[Debatte-Grundeinkommen] [Gr.NetzGE] Mindesteinkommen und Verrechnung

Manfred Bartl sozial at gmail.com
So Okt 25 23:44:20 CET 2009


Hallo, Boris!

Die Marktwirtschaft produziert einerseits Produkte und
Dienstleistungen und zu gleichem Wert Kaufkraft und sorgt dafür, dass
diese so verteilt wird, dass die Produkte und Dienstleistungen ihre
(per Nachfrage) vorbestimmten Konsumenten finden (Verteilung,
Primärverteilung). Die soziale Marktwirtschaft versorgt die Menschen,
die nach dem Gesellschaftsvertrag kein eigenes Erwerbseinkommen
erzielen sollen oder nicht mehr brauchen. Sie gleicht auch
Marktversagen aus, tritt also dann in Aktion, wenn die
Primärverteilung versagt (Umverteilung, Sekundärverteilung).

Soweit das Ideal. Heute ist die Marktwirtschaft kaputt, deutlich
ablesbar an der Massenarbeitslosigkeit, die Anzeichen versagender
Primärverteilung ist. Auch die Sekundärverteilung versagt: Hartz IV
ist schlicht falsch programmiert. Das Resultat ist bekannt: Die
Kaufkraft wird falsch verteilt und völlig unzureichend umverteilt.
(Mit dem Elterngeld existieren übrigens zudem erschreckend asoziale
Umverteilungsprogramme, die nichtsdestotrotz unwidersprochen
hingenommen werden!)

Das Modell, mit dem wir uns dieses Chaos aufzulösen vorstellen können,
ist das bedingungslose Grundeinkommen. Es besteht vielfach das
Missverständnis, dass es sich beim Grundeinkommen um ein Modell zur
sozialstaatlichen Umverteilung handele. Dies ist nicht der Fall! Das
Grundeinkommen ist ein Wirtschaftssystem, in dem die Primärverteilung
der Kaufkraft gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft vermehrt
staatlich organisiert wird. Das Grundeinkommen ist also keine bessere
Sozialhilfe, sondern etwas Eigenes - das man bestenfalls auf der Ebene
der Lohnersatzleistungen denken sollte, auf jeden Fall im Bereich der
Primärverteilung ansiedeln muss.

Dass erst erwirtschaftet werden muss, was verteilt werden soll, ist
einerseits ein Gemeinplatz (denn natürlich kann nur das gekauft
werden, was auch hergestellt worden ist), andererseits Agitation, weil
es nur noch um die Verteilung der Kaufkraft geht - das Wirtschaften im
eigentlichen Sinne, die Güterproduktion, an diesem Punkt also bereits
hinter uns liegt. Die Entscheidung über Verteilung und Umverteilung
fällt zur Hälfte des Zyklus eines Wirtschaftskreislaufs. Da aber die
für Kinder, Rentner, Arbeitslose usw. schon hergestellt sind, wäre es
geradezu dumm, ihnen nicht die Kaufkraft zu geben, mit der sie diese
Produkte dann auch kaufen können.

Tatsächlich ist die Nachfrage bei Hartz-IV-Empfängern aufgrund der
ihnen in so extrem geringem Umfang zugeteilten Kaufkraft stark
herabgesetzt. Sie können sich also nur das Allernötigste leisten (wenn
überhaupt). Was, wenn man es mal genau besieht, volkswirtschaftlich
ziemlich dumm ist, weil viele der Güter, die sie im Normalfall
konsumieren würden, ja ungeachtet ihrer Nachfrageknappheit hergestellt
bzw. bewirtschaftet werden. Ich habe etwa noch von keinem Kino gehört,
das aufgrund steigender Hartz-IV-Empfänger-Zahlen sein Platzangebot
einschränkt hätte. Es werden auch nicht weniger Filme gedreht. Die
Regale in den Supermärkten, Discountern und Kaufhäusern sind voll.
Lediglich einige Friseure, kann ich mir persönlich SEHR GUT
vorstellen, müssen dicht machen, weil man (ich) das Haareschneiden
(bzw. -scheren) so leicht zuhause erledigen kann, wen auch mit enormen
Abstrichen an der Qualität...

Wenn nun also die lohnabhängig Beschäftigten zwar für alle arbeiten,
aber für die Nicht-Arbeitenden einen Teil ihrer Kaufkraft abdrücken,
so KÖNNTE man das einen solidarischen Verzicht nennen. Ich würde
diesen Terminus aber auf Fälle beschränken, in denen die
gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität diese gelebte
Solidarität auf ernsthafte Weise abfragt. Dies ist heute nicht der
Fall. Wir haben zwar seit Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit - aber
keine Naturkatastrophen, keine Ressourcenknappheiten, keine Epidemien,
nicht den Hauch einer Wirtschaftskrise! (Das was gerade ins Haus
steht, ist eine WirtschaftsSYSTEMkrise, die sich als Wirtschaftskrise
auswirkt!) Die Massenarbeitslosigkeit hat offensichtlich andere
Ursachen. Ich gehe derzeit davon aus, dass die Hauptursache für
Massenarbeitslosigkeit die Dummheit der Massen ist. Statt den
Produktivitätsfortschritt fortwährend in Arbeitszeitverkürzung und
Arbeitsumverteilung und damit Freizeitgewinne umzumünzen, halten die
Gewerkschaften und die Arbeitnehmer im Allgemeinen nicht nur die
Arbeitszeit auf einem konstant hohen Level - sie lassen sogar
Arbeitszeitverlängerungen zu - 2006 sogar vor laufender Kamera
Polonäse tanzend! Hinzu kommt immer öfter ein geradezu perverser
"Sozialneid" der Menschen in Normalarbeitsverhältnissen oder gar in
Niedriglohnjobs auf Hartz-IV-Empfänger - weil sie "viel" Geld für ihre
Untätigkeit enthielten und sich ein "schönes Leben" machen könnten.
Dazu muss man ja nur die Kommentare einschlägiger Artikel bei WELT
Online oder FOCUS Online anschauen (die natürlich auch von
PR-Agenturen platziert worden sein könnten): "Ich arbeite schon 60
Stunden die Woche und kann nicht auch noch diese Faulenzer
druchfüttern!" - Neocon-PR-Agentur oder totale Realitätsferne? You'll
be the judge!

Gruß
Manfred



2009/10/21 Boris Behnke <boris.behnke at googlemail.com>:
>
>> Menschen davon überzeugen, dass die Praktische Seite, insbesondere die
>> Finanzierung, nicht das entscheidende Problem ist ...
>
> Das denke ich schon, wenn ich die Argumentationskette durchlaufen habe, dann
> kommt die abschließende Frage, okay dann mach, aber erzähl mir, wie das
> finanziert wird.
>
> Etliche Leute verstehen mittlerweile das Problem (Hartz Vier,
> alleinerziehende Mütter etc.).
>
> Grüße Boris
>
>
>


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