[Debatte-Grundeinkommen] an Jens Kasten
Jochen Tittel
jochentittel at web.de
Fr Sep 19 11:43:04 CEST 2014
Lieber Jens,
mir geht es leider mit Deinen Antworten ganz ähnlich, wie Dir mit meiner
bzw. Brodbecks. Du möchtest kurze und prägnante Antworten, selbst
schreibst Du aber lange Texte, bei denen ich mir nie richtig klar werde,
wozu eigentlich.
Deine Behauptung, Marx habe die Natur des Kapitals nicht verstanden,
halte ich schon für ziemlich anmaßend und die nachfolgende Erläuterung
für äußerst unklar. Wenn Du schreibst: "Kapital ist ein Verhältnis und
nicht eine Sache, so wie Marx schrieb.", soll das nun heißen, Marx hätte
das Kapital als eine Sache beschrieben, oder gerade das Gegenteil?
Erstere Behauptung ist mit Sicherheit falsch. Wenn Du davor schreibst:
"Kapital ist alles, für das die Nachfrage größer ist als das
Angebot ausgedrückt im Tauschverhältnis auch ohne Geld", so setzt das
doch eine Gesellschaft von konkurrierenden Privateigentümern voraus.
Ohne diese Voraussetzungen ist auch etwas wofür die Nachfrage größer als
das Angebot ist, kein Kapital.
Ich will sicher niemanden zwingen, sich mit Marx zu befassen, aber wenn
man sich mit ökonomischen Sachverhalten beschäftigt, ist es doch
sinnvoll, nicht jedes mal bei Null anzufangen und also sich einen
Überblick darüber zu verschaffen, was denn die Menschen sich bisher
schon dazu für Gedanken gemacht haben. Und da, denke ich, geht kein Weg
an Marx vorbei. Allerdings ist es eben nicht so einfach mit dem
"richtigen" Verständnis der Marxschen Schriften.Es gibt sehr
unterschiedliche Marx-Interpretationen und die ernsthaften führen auch
Belege für ihre Auslegung an.
Du meinst: "Wenn Geld kein Ding ist, dann muss man das auch auf weniger
als 3 Seiten irgendwie rüberbringen können." Klar kann man das; es
reichen ein paar Sätze, um das zu erläutern. Aber in der Regel stellt
man fest, daß danach weitere Fragen auftauchen und es noch mehr zu sagen
gibt.
Um klar zu machen, daß Geld kein Ding ist brauchst Du Dir nur z.B. die
Erde so vorzustellen, wie sie jetzt ist, nur mit dem Unterschied, daß
nur ein Mensch auf ihr lebt. Meinst Du, es gäbe Geld in dieser Welt? Es
gibt zwar Münzen und bedruckte Papierzettel und Zahlenkolonnen in
Computerspeichern, aber das ist kein Geld. Es ist doch sofort klar, daß
Geld ein Verhältnis zwischen Menschen ist. Und bei näherem Hinsehen wird
noch mehr klar; es ist ein Verhältnis zwischen Menschen, die bestimmte
Vorstellungen gemeinsam haben - eben Eigentum und das cartesianische Ego
usw. Ohne diese Vorstellungen gibt es auch kein Geld.
Du argumentierst lang und breit, daß es ohne Geld nicht mehr geht (so
interpretiere ich das) und dann fragst Du, wieso Brodbeck behauptet, daß
Geld nicht abgeschafft werden kann. Im Grunde aus genau diesen Gründen,
nur daß er seine Ansichten dazu gründlicher und umfassender begründet.
Daß es Naturvölker ohne Geldverwendung nicht mehr gibt, stimmt wohl
nicht ganz, aber damit ist nichts zu unserer Auseinandersetzung beigetragen.
Daß Du in jeder Deiner Mails immer wieder mit Nachdruck Deine Ansichten
zum Geld ausbreitest, weil Du Dich von "vielen falschen Gedanken zum
Geld" umstellt siehst, kann ich durchaus nachvollziehen, da ich
mittlerweile auch über zehn Jahre damit unterwegs bin. Aber wenn sich
herausstellt, daß meine Argumentation bei den Menschen (bei den meisten)
nicht ankommt, hilft es nicht, immer wieder auf die gleiche Weise das
gleiche zu sagen. Ich muß mir überlegen, weshalb ich nichts erreiche und
wie ich etwas verändern kann, um weiter zu kommen. Für mich ist gleich
am Anfang meiner Bekanntschaft mit den Gesellschen Gedanken klar
gewesen, daß Gesell ein genialer Praktiker, aber kein Theoretiker ist,
deshalb kann ich für seine Reformgedanken eintreten, ohne andere
theoretische Überlegungen zu ignorieren. Dabei ist für mich - für mein
Verständnis des Sachverhalts - die Lektüre verschiedener
Marx-Interpretationen, von Brodbeck, David Graeber, Charles Eisenstein
u.a. ein Gewinn. Deshalb gebe ich hin und wieder Hinweise auf solche
Literatur. Was besonders Brodbeck angeht, so hatte ich auch schon darauf
hingewiesen, daß von ihm im Internet auch kürzere Texte zu finden sind.
In Deiner Mail finde ich eine Vielzahl von Ansatzpunkten, über die wir
uns noch genauer austauschen können. Etwa über die Funktionsweise des
Banken-Systems finde ich die Argumentation von Helmut Creutz einer
weiteren Diskussion wert. Aber für heute will ich es nicht weiter ausdehnen.
Mit herzlichem Gruß
Jochen
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