[Debatte-Grundeinkommen] [Genugfueralle] Rundreise Jauch Namibia (text von attac-GfA)
willi übelherr
wube at gmx.net
Do Apr 8 14:09:40 CEST 2010
entschuldigt bitte, weil ich keinen link fand, deshalb nun den text hier und
im anhang. hatte es vorher vergessen.
mit grüßen, willi
Es geht um die Würde...
Erfahrungen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in einem namibischen Dorf
Werner Rätz, Dagmar Paternoga (Attac AG Genug für alle)
In Namibia im Bezirk Omitara im Ort Otjivero erhielten von Januar 2008 bis
Dezember 2009 alle BewohnerInnen, die vor Beginn des Projektes dort
registriert und jünger als 60 Jahre waren, monatlich 100 namibische Dollar
(etwa 10 €). Die Zahlung erfolgte ohne jede Auflage und ohne irgendeine
Einmischung seitens der Geldgeber. Organisiert hatte das das
„Grundeinkommensbündnis“ (basic income grant coalition) Namibias; es besteht
aus dem Namibischen Kirchenrat, dem Gewerkschaftsbund Namibias, dem
Dachverband der Nichtregierungsorganisationen und dem Bündnis der
Aidshilfegruppen. Inzwischen ist auch der Verband der Jugendorgansiationen
Namibias beigetreten. Begleitet wurde das Projekt von Anfang an von einer
Forschergruppe, die neben namibischen WissenschaftlerInnen auch
internationale Experten umfasste, so Guy Standing von der Internationalen
Arbeitsorganisation ILO, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen. Die
Gelder wurden aus Spenden aufgebracht. Nach dem Auslaufen des Projekts wird
für eine Übergangszeit ein Überbrückungsgeld von 80 ND monatlich bezahlt.
Herbert Jauch, Gründungsdirektor des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts
Labour Resource and Research Institute (LaRRI) und jetzt freier Mitarbeiter
dort, war vom 18. - 31.3. in Europa zu Veranstaltungen in Österreich,
Deutschland, der Schweiz und Lichtenstein.
Einlader in Deutschland waren u. a. das Netzwerk Grundeinkommen und die
Attac-AG genug für alle. Mitglieder der AG habe Herbert Jauch bei allen
Terminen außer einem begleitet. Der vorliegende Text will ein Resumee dieser
Veransatltungsreihe ziehen und einige aus unserer Sicht wichtige Einsichten
zur Diskussion stellen. Dazu geben wir zuerst eine sehr knappe
Zusammenfassung der Ergebnisse des Projekts in Otjivero wieder, wie sie H.
Jauch in seinen Vorträgen ausführlich dargestellt hat. Vieles davon ist
nachzulesen auf der Webseite des BIG-Coalition www.bignam.org
Das Grundeinkommensprojekt in Namibia ist ein Erfolg
Otjivero ist ein Ort, der rings von Farmland weißer, meist
deutschsprechender Siedler umgeben ist. Dem Staat gehört dort ein
Wasserreservoir mit etwas Land, so dass sich vor allem entlassene
FarmarbeiterInnen dort angesiedelt hatten. Die Farmer wollten die Leute da
nicht haben, Diebstahl von Brennholz oder die Jagd von Kleinwild wurde
unbarmherzig verfolgt und bildete den allergrößten Anteil an der
Kriminalität im Ort. Da Menschen über 60 Jahre in Namibia eine staatliche
Rente von 450 ND bekommen, kamen die knapp Tausend jüngeren BewohnerInnen
Otjiveros in den Genuss der Zahlung. Diese erfolgte ursprünglich in bar,
wozu eigens ein Bus ins Dorf kam; nach wenigen Monaten hat die namibische
Post dort eine Filiale aufgemacht und allen Berechtigten ein Konto eröffent.
Dieses ist ebenso wie zwei Abhebungen monatlich kostenlos, sollte das
Grundeinkommen namibiaweit eingeführt werden, hat die Pot zugesagt, Filialen
in jedem Ort des Landes einzurichten.
Die Ergebnisse des Projekts sind eindeutig: Die Gesundheits- und
Ernährungssituation hat sich dramatisch verbessert, fast alle Kinder
schaffen ihre Jahresabschlüsse in der Schule, die Kriminalität ist stark
zurückgegangen. Einige BewohnerInnen des Ortes haben eigene wirtschaftliche
Aktivitäten begonnen: Zwei haben kleine Läden eröffnet, eine backt Brötchen,
einige nähen Kleider, einer brennt Ziegel. Diese Produkte können lokal
verkauft werden, da das Grundeinkommen Geld zum Einkauf zur Vergung stellt.
Darin unterscheidet es sich erheblich von den international oft so sehr
gelobten Mikrokrediten, die zwar die Aufnahme einer Produktion ermöglichen,
aber erstens über die Rückzahlungspficht und die immensen Zinsen oft
schlimme Abhängigkeiten erzeugen und die zweitens eben die Lebenssituation
der nicht Begünstigten nicht verändern. Es gibt weder Hinweise darauf, dass
die Menschen durch das Grundeinkommen passiv werden, noch hat sich das –
existierende – Alkoholproblem verschlimmert.
Wichtiger als die unmittelbar wirtschaftlichen Ergebnisse sind ohnehin die
indirekten Folgen des Projekts. Da auch die Besitzer der im Bezirk liegenden
Farmen das Grundeinkommen erhalten, mussten die sich ebenso wie die armen
Schwarzen in die Schlange stellen und warten, bis sie dran waren. In einer
Versammlung behauptete einer von ihnen, nie ArbeiterInnen entlassen zu
haben, und eine Frau stand auf und widersprach ihm öffentlich. Eine andere
erzählte, dass sie vor Erhalt der Zahlung die Entscheidung, mit wem sie eine
(zeitweilige) Partnerschaft einging, auch davon abhängig machen musste, dass
der Jeweilige auch Geld und Einkommen hatte: „Jetzt schicke ich Farmarbeiter
weg, wenn sie nach der Auszahlung ihres Lohns ins Dorf kommen.“ Eine andere
sagt: „Es geht um unsere Würde!“
Ähnliche Ergebnisse in Brasilien und Sambia
Herbert Jauch wurde bei den meisten Veranstaltungen von Werner Rätz ergänzt,
der auf zwei ähnlich gelagerte Projekte verwies. InBrasilien gibt es ein
umfassendes Programm bedarfsgeprüfter Sozialhilfe für Familien (bolsa
familia), das Zahlungen an knapp ein Viertel der Bevölkerung in ähnlicher
Höhe wie in Namibia leistet. Es ist zusätzlich mit Bedingungen verbunden,
die vor allem den Schulbesuch und Gesundheitsuntersuchungen für Kinder
betreffen. Von über 15 Millionen berchtigter Familien nehmen nur 12,5 Mio.
die Leistungen in Anspruch. Die Bedingungen (oft bringt die Arbeit der
Kinder das einzige Einkommen in der Familie, so dass Schulbesuch
ausgeschlossen ist) und bürokratische Schwierigkeiten bei der
Inanspruchnahme des Programms haben offensichtlich eine abschreckende
Wirkung. Dennoch sind die Ergebnisse bei den Geldempfängerinnen den
namibischen vergleichbar: Verbesserung der Lebenssituation und Belebung der
örtlichen Wirtschaft. In Sambia hatte die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit ein ähnliches Projekt installiert, das inzwischen
von britischen Stellen weitergeführt wird. Es war ebenfalls bedarfsgeprüft,
aber ohne weitere Bedingungen. Auch hier sind Zahlungshöhe und Ergebnisse
vergleichbar, wenn man die große Zahl der nicht vom Programm Erreichten in
Brasilien mit heranzieht, sogar besser, weil hier alle Berechtigten das Geld
auch bekommen haben und für alle sich ihre Lebensumstände verändert haben.
Ihr verändert ja die Welt
Die ersrte Veranstaltung in Deutschland fand in Dresden statt, maßgeblich
organisiert von der dortigen Grundeinkommensinitiative. Dementsprechend war
das Interesse der etwa 70 Anwesenden vor allem auf die konkreten Ergebnisse
des Pilotpojelkts gerichtet, das in der Grundeinkommensszene ja inzwischen
eine gewissen Prominenz besitzt – übrigens nicht immer zur Freude der
namibischen Organisatoreninnen, wenn denn immer mehr Neugierige ins Dorf
drängen und die Menschen dort ein wenig auf den Status von
Beobachtungsobjekten reduzieren. In der Diskussion wurde deutlich, dass sich
GrundeinkommensbefürworterInnen hier sehr stark mit solchen Modellprojekten
identifizieren.
Einen ganzen Tag lang gab es Gespräche mit PolitikerInnen in Berlin. Ein
Besuch bei den Fraktionsobleuten im Bundestagsausschuss für Arbeit und
Soziales litt ein wenig darunter, dass außer der Vorsitzenden nur drei
Obleute anwesend waren (SPD und FDP fehlten ohne Angabe von Gründen) und
zwei aus Termingründen nicht an der gesamten Besprechung teilnehmen konnten.
Dennoch wurde erkennbar, dass soziale Fragen bei aller Unterschiedlichkeit
im Einzelnen im Süden und Norden doch auch ähnliche Dimensionen aufweisen.
Bei der Fraktion der Linken hatten die EntwicklungspolitikerInnen
eingeladen. Dementsprechend war die Diskussion sehr stark auf diesen
Themenkreis ausgerichtet. Wichtigstes Ergebnis dürfte gewesen sein, dass die
Wirkung solcher Maßnahmen wie einem (geringen) Grundeinkommen im Süden sehr
stark von weiteren Bedingungen abhängig ist: Würde Namibia das
Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (EPA) unterschreiben, das die EU ihm
augenblicklich vorlegt (Namibia weigert sich als einziges afrikanisches Land
nach wie vor), dann müsste es seine Märkte völlig öffnen und zumindest
Ziegel- und Kleiderproduktion in Otjivero wären im Nu der ausländischen
Billigkonkurrenz ausgesetzt. Bei den Grünen war die Einladung zweier MdB aus
der Entwicklungs- und Sozialpolitik an die gesamte Fraktion ergangen und
auch im Ladesverband ein wenig gestreut worden. Dementsprechend breit war
die Beteilung. Zwei Fragen wurden besonders klar angesprochen, zum einen die
Wirkung einer Grundeinkommenszahlung auf die Geschlechterverhältnisse und
zum anderen die notwendige Bedingungslosigkeit von Leistungen, um neue
soziale Ausschlüsse und Spaltungen zu vermeiden.
Es folgte ein Gespräch bei der Society for International Development in
Bonn, das auch für Mitglieder der lokalen Grundeinkommens- und attac-Gruppen
geöfnet worden war. Hier gab es aus Zeitgründen keine Gelegenheit, auf
Brasilien und Namibia hinzuweisen, dies wird in einer eigenen Veranstaltung
später erfolgen.Das Interesse aus der Grundeinkomensbewegung war ähnlich
ausgerichtet wie in Dresden, die entwicklungspolitischen Profis rückten
gleich in der ersten Wortmeldung einen bis dahin nur wenig besprochenen
Aspekt in den Vordergrund. Was denn die Geldgeber dazu sagten, die
nationalen Ministerien der Geberländer und die internationalen
Institutionen: „Ihr verändert doch da die Welt! Das können die doch nicht
wollen!“ Herbert Jauch konnte diese Einschätzung am Beispiel des
Internationalen Währunsfonds, der mit falschen Zahlen und anderen
Missdeutungen gegen die Einführung eines Grundeinkommens für alle in Namibia
agitiert, bestätigen und auch die Anwesenden wussten aus eigener Erfahrung
Ähnliches zu berichten.Internationale Kooperation und die Zusammenarbeit
auch über Institutionen und Bewegungen hinweg werden notwendig sein, wenn
man das Ziel eines universellen Grundeinkommens erreichen will. Wenn Namibia
als erstes Land so etwas einführen würde, wäre es ein Beispiel, das vielen
mächtigen Intressen im Wege stände.
Dieser Aspekt war dann die Ausgangssituation der Diskussion in Gießen, auch
dort vor einem gut gefüllten Saal. Von Anfang an wurde der Zusammenhang der
drei Länder diskutiert und diese vor allem als Beispiele für eine umfassende
Problematik genommen: Wie kann ein gutes Leben für alle möglich werden. Die
örtliche Zeitung kommentierte anderentags zutreffend: „Die Themen
Mindestlohn und Grundeinkommen werden kontrovers diskutiert. Doch bislang
haben sich Politiker, Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertreter noch nicht
einigen können. Die Beispiele aus anderen Ländern in Afrika und Südamerika
zeigen, wie es funktionieren könnte. Vielleicht sollten deutsche
Entscheidungsträger ihren Blick nach Namibia, Brasilien oder Sambia
richten.“ Das forderten auch Anwesende, etwa einer, der darauf bestand, dass
ein bedingungsloses Grundeinkommen, wenn es den eingeführt werden sollte, im
Süden beginnen müsste.
Es geht um die politische Richtung, nicht um den guten Willen
Wir hatten als Attac-AG genug für alle schon vor Jahren so argumentiert.
Deshalb hatten wir schon zum Grundeinkommenskongresss in Berlin im Oktober
2008 Vertreter aus Sambia und Namibia eingeladen. Für uns war die Forderung
nach einem bedinungslosen Grundeinkommen nie eine nationale Orientierung,
sondern immer von dem gleichen Recht aller Menschen weltweit auf ein gutes
Leben her begründet und deshalb immer auch ein Umverteilungsprojekt von Nord
nach Süd. Dieser Zusammenhang hat sich in der Veranstaltungsserie mit
Herbert Jauch eindrucksvoll bestätigt. Angesichts weltweiter
Freihandelsorientierung verlieren die Menschen zunehmend überall auf der
Welt das Recht und die Mölglichkeit, selber darüber zu bestimmen, wie sie
leben wollen. Profitinteressen bestimmen die kapitalistische Ökonomie nicht
erst seit Aufkommen des Neoliberalismus, aber sie werden mit WTO und
Freihandelsabkommen, mit der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und
dem Aufbau internationaler Stoffströme nicht nur für Rohstoffe und
Fertigprodukte, sondern auch für Müll und Tiefkühlhähnchen zunehend in
instuttionelle Abläufe gegossen, gegen die im nationalen Rahmen gar nicht
mehr anzugehen ist. Das ist für uns die erste und wichtigste Lehre aus einer
Woche intensiver Diskussion in verschiedensten Zusammenhängen, oft auch mit
Medienleuten und mit einzelnen Interessierten.
Die zweite ist, dass die Grundeinkommensbewegung nur erfolgreich sein kann,
wenn sie sich weltweit als Teil der Bewegung für ein gutes Leben aller
versteht. Es reicht nicht aus, mit viel Enthusiasmus davon auszugehen, dass
man nur mit irgendwelchen Schritten anfangen muss, und seien sie noch so
klein. Herbert Jauch hat immer wieder betont, dass sie kein dauerhaftes
Projekt als solches wollen, sondern die Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens für alle in ganz Namibia. Otjivero hatte und hat eine
wichtige Funktion: Es macht deutlich, dass ein Grundeinkommen auch unter
schwierigsten Bedingungen möglich ist und gute Egebnisse zeitigt.Weitere
Projekte könnten weitere Fragen ebenso erfolgreich beantworten. Aber die
große Idee einer bedingungslosen Sicherung des Existenzminimums für alle
darf nicht in Einzeprojekte zerlegt werden, sondern muss universell und
global bleiben. Da werden nicht immer alle Dinge möglich sein, die die
AktivistInnen für essenziell halten, und man wird Kompromisse machen müssen.
Und beispielsweise eine Sozialhilfe für ein Viertel der Bevölkerung wie in
Brasilien oder die (leider bisher nicht durchgesetzte) Erhöhung der
Regelsätze von Hartz IV bei uns wären und sind wichtige Zwischenschritte.
Solche Kompromisse zu verweigern wäre realitätsblind. Aber die Forderung
nach einem bedingungslosen Grundeinkommen geht viel weiter und ruft deshalb
auch ganz andere Widerstände hervor. Die wird man nicht überwinden können,
wenn man sich Illusionen darüber macht, wer denn diese Forderung wirklich
unterstützen könnte. Wer ein Grundeinkommen wirklich will, wird an die
Grenzen des Kapitalsimus stoßen und daran heftig rütteln müssen.
Unsere dritte Schlussfolgerung ist, dass das Grundeinkommen nicht als
fertiges Modell gedacht werden kann. Man wird Menschen nicht dadurch von
seiner Richtigkeit überzeugen können, dass man nur genügend Fragen
beantwortet und Details erklärt. Erstens ist bei aller Übereinstimmung
bestimmter Probleme jede Gesellschaft anders und hat ihre besonderen
Bedingungen, denen ein Grundeinkommen gerecht werden muss. Die Gemeinsamkeit
verschiedener Grundeinkommensbewegungen kann also nicht im identischen
Modell bestehen, sondern in der Einsicht, dass es Interessen gibt, die sich
mit einem guten Leben aller nicht vereinbaren lassen. Auch in Namibia gibt
es weiterhin Individuen, die behaupten, die Menschen in Otjivero hätten es
gar nicht besser als früher, sie würden das Grundeinkommen versaufen und und
würden passiv und faul, obwohl das offenkundig nicht so ist. Wer ein
Grundeinkommen will, wird es gegen starke Interessen und innerhalb von
Konflikten durchsetzen müssen. Ohne lange und heftige Kämpfe wird es nicht
nur kein Grundeinkommen geben, es wäre auch gar nicht wünschenswert. Erst im
Eintreten für ihre eigenen Interessen gewinnen die Menschen das
Selbstbewusstsein, das es ihnen ermöglicht, selbst zu bestimmen, wie sie
miteinander leben und gemeinsam Gesellschaft bilden wollen.
-------------- nächster Teil --------------
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