[Debatte-Grundeinkommen] Das Pauluszitat: Wer nicht arbeitet, ....

Dorothee Schulte-Basta schulte-basta at grundeinkommen.de
Fr Okt 14 20:28:09 CEST 2011


...wofür der arme Paulus alles herhalten soll. Die Einen begründen mit
ihm den faktischen Arbeitszwang, die anderen sehen in ihm einen
Kritiker der Banken und Investmentfonds. Beides ist theologisch nicht
haltbar!

Der Satz richtet sich gegen jene Christen, die in Erwartung der
baldigen Wiederkunft Christi ihre Berufstätigkeit aufgegeben hatten
mit der Begründung, dass diese angesichts der bald zu erwartenden
Zeitenendes sinnlos und vergeblich sei. Damit waren nicht notwendiger
Weise Aristokraten gemeint. Der Verfasser des Briefes hatte erfahren,
dass einige Mitglieder der jungen Christengemeinde jeglicher
weltlichen Betätigung entsagten – aus Begeisterung für die neue
Religion und in Erwartung eines baldigen Weltendes. Ihnen erschien
alles Irdische nur noch vorläufig und unwichtig. Paulus wandte sich an
die Entrückten, indem er ihre eigene Argumentation logisch fortsetzte
und damit gleichzeitig ins Absurde wendete: Wer nichts mehr tun müsse,
weil er oder sie ja eh ins Himmelreich komme, der könne ja auch
aufhören zu essen. Davon ausgehend, dass auch die in Heilserwartung
erstarrten Anhänger der neuen Religion gern weiterleben wollten,
forderte er sie auf, sich auch weiterhin um weltliche Dinge zu
kümmern. Christen hätten durchaus die Aufgabe, sich in der hiesigen
Welt zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen und nicht allein auf
ein glückseliges Jenseits zu warten. Wer nicht arbeitet, soll nicht
essen – das war also weniger als Strafe gemeint, sondern mahnende
Ironie.

Eine andere Auslegung ergibt sich wenn man in die feministische
Theologie schaut. Dort betont man das Motiv des Nachahmens, das ebenso
im ersten Thessalonicherbrief zentral ist. Paulus, Silvanus und
Timotheus treten als Gruppe, eine Art Männerkollektiv in Erscheinung,
deren Vorbild für alle, als allgemeines ethisches Paradigma gelten
sollen: "wie wir um euretwillen unter euch gewesen sind" (1 Thess 1,5)
Im 2 Thess soll das Verhalten der Missionare in der Gemeinde einen
pädagogischen Sinn gehabt haben "Wir wollten uns selbst euch als
Vorbild geben, damit ihr uns nachfolgt." (3,9) Nachfolge der Praxis
dieser Männer ist ein Hauptpunkt der apostolischen Überlieferung. Die
vorbildlichen Männer, so wird gemahnt, haben sich alles andere als
disziplinlos unter den AdressatInnen aufgeführt, sondern ihr Essen
durch harte Arbeit selbst verdient. Die zu wahrende Ordnung besteht
danach in der Verbindlichkeit der Erwerbsarbeit für alle, also auch
für die Leitenden der Gemeinde. Wenn schon die Briefautoren ihre
Tätigkeit als die von Lohnarbeitern bezeichnen, hat das normative Züge
für alle Ämter. Da zudem der Lohn in Nahrung besteht und nicht etwa in
Geld, wird ein Machtkonzept sichtbar, in dem Einfluss in der
Gemeinschaft und materieller Aufstieg radikal von einander getrennt
werden. Das Pauluszitat dient der innergemeindlichen Demokratisierung
nach unten. (Vgl. Schottroff, Wacker: Kompendium feministischer
Bibelauslegung)

Also bitte in puncto Paulus-Vergewaltigung nicht selber den Münte
geben, einer reicht.

Schöne Grüße
Dorothee

Am 14. Oktober 2011 17:57 schrieb j.behncke <j.behncke at bln.de>:
>
> Liebe Leute,
>
> das Paulus-Zitat bezieht sich auf die faulen Aristokraten, die ein "unordentliches Leben" führen, n i c h t auf die ( arbeitende ) Landbevölkerung ( derselben blieb in damaligen Zeiten ja gar nichts anderes übrig, als zu arbeiten, um essen zu können ). Paulus geißelt also die Sozialschmarotzer ( heute Bankeneliten ), die in Saus und Braus leben, aber nicht arbeiten. Denselben will er auch das Essen verbieten.
>
> Leider hat Herr Müntefering und auch andere mangels Zeit nicht den Bibeltext in seinem Zusammenhang gelesen, deshalb geistert das Wort durch die Welt.
>
> Kurzum: In der Alten Welt mußten die Leute arbeiten, um zu leben. Die Aristokratie tat das nicht. Genau das geißelt Paulus mit seinem viel zitierten Satz.
>
> In heutigem Kontext ist er also ein Kritiker der Banken und der Investmentfonds.
>
> Grüße
>
> Joachim Behncke
> Sprecher AK Grundsicherung/Grundeinkommen, Bündnis 90/Die Grünen, Berlin
>
> ----- Original Message -----
> From: Michael Musil
> To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> Sent: Thursday, October 13, 2011 10:06 AM
> Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommenNachrichtensammlung, Band 77, Eintrag 9
>
>
> Von: Gerrit Haase <gerrit.haase at gmail.com>
> Datum: 11. Oktober 2011 17:13:10 MESZ
> An: "debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de" <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Geht uns die Arbeit aus?
>
>
> Hallo Ernst Ullrich,
>
> stimme ich zu. Wobei ich sagen möchte, dass der nach wie vor brandaktuelle Begriff der Arbeit auf dem 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher,  Paulus, beruht, und sich bis ins 20. Jahrhundert nicht geändert hat, weil du das 19. JH erwähnst ...:
>
> „10Denn als wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. 11Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles Mögliche treiben, nur nicht arbeiten.“"
>
> http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/W#Wer_nicht_arbeitet.2C_soll_auch_nicht_essen.
>
> Also, das steht ja schon in der Bibel...
>
> Natürlich wird das immer wieder ausgegraben, Müntefering usw.  Das geht etlichen Leuten gegen den Strich, solche die echte Not und Hunger erlebt haben, aber auch die Nachkommen, denen man es nur anerzogen hat.
>
> Das kriegst du aus den Köpfen nicht raus.  Wer nicht offiziell Bedürftig ist, dem schenkt man nichts. Das ist hier und sonstwo Religion, Betteln und Hausieren verboten.
>
>
> Ist schon erstaunlich, dass ein Gedanke, der bnbeinhaltet, dass ALLE profitieren, sich nicht schneller verbreitet und durchsetzt...
>
>
> Liebe Grüße,
> Gerrit
>
>
>
> http://cms.bistum-trier.de/bistum-trier/Integrale?MODULE=Frontend&ACTION=ViewPage&Page.PK=4043
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> Arbeit mit eigenen Händen
> Paulus war als Missionar rastlos unterwegs und verkündete das Evangelium. An sich hatte er das Recht, sich von den Gemeinden versorgen zu lassen. Darauf verzichtet er und arbeitet als Zeltweber, um sich den Lebensunterhalt mit eigenen Händen zu verdienen. Er will damit die Unabhängigkeit seiner Verkündigung sichern.
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> Ein Auftrag
> Paulus hatte allen Mitgliedern der Gemeinde in Thessaloniki die Anweisung gegeben, sich von der eigenen Hände Arbeit zu ernähren. In seinem Brief erinnert er wieder daran. Der 2. Thessalonicherbrief (er stammt nicht von Paulus) verschärft diese Regel noch: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (3,10). Denn die Nichtbeachtung der einfachen Regel hat zu enormen Spaltungen in der Gemeinde geführt: Reiche, die so viel besitzen, dass sie nicht mehr arbeiten müssen, und die Amtsträger in der Gemeinde lassen sich von den Arbeiterinnen und Arbeitern durchfüttern.
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> Eine bleibende Herausforderung
> Auch der reiche Rechtsanwalt Mahatma Gandhi forderte von seinen Mitstreitern tägliche Handarbeit; er selbst ging mit gutem Beispiel voran. Er wollte verhindern, dass die Bevölkerung in soziale Klassen gespalten wird oder bleibt. Auch heute stellt sich die Frage, was getan werden muss und kann, damit Arbeit und Freizeit, Mühsal und Brot gerechter verteilt werden.
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> Text
> Der englische Text ist in Stein gemeißelt an Gandhis Verbrennungsplatz in Delhi;
> Übersetzung von Johannes Stein, 2007.
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> Tipps zum Weiterlesen
> Johannes Paul II. Laborem exercens, Enzyklika, 1981
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> Rainer Roth Nebensache Mensch: Arbeitslosigkeit in Deutschland, Frankfurt am Main 2003
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> Setzt eure Ehre darein, ruhig zu leben, euch um die eigenen Aufgaben zu kümmern und mit euren eigenen Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen haben. So sollt ihr vor denen, die nicht zu euch gehören, ein rechtschaffenes Leben führen und auf niemand angewiesen sein.
> 1. Thessalonicherbrief 4,11.12
> ***************
> Dieses Zitat richtete sich ursprünglich gegen die Geldschmarotzer und wurde später von diesen umgedeutet.
> Im übrigen haben wir hier in der Region das BGE seit 8 Jahren im Dauerbetrieb. Das Geheimnis liegt in der autonomen Geldschöpfung.
> Wer in Steuermodellen denkt wird nie zum Ziel kommen!
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> Gruß
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