[Debatte-Grundeinkommen] Rettungsversuch fürs reine Konsumbesteuerungsmodell, Marx' Liebe zum bGE und ein paar Fragen und Anmerkungen
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Sa Aug 16 16:31:44 CEST 2014
Hallo,
ich habe mich die vergangenen Tage mal etwas intensiver mit der Idee des
bedingungslosen Grundeinkommens befasst und mich in ein paar
Debattenbeiträge im Netz reingelesen. In dem Zusammenhang möchte ich
Euch gerne "Daumen hoch!" sagen. Ihr macht echt eine gute inhaltliche
Arbeit für ein vernünftiges politisches Projekt. Insbesondere diverse
Texte von Ronald Blaschke sind mir sehr positiv aufgefallen.
Neben dem Aussprechen dieser allgemeinen Ermutigung und Danksagung
möchte ich Euch gerne als eine Art Zwischenbilanz für mich auf ein paar
Aspekte hinweisen, die mir bei der Auseinandersetzung mit Beiträgen in
der Debatte in den Sinn gekommen sind und die Euch vielleicht
interessieren/inspirieren könnten. Ich bin neu auf der
Debatten-Mailingliste und habe mich bislang nicht in das
Mailinglisten-Archiv reingelesen. Von daher sage ich mal "sorry", falls
mein Beitrag quer zu laufenden/gelaufenen Debatten steht bzw. Details
davon wiederholt.
Da der Text dann doch mal wieder etwas ausführlicher geworden ist, gebe
ich erstmal einen Überblick:
1. Eine Anmerkung und eine Frage zum Modells des BAG Grundeinkommen in
und bei der Partei DIE LINKE,
2. ein Rettungsversuch für das reine Konsumbesteuerungsmodell, das sich
wegen der gänzlichen Steuerfreiheit auf Kapital derzeit disqualifiziert,
3. einen Hinweis auf ein anscheinend etwas untergegangenes gutes
empirisches Argument gegen den Stammtisch-Glauben, dass ein
bedingungsloses Einkommen zu massenhafter Arbeitsverweigerung führen
würde,
4. ein an Marx angelehntes Plädoyer fürs bedingungslose Grundeinkommen
gegen marxistische, gewerkschaftliche und
linkssozialdemokratisch-keynsianische Kritik daran,
5. ein paar Bemerkungen zur Schizophrenie des Schwarzmarkt-Begriffs aus
Sicht des bedingungslosen Grundeinkommens
1. Eine Anmerkung und eine Frage zum Modells des BAG Grundeinkommen in
und bei der Partei DIE LINKE
Beim Modell der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE war
ich vor allem über die Berechnung dazu erstaunt, wer nach dem Modell
Nettoempfänger/-zahler wäre (vgl.
http://www.die-linke-grundeinkommen.de/WordPress/wp-content/uploads/2014/05/BGE_2014_download1.pdf
, S. 47f). Je nach Haushaltszusammensetzung bleiben alle Personen mit
einem Bruttomonatseinkommen von etwa 7.000 Euro oder etwas weniger in
dem Modell Nettoempfänger, obwohl eine gute halbe Billion Euro im Jahr
gegenfinanziert wird. Ich wüsste nicht, dass ich irgendjemanden
persönlich kenne, der demnach Nettozahler wäre. Quantitativ kann ich die
Berechnungsgrundlage nicht beurteilen, nach allem was ich über
Gini-Koeffizienten und Reichtumsverteilung weiß, halte ich das Ergebnis
aber erstmal für durchaus plausibel. Trotzdem ist es irgendwie immer
wieder erstaunlich, sich klar zu machen, wieviel gesellschaftlicher
Reichtum in der Hand von wie wenigen Menschen liegt. Da mir das
eigentlich bekannt ist und ich dann doch immer wieder darüber erstaunt
bin, will ich mal die These in den Raum werfen, dass es für die
progressiven gesellschaftlichen Kräfte unter geldvermittelten
Wertverwertungsbedingungen eine wirklich sinnvolle agitatorische Aufgabe
wäre, so lange so intensiv auf die ungleiche Vermögens- und
Einkommensverteilung hinzuweisen, bis es wirklich jedes
Gesellschaftsmitglied im Schlaf runterbeten kann. Konkreter gesprochen
würde mich interessieren, wieviel Prozent der Gesamtbevölkerung denn
überhaupt Nettozahler wären. 20 %, 10 %, 5, 3, eineinhalb? Der
Berechnung müssen ja sehr konkrete Zahlen zugrunde liegen. In jedem Fall
sollte den Otto-Normal-Verdienern sehr klar gemacht werden, dass sie in
diesem Modell Nettoempfänger wären. Mehr nebenbei frage ich mich, warum
der BAG nicht im Andenken an Brechts Frage, was der Überfall auf eine
Bank gegen die Eröffnung einer Bank sei, nur ein P-Konto für alle
Empfangspersonen des bedingungslosen Grundeinkommens fordert und nicht
auch eine entsprechende öffentliche Bank, bei der alle automatisch ein
Konto erhalten.
2. Ein Rettungsversuch für das reine Konsumbesteuerungsmodell, das sich
wegen der gänzlichen Steuerfreiheit auf Kapital derzeit disqualifiziert
Irgendwie finde ich es echt schade, dass das einfache
Konsumbesteuerungsmodell von der Initiative um Götz Werner sich klar
dadurch disqualifiziert, dass es Kapital gänzlich unbesteuert lässt. Es
ist so charmant schlicht, sowohl aus Sicht der Finanzämter und damit des
Souveräns wie auch aus Sicht der Unternehmen und erst recht aus Sicht
von Privatpersonen, die davon nur indirekt etwas mitbekommen würden.
Gerade wenn man sich gegen das peinliche Offenlegen der Privatsphäre bei
Hartz4-Bedürftigkeitsprüfungen einsetzt, ist schwer einzusehen, warum
man es bei der Einkommens-, Vermögens-, Erbschafts- oder
Schenkungsbesteuerung selbstverständlich voraussetzt. Wirklich
zukunftsweisend scheint mir die Konsumbesteuerung aber vor allem deshalb
zu sein, weil sie den Gedanken ernst nimmt, dass die industrielle Arbeit
und selbst weite Bereiche von Verwaltungstätigkeiten automatisiert
worden sind und weiterhin automatisiert werden dürften, Marx'
"automatisches Subjekt" (MEW23, S. 169) also auch stofflich zu sich
selbst findet. Geht der Industriearbeitsgesellschaft wirklich zunehmend
die Arbeit und damit Wertsubstanz aus oder verschiebt sie sich zumindest
zunehmend in das weite Feld der tendenziell vom Wert abgespaltenen und
über Transferzahlungen wie die öffentlichen Haushalte, das öffentliche
Gesundheitssystem oder eben das bedingungslose Grundeinkommen ja nur
sehr formell integrierten sozialen Kulturarbeit, dürfte eine
Einkommensbesteuerung immer absurder werden als sie wegen der Absurdität
unterschiedlicher Einkommenshöhen und unterschiedlicher Integration von
Tätigkeiten in die Wertverwertung heute ohnehin ist. Den Steuerblick
stattdessen darauf zu richten, was die Gesellschaft ihren Mitgliedern an
konsumtiven Wohltaten angedeihen lässt, scheint mir langfristig
tragfähiger, und zwar sowohl aus der Wertverwertungsperspektive einer
sozialen Dienstleistungsgesellschaft wie auch aus der Perspektive einer
Überschreitung der Wertverwertung zu einem "jeder nach seinen
Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!" (MEW19, S. 21). Das ist
zwar nur ein Bauchgefühl, aber ein ziemlich manifestes. Also folge ich
diesem Bauchgefühl mal und versuche das reine Konsumbesteuerungsmodell
zu retten.
Glasklar ist mir das Problem der vollkommenen Steuerfreiheit fürs
Kapital bei der Initiative "Unternimm die Zukunft" um Götz Werner
geworden, als ich in der auf ihrer Website verlinkten Dissertation von
André Presse den Versuch las, eine Steuerprogressivität der
Konsumbesteuerung durch den Quasi-Freibetrag des bedingungslosen
Grundeinkommens zu begründen (vgl.
http://www.unternimm-die-zukunft.de/media/medialibrary/2011/06/andre-presse_dissertation.pdf
, S. 77-79 nach Eigenzählung der Dissertation, S. 97-99 nach
PDF-Zählung). Ich unterstelle mal keine ideologische Absicht, sondern
eher Betriebsblindheit bei André Presse an dieser Stelle. An anderen
Stellen seiner Dissertation ist er sich durchaus darüber bewusst, dass
es Kapital gibt. Zur Begründung der Steuerprogressivität der
Konsumbesteuerung tut er aber so, als wäre es völlig undenkbar, dass ein
Teil der Haushaltseinkommen in Kapital verwandelt, also in irgendeiner
Form investiert wird. Stattdessen ist bei ihm das gesamte
Haushaltseinkommen unmittelbar identisch mit den Ausgaben für Konsum,
also voll durch die Konsumsteuer belastet. Bei dem Teil der
Haushaltseinkommen, der unters Kopfkissen, ins Sparschwein oder unter
die Geranien im Garten gesteckt wird, also für künftigen Konsum gespart
wird, könnte man noch sagen: Ist egal. Wenn das gesparte Geld irgendwann
später dann doch für Konsum ausgegeben wird, fällt die Konsumsteuer ja
wieder an. Und folge ich den Ausführungen auf
http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftskreislauf#Erweiterter_Wirtschaftskreislauf_.28einschlie.C3.9Flich_Kreditvergabe.29
zum Sparguthaben bei Banken, ist's mit gespartem Geld auf irgendwelchen
Konten letztlich genauso. Geld aber, das in irgendeiner Weise investiert
wird, ist komplett raus aus der Konsumbesteuerung. Damit ist auch die
von André Presse behauptete und ohnehin recht spärliche Progressionsrate
bei der Konsumbesteuerung nicht haltbar: Gerade Haushalte mit hohen
Einkommen werden einen relevanten Teil ihres Einkommens in
Unternehmungen investieren und sind damit fein raus aus der
Konsumbesteuerung, mithin aus der Finanzierung von Gemeinwesen und
bedingungslosem Grundeinkommen, weil es ja abgesehen von der
Konsumbesteuerung keine weiteren Steuern geben soll. Erst später nahm
ich das Dilthey-Modell (vgl.
http://www.psgd.info/templates/1/download/dilthey_modell.pdf
<http://www.psgd.info/templates/1/download/dilthey_modell.pdfz> ) zur
Kenntnis, das dieses Problem beim Konsumbesteuerungsmodell ebenfalls
klar artikuliert und ensprechende Konsequenzen zieht, die unter anderem
Einkommens- und Finanztransaktionsbesteuerung vorsehen.
Um einen anderen Ausweg aus dem Problem als im Dilthey-Modell zu nehmen
und damit das einfache Konsumbesteuerungsmodell zu retten, liegt es aus
der eben skizzierten Problemperspektive nahe, den Teil der Einkommen,
der nicht konsumiert, sondern in irgendeiner Form investiert wird,
unmittelbar ebenso wie den Konsum zu besteuern. Damit wäre in erster
Linie mal die Welt von André Presses Steuerprogressivität bei
Kombination von ausschließlicher Konsumbesteuerung und bedingungslosem
Grundeinkommen grundsätzlich in Ordnung. Wenn ich das näher durchdenke,
so würde ich das Konzept von Mehrwertsteuer und Sozialumsatzsteuer im
Dilthey-Modell
(http://www.psgd.info/templates/1/download/dilthey_modell.pdf, S. 5-7)
zugrunde legen, da mir dieses Konzept ökologischer,
schwarzmarktunfreundlicher und international solidarischer erscheint als
das im Effekt deutlich exportimperialistische Modell von der Initiative
um Götz Werner. Die Sozial-Gewinnsteuer im Dithey-Modell (ebd. S. 8-10)
würde ich allerdings verwerfen, weil sie einerseits eine Prüfung der
Vermögensverhältnisse von Privatpersonen notwendig macht und damit der
Hartz4-Bedarfsprüfung zumindest formell ähnelt und weil sie sich
andererseits nur schwerlich als Konsumbesteuerung denken lässt, nämlich
nur dann, wenn man Unternehmensgewinne inklusive Unternehmerlöhne als
Konsum an der gesellschaftlichen Profitmasse auffassen wollte.
Stattdessen schlage ich eine Steuer auf die Verwandlung von Geld in
Kapital vor, also auf Vorgänge wie beispielsweise Unternehmensgründung,
Beteiligung an einem Unternehmen oder Einspeisung von Geld ins
Finanzsystem. Ich nenne das mal einfach Kapitalisierungssteuer. Eine
solche Steuer lässt sich m. E. als Konsumsteuer auffassen, als Steuer
auf den Konsum der Kapitalisten. Besteuern Mehrwertsteuer und
Sozialumsatzsteuer die Wohltaten, die die Gesellschaft ihren Mitgliedern
für den persönlichen Verbrauch bereitstellt, so besteuert eine solche
Kapitalisierungssteuer die von der Gesellschaft zugestandene Wohltat,
gewinnorientiert unter Rückgriff auf die Ressourcen der Gesellschaft
handeln zu dürfen. Wer sein Geld ohne Gewinnabsicht institutionalisieren
möchte, kann ja einen gemeinnützigen Verein oder eine gemeinnützige
Stiftung gründen bzw. sich daran beteiligen, was ich glaube ich
unbesteuert lassen wollen würde. Wer aber sein Geld mit Gewinnabsicht
institutionalisiert, genießt ein gesellschaftliches Privileg, das
entsprechend besteuert gehört. Und zwar ganz unabhängig davon, ob
tatsächlich Gewinn erzielt wird oder nicht. Formell juristisch ließen
sich die drei Steuerelemente von Mehrwertsteuer, Sozialumsatzsteuer und
Kapitalisierungssteuer unter dem allgemeinen Titel Konsumsteuer zu einer
einzigen Steuer zusammenfassen. Scheint mir auf den ersten Blick
elegant, einfach, effektiv.
Bei der Umstellung auf ein solches Steuersystem wäre selbstverständlich
alles bereits kapitalisierte Vermögen so zu behandeln als würde es
gerade erst kapitalisiert werden, es wäre also sofort steuerpflichtig.
Dies wäre nur gerecht, da ja auch unterm Kopfkissen, im Sparschwein,
unter den Geranien oder auf Bankkonten gespartes Geld bei einer
Umstellung des Steuersystems plötzlich deutlich höher
konsumsteuerpflichtig werden würde. Ansonsten aber wird immer nur dann
Kapitalisierungssteuer erhoben, wenn sich Geld in Kapital verwandelt.
Erwirtschaftet ein Unternehmen Gewinne und erhöht damit sein
Eigenkapital, so ist beispielsweise zu jährlichen Stichtagen eine
Kapitalisierungssteuer auf diese durch Gewinne bewirkte Kapitalerhöhung
zu entrichten. Werden die Gewinne hingegen an die Eigentümer
ausgeschüttet, unterbleibt eine Besteuerung. Die fällt ja wieder an,
wenn die ausgeschütteten Gewinne entweder verkonsumiert werden oder
irgendwo anders investiert werden. Auch bei Erstkapitalisierung, also
bei der Verwandlung von Geld in Kapital liegt die Steuerpflicht bei der
Unternehmung, der das Kapital zufließt. Sieht man von den unter
Umständen immensen Problemen mit Schwarzmarkt und Kapitalflucht ins
Ausland ab, könnte eine Einkommens- und Vermögensüberprüfung von
Privathaushalten somit gänzlich entfallen. Ich traue mir nicht zu,
quantitative Vorschläge zu den jeweiligen Steuern zu machen. Plausibel
jedenfalls scheint mir zu sein, dass eine hohe Kapitalisierungssteuer
(bei Unterbindung von Vermögensflucht ins Ausland) Anreize dafür geben
würde, auf gewinnorientiertes Handeln von vornherein zu verzichten und
Vermögen entweder zu verkonsumieren und damit Wertschöpfungsanreize für
andere Unternehmen zu setzen oder direkt in gemeinnützige Tätigkeiten zu
stecken, die dadurch vielleicht sogar konkurrenzfähig gegenüber
gewinnorientierten Unternehmungen werden könnten. Auf diese Weise könnte
quasi naturwüchsig aus der kapitalistischen Ökonomie eine
Wohlfahrtsökonomie erwachsen. Sieht man von der grundsätzlichen
Anreizfeindlichkeit durch die Kapitalisierungssteuer ab, bliebe der
Faktor Arbeit und das Kapital überhaupt komplett unbesteuert und zudem
über das bedingungslose Grundeinkommen subventioniert, was bei der
Initiative um Götz Werner nicht ganz zu Unrecht als geradezu
paradiesischer Anreizzustand im Verhältnis von Kapital und Arbeit
dargestellt wird. Angesichts dessen, dass der qualitative Inhalt des
Verhältnisses von Kapital und Arbeit jenseits des Primärzwecks der
Wertverwertung vor allem in der gesellschaftlichen Synthesis, des
kooperativen Miteinanders füreinander besteht, ließe sich an solchen
Anreizeffekten erst einmal nicht so sonderlich viel Böses finden,
jedenfalls nicht im Verhältnis zu heute.
Abgesehen von der Schwierigkeit, ein solches Steuermodell gegen die
Interessen der heutigen Besitzer von Vermögen politisch durchzusetzen,
sehe ich im Moment nur drei strukturelle Probleme: Die Zäsur bei der
Einführung eines solchen Modells, der strategische Nachteil von jungem
Kapital gegenüber altem Kapital und die tendenziell ungerechte
Steuerfreiheit von heutigem Vermögen, das in gegenständlicher Form
vorliegt, also z. B. als Villa, Yacht oder Picasso-Gemälde etc.
i. Zäsur bei Einführung eines solchen Modells:
Folge ich einfach mal dem Modell von André Presse, aus der derzeitigen
Staatsquote von knapp 50 % einen allgemeinen Konsumsteuersatz von 50 %
des Endpreises bzw. 100 % Aufschlag auf den Preis vor Steuern
abzuleiten, hieße das in Bezug auf die Kapitalisierungssteuer, dass
alles heute in Deutschland ansässige Kapital bei der Einführung des
Modells in der Hälfte seines Volumens steuerpflichtig werden würde. Ich
will mir gar nicht ausmalen, was BDI, FDP oder mittelständische
Unternehmer von dieser Idee halten und befürchte da auch ein wenig
Probleme mit dem Verfassungsgericht. Grundsätzlich aber scheint mir
dieses Problem lösbar. Denn erstens funktioniert die
Kapitalisierungssteuer ja als so etwas wie die Eintrittskarte ins
gewinnorientierte Handeln. Einmal bezahlt, lockt das potentiell ewige
Reich einer gänzlich unbesteuerten gewinnorientierten Unternehmung. Das
könnte sich vielleicht schon nach ein paar Jahren gegenüber heute
rechnen. Zweitens könnte man politische Verfahren finden, die den Druck
auf die Unternehmen abfedern, sofort die Hälfte ihres Eigenkapitals ans
Finanzamt zu überweisen. Z. B. wäre ein längerer Zeithorizont für die
Umstellung des Steuersystems denkbar, meinetwegen 25 Jahre mit einer
Kapitalisierungssteuer auf altes Kapital in Höhe von dann nur 2 % im
Jahr. Oder man bietet den Unternehmen an, die Steuerschuld ganz oder
teilweise in Form einer Beteiligung des Gemeinwesens am Unternehmen zu
begleichen und schafft auf kommunaler Ebene politische Gremien, die dann
Mitspracherechte an der Unternehmenspolitik und Anteile des
Unternehmensgewinns erhalten. Angesichts dessen, welche Zäsur die
Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ohnehin für das
Verhältnis von Kapital und Arbeit bedeuten würde, scheint mir eine
hälftige Steuer auf heutiges Kapital eher das kleinere Problem zu sein.
ii. Strategischer Nachteil von jungem gegenüber altem Kapital:
Für jede neue Unternehmung stellt sich die Kapitalisierungssteuer als
Kostenfaktor und somit Nachteil in der Konkurrenz dar. Die Kapitalien,
die die "Eintrittskarte" Kapitalisierungssteuer bereits vor langer Zeit
bezahlt haben, sind besser dran. Daraus ließe sich ein Problem stricken,
das ich erstmal einfach nur mit allgemeineren Überlegungen abzuweisen
versuchen möchte. Verhindert die Staatsbürokratie wie auch immer
weitgehend Schwarzmärkte und steuerflüchtigen Vermögenstransfer ins
Ausland, muss jedes Vermögen ja irgendwo hin. Sieht man von der
Möglichkeit ab, Papiergeld zum Anheizen des Kamins zu nutzen, bleiben im
Prinzip nur Konsum, gemeinnützige Institutionalisierung oder
Kapitalisierung. Konsum gibt Produktionsanreize für gewinnorientierte
Unternehmen und gemeinnützige Insitutionalisierung steigert die
Wohlfahrt. Traut sich ein junges Vermögen nicht, die
Kapitalisierungssteuer zu bezahlen, weil sie einen Konkurrenznachteil
gegenüber altem Kapital darstellt, tut es somit irgendetwas anderes
Nützliches. Auch ok. Zudem werden die alten Einzelkapitalien ja
zumindest teilweise ihre Gewinne auch wieder kapitalisieren und werden
insofern teilweise selbst zu jungem Kapital mit entsprechendem
Konkurrenznachteil. Da das Vermögen irgendwohin muss, wird es sich
häufig genug für eine Kapitalisierung entscheiden. Darüber hinaus ließe
sich freilich überlegen, ob man die Vererbung/Verschenkung von
kapitalisiertem Vermögen nicht ebenfalls der Kapitalisierungssteuer
unterwerfen möchte oder sogar müsste. Um die Kapitalisierungssteuer über
die Unternehmen sinnvoll einziehen zu können, müssten diese per Gesetz
wohl dazu gezwungen werden, in ihren Büchern klar festzuhalten, von
welchen Personen das Kapital stammt. Ansonsten wäre schwer zu
verhindern, dass sich findige Banker ein Geschäftmodell überlegen, bei
dem der Austritt des einen Vermögens aus der kapitalisierten Sphäre
einen steuerhinterziehenden Eintritt eines anderen Vermögens in die
kapitalisierte Sphäre ermöglicht. Mit anderen Worten müsste jede
Veränderung bei der personellen Zuordnung von kapitalisiertem Vermögen
in den Unternehmen zur Steuerpflicht in Bezug auf das personell neu
zugeordnete kapitalisierte Vermögen führen. Im Effekt wäre dies auch
eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, insofern jede personelle
Übertragung von kapitalisiertem Vermögen zu einer
Kapitalisierungssteuerpflicht führt. Damit würde die
Kapitalisierungssteuer nicht mehr eine Eintrittskarte ins ewige Reich
des gewinnorientierten Handelns sein, sondern nur noch eine
Eintrittskarte ins lebenslange Reich des gewinnorientierten Handelns.
Das würde den Konkurrenznachteil von jungem Kapital gegenüber altem
Kapital zumindest deutlich relativieren. Geht man grundsätzlicher davon
aus, dass die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich
reif ist, wie in der Broschüre des BAG Grundeinkommen in und bei der
Partei DIE LINKE (vgl.
http://www.die-linke-grundeinkommen.de/WordPress/wp-content/uploads/2014/05/BGE_2014_download1.pdf
) mehrfach betont wird, also mit an Marx angelehnten Worten die
Produktivkräfte in einen derart qualitativen Widerspruch mit den
Produktionsverhältnissen getreten sind, dass einerseits die eher
formelle Egalität der bürgerlichen Rechtsformen mit der Etablierung
eines bedingungslosen Grundeinkommens reif geworden ist für einen
Übergang zu einer wenigstens teilweisen materiellen Egalität,
andererseits die vom Wert abgespaltenen gesellschaftlichen Sphären sich
als politisches Selbstbewusstsein einer wohlfahrtsorientierten sozialen
Kulturökonomie innerhalb des Verwertungsregimes gegen dieses zu
behaupten vermögen, dann würde ich über den Konkurrenznachteil von
jungem Kapital gegenüber altem Kapital eh nur noch mit den Achseln
zucken. Wünschenswert wäre ja eher, dass Vermögen zunehmend in
gemeinnützige Insitutionalisierung wandert und das gewinnorientierte
alte Kapital zu einem zunehmend stärker eingehegten Zoo überkommener
Sozialpsychologeme, zu einer Art lebendigem Musem bürgerlicher
Charaktermasken in einer postbürgerlichen Gesellschaft verkommt.
iii. Tendenziell ungerechte Steuerfreiheit von heutigem Vermögen, das in
gegenständlicher Form vorliegt:
Die skizzierte Konsumsteuer würde alles heute vorhandene und später für
Konsum ausgegebene Geldvermögen und alles heute vorhandene Kapital
besteuern, nicht jedoch den immensen Reichtum, der in materieller Form
in Privathänden liegt, also beispielsweise weder Gold noch privat
genutzte Immobilien, weder private Kunstschätze noch die drei Privatjets
auf dem Rollfeld im mondänen Garten. Das empfinde ich durchaus als
ungerecht wie ich es ohnehin als ungerecht empfinde, dass irgendwer
einen privilegierten Zugriff auf gesellschaftlichen Reichtum als
irgendjemand anders hat. Da aber die Produktivkapazitäten der
Gesamtgesellschaft immens sind und ihre Früchte über den qualitativen
Sprung in eine Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen hinein
den unteren Einkommensgruppen schwerer vorenthalten werden könnten, kann
man damit meines Erachtens leben und wiederum achselzuckend sagen: Ab in
den lebendigen Zoo bürgerlicher Charaktermasken mit privat gehaltenen
Dingen wie Gold, Privatjets, Villen und Kunstschätzen.
Vielleicht habe ich einfach gerade ein Brett vorm Kopf, aber momentan
sehe ich tatsächlich keinen wirklich guten Einwand gegen ein solch
schlichtes Modell von Konsumbesteuerung einschließlich
Kapitalisierungsbesteuerung bei gleichzeitiger Einführung eines
bedingungslosen Grundeinkommens. Und wenn sich eine
Kapitalisierungsbesteuerung bereits heute kapitalisierten Vermögens
politisch einfach nicht durchsetzen ließe, wäre ich auch noch damit
einverstanden, die Kapitalisierungssteuer nur auf alles Geld zu legen,
das sich künftig in Kapital verwandeln wird.
Mehr nebenbei möchte ich noch erwähnen, dass ich keinen Grund für einen
einheitlichen Steuersatz einer solchen Konsumsteuer sehe. Insbesondere
die von André Presse herausgearbeitete Progression ist dürftig. Produkte
und Dienstleistungen des Grundbedarfs (Nahrung, Wohnung, Strom, Wasser,
Gesundheit etc.) würde ich lieber niedrig, vielleicht sogar negativ
besteuern wollen, also subventionieren. In der Broschüre des BAG
Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE wird ja auch für eine
Ausweitung kostenloser öffentlicher Dienstleistungen plädiert, was ich
sinnvoll finde, was sich über eine entsprechende Konsumsteuerpolitik
aber auch an die individualistischen Marktteilnehmer delegieren ließe.
Für den Normalbedarf könnte man die 100 % von André Presse anvisieren,
für insbesondere ressourcenaufwändigen Luxusbedarf meinetwegen auch 200
% oder mehr. Ebenso ließe sich ein eigenständiger Steuersatz für die
Kapitalisierungssteuer veranschlagen. Einerseits hätte eine solche
Aufsplittung von Steuersätzen den Vorzug, eine materiell begründete
Progression zu etablieren. Andererseits wäre die Eingruppierung von
Waren und Dienstleistungen in die jeweiligen Steuersätze genauso wie das
Verändern der Steuersätze ein gutes wirtschafts-, sozial- und
ökologiepolitisches Instrumentarium.
Außerdem möchte ich in dem Zusammenhang noch auf ein Argument von André
Presse für die Konsumbesteuerung hinweisen: "So werden Importe aus
Ländern mit geringen Sozialstandards, etwa China, in Deutschland
lediglich mit der Mehrwertsteuer belastet (vgl. WERNER (2008, S. 194)).
Die Preise für in Deutschland hergestellte Produkte enthalten hingegen
die Steuer- und Abgabenlast des deutschen Sozialstaates. Würde an Stelle
aller Steuern und Sozialabgaben nur noch die Konsumsteuer verbleiben,
würde diese voll auf die Importgüter angewandt."
(http://www.unternimm-die-zukunft.de/media/medialibrary/2011/06/andre-presse_dissertation.pdf
<http://www.unternimm-die-zukunft.de/media/medialibrary/2011/06/andre-presse_dissertation.pdfS>
, S. 74 in Eigenzählung / S. 94 in PDF-Zählung, vgl. auch S.
79-91/99-101) Solange die Menschheit sich in nationalstaatlichen
Konstrukten gegeneinander abgrenzt, scheint mir das ein ziemlich gutes
Argument zu sein. Es ist nicht einzusehen, warum Importprodukte weniger
Anteil an der Finanzierung von Gemein- und Sozialwesen haben als
Binnenmarktprodukte.
3. Ein Hinweis auf ein anscheinend etwas untergegangenes gutes
empirisches Argument gegen den Stammtisch-Glauben, dass ein
bedingungsloses Einkommen zu massenhafter Arbeitsverweigerung führen würde
Die Dissertation von André Presse legt übrigens ein gutes empirisches
Argument gegen den Stammtisch-Glauben vor, dass ohne Erwerbszwang
niemand mehr arbeiten würde, dass folglich ein bedingungsloses
Grundeinkommen zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen könnte. Es gibt
zwar eine Menge guter Argumente gegen diesen Stammtisch-Glauben, die mir
in den beim Netzwerk Grundeinkommen verlinkten Dokumenten begegnet sind.
Das von André Presse scheint aber ein wenig untergegangen zu sein. Da
ich schätze, dass die Durchsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens
über den Weg parlamentarischer Demokratie von kaum etwas so sehr abhängt
wie davon, diesen Stammtisch-Glauben zu bekämpfen, möchte ich daher auf
dieses Argument hinweisen: André Presse schaut sich das Verhältnis von
Arbeitseinkommen und Nichtarbeitseinkommen in verschiedenen
Einkommensgruppen an und kommt zu dem "Ergebnis: Das durchschnittliche
Haushaltseinkommen (d. m. H.) aus Arbeit ist pro Euro des d. m. H. aus
Nichtarbeit umso größer, je größer das d. m. H. aus Nichtarbeit ist.
/Dieses empirische Ergebnis kann als Gegenargument zur häufig zu
hörenden Meinung dienen, dass umso weniger Arbeitswillige zu finden sein
werden, je höhere Einkommen aus Nichtarbeit bereitstehen./" (vgl.
http://www.unternimm-die-zukunft.de/media/medialibrary/2011/06/andre-
<http://www.unternimm-die-zukunft.de/media/medialibrary/2011/06/andre-presse_dissertation.pdf>presse_dissertation.pdf
<http://www.unternimm-die-zukunft.de/media/medialibrary/2011/06/andre-presse_dissertation.pdf>
, S. 114f nach Eigenzählung der Dissertation, S. 134f nach PDF-Zählung)
Methodisch ist die Schlussfolgerung leider nicht haltbar. Es ist
denkbar, dass die aggregierten Einkommensgruppen insbesondere der
gutverdienenden Haushalte sich aus Personen zusammensetzen, von denen
die einen ein hohes Arbeitseinkommen ohne nennenswertes
Nichtarbeitseinkommen haben, die anderen ein hohes Nichtarbeitseinkommen
ohne nennenswertes Arbeitseinkommen, die Schlussfolgerung also auf der
Aggregierung zu Gruppen von Einkommenshaushalten beruht. Außerdem ließe
sich die Frage stellen, inwieweit Unternehmerlöhnen tatsächlich "Arbeit"
gegenübersteht. Sollte sich André Presses empirisches Ergebnis aber
durch eine methodisch haltbare Argumentation bestätigen, wäre es ein
Argument, das kein Stammtisch so leicht vom Tisch wischen könnte. M. E.
wäre es daher lohnenswert, dieses Ergebnis noch einmal methodisch
korrekt zu hinterfragen.
4. Ein an Marx angelehntes Plädoyer fürs bedingungslose Grundeinkommen
gegen marxistische, gewerkschaftliche und
linkssozialdemokratisch-keynsianische Kritik:
Ein wenig irritiert hat mich, dass es deutliche Kritiken am
bedingungslosen Grundeinkommen aus marxistischer, gewerkschaftlicher und
linkssozialdemokratisch-keynsianischer Perspektive gibt. Die
marxistische Fundamentalkritik, die jegliches Herumdoktern an der
notwendig ausbeuterischen, kriegerischen, krisenbehafteten und materiell
ungleichen Ordnung von Privateigentumsgesellschaften blöde findet, als
ein Zerbrechen des Kopfs der Herrschenden, finde ich zwar grundsätzlich
richtig. Bloß dabei stehen zu bleiben, dass es kein richtiges Leben im
falschen gibt und sich ansonsten mit Aufklärungsverbissenheit und
Revolutionsphantasien bis zum St. Nimmerleinstag zu trösten, macht den
Scheiß aber auch nicht besser. Zudem hat das Reich der Freiheit in
meiner Vorstellung wenig Gemeinsamkeit mit einer Diktatur leninistischer
Parteikader. Und es bleibt wahr, dass wir unsere Leben in der
Binnenperspektive kapitalistischer Vergesellschaftung fristen und es
daher durchaus einen Unterschied macht, ob man bei Arbeitslosigkeit
einfach dem Verhungern überantwortet wird oder dem Hartz4-Regime, selbst
wenn man noch so prägnant zynisch durchdeklinieren kann, dass die
Bismarcksche Sozialgesetzgebung nur den allgemeinen Boden für den Erfolg
des deutschnationalen Verwertungsregimes absichert. Und vielleicht hat
sich ja hinter dem Rücken der materiellen Gewalten in den
kulturindustriell überfluteten Köpfen der tendenziell nivellierten
Mittelschichtgesellschaften sogar wirklich ein zivilgesellschaftlicher
Horizont aufgetan, der Habermas' 'zwanglosem Zwang des besseren
Arguments' eine Chance gegen Adornos triftigere Einsicht zuzugestehen
bereit ist: "Zuinnerst ahnt der Geist, daß seine stabile Herrschaft gar
keine des Geistes ist, sondern ihre ultima ratio an der physischen
Gewalt besitzt, über welche sie verfügt." (Adorno, Negative Dialektik,
GS6, S. 179) In Gremlizas /konkret/ stand vor einer Weile sinngemäß zu
lesen, dass sich der Kampf für ein bedingungsloses Grundeinkommen
deshalb nicht lohne, weil das Kapital ein solches in relevanter Höhe
niemals zulassen würde und man stattdessen gleich ein Ende der
Privateigentumskategorie fordern könne, weil beides gleichermaßen auf
revolutionären Klassenkampf hinauslaufe. Das finde ich durchaus nicht
lapidar gesagt. Ich halte es zumindest für möglich, dass in einer
Situation, in der es eine parlamentarische Mehrheit für ein
bedingungsloses Grundeinkommen in relevanter Höhe gebe, sich ein
empirischer Beweis für den alten Schnack ergeben würde, dass Wahlen
nichts ändern, weil sie sonst verboten wären. Aber auch das wäre eine
historische Zäsur, die mir besser erschiene als bloß tatenlos der
schleichenden Restauration aller gesellschaftlichen Verhältnisse
zuzusehen und sich ansonsten mit der reinen Lehre einzuigeln. Es wäre
sozusagen die empirische Probe auf die These, dass wir in einer zivilen
Gesellschaft leben.
Was die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens aus Marxscher Sicht
so sympathisch macht, ist das in ihr liegende Potential einer zumindest
tendenziellen materiellen Überwindung des schmerzlich vermittelten
Auseinanderreissens von Gattungswesen und Individuum durch die Kategorie
des Privateigentums. Während aus der Binnenperspektive der
Privateigentümer sich ja immer irgendwie Maggie Thatchers Behauptung
aufdrängt, dass es keine Gesellschaft gebe, sondern nur Individuen,
wovon die anderen zudem noch die Satresche Hölle insofern darstellen,
als an ihrer Freiheit die eigene zu enden habe, müsste eigentlich jeder
vergesellschaftete Narr unmittelbar einsehen, was Marx zum Verhältnis
von Gesellschaft und Individuum sehr prägnant sagt: "Das individuelle
und das Gattungsleben des Menschen sind nicht /verschieden/, so sehr
auch -- und dies notwendig -- die Daseinsweise des individuellen Lebens
eine mehr /besondre/ oder mehr /allgemeine/ Weise des Gattungslebens
ist, oder je mehr das Gattungsleben ein mehr /besondres/ oder
/allgemeines/ individuelles Leben ist." (MEW40, S. 539) Die Freiheit des
Individuums ist daher auch weniger durch die anderen Individuuen
beschränkt, sondern vielmehr überhaupt erst ermöglicht. Mag der
frühbürgerliche Naturrechts-Unfug von Maggie Thatcher, die entgegen der
Guillotine-Sehnsüchte von Morrissey friedlich und alt im Bett
entschlief, auch den ideellen Anarchisten diesseits und jenseits der
Klassenschranke die Herzen erwärmen. Der bis zur Volksgemeinschaftshölle
verhausschweinte und bis über beide Ohren vernetzte deutsche Michel kann
im Ernst nicht auch nur für einen Moment glauben, dass seine
Individualität abgesehen vielleicht von einem kläglich überschießenden
Rest des Nichtidentischen etwas anderes sei als "das ensemble der
gesellschaftlichen Verhältnisse" (MEW3, S. 6). Die Idee des
bedingungslosen Grundeinkommens nimmt diese Tatsache ernst und fordert
aus der Perspektive des Kategorienapparats von Marx' /Kapital/ die
Implementierung der bloßen, politisch anerkannten Existenz jedes
Individuums als eines Teils der Gesellschaft in die durch historisch
überaus willkürliche Prozesse quantitativ bestimmte Wertsubstanz der
abstrakten Arbeit. Anders gesagt: Durch das bedingungslose
Grundeinkommen wäre ein Teil der Wertsubstanz nicht länger abstrakte
Arbeit, sondern abstraktes politisches Selbstbewusstsein der Gattung in
der Form politischer Anerkennung jeglicher Individualität unabhängig von
der Arbeit. Das wäre kein Kommunismus, aber zumindest ein Fortschritt in
der kapitalistischen Binnengeschichte von der abstrakten Individualität
des Privateigentums fort und hin zu einer konkreten Individualität
innerhalb des politisch selbstbewussten Gattungswesens. Es würde
insofern wohl Marx' wohlwollenden Blick auf die Nachgeborenen finden.
Überhaupt gewinnt das sozialdemokratische Renegatenprojekt, der Ware
Arbeitskraft einen einigermaßen erträglichen Platz in der bürgerlichen
Ordnung durch langwierige Stellschraubenkorrekturen angedeihen zu
lassen, durch die im Kern ja durchaus bloß sozialdemokratische Forderung
eines bedingungslosen Grundeinkommens vielleicht mal einen echten Sinn
in Hinblick auf die Abschaffung der Ware Arbeitskraft. Vielleicht lehne
ich mich damit etwas weit aus dem Fenster, aber ich will mal die
geschichtsphilosophische These wagen, dass der Untergang des
Realsozialismus auch etwas damit zu tun hat, dass der marktanarchische
Kapitalismus formell näher am Verein freier Menschen steht als die
partei- und staatsbürokratisch verwalteten sogenannten Diktaturen der
Proletariate. Während Marx sich im Verein freier Menschen die
Ausschöpfung des vollen Entfaltungspotentials der Individuen im
Gehaltensein durch die Gattung ausmalt, betrieben die Realsozialismen ja
eher volksgemeinschaftliche Abwehrkämpfe gegen die Bedrohung durch den
imperialistischen Klassenfeind einerseits, durch die ewige
Naturnotwendigkeit des Stoffwechsels mit der Natur andererseits. Das war
im Detail sicherlich auch ehrenhaft, im großen Wurf aber blieb es ein
ziemlich widerwärtiges Herrschaftssystem. Kann man dem Kapitalverhältnis
der bürgerlichen Gesellschaft bis zum Ende seiner Tage vorwerfen, dass
es den Individuen nur eine formelle, nicht aber eine materielle Freiheit
im Gehaltensein der Gattung erlaubt, mit zunehmender Spezialisierung und
institutionalisierter Differenzierung vielleicht sogar zunehmend weniger
erlaubt, so konstruiert es für die am Markt erfolgreich Unternehmenden
und als Funktionseliten erfolgreich ihre Arbeitskraft Verkaufenden aber
zumindest den Schein materieller Freiheit der eigenen Lebendigkeit und
durch die dramatische Produktivkraftentfesselung für immer breitere
Bevölkungsschichten zumindest den konsumtiven Lifestyle-Glauben eines
freien Lebens. Dieser Schein von Freiheit dürfte die
sozialpsychologische Basis für den Glauben an eine einfache
Umsetzbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens abgeben. Würde es in
relevanter Höhe eingeführt, würde die bürgerliche Gesellschaft einen
kleinen Schritt über die formelle Freiheit hinaus tun. Und zwar weniger
deshalb, weil niemand sich mehr als Individuum gesellschaftlich unnötig
gewordene Existenzsorgen machen müsste, sondern vielmehr, weil die
asketischen Individuen, die mit einem bedingungslosen Grundeinkommen
auszukommen imstande sind, ein emanzipiertes Verhältnis zu den vom
Kapital besessenen Produktivkapazitäten und den mit ihnen organisch
verwachsenen Funktionseliten einnehmen würden und damit dem freien
Tätigsein überhaupt erst zu einem nachbürgerlichen Begriff verhelfen
könnten. Mit anderen Worten könnte das bedingungslose Grundeinkommen das
Nadelöhr sein, durch das die formelle Freiheit der bürgerlichen
Gesellschaft gezwungen werden muss, um der Menschheit eine materiell
freie Lebendigkeit, einen Verein freier Menschen abzugewinnen. Dass Marx
sich den Verein freier Menschen als nomadischen Lebensstil innerhalb der
sesshaften Produktionsmittel ausmalt, halte ich für richtungsweisend:
"Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat jeder einen
bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt
wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder
kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum
Leben verlieren will -- während in der kommunistischen Gesellschaft, wo
jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich
in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die
allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute
dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen,
abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich
gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden."
(MEW3, S. 33) Anders lässt sich ein Ende dessen, wofür Marx den
denunziatorischen Begriff der Charaktermaske verwendet, kaum denken, ein
Ende des Verwachsenseins der Individuen mit ihrer mehr oder weniger
lebenslang ausgeführten spezifischen Funktion in der
Wertverwertungsgesellschaft. Ehrlich gesagt ist mir kein Vorschlag einer
Transformation der kapitalistischen in eine tendenziell kommunistische
Geellschaft bekannt, der so friedlich und naturwüchsig funktionieren
könnte wie die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ich
weise darauf hin, dass diese Argumente fürs bedingungslose
Grundeinkommen nicht neu sind, sondern mir im Wesentlichen bereits in
diesem Text von Katja Kipping und Ronald Blaschke begegnet sind:
http://www.archiv-grundeinkommen.de/kipping/Und-es-geht-doch-um.pdf .
Bemerkenswert wiederum finde ich, dass die Initiative um Götz Werner
ohne jede Nähe zu Marx meines Erachtens am schönsten und prägnantesten
für eine Befreiung lebendiger menschlicher Tätigkeit vom Joch der
Verwertungslogik und des Eigentums an Produktionsmitteln plädiert.
Irgendwie wundert's mich immer, dass es marxistische Strömungen gibt,
die viel lieber ideelle Anarchisten auf ihren fiktiven Inseln der
höheren theoretischen Wahrheit bleiben möchten als auch nur einmal
zuzugeben, dass Marx und der gesamte Marxismus ein Produkt der
bürgerlichen Gesellschaft ist, das die zivilisatorische Kraft dieser
Vergesellschaftungsform neben anderen Phänomenen belegen kann. Die
Matrix hat uns weit mehr als Neo, Morpheus und Trinity je ahnen werden.
Dass die Antroposophen um Götz Werner und offenbar auch etliche
Christengemeinschaften sich durchaus mit der Idee des bedingungslosen
Grundeinkommens anfreunden können, weil sich in ihren spezifischen
Religionsinhalten die Vermitteltheit von Individuum und Gattung ohnehin
deutlich spiegelt, wenn auch vielleicht spirituell überhöht, könnte man
als marxistischer Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens auch so
deuten, dass es mal wieder ernsthaft Zeit für bestimmte Negation
aktueller Religionstrends ist, weil die Geschichte ja selbst im
Kapitalismus nicht stillsteht und Marx recht klar konstatierte: "die
Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik" (MEW1, S. 378).
Wenn selbst Antroposophen und Christen halbbewusst wittern, dass der
Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zum
qualitativen Sprung anhebt und die Überproduktionskrisen zombieesk ihre
Kinder fressen, dann dürfte das doch irgendetwas über den aktuellen
Stand der historischen Selbstüberschreitungsaufgabe des
Kapitalverhältnisses aussagen. Würde ich zumindest mutmaßen.
Da mir aufgefallen ist, dass es Tendenzen innerhalb der Debatte ums
bedingungslose Grundeinkommen gibt, historische Protagonisten der Idee
des bedingungslosen Grundeinkommens auszugraben, und mir dabei der Name
Mandel nicht aufgefallen ist, möchte ich nebenbei darauf hinweisen, dass
mir irgendwann in den 90ern erstmals die Idee des bedingungslosen
Grundeinkommens begegnete, nämlich in Schriften des Marxisten Ernest
Mandel (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_Mandel ), die glaube
ich aus den 70ern stammten, also aus der Periode des Wiedereintritts der
westlichen Gesellschaften in eine Verwertungsphase mit
Massenarbeitslosigkeit. Ich erinnere mich nicht mehr sehr detailliert,
fand Mandel aber recht nett und klar zu lesen. Sein Kernargument für ein
bedingungsloses Grundeinkommen dürfte die damit verbundene Stärkung der
Verhandlungsposition der Ware Arbeitskraft/der Gewerkschaften gegenüber
dem Kapital gewesen sein.
Dass es innerhalb der Gewerkschaften Leute gibt, die der Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens skeptisch gegenüberstehen, mag viele
Gründe haben. Um sich eine allgemeinere Folie zu denken, wie man diesen
absurd wirkenden Umstand erklären kann, scheint mir folgender Absatz von
Karl Reitter richtungsweisend: "Als ein Faktor der Auflösung
traditioneller sozialer Identitäten ist die technologische und
organisatorische Umstrukturierung der Produktion, aber auch der
Verwaltungs- und Forschungsinstitutionen, zu nennen. Idealtypisch läßt
sich folgende Struktur feststellen: Das Zentrum des Betriebes besteht
aus einer kleinen Gruppe fest angestellter Personen, entlohnt und
beschäftigt nach geltenden kollektivvertraglichen Bedingungen. In
konzentrischen Kreisen lagern sich um diesen Kern die Gruppe der Teil-
und Leiharbeiter, diejenigen, die auf Basis von Werkverträgen arbeiten
und schließlich die Gruppe der scheinbar Selbständigen, die zumeist auf
Gedeih und Verderb auf die Aufträge ihres maskierten Arbeitgebers
angewiesen sind. Dieses Muster findet sich quer durch alle
gesellschaftlichen Bereiche, Produktionsstätten sind davon ebenso
betroffen, wie Dienstleistungsbetriebe, Forschungs- und
Verwaltungseinrichtungen und die Universitäten. Sie betrifft Bereiche
mit hochqualifizierter Tätigkeit ebenso wie Reinigungsbetriebe, Frauen
ebenso wie Männer. Dieses Zentrum -- Peripheriemodell findet sich
weiters nicht nur auf arbeitsrechtlichem Gebiet, es umfaßt die
Organisation der Produktion selbst. Die Phase des Fordismus, mit
gigantischen Produktionsstätten, tausenden Arbeitern, die täglich das
selbe Fabrikstor durchschritten und zu den gleichen Bedingungen
arbeiteten, gehört der Geschichte an. Der gigantischen Konzentration der
Kapitale entspricht keineswegs die Konzentration der Produktion, im
Gegenteil. Auslagerungen, kleine, flexible Einheiten sind das Gebot der
gegenwärtigen Epoche. Die technologischen Erfindungen, das Anschwellen
des sogenannten tertiären Sektors (Dienstleistungen, Verwaltung) zu
Lasten der materiellen Produktion, haben sein übriges getan. Der
ehrwürdige Beruf, die kontinuierliche Ausübung der Erwerbsarbeit,
gestützt auf fachlich erworbenes Wissen und speziellen Fähigkeiten,
verbunden mit einem gesellschaftlich klar umrissenen Habitus, wird vom
Job abgelöst. Im Job Karriere zu machen erfordert vor allem formale
Qualifikationen. Ungebrochene Mobilität, die Bereitschaft, sich ohne
Widerspruch den Erfordernissen eines sich ständig wandelnden
Arbeitsmarkt anzupassen, vorauseilenden Gehorsam und bedingungslose
Identifikation mit gesellschaftlichen Werten und Normen." (vgl.
http://www.linke-buecher.de/arbeitslosigkeit/Warum-garantiertes-Grundeinkommen---von---mailbox.univie.ac.at-Karl.Reitter.htm
)
Ich würde mutmaßen, dass sich ein größerer Teil der aktiven Leute in den
Gewerkschaften eher dem Produktionszentrum zugehörig fühlt und am
liebsten so tun würde, als gäbe es die ganzen Phänomene der
prekarisierten Peripherie nicht. Wenigstens wohl sollte es sie im
Angedenken an den Wirtschaftswunder-Korporatismus nicht geben und daher
erscheint ein bedingungsloses Grundeinkommen als falscher Weg. Richtiger
wäre demnach wohl, per Arbeitskampf die Peripherie wieder ins Zentrum zu
ziehen und mit guter Wirtschaftspolitik für Vollbeschäftigung zu sorgen.
Dann würde sich auch niemand mehr auf der faulen Haut ausruhen und jaja,
wir schaffen das Bruttosozialprodukt. Vielleicht irre ich mich da ja
auch, aber sozialpsychologisch finde ich es naheliegend, dass
insbesondere Gewerkschaftsleute mit den aus meiner Elterngeneration
überkommenen sogenannten Normalarbeitsbiographien sich nicht mit einem
über das bedingungslose Grundeinkommen etablierten Recht auf Faulheit
anfreunden können. Ich bin Jahrgang 1977, in meiner Generation dürften
solche sogenannten Normalarbeitsbiographien schon deutlich seltener
geworden sein. Und ich kann nicht sehen, dass die Gewerkschaften diesem
Trend seit mindestens der Wende 1989 irgendetwas Substantielles
entgegenzusetzen fähig gewesen wären, eher wohl im Gegenteil.
Versöhnlich gedacht, sollte man in Diskussionen mit solchen Menschen in
den Gewerkschaften wohl auf dieser Erosion der alten Arbeitswelt
herumreiten und immer wieder klarstellen, dass ein bedingungsloses
Grundeinkommen eine derart mächtige Verbesserung der
Verhandlungsposition der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmen
darstellen würde, dass es wie gesagt nicht sehr realistisch, aber darum
um so wichtiger ist, dem Kapital dieses Zugeständnis abzuringen. Da ich
mir eine breite Anhängerschaft für die Idee des bedingungslosen
Grundeinkommens wünsche, möchte ich unversöhnliche Betrachtungen in
diesem Zusammenhang lieber nicht anstellen, obgleich sie sich mir mit
Blick auf das Transformationspotential eines bedingungslosen
Grundeinkommens in Bezug auf kapitalistische Charaktermasken bzw.
verhärtete Identitäten aufdrängen. Also doch zumindest dieser Satz: Die
Abweisung der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in
Gewerkschaftskreisen verteidigt besitzstandschauvinistisch das Privileg
des gutsituierten Teils der arbeitenden Bevölkerung gegenüber dem
prekarisierten und arbeitslosen Teil der Arbeitsbevölkerung, sich
relativ stabil in den Produktionszentren der Wertverwerung angesiedelt
zu haben, und denunziert darüber hinaus womöglich das mit einem
bedingungslosen Grundeinkommen faktisch etablierte Recht auf Faulheit,
während es sich mit dem faulen Luxuskonsum der oberen Zehntausend
genauso arrangiert und abgefunden hat wie mit dem Privateigentum an
Produktionsmitteln.
Nebenbei lässt sich in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass
das Zentrum-Peripherie-Modell sehr deutlich macht, dass die in
unterschiedliche Löhne, Arbeitsbedingungen und Risikoabsicherung
diversifizierte Arbeiterklasse schillernd belegt, dass die Marxsche
Wertsubstanz abstrakte Arbeit nicht nur quer zum Verwertungsregime,
sondern wesentlich auch innerhalb des Verwertungsregimes ein Produkt
höchst vielfältiger sozialer Auseinandersetzungsformen ist und daher
unmöglich quantitativ bestimmbar.
Während ich wohl wenig Zweifel daran gelassen habe, dass ich
theoretische Wahrheit eher bei Marx und der alten Frankfurter Schule
sehe als bei kapitalismusimmanenten Theorien, sind mir die Leute um
Flassbeck oder etwa die Memorandum-Gruppe zumindest ein wenig
sympathisch. Ich würde vermuten, dass das damit zu tun hat, dass ich
einem kleinbürgerlichen Milieu entstamme, dessen subjektives Interesse
eher in einer keynsianischen Binnenmarktsstärkung als in einem Verein
freier Menschen oder dem vermeintlich objektiven Interesse des
Proletariats liegt. Außerdem ist es freilich auch immer weit weniger
psychisch belastend, sich mit aufs reiche Deutschland fixierten
Zivilgesellschaftstheorien zu befassen, während sich mit Marx und der
alten Frankfurter Schule ja so unangenehme internationale Phänomene wie
Krieg, Hunger und Sklaverei systematisch nicht ausblenden lassen. Wenn
ich das halbwegs richtig überblicke, finde ich die
Binnemarktsstärkungs-Theorien vor allem deshalb daneben, weil sie sich
im Wesentlichen nur über In- und Output sowie Verteilung den Kopf
zerbrechen, weniger aber über die qualitativen Formen der
Lebenszusammenhänge, in denen Produktion und Konsum stattfinden. Ich mag
da ein wenig sensibel sein, insofern mir schon der weithin anerkannte
Spruch, dass Lehrjahre keine Herrenjahre seien, einen großen
Ringelreigen von Alltagsbarbareien vors innere Auge stellt. Ein
Miteinander füreinander, das nicht auf wechselseitigem Verständnis,
Einsicht in gesellschaftlich vermittelte Naturnotwendigkeiten und
inhaltlicher Autorität beruht, sondern auf irgendwelchen
weisungskoordinierenden Abhängigkeiten und einem ungleichen Zugriff auf
gesellschaftliche Ressourcen, scheint mir ganz grundsätzlich eklig. Aber
selbst wenn man gewillt ist, in der Debatte von der qualitativen
Gestaltung der Lebenszeit der Gesellschaft zu abstrahieren und sich
stattdessen nur auf volkswirtschaftliche Kreislaufvorstellungen
reduziert, dürfte es gänzlich unmöglich sein, einen irgendwie kohärenten
inneren Zusammenhang zwischen der Höhe eines heutigen Einkommens und der
gesellschaftlichen Produktivität der diesem Einkommen zugrunde liegenden
Tätigkeiten zu behaupten. Nur z. B.: Was soll an der Tätigkeit einer
Steuerberaterin produktiver sein als an der Tätigkeit eines
Straßenmusikers, was an der Tätigkeit eines Arbeisvermittlers
produktiver als an der Tätigkeit eines Hausmanns, was an der Tätigkeit
eines Rüstungsingenieurs produktiver als an der Tätigkeit einer
Krankenschwester? Die Einkommensverteilung gaukelt heute immer bloß vor,
dass es einen inneren Zusammenhang zwischen den Leistungen eines
Individuums und der gesamtgesellschaftlichen Produktivität gibt, während
dieser Zusammenhang in Wirklichkeit das Resultat höchst willkürlicher
und komplexer historischer Prozesse ist. Deshalb können sich die
Marxologen ja auch bis zum Ende aller Tage über die metaphysische
Substanz des Werts bei Marx wundern: Abstrakte Arbeit, gesellschaftlich
notwendige Durchschnittsarbeitszeit, was mag das bloß sein? Der
Inbegriff eines historisch sedimentierten Fetischs halt, nicht mehr,
nicht weniger.
Zudem ist mir völlig unklar, wo bei den Kreislaufmodellen der Keynsianer
eigentlich der gesamte aufgehäufte Reichtum in materieller Form, die
Produktions- und langlebigen Konsumtionsmittel, also Marx' tote Arbeit
überhaupt theoretische Beachtung findet.
Argumentieren Flassbeck und Co. sinngemäß, dass ein bedingungsloses
Grundeinkommen nicht nur das Lumpenproletariat zur Arbeitsvermeidung
animieren würde, sondern auch die anscheinend bei der FDP abgeguckten
Leistungsträger, und dass dies ein Problem für die Gesamtproduktivität
der Gesellschaft wäre (vgl.
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/11/09.mondeText1.artikel,a0014.idx,6
), dann würde ich sie erstmal auffordern, einen schlüssigen Beleg für
die These zu erbringen, dass es tatsächlich einen inneren Zusammenhang
zwischen Einkommenshöhe und individueller Produktivität gibt. Sofern
sich denn überhaupt ein schlüssiger Begriff von individueller
Produktivität konstruieren lässt. Ein solcher Beleg ist meiner
Einschätzung nach systematisch nicht zu erbringen. Zudem stehen Teile
der Argumentationen für ein bedingungsloses Grundeinkommen ja nicht ganz
willkürlich auf dem Standpunkt, dass die Automatisierungstendenzen in
Produktion und Verwaltung zu einer gesamtgesellschaftlichen Verschiebung
des Begriffs der Produktivität führen, der sich mit klassisch
fordistischen Vorstellungen überhaupt nicht mehr deckt.
Dienstleistungsgesellschaften verschieben die Wertbestimmtheit der
Arbeit dem reinen Volumen nach notwendig deutlich von einer stofflichen
Warenbindung fort und hin zu einer entstofflichten Form sozialer und
kultureller Beziehungsmuster und ideell-symbolischer Güter. Ansonsten
finde ich die Beiträge von Harald Schauff (vgl.
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18773 ) und Ronald Blaschke
(vgl.
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2012/11/rb-hw_rezension-irrweg-grundeinkommen_121114.pdf
) ziemlich prägnante Kritiken an diesem keynsianisch orientierten
Angriff gegen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens und möchte
nur auf ein kleines Detailargument hinweisen, das sich in dem
Zusammenhang noch anbringen ließe: Die Aufblähung des Volumens an
Konsumentenkrediten und die Zunahme von Privatinsolvenzen dürfte zwar
angesichts des Umverteilungsvolumens eines bedingungslosen
Grundeinkommens in relevanter Höhe kaum der Rede wert sein, stellt aber
zumindest ein Detailbeleg dafür dar, dass die Inflationsangst von
Flassbeck und Co. so begründet kaum sein kann.
Zudem lässt sich bei den Keynsianern ja immer die Frage aufwerfen, wer
denn eigentlich die soziale Basis für die Umsetzung ihrer Pläne sein
soll. Rot-Grün, die vor gar nicht langer Zeit Oscar Laffontaine dissten
und Hartz4 einführten? Da es seit Wende und Wiedervereinigung meines
Wissens in der EU nirgends ernsthafte sozialpolitische Fortschritte,
sondern nur Rückschritte gegeben hat, betreibt die Keynsianer-Fraktion
nicht weniger Wunschdenken als die Anhängerschaft der Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens. Letzteres könnte immerhin die
Wahlbeteiligung der Unterschichten wieder in die Höhe treiben und so
etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner für alle sein, die das starke
Gefühl haben, dass es so ja nun wirklich nicht mehr weiter gehen kann.
Angesichts der internationalen Spannungen im Zuge einer kriselnden
Wertverwertung fände ich es übrigens nicht falsch, für die Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens Rosa Luxemburgs "Sozialismus oder
Barbarei" als Slogan zu annektieren: "bedingungsloses Grundeinkommen
oder Barbarei". Denn mindestens aus keynsianischer Perspektive müsste
völlig klar sein, dass die Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens insofern ein Jungbrunnen fürs Kapital darstellt, als es
immense zusätzliche konsumtive Anreizimpulse für die Produktionssphären
setzt. Durch internationale Konflikte die Abschöpfung ausländischen
Mehrwerts zu organisieren und/oder Überproduktionskapazitäten zu
zerstören, könnte dann fürs Kapital weniger attraktiv bzw. notwendig
erscheinen.
Ansonsten möchte ich zumindest auch positiv zu Flassbeck und Co.
vermerken, dass mir noch nirgends sonst der sich aufdrängende Gedanke so
klar formuliert begegnet ist, dass der sogenannte Neoliberalismus in
seiner Konsequenz die Restauration bis zum Rückfall ins Feudalsystem
betreibt: "Gehören zunehmende Ungleichheit und Verarmung der unteren
Einkommensschichten auf Dauer und unter den Bedingungen der
Globalisierung unvermeidlich zum Marktmechanismus dazu? Wenn ja - davon
sind die Neoliberalen überzeugt -, muss die Frage gestellt und
beantwortet werden, ob die Marktwirtschaft heute und vor allem in
Zukunft noch mit einer demokratischen Gesellschaftsordnung in Einklang
zu bringen ist. Denn wenn die Reparaturversuche der sozialen Schäden,
die die Marktwirtschaft dann offenbar systematisch anrichtet, mittels
der Sekundärverteilungsmöglichkeiten des Staates das System
Marktwirtschaft selbst wiederum schädigen oder zumindest
beeinträchtigen, scheinen sich die Anforderungen des Wirtschaftssystems
und die des politischen Systems logisch zu widersprechen.
Dann aber wäre der Kampf gegen Armut und gesellschaftliche Spaltung
innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems letzten Endes zum
Scheitern verurteilt. Aufrichtiger wäre dann schon die Suche nach einem
anderen politischen System, in dem sich ökonomische Ungleichheit und
politische Teilhabe entsprechen (etwa in einem Ständestaat mit
Klassenwahlrecht)." (vgl.
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/11/09.mondeText1.artikel,a0014.idx,6
) New Model Army freilich sangen bereits 1990 und damit lange vor dem
Höhepunkt der "Standort Deutschland"-Debatte: "The council tries to
bribe the rich just to stay in town".
Ich kann zwar nicht behaupten, dass er sich ernsthaft auf irgendwelche
Erfahrungstatsachen stützen könnte, aber irgendwie habe ich den
Eindruck, dass der Hegelsche Weltgeist in den nächsten Jahrzehnten einen
politischen Fortschritt der Menschheit wenn überhaupt, dann wohl eher
von Asien, wesentlich wohl China und Indien her organisieren wird.
Verzichtet der Weltgeist auf ein grundlegendes Neumischen der Karten
durch drastische Klimakatastrophe und im Zuge der Verwertungskrisen sich
aufdrängende gesellschaftliche Katastrophen à la world war 3, dann
findet er im Anschluss an die Phase der nachholenden Industrialisierung
in Asien vielleicht mal Muße, die bürgerliche Egalität in eine
materielle umzuformen. Vielleicht sehe ich das zu optimistisch, aber
wenn Asien erstmal ökonomisches und militärisches Zentrum des Globus
geworden ist, könnte aus Maos Wühlmausarbeit und der Liebe zur Oppulenz
im Hinduismus heraus ja ein asiatischer Exportimperialismus den
Europäern und vielleicht sogar den Amis ein bedingungsloses
Grundeinkommen nach dem Muster aufzwingen, das im Dilthey-Modell
skizziert wird. Und Afrika hoffentlich einfach schenken. Während ich für
Deutschland und damit wohl leider auch Europa eher befürchte, dass es
sich für absehbare Zeit aus einem manifest-vorbewussten Glauben der
Mehrheit an eine Wahrheit der guseisernen "Arbeit macht frei"-KZ-Sprüche
der Nazis heraus verbietet, der Liebe zur freien Tätigkeit von
Antroposophen und Marxschen Frühschriften und dem Recht auf Faulheit der
Spaßgesellschaftsfraktionen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen
auch nur den Hauch einer Chance einzuräumen. Aber selbst wenn dem so
sein sollte, wer will so lange bloß warten und hoffen?
5. Ein paar Bemerkungen zur Schizophrenie des Schwarzmarkt-Begriffs aus
Sicht des bedingungslosen Grundeinkommens
Der kritische Beitrag von Antje Schrupp (vgl.
http://antjeschrupp.com/2013/06/29/7244/ ) zu einem anderen Artikel der
Mitautorin des eben erwähnten Angriffs auf die Idee des bedingungslosen
Grundeinkommens von Flassbeck und Co., Friederike Spiecker, der ziemlich
ähnlich gestrickt ist wie der Artikel in Le Monde (vgl.
http://www.flassbeck-economics.de/grundeinkommen-falsches-mittel-aufgrund-falscher-analyse/
), hat mich dazu animiert, mal ein wenig über den Schwarzmarktbegriff zu
meditieren. Ist für Dialektiker abstrakt ja immer klar, dass sich jeder
beliebige Gegenstand als schizophren erweist, wenn er nur genau genug
angeschaut wird, so ist es doch immer wieder überraschend, was sich
konkret an den jeweiligen Gegenständen ergeben kann. Schwarzmärkte sind
aus der Perspektive der Finanzierung eines bedingungslosen
Grundeinkommens einerseits aus Gerechtigkeitsüberlegungen heraus wenig
wünschenswert, andererseits potentiell ein Riesenproblem, da sie sich
dem Kapital neben Landesflucht geradezu als Antwort auf eine wie auch
immer gestaltete Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in
relevanter Höhe aufdrängen könnten. Dem dürfte zwar der hohe Grad an
Systemintegration der meisten Wertkreisläufe entgegen stehen, aber ich
würde dieses Problem dennoch nicht unterschätzen.
Am Rande möchte ich in dem Zusammenhang erwähnen, dass schon heute bspw.
die Illegalität von vielen Rauschsubstanzen nicht nur wegen der damit
einhergehenden unnötigen Verelendung von Konsumenten ein Skandal ist,
sondern auch wegen der in dieser illegalisierten ökonomischen Sphäre
vorfindlichen Arbeitsbedingungen und wegen der immensen
Steuerhinterziehung dieser wegen der Illegalität freilich gar nicht erst
besteuerten Märkte.
Antje Schrupp legt implizit wohl das von Roswitha Scholz in die
marxistische Debatte eingeführte Wertabspaltungstheorem (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Roswitha_Scholz ) zugrunde, das ich
inhaltlich richtig finde. Der gender pay gap ist dafür ja nur ein
soziologisch-empirischer Ausdruck. Ich würde sagen, dass die
Wertabspaltung ein Teilaspekt von dem ist, was es unmöglich macht, Marx'
Begriff der Wertsubstanz, also die abstrakte Arbeit, in irgendeiner
Weise sinnvoll quantitativ zu bestimmen. Grundlegend fasst die abstrakte
Arbeit das Ergebnis aller möglichen sozialen Auseinandersetzungsformen
in Geschichte und Gegenwart in einer Kategorie zusammen und wäre daher
nur aus einer göttlichen Perspektive konkret bestimmbar. Alle
Wertkategorien sind halt geschichtlich-gesellschaftlicher Natur, so sehr
ihr Verwachsensein mit Dingen und ihr höchst abstrakter Bezug auf
Lebenszeit auch darüber hinwegtäuschen mag.
Interessant in Bezug auf den Begriff des Schwarzmarkts ist das
Wertabspaltungstheorem, weil es den Blick auf alle nicht-monetären
Tätigkeitsformen weitet. Antje Schrupp kann sich zwar angesichts der
monetären Missachtung von kulturgeschichtlich weiblich konnotierten
Tätigkeiten, also angesichts von gender pay gap und dem Aufladen von
Tätigkeiten zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft auf vornehmlich
weibliche Schultern, darüber belustigt zeigen: "Haha. Hausfrauen als
passionierte Steuerhinterzieherinnen, das finde ich geradezu mal
lustig." (http://antjeschrupp.com/2013/06/29/7244/ ) Und Friederike
Spiecker ist so sehr in ihrem arbeitsfetischistischen Wahn drin,
Inflationsgespenster aus der möglichen Arbeitszeitreduzierung von
imaginierten Leistungsträgern abzuleiten, dass sie gegenüber der
Wertverwertungsarbeit nur zwei alternative Tätigkeitsformen sieht, die
beide mehr oder weniger auf Eigenbrödlerei hinauslaufen: "Wieviel
Steuern sollte der Staat z.B. für das Bild eines Malers kassieren, das
der an irgendjemanden verschenkt oder bei sich zu Hause ausstellt?
Solange das Bild keinen Käufer findet, kann der Staat darauf bzw. auf
die Arbeit des Malers keine Steuern erheben. Das gilt natürlich auch für
alle Arbeiten, die jemand für sich selbst erledigt, die sozusagen weg
von der Arbeitsteilung und hin in Richtung Autarkie gehen. Lasse ich
meine Wohnung putzen und bezahle dafür, kann der Staat diese Aktivität
besteuern. Mache ich selbst sauber, kann der Staat meine Arbeit nicht
besteuern." (vgl.
http://www.flassbeck-economics.de/grundeinkommen-falsches-mittel-aufgrund-falscher-analyse/
)
Es gibt aber neben privatistischer Tätigkeit für sich selbst oder für
Freunde und Bekannte eine dritte Alternative, die für die Gruppe um
Flassbeck viel erschütternder sein müsste und den eigentlich
emanzipatorischen Gehalt des bedingungslosen Grundeinkommens
verdeutlich: nicht-gewinnorientierte, nicht-monetär vermittelte
Kooperativen mit ausreichendem Zugriff auf Produktionsmittel. Ich hatte
das oben im Zusammenhang mit meinem Rettungsversuch des reinen
Konsumbesteuerungsmodells angedacht: gemeinnützige Vereine könnten auf
der Basis eines bedingungslosen Grundeinkommens eventuell durchaus
konkurrenzfähig gegenüber gewinnorientierten Unternehmungen werden. Das
würde ich sogar geradezu als Notwendigkeit empfinden, weil ansonsten das
bedingungslose Grundeinkommen doch nur Armutsbekämpfung, Recht auf
Faulheit und Hilfe im Klassenkampf für die unterliegende Klasse wäre,
nicht aber Transzendierung der Klassengesellschaft. Auch dazu ließe sich
"immerhin" sagen, aber das Herz will, was das Herz will, und das ist nun
einmal unter anderem der Verein freier Menschen.
Es gibt freilich auch heute nicht-gewinnorientierte, nicht-monetär
vermittelte Kooperativen, etwa die Open-Source-Bewegung oder bestimmte
Aspekte von Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbänden und vieles
mehr. Aber auf der Basis eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre
hoffentlich eine drastische Ausweitung solcher Kooperativen zu
beobachten. Um's mal plastisch auszupinseln: Was würde die deutsche
Autolobby dazu sagen, wenn ein paar reiche Ökofreaks mit der Hilfe
vieler ehrenamtlich Aktiver ein flächendeckendes Car-Sharing-Modell mit
Elektroautos in der gesamten EU zum Nulltarif oder niedrigem
Vereinsmitgliedsbeitrag als gemeinnützigen Verein aufziehen würden?
Wettbewerbsverzerrung? Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit und
Schwarzmarkt á la Friederike Spiecker im großen Stil? Um's ein bisschen
allgemeiner zu sagen: Sollte Adorno Recht haben und "die Menschen sind
immer noch besser als ihre Kultur" (Adorno, Minima Moralia, GS4, S. 51),
dann würde sich auf der Grundlage eines bedingungslosen Grundeinkommens
die Möglichkeit ergeben, dass alle als unethisch empfundenen Aktivitäten
von gewinnorientierten Unternehmen relativ flott durch als zumindest
weniger unethisch empfundene Aktivitäten auf gemeinnütziger Basis
ersetzt werden würden. Alle als unethisch empfundene Aktivitäten von
gewinnorientierten Unternehmen? Ja, was bliebe denn da noch vom
Kapitalismus?
Als jemand, der eine solche Entwicklung begrüßen würde, könnte man
freilich sagen: Fein. Hoffen wir einfach mal, dass das in vernünftigen
Bahnen geschieht, die Gemeinnützigkeit nicht bloß gefaked wird, sich das
bedingungslose Grundeinkommen sukzessive durch eine andere Form der
Ökonomie ohnehin erübrigt und mit der Wertverwertung alsbald Schluss ist.
Aber zumindest könnte man dann als Verfechter eines bedingungslosen
Grundeinkommens auch zugestehen, dass die Argumente von Flassbeck und
Co. gar nicht so sehr an den Haaren herbeigezogen sind: Eine
Wohlfahrtsökonomie, die der monetär vermittelten Wertverwertung das
Wasser abgraben würde, würde auch die Steuermasse und damit die Basis
des bedingungslosen Grundeinkommens erodieren lassen. Ich würde einfach
mal hoffnungsfroh davon ausgehen, dass die Gesamtgesellschaft vernünftig
genug wäre, den sukzessiven Einbruch beim bedingungslosen Grundeinkommen
durch nicht-monetär vermittelte gemeinnützige Tätigkeiten auszugleichen.
Es wäre aber immerhin auch denkbar, dass die bei gemeinnützigen
Tätigkeiten fehlende gesamtgesellschaftliche Regulation über
Marktmechanismen zu großen Diskrepanzen führen könnte, zu großer
Wohlfahrt hier und Mangel am Nötigsten dort. Zumindest im Hinterkopf
sollte diese Möglichkeit bleiben. Vielleicht kann ja mal jemand eine App
namens "Planwirtschaft 2.0 " basteln, die den Bedarf der Gesellschaft am
Nötigsten im Blick behält ...
By the way: Falls jemand eine Idee hat, wie ein Magister-Philosoph das
täglich Brot für sich, seine Frau und unsere beiden Katzen während des
Wartens auf die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens
erwirtschaften könnte, vielleicht z. B. mit polit-theoretischer Arbeit,
dann wäre ich für einen Hinweis wirklich dankbar. Erwerbslosigkeit rockt
nicht im Ernst. Könnte ja sein. Ansonsten hilft vielleicht
Hartz4-Regime-Drangsalierten das Konzept des
Initiativbewerbungs-Spammens, das ich hiermit mal versuche. Als ich
letzten Oktober erstmals den ALG2-Status ergatterte, hat mir meine
Arbeitsvermittlerin per Eingliederungsvereinbarung 8
Bewerbungsinitiativen pro Monat aufgedrückt. Trotz relativ engagierter
Sichtung der Stellenmärkte komme ich nicht einmal auf die Hälfte der
Vorgabe, und das auch nur, weil ich diverse Bewerbungen verschickte, die
so ernst nicht gemeint waren. In dieser Form eine Initiativbewerbung an
eine Mailingliste von x Personen zu verschicken, dürfte
Planübererfüllung bedeuten. Falls mir jemand sagen kann, wie groß x ist,
könnte ich kommende Woche während meines nächsten Gesprächs mit einem
neuen Arbeitsvermittler vielleicht sogar argumentieren, dass mein Soll
nach der Formel (x + 43 abgeschickte Bewerbungen - 10 Monate * 8
Bewerbungen) / 8 Bewerbungen für entsprechend viele künftige Monate
eigentlich erfüllt ist. Vermutlich weiß kaum jemand so viel über die
Absurditäten von Hartz4 wie die Leute, die in der Arbeitsagentur
arbeiten. Ihnen zu spiegeln, dass auch ALG2-Empfänger diese Absurditäten
zumindest ein Stück weit klar haben, kann aber wohl dennoch kaum
schaden. Fast unnötig zu erwähnen, dass ich in den 18 Monaten seit der
Kündigung meines letzten Jobs und des damit verbundenen Erstkontakts zur
Arbeitsagentur keinen einzigen Vermittlungsvorschlag von irgendeinem
Arbeits"vermittler" erhalten habe.
Mit lieben Grüßen aus Bremen,
Bert Grashoff
-------------- nächster Teil --------------
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