[Debatte-Grundeinkommen] galoppierende Inflation

willi uebelherr wube at gmx.net
Di Aug 26 02:14:53 CEST 2014


Lieber Manfred,

in deinen beiden Argumenten deiner Antwort liegt ein tiefer Widersprich. 
Zuerst referenzierst du die Machtlosigkeit der Menschen, um dann sie 
selbst zum machthabenden Souveraen zu erklaeren. Aber das funktioniert 
nicht.

Ich denke, wir sind uns im Klaren, dass wir, wenn wir ein Geldsystem 
benutzen wollen, dieses auch selbst gestalten muessen. Da fuehrt ja kein 
Weg vorbei. Und den meisten Menschen geht es wie den sogenannten 
Experten: sie nutzen es, ohne es komplett zu verstehen. Insofern muessen 
sie alle sich damit beschaeftigen.

Fuer mich ist die Frage nach der Selbstbestimmung erst mal keine 
Machtfrage, sondern eine Frage des Wollens. Erst dann, etwas spaeter, 
kann es vielleicht an deiner "Machtfrage" etwas kratzen. Aber direkt 
verhindert kann es nie. Diese Zeiten sind explizit vorbei.

Das ist uebrigens auch mein Hinweis, warum wir, wenn wir um das 
geldbasierte bGE diskutieren, uns wenig um die Finanzierungsfragen 
kuemmern muessen. Wir muessen uns mehr darum kuemmern, dass alle 
Menschen verstehen, dass es um die grundsaetzliche, also bedingungslose 
Sicherung der sozialen und materiellen Existenz aller Menschen geht. Und 
nur in Geldsphaeren es die Form eines bGE annimmt.

Worum wir uns allerdings kuemmern muessen ist die Balance von Konsumtion 
und Produktion. Wir koennen immer mehr produzieren als wir brauchen. 
Aber nie umgekehrt.

Zum Staat.

Hier zeigst du ploetzlich eine merkwuerdige Naivitaet, die ich dir nie 
unterstellt haette. Bist du wirklich der Meinung: "wir sind der Staat"? 
Mein lieber Manfred, wir sind hier nicht in der Vorschule. Du hast einen 
sehr klaren Blick fuer deine Umgebung, deine Seinsbedingungen. Aber mit 
dieser Aussage wirst du ploetzlich religioes.

Menschen existieren. Wir. In unseren Lebensraeumen. Wir sind eingebettet 
in unsere realen sozialen Verhaeltnisse. Aber der Staat? Wie sieht der 
aus? Grune oder rote Haare, vielleicht ein Monster, ein Dinosurier 
aehnliches Gebilde?

Das ist ja wie im Christentum. Fuer sie gibt es einen Gott, der da oben 
irgendwo auf den Wolken herum schwebt. Mit weisem Bart und langen 
weissen Haaren. Glaubst du wirklich an solche Geschichten?

Da ist mir der Islam, obwohl ich Unglaeubiger bin, doch deutlich 
sympathischer. Allah, die Natur, das Universum, die Wahrheit. Das macht 
Sinn. Die Moscheen sind alle leer. Raeume des Nachdenkens, des Fragens, 
der Meditation. Gerne besuche ich Moscheen.

Ich verwende den Ausdruck "Pachamama", die Mutter Erde, oder die Mutter 
Natur. Ich brauche keine Goetter, keine Theologien, keine Dogmatik. Und 
du auch nicht.

Reale Wesen koennen nicht gleichzeitig irreale Wesen sein. Die Logik 
laesst dies nicht zu. Unsere Logik.

Staaten sind Vorstellungen, ideelle Gebilde. Wie alle derartigen 
Religionskonstrukte sind sie der kritischen Logik hilflos ausgeliefert. 
Sie zerbroeseln, zerfallen, loesen sich auf.

Wir sehen Menschen, die unter bezug auf den Staat maechtig aktiv sind. 
Viel reden und schreiben. Aber all das hat keine Substanz. Deswegen 
organisieren sie Abwehr. Die Staatsfeinde. Die gab es nicht nur in 
Deutschland unter Adolf Hitler, in Italien unter Benito Mussoloni und in 
Spanien unter Francisco Franco. Schon im imperialen Rom, der 
Geburtstaette des Staates, wurden die Staatsfeinde konstruiert. Und 
geschlachtet.

Staaten sind parasitaer. Immer. Mit allen ihren Einrichtungen. Und sie 
erzwingen dies auch, wie wir es in den Laenderverfassungen in 
Deutschland zu den oekonomischen Aktivitaeten der Gemeinden sehen. 
Menschen wollen eigentlich kreativ, konstruktiv und produktiv sein. Sie 
lieben es, zu gestalten. Und, wie soll dies nun "Eines" sein?

mit lieben gruessen, willi
Popayan, Colombia


Am 23/08/2014 um 17:05 schrieb Manfred Bartl:
> Hallo, Willi!
>
> On 8/21/14, willi uebelherr <wube at gmx.net> wrote:
>> a) Wenn wir ein Geldsystem wollen, dann schaffen wir eines, das wir
>> selbst kontrollieren.
>
> Eigentlich selbstredend. Ist halt eine Frage der Macht, erst einmal zu
> erkennen, dass es sich aktuell nicht so verhält und wie man das
> ändert.
>
>> b) Indem wir mehr und mehr die Grundbereiche der "materiellen
>> Reproduktionsbedinngungen" aus der Geldsphaere entfernen, also die
>> anti-Kapitalisierung des Lebens, reduziert sich die Geldsphaere auf
>> Randbereiche.
>
> Sehr gut! Das ist ja quasi Brodbeck! :-)
>
>> Und wofuer brauchen WIR einen Staat?
>>
>> Das musst du mir erklaeren. Strassen bauen, die Wassersysteme
>> organisieren, dezentrale Versorgung mit elektrischer und thermischer
>> Energie? Dafuer brauchen wir keinen Staat. Dafuer brauchen wir creative,
>> konstruktive und produktive Menschen. All das, was die Kinder in sich
>> tragen, wenn sie nicht zur Schule gehen.
>
> Ich bin zwar irgendwo auch (?) Anarchist, aber das musst Du mir mal
> erklären, wie sich "der Staat" von sowas wie "kreativen, konstruktiven
> und produktiven Menschen" unterscheidet. In meinen Augen ist das -
> solange es den Anarchismus noch nicht gibt - ein und dasselbe ;-)
>
> Mit solidarischen Grüßen
> Manfred



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