[Debatte-Grundeinkommen] Jochen an Peter
Debattenliste des Netzwerks Grundeinkommen
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So Dez 7 16:53:03 CET 2014
Lieber Peter,
ich überlege selbst immer wieder, ob meine Beiträge hier (speziell die,
welche von Bert Grashoffs Äußerungen angeregt wurden) an der richtigen
Stelle sind. Für mich ist es keine Frage, daß da ein Zusammenhang zum
BGE existiert, aber andere mögen diesen Verwicklungen vielleicht nicht
folgen. Wenn sich tatsächlich eine Mehrheit der Listen-Teilnehmer in dem
Sinne aussprechen würde, daß sie solche "Abschweifungen" hier nicht
haben wollten, würde ich meinen Austausch mit Bert auf andere Weise
führen. Solange es aber ein solches Votum nicht gibt, empfehle ich Dir,
meine Beiträge einfach nicht zu lesen, wenn Du ihnen nichts abgewinnen
kannst.
Ich versuche die Debatte auf dieser Liste möglichst vollständig zu
verfolgen und aus einigen Deiner Äußerungen der letzten Tage lese ich
eine Ungeduld über die gesellschaftlichen Entwicklungen heraus, die ich
sehr gut verstehen kann und auch teile. Ich habe für mich die Einführung
eines bedingungslosen Grundeinkommens schon 2006 oder 2007 beschlossen,
als ich mit diesen Gedanken erstmals in Kontakt gekommen war. Nur leider
bringt es eben nichts, wenn ich das beschließe, praktisch wird es nur,
wenn eine Mehrheit (eines jeweiligen Volkes oder der Menschheit) das
beschließt. Und ich sehe auch keinen Sinn darin, die Forderung nach
einem BGE ziellos herauszuplärren. Ganz besonders hier, in diesem Rahmen
halte ich das für völlig unnütz, weil ich davon ausgehe, daß die
Mehrheit der Listenteilnehmer ja ohnehin schon dafür ist.
Die schöne Parole "Wir sind das Volk" sollte man auch nicht leichtfertig
verschleißen. Ich konnte letztens in Berlin eine Demo beobachten, zu der
bundesweit aufgerufen worden war; es fanden sich zirka 200 Leute vor dem
Reichstag zusammen und gelegentlich fing ein Teil davon an zu rufen:
"Wir sind das Volk". Mir erschien das wie eine schlechte Karikatur.
Natürlich sind diese par hundert Leute auch das Volk, aber alle, die
sich sonst in der Gegend rumtrieben, sind es auch, und das waren mehr
als die Demonstranten. Und die immer gern beschworenen Asozialen und
Arbeitsscheuen und die vielen angeblich an Politik nicht interessierten
Menschen und die Arbeitssüchtigen und die Politiker und Bürokraten und
und und. Sie sind doch auch alle "das Volk". Was kann also diese Parole
noch bedeuten, wenn sich das Volk in eine verwirrte und
orientierungslose Masse verwandelt hat. Als 1989 von allen
professionellen Politikern unerwartet plötzlich tausende und gar
hunderttausende Menschen auf den Straßen zusammenkamen und dieselbe
Parole riefen, da war es keine Frage, daß das tatsächlich das Volk war,
was da rief. Leider war diese Energie aber ebenso schnell wieder
verpufft und das Ergebnis, welches schließlich zustande kam, hatte mit
dem, was den wirklich politisch aktiven Bürgern vorschwebte, nicht mehr
viel gemein. Oder anders gesagt, die Einigkeit des Volks ging ganz
schnell in die Brüche, als es nicht mehr nur darum ging, was nicht mehr
sein sollte.
Wenn es um die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens heute
geht, hilft es nichts, sich darauf zu berufen, daß wir (die Befürworter)
auch das Volk sind, denn wir sind leider noch immer in der Minderheit.
Mit diesem Zustand bin ich ebenso unzufrieden wie Du, ich glaube aber
nicht daran, daß ein bloßes ständiges wiederholen unserer Forderung
irgendwas bewegen könnte. Mich bewegen deshalb Fragen nach den Ursachen
für den bisher zu geringen Erfolg der Grundeinkommensbewegung. Und wenn
auch meine Beiträge hier Dir etwas abgehoben erscheinen mögen; es geht
dabei eben um die Klärung dieser Fragen. Dieser Klärung kommt man nicht
dadurch näher, daß man sich einem untertänigen Bierernst in der
Diskussion verpflichtet, deshalb freue ich mich darüber, wenn sich hin
und wieder mal jemand eine "Abschweifung" erlaubt.
Mit einem herzlichen Gruß an alle.
Jochen Tittel
-------------- nächster Teil --------------
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