[Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen und Buddhismus etc.
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Mo Dez 15 09:43:31 CET 2014
Lieber Bert,
ich hatte meine letzte Mail nur an Dich geschickt, weil es da um einen
speziellen Punkt ging, der für die andern im Verteiler erstmal nichts
bringt. Nun bin ich aber unzufrieden damit, in dieser Form weiter zu
machen: Ich schicke meine Mail wieder an den Verteiler, damit alle, die
das wollen, daran teilhaben können und vielleicht auch hin und wieder
etwas zu unserem Austausch beitragen. Daß da jetzt den andern ein
Stückchen Film fehlt, versuche ich zu berücksichtigen. Nicht nur deshalb
hier diese Erläuterung: Man kann sich fragen, ob Buddhismus und
Grundeinkommen etwas miteinander zu tun haben, bzw. ob eine Diskussion
über Wesen und Inhalt des Buddhismus nicht zu weit von den gegenwärtigen
Notwendigkeiten ablenkt. Ich bin natürlich nicht dieser Meinung und
begründe das (ganz kurz) damit daß sowohl der Geist des Buddhismus, wie
auch der des Christentums und der Geist des Grundeinkommens und
meinetwegen auch noch diverse andere Geister, einen Rahmen darstellen
mit dem wir Menschen unseren Umgang miteinander gestalten. In diesem
Sinne denke ich, daß die Beschäftigung mit entsprechenden Themen die
Debatte um das Grundeinkommen bereichern kann. Soviel zur Vorrede.
Du lieber Bert, schreibst, Du hättest mit der Ich-Auflösung kein
Problem, bist aber gleichzeitig der Meinung, Buddhismus liefe auf
Solipsismus oder Leibnizsche Monaden hinaus oder nennst ihn eine
ego-zentrierte und weltabgewandte spirituelle Tradition. Da scheint es
mir, daß Du allen gängigen Mißverständnissen über den Buddhismus
aufgesessen bist. Allerdings grassieren diese Mißverständnisse teilweise
selbst unter Leuten, die sich für Buddhisten oder für Fachleute für
Buddhismus halten. Die Weltabgewandtheit, die es im Buddhismus natürlich
gibt, ist nur ein Hilfsmittel, ein erster Schritt auf dem Weg zur
Erkenntnis. Der klarste Beweis für die Weltzugewandtheit des Buddhismus
ist die Existenz des Buddhismus. Dazu wird die Geschichte erzählt, wie
Buddha nachdem er Erleuchtung erlangt hat in einem Wildpark bei Benares
weilt. Er überlegt bei sich, daß er nun ins Nirvana eingehen könnte, da
tritt einer der zahlreichen altindischen Götter (ich habe leider jetzt
nicht im Gedächtnis, welcher) zu ihm und bittet Buddha um Belehrung.
Nach einem kurzen Wortwechsel entscheidet sich schließlich Buddha das
Rad der Lehre in Bewegung zu setzen. Die Ausschmückung ist einfach ein
Stück typisch indische Tradition. Aber das Wesentliche ist Buddhas
Entscheidung. Hätte er sich für das Nirvana entschieden, gäbe es keinen
Buddhismus.
Und was Deine Aussage betrifft: "/Mit Ich-Auflösung habe ich nun
wirklich kein Problem, wohl aber mit der Auflösung der geschichtlichen
Erfahrungsgehalte, die wir als Ich machen./" Der Buddha sagt, es gibt
die Erfahrungen, die Wahrnehmungen, die Sinneseindrücke - alles Elemente
der Erscheinungswelt - aber es gibt kein Ich, welches diese Erfahrungen
etc. macht oder hat.
Schließlich sprichst Du davon, wie Du Dir das Nirvana vorstellen oder
nicht vorstellen kannst. Auch dazu sagen wahre buddhistische Meister,
etwa der alte Chinese Huang-Bo Hsi-Yün (die Schreibweise des Namens mag
nicht ganz richtig sein ?): "Wenn Du irgendeine Vorstellung davon hast
... , dann liegst Du falsch. Dessen kannst Du Dir sicher sein."
Du erwähnst, daß Du über einen modifizierten Kausalitätsbegriff
nachdenkst und machst Andeutungen, daß es da um den emotionalen Gehalt
geht. Der Ausdruck "emotionaler Gehalt" scheint mir nicht ganz treffend,
aber ich finde jetzt auch keine bessere Bezeichnung. Ich habe aber den
Eindruck, daß Du damit ganz nahe am Karma manövierst. Dabei will ich
gleich darauf hinweisen, daß der buddhistische Karma-Begriff durchaus
ohne das Ego gedacht ist.
Zu Deinem Thema: tote Arbeit
Ebenso, wie es tote und lebendige Arbeit gibt (dabei ist der
Arbeitsbegriff grundsätzlich noch zu klären, denn er hat sich im Laufe
der Geschichte geradezu in sein Gegenteil verkehrt), gibt es auch toten
und lebendigen Geist. Und sicher ist auch die Antwort auf die Frage
interessant, warum Menschen oft die tote Form der lebendigen vorziehen.
Dabei halte ich die Freudsche Spekulation über einen Todestrieb für
einen symptomatischen Irrtum. Für mich ist es ziemlich sicher, daß das
mit dem Herrschaftsparadigma zusammenhängt. Tote Arbeit und toter Geist
läßt sich relativ leicht beherrschen oder kontrollieren; lebendige
Arbeit ist schwer beherrschbar, lebendiger Geist überhaupt nicht. Es ist
deshalb kein Zufall, daß sich in Herrschaftsgesellschaften die großen
Religionen auf niedergeschriebene Texte, auf "heilige Bücher" gründen.
Und es ist auch kein Zufall, daß sowohl Buddha wie Jesus selbst keine
schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben.
Ich wollte noch ausführlicher schreiben, aber bei mit hat sich gerade
eine kleine Katastrophe ereignet; meine alte Heizung hat eigenmächtig
ihr aktives Dasein beendet und ich muß dringend Abhilfe schaffen.
Also bis demnächst mit einem herzlichen Gruß.
Jochen Tittel
-------------- nächster Teil --------------
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