aller Umstände sich dafür oder dagegen 
entscheiden; ohne den Eigentumswahn ist da nichts mit Kapital.
Natürlich sind wir von einer solchen allgemeinen Einsicht weit entfernt 
und bis dahin, da sind wir zwei uns einig, wollen wir noch Geld 
verwenden, um unsere produktiven und konsumtiven Regungen zu 
koordinieren, soweit das eben nötig ist. Und ein Geld mit 
Umlaufsicherung ist da eine Lösung, welche die Probleme nicht noch 
weiter verschärft. Den ausbeuterischen Umgang mit der Natur lösen wir 
aber damit noch nicht, dafür brauchen wir noch andere Regelungen. Das 
was Gesell als Freiland bezeichnet, geht in diese Richtung, reicht aber 
meiner Meinung nach noch nicht aus. Grundsätzliche Überlegungen zur 
Ökologie müssen das ergänzen.
Zum Geld als Ding oder Sache
Das Geld als Ding auftritt, ist die Folge des Umstands, daß Geld 
Eigentumszeichen ist; man muß es besitzen können. Deshalb wird das 
Verhältnis, welches das Wesentliche am Geld ist, vergegenständlicht. Der 
glaube, den Du vertrittst, daß mit der Arbeitsteilung die Produkte 
zwangsläufig zu Waren werden, ist eigentlich inzwischen gründlich 
widerlegt. Menschliche Kultur war von Anfang an mit geteilten und 
koordinierten Tätigkeiten verbunden, also seit zig tausenden von Jahren; 
Warenproduktion ist dagegen eine sehr junge Erfindung.
Auf mein Beispiel antwortest Du: "Noch vor dem Geld wäre der Mensch kein 
Ding, ..."
Genau so ist es. Der Mensch ist nicht etwas aus sich heraus, und schon 
gar kein Ding. Ausführlicher entwickelt kann man diesen Gedanken bei 
Brodbeck (aber nicht nur bei ihm) nachlesen. Das cartesianische Ego ist 
der zentrale Irrtum, auf dem unsere Fehlentwicklung gründet.
Zur Abschaffung des Geldes
Du hältst ein leben ohne Geld für abartig und möchtest nicht an den 
Folgen beteiligt werden. Meinen Segen dafür hast Du. Wenn wir einen 
solchen geldlosen Zustand noch erleben sollten, kannst Du von mir aus 
dann alles Geld der Welt bei Dir bunkern. Vielleicht machst Du dann ein 
Geldmuseum auf.
Aber im Ernst: Was Du über Russland anführst, ist doch eher ein Beweis, 
daß es so nicht geklappt hat. Genau genommen ist ja auch das Geld damals 
gar nicht abgeschafft worden, nur die Vergegenständlichung wollte man 
weglassen und ist damit gescheitert. Die Zentralplanung nach Preisen 
(egal, wie man die ermittelt oder bestimmt), ist eine Geldwirtschaft. 
Deshalb (unter anderem) ist auch der real existiert habende Sozialismus 
nicht wirklich eine Alternative gewesen.
Du schreibst: "Vielleicht kommt es so rüber, als ob ich immer wieder das 
gleiche sage. ..."
Natürlich wäre es Unsinn, etwas anderes zu sagen, nur damit man sich 
nicht wiederholt, wenn man doch bei seiner Überzeugung bleibt. Ich denke 
nur, daß die Erkenntnis, daß ich mit bestimmten Aussagen bei niemandem 
ankomme, mich doch dazu zwingt, zu überlegen, was ich vielleicht falsch 
mache. Es kann sein, meine Vorstellungen sind falsch, es kann aber auch 
sein, ich finde nur nicht den richtigen Zugang zu den anderen Menschen.
Wenn Du schreibst, Du seist kein Befürworter des Grundeinkommens und 
glaubst, daß Du keinen Befürworter "bekehrt" kriegst, klingt das für 
mich so, als ob Du Grundeinkommen und Geldreform für unvereinbar hältst. 
Für mich ist das überhaupt nicht so. Bekehrung zur Geldreform bedeutet 
also nicht Abkehr vom BGE.
Herzlichen Gruß
Jochen



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