[Debatte-Grundeinkommen] galoppierende Inflation

unversoehnt unversoehnt at gmx.de
So Aug 24 20:32:33 CEST 2014


Lieber Willi,

mal ein Vorschlag zur Güte: Würdest du mir beipflichten, dass Bettina 
Wegener, wenn nicht für ihr Lebenswerk, dann zumindest für den Song 
"Wenn alle Menschen dieser Erde" (vgl. http://youtu.be/mPqhV5u-MM4 ) ihr 
täglich Brot im Schweiße ihres Angesichts auf Bühne und im Studio 
"verdient" hat, auch wenn dieses Brot über den Markt vermittelt 
eigentlich mit dem Schweiß ganz anderer, und zwar sehr sehr vieler 
anderer Menschen hergestellt worden ist? Mit anderen Worten: Bist du 
wenigstens in irgendeiner Weise bereit anzuerkennen, dass soziale 
Kulturarbeit nicht bloß ein Drückebergertum vor den "schmutzigen 
Arbeiten" ist, sondern zumindest hier und da eine echt bereichernde 
Leistung? Bist du, nicht wahr? Sonst würdest du ja wohl kein Geld für 
Bücher zum Fenster rauswerfen. Ich bin aus meiner Stadtkindperspektive 
ziemlich dicht bei Götz Werner: Ein bGE wäre ein drastischer Schub für 
das vom Fordismus nur schwer intergrierbare Feld sozialer Kulturarbeit. 
Sie würde definitiv mehr Raum einnehmen als heute, davon bin ich 
ziemlich überzeugt. Und das finde ich auch sinnvoll.

Du rennst bei mir einerseits weit offene Türen ein und bastelst dir 
andererseits in deiner Vorstellung von mir einen Pappkameraden, auf den 
du deine Dart-Pfeile abschießen kannst.

Offene Türen:
Staat ist genau wie Wert ein Fetisch, menschengemacht und daher auch von 
Menschen sowohl zu verändern wie auch grundsätzlich abzuschaffen. Ich 
bin da voll bei dir. Wenn mich ein Mensch mit Interesse und null Ahnung 
fragen würde: "Wat meenst'en damit eijentlick: 'Dia leckt dich'?", würde 
ich vermutlich zuerst an die 28. Fußnote in Marx' Kapital denken: "Es 
ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. 
Dieser Mensch ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als 
Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, 
weil er König ist." (MEW23, S. 72) Ich find's durchaus ehrenhaft von 
dir, dass du in Bezug auf den Staat auf die eine Seite des Gedankens 
hinweist: Staat ist nur Staat, weil die Menschen ihn machen. Sie könnten 
das auch bleiben lassen und es würde keinen Staat geben. Aber ich habe 
den Eindruck, dass du die andere Seite des Gedankens einfach 
eskapistisch wegignorieren möchtest: Insofern alle daran glauben, dass 
der Staat existiert, und sich auch entsprechend verhalten, existiert der 
Staat tatsächlich als gesellschaftliche Macht, vor der das Individuum im 
Zweifelsfall so hilflos steht wie der Hartz4-Empfänger vor der 
SGB-Bürokratie, die Demonstrantin vorm Wasserwerfer oder das Kriegsopfer 
vor der Militärdrohne. Das ist der düstere Sinn des Fetisch-Begriffs: 
Die Fetische sind realgeschichtliche Mächte. Und weil sie das sind, ist 
es schon fast wieder unerheblich, ob die Individuen klar haben, dass man 
eigentlich alles auch ganz anders machen könnte, wenn wir uns erstmal 
einig sind. Solange wir uns nämlich nicht einig sind, den Staat in die 
Tonne zu kloppen oder wenigstens in ein sinnvolleres 
Institutionengeflecht zu verwandeln, solange bleibt der Staat diese 
Macht, der alle zu gehorchen haben und die uns in vielerlei Hinsicht 
echt auf die Eier geht. Es sei denn freilich, man findet irgendwo auf 
der Welt noch ein Fleckchen, wo man zumindest so tun kann, als gäbe es 
keine Staaten, weil sich kein Staat näher für dieses Fleckchen 
interessiert. Das mag für ein Individuum eine echte Option sein, 
zugestanden, aber es bleibt halt erst einmal privatistischer Eskapismus.
Wenn man diese Dialektik der Staatsform akzeptiert, fängt's an 
komplizierter zu werden: Staaten stellen sich dann ganz wirklich und in 
echt als sehr komplexe Organisationsschemen der Menschheit dar, die 
nicht nur in ihren Köpfen existieren, sondern eben als 
realgeschichtliche Mächte auch in eingeschliffenen Verhaltensweisen der 
Menschen und in allgegenwärtiger dinglicher Form z. B. als 
Tatütata-Karosse, Finanzamt-Gebäude oder Sitzfleisch-Parlament. "Erst 
einmal jedoch wäre die Gesellschaft als universaler Block, um die 
Menschen und in ihnen, zu erkennen." (Adorno, Gesellschaft, GS8, S. 19)
Grundsätzlich bin ich mit dir der Meinung, dass Staat in der heutigen 
Form verzichtbar ist und die produktiven Leistungen, die über die 
Staatsbürokratie heute tatsächlich vermittelt werden, auch wieder 
unmittelbar an "den Menschen" rückgebunden werden könnten. Da das kein 
einzelner Mensch leisten kann und vermutlich nicht einmal die 
unterdrückte, aber auch integrierte Mehrheit gegen den Willen der 
Herrschenden, selbst wenn sich denn diese unterdrückte, aber auch 
integrierte Mehrheit mal über ein paar Grundsätze einigen könnte, wie 
man es ganz anders anstellen könnte, sehe ich überall nur falsches 
Leben, privatistischen Eskapismus und bestenfalls Entwicklungshorizonte 
auf einen Verein freier Menschen zu. Das bGE könnte m. E. ein solcher 
Entwicklungshorizont sein. Da ich wie gesagt einfach nicht daran glauben 
kann, dass man den Urbanisierungstrend umkehren und wirklich 
gesamtgesellschaftlich zu lokalen Autarkie-Einheiten übergehen kann, 
würde ich einen anderen Entwicklungshorizont z. B. eher in einer App 
namens "Planwirtschaft 2.0" sehen. Grundsätzlich ist mit der vernetzten 
Digitalwelt das Produktionsmittel vorhanden, das ein "jeder nach seinen 
Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" auf weltgesellschaftlicher 
Ebene erlauben würde. Eine Software könnte Markt und Staat ersetzen, 
wenn sie alle gesellschaftlichen Ressourcen, Produktivkräfte, 
Zeithorizonte, Probleme und Bedürfnisse auf eine Weise vermitteln würde, 
die es allen Einzelnen erlaubt, sinnvoller Teil eines transparenten 
Ganzen zu sein ohne dass dieses Ganze als fremde Macht und 
beherrschender Druck empfunden wird. Ich habe daher auch ein völlig 
schizophrenes Verhältnis zu Datenschutz-Debatten. Einerseits glaube ich, 
dass NSA und Verfassungsschutz im Zweifelsfall mehr über mich wissen als 
ich selbst und daher alle Datenschutz-Debatten ohnehin Firlefanz und mit 
dem Trend zur digitalen Selbstdarstellung offenbar auch der 
Volksabstimmung mit den Füßen entgegengesetzt sind. Andererseits 
verstehe und respektiere ich das Bedürfnis der Menschen nach intimen 
Rückzugsmöglichkeiten, sehe aber grundsätzlicher, dass die sogenannte 
informationelle Selbstbestimmung ein Produkt des Privateigenums ist, das 
das Privateigentum gegen das Interesse der Allgemeinheit absichert. Wäre 
die Menschheit tatsächlich versöhntes Gattungswesen, spräche überhaupt 
nichts dagegen, dass jedes einzelne Leben noch bis in alle intimsten 
Details allen anderen Menschen bekannt sein könnte, wenn die sich denn 
aus was für Gründen auch immer dafür interessieren. Im Gegenteil: Die 
allgegenwärtige Transparenz der gesamten Menschheit für jeden einzelnen 
Menschen wäre m. E. eher eine Bedingung der Möglichkeit für einen 
wirklichen Verein freier Menschen. Nachdem ich das geschrieben habe, 
befürchte ich Stalker- und sonstwelche Perversionen, letztlich homo 
homini lupus als grundsätzlichen Einwand und möchte daher sagen: Null 
Bock gerade, das zu verhandeln. Ich glaube daran, dass die Menschen im 
Verein freier Menschen wesentlich mehr an ihrem zivilisatorischen 
Potential interessiert wären als unter Wertverwertungsbedingungen und es 
daher leichter als heute wäre, mit den individuellen Perversionen 
innerhalb der Gattung umzugehen. Aber das ist zugegebnermaßen spekulativ 
und müsste sich realgeschichtlich ohnehin aus den zivilisatorischen 
Potentialen ergeben, die innerhalb der Wertverwertung herangereift sind.

Pappkamerad:
In den 13 Jahren als persönliche Assistenz von Schwerstbehinderten habe 
ich soviel meiner Lebenszeit mit den Toilettengängen anderer Menschen 
verbracht, dass ich's nichtmal vage quantitativ abschätzen kann. Soll 
ich dir Bilder davon malen, welche Kontaktarten ich zu Exkrementen und 
anderen Körperflüssigkeiten anderer Menschen gehabt habe? Auch laufe ich 
gerne barfuß herum, solange es im viel zu kalten Bremen warm genug ist. 
Die "äh-bäbä-igittigitt"-Blicke der Spießerfraktionen auf meine 
chronisch schwarzen Fußsohlen sind kaum zum Aushalten. Ja, viele Städter 
haben echt ein problematisches Verhältnis zu Dreck. Gut, ich habe keinen 
biographischen Bezug zum Erzdreck von Bergleuten, zum Öldreck von 
Mechanikern oder zum Teerdreck von Bauarbeitern. Aber du wirst wohl kaum 
von dir behaupten können, dass du dich schon in allen Formen von Dreck 
gewälzt hättest, oder? Zumindest den Dreck einer 
25.000-Hähnchen-pro-Monat-Produktionsstätte habe ich bei Gelegenheit im 
Tätigsein für den widerwärtigen Fleisch-Produktionsprozess tief in meine 
Lungen gesogen. Soll heißen: Deinen "Die wollen sich nicht schmutzig 
machen"-Schuh ziehe ich mir nicht an, sondern tanze lieber barfüßig in 
der dampfenden Kacke. Und das ist kein bisschen metaphorisch gemeint, 
sondern in Bezug auf Hühnerkacke schon passiert.
Auch habe ich durchaus meine Interessen an der Wissenschaft der Natur, 
z. B. einen halbwegs guten Überblick über die moderne Physik. 
Quantenphysik finde ich insbesondere mit Blick auf spirituelle Fragen 
echt spannend. Ich habe auch mal drei Semester Technomathematik mit 
Nebenfach Elektrotechnik studiert, für einen Nicht-Informatiker 
überdurchschnittliche Programmierkenntnisse und einiges an 
Do-It-Yourself-Erfahrungen. Deine Vorstellung von "dem" Philosophen ist 
schlicht ein Vorurteil.

Solltest du so etwas sagen wollen wie "behalte dein Blabla für dich, 
spam mich nicht zu und fang lieber mal an, das Gemüsebeet umzugraben" 
würde ich dich höflich an des King of Pop 'Man in the mirror' (vgl. 
http://youtu.be/90C-Wx_uGdM ) und ans Greifen an die eigene Nase 
gemahnen und im Weiteren für freundliche gegenseitige Ignoranz plädieren 
wollen. Du bist ja ohnehin frei, diese Zeilen nicht zur Kenntnis zu 
nehmen. Ich würde allerdings vermuten, dass unsere Behakelei eher nach 
dem Sprichwort 'was sich neckt, das liebt sich' darauf verweist, dass 
wir uns sympathischer sind als wir tun. Mir macht's auch ein bisschen 
Freude und ich finde es durchaus klärend in ein paar grundsätzlicheren 
Sichtweisen. Aber wir wandeln auf einem schmalen Grat zum 
offtopic-Gequatsche. Im Rahmen der Mailingliste würde ich mich lieber in 
nächster Zeit erstmal auf das von Verena Nedden ausgearbeitete Konzept 
fokussieren wollen. Da es inhaltlich sehr konkret konzipiert ist und 
offenkundig ein paar Grundüberzeugungen von mir auf die Probe stellt, 
scheint mir eine Auseinandersetzung damit sinnvoller und 
herausfordernder als ein Verhandeln über den Begriff der 'wahren Arbeit' 
jenseits der Arbeit als Anwendung der Ware Arbeitskraft oder über den 
Begriff der 'wahren Gemeinschaft' jenseits von Staats- und 
Wertformierungen der vergesellschafteten Menschen. Da mich zudem private 
Gegebenheiten ohnehin eher wieder von der neuen Sucht bGE abziehen, 
würde es mich freuen, wenn du wenigstens meinem Vorschlag zur Güte nach 
dem Motto 'ach Bert, passt schon' beipflichten könntest. ;o)

Liebe Grüße,

Bert Grashoff





Am 21.08.2014 17:54, schrieb willi uebelherr:
>
> Hallo Bert,
>
> "das Recht auf Faulheit" ist fuer mich ein Grundrecht. Neben dieser 
> Schrift von Paul Lafargue, dem Schwiegersohn von Karl Marx, habe ich 
> noch einige andere auf meiner grossen Reise dabei. "Die Ezyklopaedie 
> der Faulheit" von Wolfgang Schneider, "die Rede an den kleinen Mann" 
> von Wilhelm Reich, "kein frieden um Israel" von Walter Hollstein und 
> natuerlich das kommunistische Manifest.
>
> Alte und neue Schriften. Das Zitat von Lao Tse habe ich aus dem Buch 
> "Die Ezyklopaedie der Faulheit". Es geht nicht um Nichts-Tun, sondern 
> um den Raum zur Reflektion, zum Nachdenken, zur Musse. Und wir sollten 
> uns im klaren sein: wenn wir den Unsinn von heute aufloesen und die 
> notwendigen Arbeiten auf fast alle verteilen, auch Angelika Merkel und 
> Frank-Walter Steinmeier und Bert Grashof, dann reduziert sich der 
> mittlere Aufwand auf 4-8 Stunden pro Woche. Dann bleibt genug Zeit, um 
> im Buero zu sitzen und den ganzen Tag aus dem Fenster zu schauen oder 
> sich hinter Monitor und Papierstapeln zu verstecken.
>
> > Vom Grundprinzip her dürfte das Gespenst einer galoppierenden
> > Inflation aber vermutlich durchaus plausibel sein. Als Konsequenz
> > ergibt sich daraus für Verfechter eines bedingungslosen
> > Grundeinkommens m. E.:
> >
> > 1. Es macht keinen Sinn, die Höhe eines bedingungslosen
> > Grundeinkommens monetär zu bestimmen...
> >
> > 2. ... macht es eigentlich gar keinen Sinn, sich über eine
> > Gegenfinanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens einen großen
> > Kopf zu machen...
>
> Die wesentlichen Massnahmen nennst du nicht.
>
> a) Wenn wir ein Geldsystem wollen, dann schaffen wir eines, das wir 
> selbst kontrollieren.
>
> b) Indem wir mehr und mehr die Grundbereiche der "materiellen 
> Reproduktionsbedinngungen" aus der Geldsphaere entfernen, also die 
> anti-Kapitalisierung des Lebens, reduziert sich die Geldsphaere auf 
> Randbereiche.
>
> Und wofuer brauchen WIR einen Staat?
>
> Das musst du mir erklaeren. Strassen bauen, die Wassersysteme 
> organisieren, dezentrale Versorgung mit elektrischer und thermischer 
> Energie? Dafuer brauchen wir keinen Staat. Dafuer brauchen wir 
> creative, konstruktive und produktive Menschen. All das, was die 
> Kinder in sich tragen, wenn sie nicht zur Schule gehen.
>
> Klar. Mit polit-Funktionaeren, mit Gewerkschaftsfuersten, mit 
> Buerokraten und pseudo-Philosophen geht das nicht. Die wollen sich 
> nicht schmutzig machen, nicht nachdenkebn, nicht die Schwere des 
> Verstehen der Wissenschaft der Natur auf sich nehmen. Sie sind 
> erwaehlt fuer leere Phrasen und sinnloses Geschwaetz. Billiges Theater.
>
> mit lieben gruessen, willi
> Popayan, Colombia
>
>
>
> Am 20/08/2014 um 11:25 schrieb unversoehnt:
>> Hallo,
>>
>> wer auch immer für die Moderation der Mailingliste zuständig ist: Mich
>> würde noch immer interessieren, wie groß x =mpfangspersonen der
>> Mailingliste ist. Ansonsten weiß ich die moderierende Tätigkeit durchaus
>> zu schätzen, möchte aber dennoch meinem Unmut darüber Ausdruck
>> verleihen, dass mir das Verfahren nicht sehr übersichtlich zu sein
>> scheint. Trotzdem: Danke für die Mühe.
>>
>> Der Beitrag von Ernst Ullrich Schultz zum Thema Konsumsteuer versus
>> Kapitalsteuer hat mir glaube ich verständlich gemacht, woher die
>> Inflationsangst der Leute um Flassbeck resultieren könnte. Ich finde es
>> wahrscheinlich, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zumindest
>> mittelfristig, wenn auch vielleicht nicht im Chaos der Einführungsphase,
>> die Gesamtproduktivität der Gesellschaft erhöhen würde. Dass sich alle
>> nur auf ihrer faulen Haut ausruhen wollen würden, kann ich mir nicht
>> vorstellen, jedenfalls nicht für Deutschland, wo das Arbeitsethos viel
>> zu stark kulturgeschichtlich verankert ist. Zudem würden sich viele
>> Menschen in der staatlichen Sozialverwaltung und unter Umständen auch
>> Steuerberater nach neuer Arbeit umgucken müssen, die nur produktiver
>> sein kann als alles, was sie heute so tun. Das ungenutzte
>> Produktivitätspotential einer vom Druck zum Verkauf befreiten Ware
>> Arbeitskraft würde ich quantitativ als gigantisch einschätzen. Die
>> Gesellschaft würde von sozialpsychologischen Folgekosten der
>> Drangsalierung der Arbeiterklasse befreit werden. Und in den
>> unangenehmen Tätigkeitsfeldern ergäbe sich ein Rationalisierungs- und
>> Automatisierungsdruck, der wiederum zum Produktivitätswachstum führen
>> würde. Die für die Inflationsangst stark gemachten Argumente bei
>> Flassbeck und Co., auch die Produktiven würden sich in die Hängematte
>> legen, überzeugen mich deshalb nicht einmal im Ansatz.
>>
>> Der Beitrag von Ernst Ullrich Schultz aber lässt sich so interpretieren,
>> dass es egal ist, wie man's dreht und wendet, das Kapital bleibt immer
>> der Gewinner. Frei nach Jurrasic Park: Das Kapital findet einen Weg.
>> Stellen wir uns mal vor, wir bekommen ein bedingungsloses Grundeinkommen
>> politisch umgesetzt, das so oder so unmittelbar nur durch Umverteilung
>> von oben nach unten finanziert werden könnte, ein von Kapitalseite
>> finanzierter faschistischer Putsch unterbleibt, aber die Deutsche Bank
>> postuliert weiterhin stellvertretend für alle Kapitaleigner einen
>> Renditeanspruch von 25 % im Jahr, der über eine entsprechende
>> Preispolitik über alle Branchen hinweg durchgepeitscht wird. Inflation
>> halt.
>> Aus Sicht eines parlamentarischen Souveräns, der ein bedingungsloses
>> Grundeinkommen ernsthaft will, müsste das bedingungslose Grundeinkommen
>> unmittelbar wieder angehoben werden, die Gewerkschaften müssten
>> ebenfalls auf Lohnerhöhungen bestehen, das Kapital weiterhin auf seinem
>> Renditeanspruch, die Preise würden noch weiter steigen etc. pp.
>> Galoppierende Inflation. Die würde zum Stillstand kommen, wenn
>> mindestens eine der drei Parteien nachgibt oder sich die
>> Gesamtproduktivität der Gesellschaft derart entfesselt, dass alle drei
>> Parteien das erhalten, was sie haben wollen.
>>
>> Ist vielleicht ein etwas simples Bild, ich bin kein Ökonom. Insbesondere
>> die Spiele, die das Kapital in den Finanzsphären spielt, sind mir so
>> durchsichtig nicht gerade. Grundlegend gegen solche Befürchtungen ließe
>> sich einwenden, dass das Kapital nicht ein Subjekt ist, sondern in viele
>> Einzelkapitalien mit durchaus unterschiedlichen Interessen zerfällt.
>> Denkbar auch, dass die bereits heute vorhandenen
>> Überproduktionskapazitäten das Problem sowieso null und nichtig
>> erscheinen lassen, weil wir uns ja eher in einer deflationären Phase
>> befinden. Auch gut möglich, dass die hörigkeitsgläubigen Deutschen
>> einfach schlucken, was der Souverän entscheidet und sich einfach
>> produktiv in die neuen Rahmenbedingungen fügen. Da ich persönlich keine
>> Kapitalisten kenne, kann ich nicht im Ernst beurteilen, ob deren
>> Selbstbewusstsein so aufgebläht ist, dass sie sich schon aus Prinzip als
>> über dem Souverän stehend empfinden. Das wird von radikalen Linken zwar
>> immer gemutmaßt, aber empirisch beurteilen kann ich's fürs Hier und
>> Jetzt zumindest nicht.
>>
>> Vom Grundprinzip her dürfte das Gespenst einer galoppierenden Inflation
>> aber vermutlich durchaus plausibel sein. Als Konsequenz ergibt sich
>> daraus für Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens m. E.:
>>
>> 1. Es macht keinen Sinn, die Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens
>> monetär zu bestimmen. Sinnvoller ist eine Bestimmung über repräsentative
>> Warenkörbe, deren Preise gesetzlich am besten mit der
>> Aktualisierungsgeschwindigkeit der Frankfurter Börse automatisch die
>> monetäre Ausschüttungshöhe des bedingungslosen Grundeinkommens
>> bestimmen. Das wäre eine Geste des Souveräns an die Finanzmärkte nach
>> dem Motto: Wir meinen das schon ernst und lassen uns da nicht von euch
>> verarschen.
>>
>> 2. Wenn die Inflation mit der Einführung eines bedingungslosen
>> Grundeinkommens tatsächlich ohnehin befürchtet werden muss, macht es
>> eigentlich gar keinen Sinn, sich über eine Gegenfinanzierung des
>> bedingungslosen Grundeinkommens einen großen Kopf zu machen. Warum dann
>> nicht gleich dazu übergehen, das bedingungslose Grundeinkommen über eine
>> Geldmengenerhöhung durch die EZB zu finanzieren? Klar, weil sich das in
>> Deutschland nicht verkaufen lässt und die EZB formell eigenständig
>> agiert. Aber solange die Debatten ohnehin theoretisch bleiben, scheint
>> mir das zumindest eine berechtigte Frage zu sein. Soll heißen: Es würde
>> mich interessieren, ob irgendjemand dazu etwas Profundes sagen kann.
>>
>>
>> In seinem anderen Beitrag schrieb Ernst Ullrich Schultz: "Vor einiger
>> Zeit schlug ich in diesem Forum ein soziales Netzwerk vor, dass sich die
>> Einführung eines BGE durch einen gemeinsamen Fonds auf freiwilliger
>> Basis, aber mit verbindlichen Absprachen, vornimmt. Das Echo war mehr
>> als dürftig."
>>
>> Finde ich kein Wunder. Das ist ein privatistischer Vorschlag ohne jede
>> gesellschaftliche Durchschlagskraft, der zudem voraussetzt, dass es
>> unter den Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens eine Menge
>> Vermögensbesitzer gibt, die so einen Fond füttern können und wollen. Das
>> ist eine Voraussetzung, die ich nicht sehr plausibel finde, eher gar
>> nicht plausibel. Zudem entsprechen "verbindliche Absprachen" nicht dem
>> Konzept der Bedingungslosigkeit.
>>
>> Ebenso ist der Vorschlag für ein bedingtes Grundeinkommen von Peter Baum
>> daran zu erinnern, was die Essentials des Netzwerk Grundeinkommens sind:
>> "Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft
>> bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll
>>
>>   * die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,
>>   * einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie
>>   * ohne Bedürftigkeitsprüfung und
>>   * ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert
>>     werden." (vgl. https://www.grundeinkommen.de/die-idee )
>>
>> Gegen die Bedürftigkeitsprüfung wird unter anderm Art. 1 GG ins Feld
>> geführt: Sie ist würdelos. Und zwar so sehr, dass es heute verdeckte
>> Armut in relevantem Ausmaß gibt, Leute, die eigentlich Anspruch auf
>> Hartz4 hätten, aber ihn nicht geltend machen. Und Hartz4 ist schon
>> kläglich. Zudem gibt's technische Gründe: unnötiger Verwaltungsaufwand
>> der Sozialbürokratie für Bedarfsprüfungen. Dann die gesamte
>> Kombilohnproblematik. Nicht zuletzt wäre ein Grundeinkommen auch eine
>> wichtige Stütze für die vom Kapital zunehmend in die Zange genommene
>> Arbeiterklasse. Substanziell scheint mir aber vor allem der Grundstock
>> an materieller Gleichheit durch ein bedingungsloses Grundeinkommen
>> wichtig: Alle würden sich als von der Gesellschaft materiell akzeptiert
>> und gehalten fühlen können. Alle hätten somit auch ein ganz neues
>> Urvertrauensverhältnis zur Gesellschaft. Mit einem bedingten
>> Grundeinkommen kann man das vergessen.
>>
>>
>> Und dich, lieber Willi, möchte ich dann doch noch einmal ein wenig zum
>> Nachdenken über deinen laxen Gebrauch des Parasiten-Begriffs bewegen.
>> Dass ich ihn inhaltlich nicht sehr plausibel finde, hatte ich ja in dem
>> Wertbestimmungs-Beitrag erläutert. Dass ich ihn aber auch widerlich
>> finde, möchte ich dann doch noch einmal hinterherschicken und vor allem
>> mit seinem geschichtlichen Gebrauch begründen, vgl.
>> http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtsvolk
>>
>> Du hattest in deinem Beitrag an Pius geschrieben:
>> "Rollen wir doch mal die Sache anders herum auf. Wozu Abgaben? Wofuer
>> brauchen wir Agaben, egal ob Lenkungsabgaben oder Steuern, Zoelle, 
>> Zinsen?
>>
>> Es gibt nur einen Grund und hat in unserer Geschichte immer nur einen
>> Grund gegeben: Um jene zu tragen, direkt oder indirekt wertbestimmt, die
>> nichts zur Schaffung von Werten beitragen. Die also nur ge- oder
>> verbrauchen. Parasiten eben."
>>
>> Das "nur" im vorletzten Satz macht nicht einmal Sinn für wirklich
>> drakonische urgeschichtliche Autokraten: Wieviele antike Bauten ziehen
>> heute das Interesse großer Touristenströme an, obgleich oder sogar weil
>> sie ohne die blutige Herrschaft von menschenschindenden Despoten nie
>> erschaffen worden wären? Rennaissance-Fürsten oder dem aufgeklärten
>> Absolutismus lässt sich bei allen Schweinereien eine Menge Positives
>> abgewinnen. Die Vielfalt heutiger Staatsfunktionen triffst du schon
>> überhaupt nicht: Willst du sagen, dass der staatliche Straßenbau nur
>> einen Verbrauch der Staatsbürokratie darstellt und nicht auch eine
>> Leistung für die Allgemeinheit? Guck dir vielleicht mal die Entwicklung
>> des Verhältnisses der Beschäftigten in den drei Sektoren an:
>> https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Arbeitsmarkt/lrerw013.html 
>>
>>
>> Wenn ich dich richtig verstehe, ist der übergroße Teil der
>> Erwerbspersonen, nämlich die Dienstleister, deiner Meinung nach
>> letztlich auch parasitär. Ganz im Ernst: Ich kann gar nicht verstehen,
>> warum du dich in dieser Mailingliste tummelst. Ein bedingungsloses
>> Grundeinkommen wäre auch Recht auf Faulheit, also ein Freifahrtschein
>> für alle möglichen Leute, die kein Bock auf schaffen, schaffen, schaffen
>> haben, sondern lieber andere arbeiten lassen. Klar, die gibt's auch
>> heute en masse. Aber wieso sich dafür einsetzen? Würde mich 
>> interessieren.
>>
>>
>> Naja, soviel "Kritik im Handgemenge" (MEW1, S. 381) muss dann auch
>> erstmal reichen, liebe Grüße,
>>
>> Bert Grashoff
>>
>




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