[Debatte-Grundeinkommen] Willis Wertbestimmung
unversoehnt
unversoehnt at gmx.de
Di Aug 19 21:45:11 CEST 2014
Hallo Willi,
vielen Dank für die Blumen. Freut mich wirklich, wenn du dich über meine
Zeilen freuen konntest. :o)
Aber wenn ich dich richtig verstehe, hätten diese Zeilen niemals
Werthaltiges darstellen können, selbst wenn ich sie als Artikel in einem
Buch verkauft hätte. Du sagst es nicht wirklich glasklar, aber
angesichts dessen, dass du das Distributionssystem als repräsentative
Objektzuordnung der Ökonomie entgegenstellst und Flassbeck,
"Staatsbuerokratie, Militaer und Ruestungsproduktion,
nationale/foerderale Polizeien, Parlamente, Gefaengnisse, Gerichte und
dergleichen" als parasitäre Erscheinungen klassifizierst, die deiner
Meinung nach offenbar in keinerlei schöpferischem Zusammenhang zu "den
notwendigen arbeiten fuer unsere lebensgrundlagen" stehen, drängt sich
der Verdacht auf, dass du eine sehr stofflich gedachte
Arbeitswerttheorie vertrittst. Sehr frei an Brecht angeleht vielleicht
ungefähr so: Erst kommt das gemeinschaftliche Arbeiten fürs Fressen,
dann fallen die parasitären Moralisten darüber her. Oder vielleicht
vertrittst du auch eine anarchistische Position à la "Weg mit dem Staat".
Polemisch ließe sich fragen: Meinst du mit "den notwendigen arbeiten
fuer unsere lebensgrundlagen" die im Neandertal oder die im Hier und
Jetzt? Im Hier und Jetzt sind offenbar auch alle von dir als parasitär
eingestuften Tätigkeiten gesellschaftlich notwendig, zumindest de fakto
als solche anerkannt.
Aber ich möchte nicht polemisch sein. Ob ein Rückzug in kleine,
regionale Wirtschaftseinheiten z. B. aus ökologischen Gründen oder wegen
der Sehnsucht nach heimeligen und unmittelbar transparenten Beziehungen
zwischen den Menschen wünschenswert wäre, darüber streiten sich in
meiner Brust diverse Herzen. Bremen wird mir mit zunehmendem Alter
jedensfalls eher ein Hort von Stressoren als ein weltstädtisches
Kulturdorf mit Straßenbahn und Flughafen. Es ist meiner Ansicht nach
aber völlig unerheblich, wie man sich dazu als Individuum stellt. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass die Weltgesellschaft in irgendeiner
relevanten Weise rollback in der Dichte ihres Beziehungsgestrüpps üben
wird. Eher wird die Entwicklung weiter auf ein global village zulaufen.
Und das Kosmopoliten-Herz in meiner Brust würde es auch gar nicht anders
wollen. Nur eine drastische Weltkatastrophe könnte das meines Erachtens
verhindern, und eine solche wünsche ich mir nicht.
Das habe ich vor allem gesagt, um klar zu stellen, dass ich ein Zurück
bis zu Quesnay in der Arbeitswertlehre nicht als Option für die Zukunft
sehe und wahrscheinlich auch nicht wünschenswert fände. Von der Utopie
her gedacht bin ich auch weder ein Anhänger von "gleichem Lohn für
gleiche Arbeit" oder dem wenigstens etwas besseren "gleicher Lohn für
alle Arbeit und Schluß mit Privateigentum an Produktionsmitteln",
sondern ein Anhänger von Marx' "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem
nach seinen Bedürfnissen". Mit anderen Worten: Von der Utopie aus
gedacht scheiß ich auf allen Wert, auf alle formellen
Vermittlungsfetische zwischen Produktion und Distribution.
Die Wertbestimmtheit interessiert mich daher nur in Bezug auf die
Analyse des Faktischen. Und aus der lässt sich meines Erachtens nicht
sinnvoll das ausklammern, was du "repräsentative Objektzuordnung"
nennst. Wenn die Staatsquote bei knapp 50 % liegt, dann heißt das für
mich faktisch auch, dass etwa die Hälfte des gesellschaftlichen
Wertvolumens jenseits aller wertvermittelten Schwarzmärkte als
Staatskonsum bestimmt werden muss, der systemisch in die Marxsche
abstrakte Arbeit implementiert ist - wie auch immer man sich das konkret
über den Kategorienapparat des ja ohnehin von Marx nicht vollendeten und
von diversen Problemen belagerten Kapitals vermittelt vorstellen mag.
Wieso also nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen in diese abstrakte
Arbeit implementieren?
Falls du wirklich eine komplett stoffliche Wertvorstellung hast, also
der Meinung bist, dass nur Arbeit wertschaffend ist, die irgendetwas
herstellt, was man anfassen kann, dann sind wir in der Tat weit
auseinander. Wert ist substanziell ein gesellschaftliches
Vermittlungsverhältnis, das unter anderem an Dingen klebt, aber auch z.
B. an der Tätigkeit von Ärzten, Mathematikern und Popstars. Sind Googles
Algorithmen wertstiftend? Oder die Arbeit eines Statikers? Oder die
Schriftstellerei von Joanne K. Rowling? Falls nein: Warum fließt Wert
dann in monetärer Form ohne Goldbindungsstandard in die jeweiligen Taschen?
Die stoffliche Wertvorstellung macht m. E. nur Sinn im Hinblick auf
Naturnotwendigkeiten nach dem Muster voneinander abhängiger Bedingungen
der Möglichkeit: Würde die Gesamtgesellschaft so unproduktiv sein, dass
alle am Hungern wären, dann würden sich die Individuen mit ihren
Wertgegenständen (Geld, Gold, Zigaretten oder gleich Knarre, Heugabel,
Faustring) um die letzten Krumen Brot streiten und keinerlei
werthaltiges Interesse an dem neuesten Hollywood-Streifen zeigen. Ist
das Fressen aber erledigt, zeigen sich bei den Menschen noch ganz andere
Bedürfnisse, die teilweise ins Verwertungsregime integriert sind,
teilweise aber auch nicht wie etwa die eigene romantische Liebe (obwohl:
die mit Parship und Konsorten ja auch zunehmend). Maslows
Bedürfnispyramide (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bedürfnispyramide ) ließe sich
zwar sicher im Detail kritisieren, gibt aber zumindest einen Eindruck
davon, wie sich solch ein Muster voneinander abhängiger Bedingungen der
Möglichkeit grundsätzlich denken ließe.
Der notwendige Zusammenhang von Wertsetzung durch Arbeit einerseits,
Wertrealisierung durch gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit im
vollzogenen Tausch andererseits, scheint mir übrigens auch glasklar.
"Ich weiss, die "oesterreichische Schule der Oekonomie" bestreitet dies
und postuliert in der extremform, dass der wert eines produktes erst auf
dem markt, also im tausch, entsteht." Er entsteht da nicht, sondern in
der abstrakten Arbeit, die aber im Zweifelsfall überhaupt gar nichts mit
konkreter Arbeit zu tun hat. Man denke dabei etwa an die Absurdität
einer ehemaligen Sprite-Werbung: "Image ist nichts. Dein Durst ist
alles." Image ist sehr wohl wertsetztend. Und dazu bedarf es nicht
unbedingt irgendwelcher konkreter Arbeit. Ohne Tausch bzw. Kauf und
Verkauf aber würde der Wert nicht existieren. Alle konkrete Arbeit, die
irgendetwas herstellt, was unverkäuflich bleibt, ist einfach keine
abstrakte Arbeit. Wert muss über den Markt realisiert werden. Freundlich
gesagt ist Wert so etwas wie ein gesellschaftliches
Anerkennungsverhältnis. Fetisch trifft die implizite Brutalität und
konstitutive Unbewusstheit der Sache aber besser.
Ich halte es übrigens zumindest für möglich, dass sich Marx'
"automatisches Subjekt" noch während meiner Lebensspanne tatsächlich
komplett stofflich realisiert. Ein paar Durchbrüche der KI-Forscher und
wir stehen vielleicht vor einer ganz neuen historischen Situation, in
der die Kapitalistenklasse vollkommen ohne Arbeiterklasse auskommen
kann. Nicht auszuschließen, dass Auschwitz nur eine Testreihe des
Weltgeists war und die eigentliche Wahrheit des Neoliberalismus nicht
Feudalismus, sondern Vernichtung von 98 % der Weltbevölkerung als
überflüssig ist. Diese Befürchtung ist glaube ich der Kern meines
manifesten Bauchgefühls, dass eine Konsumbesteuerung zur
Gegenfinanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens sinnvoller ist:
Was wäre, wenn es wegen echter Vollautomation überhaupt keine
Wertbestimmtheit der Arbeit mehr gäbe? Welche Einkommen außer denen der
Kapitalistenklasse sollten sich dann noch besteuern lassen? Würde eine
solche Einkommenssteuer nicht eine Massenvernichtung des arbeitslosen
Pöbels näher legen als eine Besteuerung des Konsums, die nicht ganz so
offensichtlich auf den Tatbestand einer reinen Transfergesellschaft von
Eigentümern an Nichteigentümer verweisen würde?
In Bremen gehört übrigens die Erzählung von den sieben Faulen zum
touristisch ausgeschlachteten Kulturerbe (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_Faulen ). Die Pointe der Geschichte
besteht darin, dass die Nutzung von produktivkraftsteigernden
Produktionsmitteln von der Umgebung als Faulheit ausgelegt wird. Know
How ist produktiv und daher auch durchaus wertsetzend. Das ist ja die
ganze Message der Weberaufstände (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Weberaufstand ), die sich vermutlich in
abgewandelten Formen heute tagtäglich irgendwo vollziehen.
Falls dein Parasiten-Begriff weniger auf einer stofflichen
Arbeitswerttheorie fußt, sondern eher auf einem anarchistischen Motiv,
dann kann ich auch nur wieder sagen, dass da viele Herzen in meiner
Brust schlagen. Einerseits schwitzt die Staatsbürokratie insbesondere
qua Gewaltmonopol drastische Widerwärtigkeiten aus. Andererseits sind
zumindest die paar bürgerlichen Staatsgebilde auf dem Globus aber am
ehesten noch als das zu interpretieren, was sich politisch
selbstbewusstes Gattungswesen nennen ließe. National verstümmelt, von
Wertverwertungssachzwängen inhaltlich beschnitten, insitutionell gegen
die eigene Bevölkerung verselbständigt. Aber doch noch am ehesten so
etwas wie selbstbewusstes Gattungswesen. Dass Hartz4 besser ist als
verhungern, hatte ich schon gesagt. Dem reinen Finanzvolumen nach ist
die Sozialstaatlichkeit Deutschlands ziemlich beachtlich. Ohne Staat
wären die Fortschritte des sozialdemokratischen Renegatenprojekts
überhaupt nicht realisierbar gewesen. Was ist mit Schulen und
öffentlichen Universitäten? Nur subjektformierende Kadettenanstalten?
Oder doch zumindest auch humanistisch, produktivkraftsteigernd,
aufklärend? Auch an der formellen Egalität bürgerlicher Staaten lässt
sich m. E. nicht nur Schlechtes finden, so sehr diese formelle Egalität
ohne materielle Egalität auch eklig bleibt.
Da du dir ja Gedanken über mein biographisches Verhältnis zu konkreter
Arbeit und virtualisierender Werttheorie machst, kann ich das vielleicht
ein bisschen anekdotisch erden: Nach meinem Abi und einem Jahr
Mädchen-für-alles-Zivildienst bei einem Bildungs- und Freizeitträger für
geistig und körperlich Behinderte habe ich eineinhalb Jahrzehnte an der
Bremer Uni herumstudiert. Während meiner Abi-Zeit hatte ich aber bereits
eine ziemlich ätzende konkrete Buckel-Arbeit auf Minijob-Basis in einem
Speditionslager. Während des Studiums habe ich erst ein paar Jahre in
einem Baguette-Laden gejobbt und bin dann 13 Jahre lang auf
Teilzeitbasis in der von der Bremer AWO organisierten individuellen
Betreuung Schwerstbehinderter hängen geblieben. Ich kenne insofern
durchaus sowohl eine Menge virtueller Uni-Realität als auch eine Menge
körperlicher Arbeit. Gegen körperliche Arbeit habe ich grundsätzlich
auch nichts, sehne mich aber auch nicht unbedingt danach. Ich bin
durchaus technikaffin und begrüße Automatisierung, habe aber auch so
etwas wie einen Großschwager, dessen Handywellen-Paranoia mich mitunter
darüber grübeln lässt, wie tief der von Morpheus zitierte Hasenbau aus
Alice im Wunderland wohl tatsächlich ist. Während der Zeit bei der AWO
gab's so etwas wie Arbeitskämpfe, die mich ver.di-Mitglied haben werden
lassen. Wobei ich eher böse sagen würde, dass der Betriebsrat einem
Kindergarten ähnelt und die SPD-verfilzten Funktionseliten des
Wohlfahrtverbands, der sich am "freiheitlich-demokratischen Sozialismus"
(vgl. http://www.awo-bremen.de/ueber-uns/leitbild ) orientiert, bei mir
eher den Eindruck erweckt haben, den Verband als Gans zu betrachten, die
man für die eigenen Taschen ausschlachten kann. Von Arbeitskampf lässt
sich insofern nicht sprechen, eher wohl von Mediation der bitteren
Pillen, die das ausführende Personal zu schlucken hatte. Interessant
fand ich jedenfalls, dass meine Arbeit als persönliche Assistenz für
Schwerstbehinderte, übrigens ein recht deutlich weiblich konnotiertes
Arbeitsfeld, das Arbeitskampfmittel des Streiks ethisch völlig unmöglich
macht. Unmittelbar von Arbeitsniederlegung betroffen wären Leute, die
erstens täglich auf Hilfe angewiesen sind und zweitens überhaupt keinen
Anteil an der Finanzierung der Arbeit haben. Ein bisschen weiter
gedacht, war mein Lohn finanziert über Transferleistungen des
Sozialstaats und der gesetzlichen Krankenversicherungen. Mit anderen
Worten: Wenn man der Meinung ist, dass nur warenproduzierende Arbeit
wertsetzend sein kann, war diese Arbeit eindeutig parasitär: finanziert
über Steuern, Lohnnebenkosten und den Finanziers der Bremer
Staatsschulden. Insofern war es auch innerhalb des allgemeinen
sozialpolitischen Rollbacks kein großes Wunder, dass ich während der 13
Jahre keine einzige Tariferhöhung, dafür aber die mit Lohndrückerei
verbundene Auslagerung in eine Tochtergesellschaft des Verbandes
erlebte, im Effekt etwa 25 % Reallohnverlust in den 13 Jahren. Und null
Chance, da politisch oder gewerkschaftlich irgendwie im Ernst zu
intervenieren. Der Job im Speditionslager und der im Baguetteladen
dürften aber noch als warenproduzierende Tätigkeiten durchgehen. Während
der Speditionslager-Job insofern völlig entfremdet war, als er keinerlei
Bezug zu den Nutznießern der Warenverschiebung herstellte, ließ mich der
Job im Baguetteladen immer mit dem unbefriedigenden Gefühl zurück, dass
die Leute sich ihr Futter auch selber kredenzen könnten. Und das, obwohl
ich durchaus selber phasenweise passionierter Nutzer von
Futterbringdiensten gewesen bin. Der Job bei der AWO hingegen war
eindeutig unmittelbar nützlich für zumindest ein einziges
Gesellschaftsmitglied, nämlich die jeweilige Klientin bzw. den
jeweiligen Klienten. Drastisch nützlich, aber weder warenproduzierend
noch auf einem freien Markt verkäuflich, da meine KlientInnen einem
kleinbürgerlichen und proletarischen Milieu entstammten und sich so
etwas unmöglich aus eigener Tasche hätten leisten können. Mit der
Umstellung auf die Bachelor-Master-Struktur hat die Bremer Uni den
Magisterstudenten eine Deadline gesetzt. Also habe ich mich doch mal
dazu aufgerafft, meinen Abschluss zu machen. Fast zeitgleich verstarb
der Klient, den ich etwa 7 Jahre lang für die AWO betreut hatte. Guter
Zeitpunkt, um damit aufzuhören. Ist mir sozial und intellektuell einfach
zu tumb, körperlich in höherem Alter kaum zu leisten, monetär deutlich
unterdurchschnittlich gratifiziert. Und für irgendwas muss der
Akademikerstatus ja eigentlich auch nütze sein. Die Kündigungsschutzzeit
verbrachte ich dann auf einer sehr flexiblen Teilzeitstelle bei vier
unterschiedlichen KlientInnen. Das Zentrum-Peripherie-Modell macht sogar
bei der kleinen ISB der AWO Bremen einen spezifischen Sinn: Für mich
hat's einen erheblichen Unterschied gemacht, ob ich bei einem Klienten
in einem festen Rhythmus gearbeitet habe oder bei diversen KlientInnen
mit Springerflexibilität. Ach ja, dann habe ich vor fast einem Jahrzehnt
noch ein bisschen freiberuflich als Korrektor gearbeitet und war in dem
Zusammenhang sogar mal für ein Vierteljahr Projektmanager bei einer
Internet-Klitsche, die mit einem vielversprechenden Projekt binnen
kürzester Zeit Multimillionäre hätte produzieren können. Aber die
Finanzkrise zerschoss die Fremdkapitalakkreditierung und das Ganze ist
eher unschön den Bach runtergegangen. Wiederum eher ein virtuelles Feld:
Textpolizei und Management. Aber die Management-Phase hat mich für ein
Vierteljahr mal eine 80- bis 100-Stunden-Woche kennengelehrt.
Insbesondere die Arbeit bei der AWO hielt meine Staatsfeindlichkeit in
engen Grenzen: Ohne Sozialstaat gäbe es so etwas gar nicht. Jedenfalls
nicht innerhalb der heutigen Rahmenbedingungen.
Klärt das was?
Liebe Grüße,
Bert Grashoff
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